Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung
7. September 1956
Information Nr. 188/56 – Betrifft: Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung
Aus den Bezirken Neubrandenburg, Potsdam, Frankfurt/O., Halle, Dresden, Karl-Marx-Stadt, Gera und Erfurt wird bekannt, dass es Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung gibt. So wird aus dem Bezirk Neubrandenburg berichtet, dass voraussichtlich am 10.9.1956 in der Kartoffelversorgung eine Lücke entstehen wird, da der VEAB ein zu hohes Auflagensoll in der Kartoffelversorgung hat.
Bezirk Potsdam
Unter der Bevölkerung von Potsdam herrscht zzt. eine große Missstimmung wegen der mangelhaften Kartoffelversorgung. Bei Anlieferung von Kartoffeln bilden sich vor den einzelnen Geschäften große Schlangen, sodass die Kartoffeln schnell wieder ausverkauft sind. Besonders schwer ist davon die berufstätige Bevölkerung betroffen. Aus diesem Grunde sind die Wochenmärkte in Potsdam und Potsdam-Babelsberg sehr besucht.
Die Bauern nutzen dort die augenblickliche Situation aus und verlangen für die Kartoffeln sehr hohe Preise. Am 28.8.1956 verlangten sie pro Pfund 0,20 DM und am 31.8.1956 wurde pro Pfund 0,30 DM verlangt. Hierdurch hat sich die Missstimmung bedeutend gesteigert und man ist empört, dass die Bauern die mangelhafte Kartoffelversorgung so ausnutzen. Dazu werden folgende Diskussionen geführt: »Unsere Presse schreibt darüber, dass in Westberlin die Kartoffelpreise so hoch sind. Aber bei uns ist es nicht besser, denn auf dem Markt kosten sie ja auch 0,20 und 0,30 DM.« – »Das sind die richtigen Schieber, die haben uns damals das Fell über die Ohren gezogen und heute wieder. Diesen Schiebern müsste keiner eine Kartoffel abkaufen. Die Menschen schlagen sich ja um 10 Pfund Kartoffeln. Mir sollen diese Bauern nochmal kommen, um in der Ernte zu helfen. Ich gehe nie mehr wieder mit.«
Bezirk Dresden
Im Kreis Meißen werden die Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung dadurch hervorgerufen, dass ein großer Teil der Bauern die Lieferung von Frühkartoffeln mit dem VEAB nicht vertraglich gebunden haben [sic!], sondern bei der Vertragswerbung die Meinung vertraten, dass sie, wenn sie genügend Kartoffeln ernten, diese schon liefern würden. Dadurch kam es Mitte August dazu, dass die VEAB so viel Kartoffeln erhielt, dass diese ohne Marken verkauft werden konnten. Ab 23.8.1956 werden die Kartoffeln wieder auf Marken verkauft. Im Kreis Kamenz ist die Versorgung mit Kartoffeln ebenfalls schlecht. In den letzten Tagen standen vor den Geschäften riesige Menschenschlangen. Am 30.8.1956 wurde in Dürrrohrsdorf,1 [Kreis] Sebnitz, wegen der schlechten Kartoffelbelieferung das Verkaufspersonal von den Kunden angegriffen.
Bezirk Gera
Im Bezirk Gera ruft die mangelhafte Kartoffelversorgung negative Diskussionen hervor. Auch in Jena, Pößneck und Eisenberg stehen Hunderte von Menschen vor den Geschäften und warten auf Anlieferung von Kartoffeln. Die Verärgerung wurde noch vertieft, weil in einer amtlichen Bekanntmachung bekannt gegeben wurde, dass die Sonderabschnitte der Kartoffelkarten am 31.8.1956 verfallen, obwohl bekannt war, dass die Abschnitte noch gar nicht geliefert werden konnten. So konnte z. B. in einer Schlange vor der Verkaufsstelle in der Leipziger Straße in Gera folgende Diskussion festgestellt werden: »Das nennt man nie gekannten Wohlstand. Der Spitzbart2 sollte sich mal zwei und noch mehr Stunden mit anstellen, dann würde er anders reden. Aber die da oben haben es nicht nötig, die haben zu fressen.« – »Da geht man nun den ganzen Tag arbeiten und am Abend muss man sich stundenlang nach Kartoffeln anstellen und bekommt obendrein nicht mal welche. Da soll man noch Lust zum Arbeiten haben, wenn nicht einmal das Notwendigste da ist.« Diese schlechte Stimmung wirkt sich auch in den Betrieben aus.
Bezirk Erfurt
Beim Verkauf von Kartoffeln kam es in Erfurt zu riesigen Schlangenbildungen. Arbeiter aus den Betrieben Optima3 und Funkwerk brachten zum Ausdruck, dass sie nicht eher zur Arbeit gehen wollen, bis sie Kartoffeln bekommen hätten. Von den Hausfrauen wird erklärt, dass es eine Schande sei, dass vonseiten der Behörden nicht eingegriffen würde, um das stundenlange Anstehen zu verhindern.
Karl-Marx-Stadt
Die Kartoffelversorgung ist nicht ausreichend. Trotzdem wurden die im August aufgerufenen Abschnitte in fast allen Kreisen ab 1. September als ungültig erklärt, obwohl die Belieferung nur zum Teil erfolgen konnte. Diese Maßnahme rief Verärgerung hervor. In Plauen kam es bei der Bekanntgabe auf dem Wochenmarkt zu tumultartigen Szenen. Im Kreis Rochlitz wurde von den Hausfrauen zum Ausdruck gebracht, dass der Aufruf der Kartoffelabschnitte großer Schwindel sei, da das Angebot überhaupt nicht ausreiche. Der Grund der ungenügenden Bereitstellung ist der, dass die Frühkartoffeln alle werden und noch nicht genügend mittelfrühe Kartoffeln bereitstehen. Aus Stollberg wurde bekannt, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Speisekartoffeln äußerst gefährdet und eine sofortige Hilfe nötig ist.