Republikflucht im Juli 1956
6. September 1956
Information Nr. 186/56 – Betrifft: Republikflucht im Monat Juli 1956
I. Einschätzung mit Zahlenübersicht im Vergleich zum Vormonat und Zahlen der Westberliner Flüchtlingsstellen
Nach den statistischen Unterlagen der HVDVP/HA PM sind die Republikfluchten von 35 479 im Juni 1956 auf 30 821 im Monat Juli 1956 zurückgegangen. Der Rückgang um 4 658 ergibt sich aus der Zahl der Republikfluchten »aus Vormonaten«, die im Juni 22 405 betrug und im Juli auf 17 617 abgesunken ist; und aus den Republikfluchten mit »PM 12a«,1 die im Juni 8 638 betrugen und im Juli auf 8 068 zurückgingen.
Während die Gesamtzahl vom Juli im Vergleich zum Vormonat Juni einen Rückgang der Republikfluchten ausweist, ergibt ein Vergleich der Zahlen aus der Rubrik »Berichtsmonat« der Monate Juni/Juli ein Ansteigen.
[Tabelle 1: Vergleich Juni/Juli 1956 – Daten werden in der Tabelle 2 wiederholt][Bereich] | Juni 1956 | Juli 1956 | [Veränderung] |
---|---|---|---|
Berichtsmonat | 4 436 | 5 146 | + [Plus] |
mit PM 12a | 8 638 | 8 068 | – [Minus] |
aus Vormonaten | 22 405 | 17 617 | – [Minus] |
Gesamt | 35 479 | 30 831 | [leer] |
Erfahrungsgemäß steigt in jedem Jahr während und nach der Urlaubssaison die Republikflucht zahlenmäßig an, was besonders durch die Republikfluchten »aus Vormonaten« bewirkt wird, die erst in den folgenden Monaten bekannt werden. Aus dieser Erwägung heraus sind im Monat Juli wahrscheinlich mehr Personen republikflüchtig geworden als in der Statistik enthalten sind, die aber erst in den folgenden Monaten unter der Rubrik »aus Vormonaten« in Erscheinung treten, wodurch dann die Republikflucht in diesen Monaten besonders hoch erscheint.
Die zahlenmäßige Zusammensetzung der Republikflucht in der Gegenüberstellung zum Vormonat gliedert sich wie folgt:
[Tabelle 2: Vergleich Juni/Juli 1956 – Daten aus Tabelle 1 wurden wiederholt]Kategorie | Juni 1956 | Juli 1956 | [Veränderung] |
---|---|---|---|
Männer | 12 772 | 11 4952 | [leer] |
Frauen | 16 378 | 14 371 | [leer] |
Kinder | 6 329 | 4 965 | [leer] |
Gesamt | 35 479 | 30 831 | [leer] |
Berichtsmonat | 4 436 | 5 146 | + [Plus] |
mit PM 12a | 8 638 | 8 068 | – [Minus] |
aus Vormonaten | 22 405 | 17 617 | – [Minus] |
Gesamt | 35 479 | 30 831 | [leer] |
[Kategorie] | Berichtsmonat Juni | Berichtsmonat Juli | PM 12a Juni | PM 12a Juli | Vormonat Juni | Vormonat Juli | Gesamt Juni | Gesamt Juli |
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Männer | 1 673 | 1 918 | 2 693 | 2 605 | 8 406 | 6 972 | 12 772 | 11 495 |
Frauen | 1 828 | 2 076 | 4 611 | 4 405 | 9 939 | 7 890 | 16 378 | 14 371 |
Kinder | 935 | 1 152 | 1 334 | 1 058 | 4 060 | 2 755 | 6 329 | 4 965 |
Gesamt | 4 436 | 5 146 | 8 638 | 8 068 | 22 405 | 17 617 | 35 479 | 30 831 |
Soziale Aufgliederung | Juni 1956 | Juli 1956 |
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Spezialarbeiter | 963 | 778 |
Bergarbeiter | 178 | 164 |
Arbeiter | 1 502 | 9 829 |
Angestellte | 5 354 | 4 826 |
Großbauern | 39 | 17 |
Mittelbauern | 110 | 79 |
Kleinbauern | 156 | 126 |
Neubauern | 80 | 81 |
LPG-Mitglieder | 192 | 174 |
Wissenschaftler | 13 | 1 |
Künstler | 16 | 17 |
Ingenieure | 181 | 121 |
Chemiker | 13 | 6 |
Ärzte | 70 | 64 |
Techniker | 63 | 23 |
Juristen | 3 | 11 |
Lehrer an: Universitäten | 1 | 7 |
[Lehrer an:] Mittelschulen | 14 | 4 |
[Lehrer an:] Volksschulen | 94 | 44 |
[Lehrer an:] Fachschulen | 26 | 18 |
Studenten an: Akademie | 20 | 25 |
[Studenten an:] Universität | 150 | 113 |
Pfarrer | 6 | – |
Handwerker | 315 | 243 |
Geschäftsleute | 317 | 257 |
Besitzer von Privatbetrieben | 68 | 60 |
Rentner | 1 296 | 1 282 |
Personen ohne Beschäftigung | 3 882 | 3 423 |
Hausfrauen | 5 023 | 4 057 |
Insgesamt3 | 20 145 | 25 850 |
Altersstufen | Juni 1956 | Juli 1956 |
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15–18 Jahre | 2 560 | 2 225 |
18–25 Jahre | 8 118 | 7 855 |
25–35 Jahre | 6 189 | 5 339 |
35–40 Jahre | 2 064 | 1 818 |
40–50 Jahre | 4 890 | 3 919 |
50–60 Jahre | 3 607 | 3 041 |
Über 60 Jahre | 1 722 | 1 669 |
Insgesamt | 29 150 | 25 866 |
Parteizugehörigkeit | Juni 1956 | Juli 1956 |
---|---|---|
SED | 916 | 779 |
LDP | 118 | 67 |
CDU | 128 | 89 |
NDPD | 87 | 74 |
DBD | 43 | 53 |
FDJ | 2 039 | 2 120 |
Parteilos | 27 848 | 24 799 |
SPD | 10 | 5 |
Obwohl nach den statistischen Unterlagen der HVDVP die Zahl der Republikflüchtigen von 31 293 im Mai auf 35 479 im Juni angestiegen war, berichteten westliche Stellen von einem starken Rückgang im Flüchtlingswesen. Im Juli 1956 weist die Statistik der HVDVP einen Rückgang der Republikfluchten auf 30 831 aus. Die westlichen Stellen aber registrierten nach ihren Angaben bereits in den ersten beiden Juliwochen wöchentlich mehr Flüchtlinge als die Wochenzahlen im ganzen Juni betrugen. Dies zeigt, dass unsere Statistiken durch die Einbeziehung der Republikfluchten »aus Vormonaten« ein völlig entstelltes Bild über die Situation in der Republikflucht geben.
Nachstehende Aufstellung beschränkt sich nur auf die Flüchtlingszahlen in den Westberliner Flüchtlingslagern. Sie zeigt aber, dass im Monat Juni – außer im Februar – die niedrigsten Zahlenwerte registriert wurden. Dabei ist zu beachten, dass der Anteil derer, die über Westberlin die DDR verlassen, zwischen 51 und 59 % der Gesamtzahl der Republikfluchten liegt.
[Tabelle 7: Flüchtlingszahlen aus Westberliner Flüchtlingslagern 1956]Zeitraum1956 | Meldungen beim ärztlichen Dienst:4 |
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2. bis 8. Januar | 3 501 |
9. bis 15. Januar | 3 230 |
16. bis 22. Januar | 3 435 |
23. bis 29. Januar | 3 610 |
30. Januar bis 5. Februar | 3 275 |
6. bis 12. Februar | 2 803 |
13. bis 19. Februar | 2 730 |
20. bis 26. Februar | 2 691 |
27. Februar bis 4. März | 3 027 |
5. bis 11. März | 3 401 |
12. bis 18. März | 3 343 |
19. bis 29. März | 3 081 |
26. März bis 1. April | 3 912 |
2. bis 8. April | 4 926 |
9. bis 15. April | 3 726 |
16. bis 22. April | 3 405 |
23. bis 29. April | 2 992 |
30. April bis 6. Mai | 3 610 |
7. bis 13. Mai | 3 208 |
14. bis 20. Mai | 3 121 |
21. bis 27. Mai | 4 053 |
28. Mai bis 3. Juni | 3 162 |
4. bis 10. Juni | 2 975 |
11. bis 17. Juni | 3 079 |
18. bis 24. Juni | 2 831 |
25. Juni bis 1. Juli | 2 375 |
2. bis 8. Juli | 3 434 |
9. bis 15. Juli | 3 882 |
Anfang Oktober 1955 wurde in den Westberliner Flüchtlingslagern mit einer Wochenzahl von 5 656 Personen der höchste Stand seit Mitte 1953 erreicht. Diese Zahl fiel dann bis Mitte Dezember bis unter 2 500 und stieg bis Ende Januar 1956 auf 3 600 an um bis Ende Februar wieder abzusinken. Anfang April wurde mit 5 000 Republikflüchtigen der höchste Stand im 1. Halbjahr 1956 registriert. Ende April war diese Zahl bereits wieder bis auf ca. 3 000 zurückgegangen. Sie fiel nach einem Ansteigen bis über 4 000 in der zweiten Maihälfte in der letzten Juniwoche bis unter 2 400 und erreichte somit den niedrigsten Stand seit Jahresbeginn.
Eine Gegenüberstellung der Zahlen aus den Statistiken der HVDVP mit den Zahlen westlicher Registrierstellen ergibt folgendes Bild:
[Tabelle 8: Gegenüberstellung von Flüchtlingszahlen aus unterschiedlichen Quellen]Monat [1956] | HVDVP | davon aus Vormonaten | Notaufnahme-Antragsteller, Berlin/Gießen/Uelzen |
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Januar | 35 362 | 20 643 | 26 811 |
Februar | 37 438 | 23 014 | 22 526 |
März | 31 470 | 18 983 | 21 001 |
April | 35 320 | 21 173 | 26 718 |
Mai | 31 293 | 19 320 | 23 121 |
Juni | 35 479 | 22 405 | 22 098 |
Die Zahlen der Notaufnahme-Antragsteller sind nicht die absoluten Zahlen, die für die Republikflucht angenommen werden können. Diese erhöhen sich noch durch die Republikflüchtigen, die kein Notaufnahmeverfahren beantragen und die nicht durch die Flüchtlingslager gehen. Letztere werden demnach auch nicht registriert. Es ist aber dennoch zweifelhaft, dass sie die monatlichen Zahlen der HVDVP erreichen.
Der Anteil der Jugendlichen an der Gesamtzahl der Republikflüchtigen hatte sich nach westlichen Angaben in den Westberliner Flüchtlingslagern von 1954 bis 1955 von 14,2 % auf 31,4 % erhöht. Im ersten Halbjahr 1956 ist er auf 26,0 % zurückgegangen, beträgt aber damit noch fast das Doppelte von 1954. Der Anteil der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren ging dabei von 14,8 % der Gesamtzahl auf 8 % im ersten Halbjahr zurück. Der Anteil der männlichen Jugendlichen von 18 bis 25 Jahren an der Gesamtzahl der Republikflüchtigen war in den Westberliner Lagern im Jahre 1955 von 15,8 % im Januar auf 48,5 % im Juni angestiegen. Im Januar 1956 betrug er noch 31,8 % und ging dann auf 27,0 % zurück. Im Juni 1956 war er auf 32,6 % angestiegen. Bei den älteren Republikflüchtigen ist besonders der Anteil der 45- bis über 65-Jährigen von 15,2 % im Jahre 1955 auf 19,1 % im ersten Halbjahr 1956 angestiegen. Ähnlich bewegt sich das Verhältnis des Jugendlichenanteils in den Lagern Gießen und Uelzen. Jedoch ist dort der Anteil im ersten Halbjahr 1956 bis auf den Durchschnitt von 1954 zurückgegangen. Dafür bewegt sich der Anteil der Republikflüchtigen ab 65 Jahre und älter zwischen 7,0 % und 7,6 %, während er in den Westberliner Lagern nur zwischen 1,2 und 1,6 % liegt.
Die Gründe für das Ansteigen der Republikflucht unter den Jugendlichen von 18 bis 25 Jahren in den Monaten Januar bis Juni 1955 werden in dem »Druck zum Eintritt in die VP und Volksarmee« angegeben,5 was jedoch nicht den Tatsachen entspricht. Vielmehr ist es die einfachste und gebräuchlichste Angabe des Grundes um im Westen die »Anerkennung als politischer Flüchtling« zu erreichen.
II. Ursachen der Republikflucht
Bei der Angabe der Gründe und Ursachen für die Republikflucht konnten außer den bisher bekannten keine neuen Momente ermittelt werden. Aus dem Bezirk Gera wurde gemeldet, dass in der letzten Berichtsperiode die Ursachen und Gründe für die Republikflucht zum größten Teil nicht festgestellt werden konnten. Es werden deshalb je nach den herrschenden Umständen die verschiedensten Gründe »angenommen«. Am häufigsten werden solche Gründe, wie Beeinflussung durch Verwandte und Bekannte, familiäre und persönliche Gründe und Verärgerungen im beruflichen Leben angegeben. Republikfluchten aus einer gegnerischen Einstellung heraus oder wegen kriminellen Vergehen sind im Verhältnis zu den erstgenannten zahlenmäßig gering. Republikfluchten durch Abwerbung werden fast ausschließlich »vermutet«, da konkrete Einzelheiten hierüber entweder gar nicht vorhanden sind oder nicht bekannt ist, welche Definition für den Begriff »Abwerbung« in Anwendung gebracht werden muss.
a) Vermutliche Abwerbung
Aus dem Kupferwalzwerk in Ilsenburg, [Kreis] Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, wurde der Leiter der Sicherheitsinspektion, Diplom-Ingenieur Hermann Franke, und der Leiter der Investitionsabteilung, Bauingenieur Walter Maume, republikflüchtig. Es wird vermutet, dass beide durch den republikflüchtigen ehemaligen Betriebsangehörigen, Bauingenieur Müller, abgeworben wurden, der in Westdeutschland einen kleinen Betrieb gegründet hat.
Der Klavierbauerlehrling [Name 1] aus Löbau, [Bezirk] Dresden, hatte seine Lehre in der privaten Pianofabrik Förster in Löbau mit einem Diplom abgeschlossen. Eine Prüfungskommission der Handwerkskammer in Dresden empfahl ihm die »Klavierbauerschule in Ludwigshafen/Westdeutschland zu besuchen«.6 Der BGL-Vorsitzende des Betriebes Knöschke ist der Auffassung, dass auf diese Art durch die Kommission unsere Klavierspezialisten nach dem Westen abgeworben werden. Dieser Verdacht wird dadurch bekräftigt, dass schon zwei jugendliche Spezialisten republikflüchtig wurden, die mit Neuentwicklungen im Pianobau vertraut waren. Es besteht die Befürchtung, dass westdeutsche Firmen von dieser Neuentwicklung Kenntnis erhalten.
Im Juni dieses Jahres verbrachte ein gewisser [Name 2] aus Westdeutschland seinen Urlaub in Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg. Dieser [Name 2] ist ein Mitarbeiter des 1952 republikflüchtig gewordenen ehemaligen BHG-Leiters Sälhoff, der früher Funktionär im Raiffeisen-Verband war und auch heute wieder in leitender Stellung beim Raiffeisen-Verband in Westdeutschland tätig ist. [Name 2] hielt sich während seines Urlaubes oft in der BHG auf, um Kontakt mit den Angestellten zu bekommen. Dabei unterhielt er sich mehrmals mit dem jetzigen Leiter der BHG Dietz7, der kurze Zeit später republikflüchtig wurde, sodass Abwerbung vermutet wird.
Der Arbeiter [Vorname Name 3] aus der Uhren- und Maschinenfabrik Ruhla, [Bezirk] Erfurt, verließ illegal die DDR. Nachträglich geführte Ermittlungen ergaben, dass er mit republikflüchtigen ehemaligen Arbeitskollegen in Verbindung stand und von diesen vermutlich abgeworben wurde.
b) Beeinflussung durch Verwandte und Bekannte
Einen wesentlichen Umfang nehmen die Republikfluchten durch Beeinflussung von Verwandten und Bekannten ein, wobei zu beachten ist, dass die Mehrzahl dieser Republikfluchten vorbereitet sind. Die Vorbereitung vollzieht sich meistens in der Form, dass die Verwandten und Bekannten in Westdeutschland Arbeit und eventuell auch Wohnung verschaffen. Vielfach wird auch der Urlaub dazu benutzt sich eine geeignete Stellung zu suchen, um durch die Beeinflussung der Verwandten gleich im Westen zu bleiben oder sich zu einem späteren Zeitpunkt abzusetzen. Z. B. wurde mitgeteilt, dass aus dem Kreis Jena etwa 90 % der Urlauber aus Westdeutschland nicht wieder in die DDR zurückgekommen sind. Aus dem VEB Zeiss Jena setzten sich auf diese Weise im Monat Juli 38 Personen nach Westdeutschland ab. An den Betrieb schickten sie ein Kündigungsschreiben, dass sie in Westdeutschland eine gute Arbeitsstelle gefunden haben oder die Pflege von Verwandten übernehmen würden.
Im Zusammenhang mit der Beeinflussung steht auch die Auffassung, dass in Westdeutschland die Lebensverhältnisse besser wären als bei uns, was in solchen Begründungen zum Ausdruck kommt, dass es im Westen mehr und bessere Waren zu kaufen gäbe. Z. B. schrieb ein weiblicher Lehrling aus dem VEB Freienorla,8 Jena, [Bezirk] Gera, dass sie deshalb nach Westdeutschland gegangen sei, um dort zu arbeiten, damit sie sich einen modernen Sommermantel kaufen kann. Später will sie wieder nach Jena zurückkommen.
Am 9.7.1956 wurde der Beifahrer [Name 4] vom Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Rathenow, [Bezirk] Potsdam, mit seiner Familie republikflüchtig. Die Flucht ist auf Beeinflussung der Schwiegereltern zurückzuführen, die vor zwei Jahren republikflüchtig wurden und jetzt in Düsseldorf wohnen.
Am 12.7.1956 wurde die Hebamme [Name 5] aus Ketzin, [Kreis] Nauen, [Bezirk] Potsdam, republikflüchtig. Die [Name 5] fuhr jede Woche nach Westberlin, wo sie mit der republikflüchtigen Schwester [Vorname 6] und der Ärztin [Name 7] zusammenkam, die ebenfalls an der Poliklinik in Ketzin tätig waren. Vermutlich ist die [Name 5] von diesen zur Republikflucht beeinflusst worden.
Anfang dieses Jahres wurde aus dem Hauptpostamt in Pirna, [Bezirk] Dresden, eine Angestellte republikflüchtig. In ihren Briefen an ehemalige Kollegen verherrlichte sie den Westen und begeisterte dadurch die Jugendlichen im Postamt. Kürzlich wurde ein Angestellter aus der Briefabfertigung republikflüchtig und es wird hierin ein Zusammenhang mit dieser republikflüchtigen ehemaligen Kollegin vermutet. Die Mutter der Republikflüchtigen ist ebenfalls bei der Post beschäftigt und äußerte, dass sie später zu ihrer Tochter übersiedeln will.
c) Familiäre und persönliche Gründe
Nach wie vor nehmen Republikfluchten aus den verschiedensten persönlichen und familiären Gründen, wie Ehestreitigkeiten, Familienzusammenführung, Nichtzulassung der Kinder zum Studium, berufliche Verärgerung sowie Unzufriedenheit usw. neben der Beeinflussung einen breiten Raum ein.
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Z. B. lebte der Blechschlosser [Name 8] aus dem VEB AWE Eisenach, [Bezirk] Erfurt, in zerrütteten Eheverhältnissen. Aus diesem Grunde wurde er republikflüchtig und ging zu seinen Vater nach Kiel.
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Der Verlobte der Konsumverkäuferin [Name 9, Vorname] aus Erfurt wurde 1952 republikflüchtig. Die [Name 9] beantragte einen Pass zur Übersiedlung zwecks Eheschließung nach Frankfurt/M. Da das Aufgebot und die Zuzugsgenehmigung verlangt wurde, die sie nicht vorlegen konnte, verließ sie illegal die DDR.
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Der Kreistierarzt Dr. Loose9 aus Saalfeld, [Bezirk] Gera, wurde republikflüchtig. Als Grund konnte nur ermittelt werden, dass sein Sohn nicht zum Studium zugelassen wurde, obwohl er die Aufnahmeprüfung mit »gut« bestanden hatte.
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Die 51-jährige [Name 10, Vorname] war als Stenotypistin an der Karl-Marx-Universität Leipzig beschäftigt und wurde aus Verärgerung über die bürokratische Arbeitsweise der Verwaltungsorgane republikflüchtig. An ihren ehemaligen Abteilungsleiter schrieb sie folgenden Brief: »Ich muss den Weg der ›Republikflucht‹ gehen, da mit die Leipziger Behörden trotz meines von Westdeutschland genehmigten Zuzuges die Ausreise verweigerten«. Die [Name 10] wollte zu ihrem Sohn nach Westdeutschland ziehen.
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Der kaufmännische Direktor des VEB Garnveredelungswerk in Sehma, [Kreis] Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde republikflüchtig, da er nach 3½ jähriger Trennung von seiner Familie noch keine Wohnung erhalten hat und weil ihm der Einzelvertrag abgelehnt worden war.
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Von der Ernst-Wille-Schule in Magdeburg wurde die Lehrerin Dr. [Name 11] mit ihrer Tochter republikflüchtig. In einem Brief teilten sie mit, dass es ihnen trotz jahrelanger Bemühungen nicht gelungen ist, eine bessere Wohnung zu erhalten und eine Klärung der Altersversorgung herbeizuführen. Sie wollten versuchen in Westdeutschland das zu erreichen, was ihnen in der DDR versagt wurde.
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Der Arbeiter [Vorname Name 12] aus Güstrow, [Bezirk] Schwerin, wurde republikflüchtig. Aus dem Lager Uelzen schrieb er folgenden Brief: »7 Jahre laufen meine Anträge auf eine andere Wohnung. Jahrelang bin ich beim Wohnraumlenker, beim Stadtrat Lenk und beim Bürgermeister Falk10 gewesen. Eine Kommission nach der anderen besichtigte meine Wohnung, aber niemand hat mir geholfen«. [Name 12] war Aktivist bei der Bau-Union Schwerin und bewohnte mit seiner Frau und drei Kindern 1½ Zimmer.
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Der Leiter der Abteilung Kesselbau im VEB Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh, wurde wegen beruflicher Verärgerung republikflüchtig. In einem Brief teilte er mit, dass er die »Schnauze voll gehabt hat, von den Sitzungen, Kampfplänen, Ökonomischen Konferenzen und ähnlichen Dingen. Er habe den Wunsch, fachlich zu arbeiten und von anderen Dingen unbehelligt zu bleiben«.
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Ein Angestellter aus dem VEB Schott Jena, [Bezirk] Gera, verließ aus finanziellen Gründen die DDR. Als Grund für seine Republikflucht gibt er an, dass er als Teilsachbearbeiter mit seinem Gehalt von 350 DM nicht zufrieden gewesen sei.
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Aus dem Bezirk Rostock wird gemeldet, dass bisher 16 Schiffsmaschinisten republikflüchtig wurden, die sämtlich Inhaber von E-Patenten sind, die nach den neuen Bestimmungen der Schiffsbesetzungsordnung für die DDR keine Gültigkeit mehr haben. (Gesetzblatt 78, vom 13. September 1954 über die Änderung der Schiffsbesetzungsordnung.)11 Auch die C 3-Patente wurden dabei von 1000 PS auf 250 PS zurückgestuft, berechtigen aber inzwischen wieder durch eine Sondergenehmigung zum Fahren von Schiffen bis 1000 PS. Der Kraftfahrer [Name 13] vom VEB Fischkombinat Rostock sagte hierzu: »Mein Sohn hatte im Fischkombinat das C 3-Patent erworben und fuhr damit zum Erwerb der Dampffahrzeit bei der Seereederei. Inzwischen ist er nach dem Westen gegangen, wo er mit seinen C 3-Patent aufgrund einer Sondergenehmigung als C 4-Patentinhaber auf einem Fünf- bis Sechstausend-Tonner fährt.« Ein Patentinhaber äußerte: »Man müsste schnellstens die Schiffsbesetzungsordnung überarbeiten und die bestehenden Härten beseitigen, denn die dienen nicht unserem Aufbau, sondern verbittern die Patentinhaber und verleiten sie zur Abwanderung. Unter den bestehenden Bedingungen werden praktisch mit unseren Arbeitergeldern Patentinhaber für die westdeutsche Kapitalisten ausgebildet.«
d) Feindliche Einstellung zur DDR
Der [Name 14] aus Silmersdorf, [Kreis] Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, wurde 1955 wegen Boykotthetze zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Nach seiner Haftentlassung arbeitete er in der LPG Steffenshagen,12 wo er bei einer Auseinandersetzung einem Instrukteur der SED-Kreisleitung ins Gesicht schlug und kurz darauf republikflüchtig wurde.
Aus dem Kreis Gera wurde ein Jugendlicher wegen seiner feindlichen Einstellung zur DDR republikflüchtig. In einem Brief teilte er u. a. mit, dass er seine Funktion als Gruppenleiter dazu ausgenutzt habe, um mit seinem Kollegen über die »schlechten Lebensverhältnisse in der DDR« zu sprechen.
e) Kriminelle Vergehen und Angst vor Strafe
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Der jugendliche Dachdecker [Vorname, Name 15] und der ebenfalls jugendliche Arbeiter [Vorname, Name 16] aus Saal, [Kreis] Ribnitz[-Damgarten], [Bezirk] Rostock, waren in eine Schlägerei verwickelt, die zur Anzeige kam. Beide sind in der Stadt als Trinker und Schläger bekannt und [Name 15] ist bereits vorbestraft. Aus Angst vor einer Bestrafung verließen sie illegal die DDR.
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Der Hausmeister [Name 17] aus dem Feierabendheim Velten, [Kreis] Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, wurde republikflüchtig. Er war im Feierabendheim bei mehreren Diebstählen ertappt worden und fürchtete eine Bestrafung.
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Die Angestellte [Name 18] aus dem Fernmeldeamt Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, bezog von ihrem geschiedenen Mann Unterstützungsgelder aus Westberlin, die sie in den Wechselstuben in Westberlin eintauschte. Einem deshalb eingeleiteten Verfahren entzog sie sich durch die Republikflucht.
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Am 15.7.1956 wurde der 2. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung Magdeburg Lothar Schmidt13 republikflüchtig. Er führte einen unmoralischen Lebenswandel und hatte bereits im Mai dieses Jahres eine Parteistrafe erhalten. Am 7.7.1956 hatte Schmidt auf der Fahrt von Berlin nach Magdeburg einen Verkehrsunfall. Bei der Überprüfung wurden Westzigaretten gefunden. Es sollte deshalb bei der BPKK eine Aussprache stattfinden, der er sich einen Tag zuvor durch die Republikflucht entzog.