Situation in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse (2)
27. September 1956
Information Nr. 222/56 – Betrifft: Kampfgruppen
Nach vorliegendem Material ist die Arbeit in den Kampfgruppen mangelhaft.1 Dies trifft für Industrie- und landwirtschaftliche Bezirke zu. In der Mehrzahl liegt die Beteiligung unter 50 %, oft sogar noch darunter. Aus den Materialien geht hervor, dass die Teilnahme an der Ausbildung schon bedeutend besser war. Ein Absinken der Teilnahme ist seit April, Mai zu verzeichnen. Vielfach wird berichtet, dass die Wirtschafts-, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre an den Ausbildungen nicht teilnehmen und die Arbeiter zum Ausdruck bringen, dass sie es dann auch nicht nötig hätten. Es ist festzustellen, dass in einem Teil von Betrieben die Parteileitungen die Arbeit der Kampfgruppen unterschätzen.
Ein Teil der Kampfgruppenteilnehmer geht nicht zur Ausbildung mit der Begründung, »dass aufgrund der Reduzierung der Nationalen Streitkräfte um 30 000 Mann2 die Kampfgruppen nicht mehr nötig sind«. Andere sagen: »Im Ernstfall könnt ihr mit uns rechnen, da sind wir schon zur Stelle.« Allgemein ist festzustellen, dass bei der Durchführung von Schießübungen eine größere Beteiligung als an theoretischen Ausbildungen und Geländemärschen vorhanden ist. Aus den Bezirken Dresden, Potsdam und Suhl werden organisatorische Mängel als Ursache des Absinkens der Teilnehmerzahl angegeben.
Einige Beispiele für schlechte Stimmung und Beteiligung in den Kampfgruppen:
- –
Im VEB Hartmetallwerk Immelborn, [Kreis] Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, werden die angesetzten Übungen immer wieder verschoben, sodass die Genossen, die anfangs mit Lust und Liebe dabei waren, jetzt das Interesse verlieren und überhaupt nicht mehr zu den Übungen kommen.
- –
Aus Geraberg, [Kreis] Ilmenau, [Bezirk] Suhl, wird ebenfalls bekannt, dass die dortige Kampfgruppe am 22.5.1956 die letzte Ausbildung durchführte. Die verantwortlichen Genossen verschickten mehrmals Einladungen, doch auch die Sekretäre der Grundorganisationen erschienen nicht. Vonseiten des Kreiskampfstabes wurden die Betriebsleiter und BPO-Sekretäre zu einer Besprechung eingeladen. Auch hier erschien nur ein stellvertretender Sekretär.
- –
Am 17.8.1956 erschienen zur Kampfgruppenausbildung des Kaliwerkes »Einheit« in Dorndorf, [Kreis] Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, nur drei Genossen. Ein Mitglied der Zentralen Parteileitung begründet sein Fernbleiben damit, »dass seine Frau streng katholisch sei und er dadurch Schwierigkeiten habe«. Zu dieser Äußerung erklärte der 2. Sekretär, »dass die Teilnahme an der Ausbildung freiwillig sei, man könne daran nichts ändern, denn die innerparteiliche Demokratie müsse gewährt bleiben«.
- –
Aus dem Kreis Meiningen, Bezirk Suhl, wird berichtet: »Die Arbeit der Kampfgruppen ist zurzeit nicht gut, das liegt teils an den Ernteeinsätzen. Zum anderen sind die Mitglieder der Kampfgruppen der Meinung, dass durch die Reduzierung unserer Streitkräfte die Ausbildung nicht mehr so wichtig sei.«
- –
Die Arbeit der Kampfgruppen im Gebiet Crossen-Zwickau/W[ismut]3 ist sehr mangelhaft. Es kommen trotz Einladungen nur wenige zur angesetzten Ausbildung. Am 13.9.1956 waren von einer Hundertschaft vier Genossen anwesend. Der Kommandeur der 4. Hundertschaft sagt: »Ich komme aus Protest nicht mehr zur Ausbildung, sollen doch die Genossen der Kreisleitung uns erst mal unterstützen. Wozu soll ich mich länger unbeliebt machen, wenn ich die Genossen immer vergebens einlade.«
- –
Der Parteisekretär vom VEB EKM Kesselbau Neumark, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, vertritt die Meinung, »dass man es mit der militärischen Disziplin nicht so genau nehmen soll und dass man statt Schießbefehl auch Schießauftrag sagen kann«.
- –
Aus dem VEB Arzneimittelwerk Dresden-Radebeul4 wird bekannt, dass die Ausbildung der Kampfgruppen sehr langweilig durchgeführt wird. Dabei macht sich der ständige Wechsel der Ausbildungsleiter bemerkbar. Außerdem werden die Übungen nicht interessant genug gestaltet. Die Genossen sind der Meinung, dass die Ursache darin zu suchen ist, dass für ca. 20 Mann nur zwei Gewehre bzw. Mpi zur Verfügung stehen.
- –
Im VEB Knohoma Schmölln, [Bezirk] Leipzig, vertreten Mitglieder der Kampfgruppe die Meinung, »durch die Abrüstung der SU und auch bei uns in der DDR können wir uns jetzt nicht mehr erlauben, mit Koppel, Patronentasche und Gewehr herumzulaufen. Dies würde bei den Indifferenten und auch im Ausland eine starke Kritik hervorrufen.«
- –
Im VEB Zellstoff Trebsen,5 [Kreis] Grimma, ist die Arbeit der Kampfgruppe sehr zurückgegangen. Die Wirtschaftsfunktionäre des Betriebes erscheinen selten zu den Ausbildungsstunden der Kampfgruppe. Die Arbeiter und Genossen des Betriebes sind mit der Haltung der Wirtschaftsfunktionäre nicht einverstanden, sie erklären: »Wir können nicht verstehen, dass von der Partei nichts unternommen wird, um die Wirtschaftsfunktionäre, die die Notwendigkeit der Kampfgruppenausbildung nicht einsehen, zur Rechenschaft zu ziehen. Wir können verlangen, dass sie nicht nur fachlich, sondern auch in der Kampfgruppe mit gutem Beispiel vorangehen.«
- –
Im Bahnbetriebswerk Stendal, [Bezirk] Magdeburg, sind von 38 papiermäßig erfassten Genossen durchschnittlich vier bis fünf zur Schulung. Eine schlechte Beteiligung ist vor allem Seitens der Verwaltungsfunktionäre festzustellen. Eine gleiche Situation ist im Bahnbetriebswerk Hauptbahnhof Magdeburg, Magdeburg-Rothensee,6 Buckau und Königsborn eingetreten.
- –
Obwohl im Leunawerk »Walter Ulbricht« Merseburg, [Bezirk] Halle, das Ausbildungsprogramm sehr interessant gestaltet wird, ist die Teilnahme schlecht. Der Betriebsleiter des Kraftwagenbetriebes und Parteileitungsmitglied bringt zum Ausdruck: »Wenn man an mich ernsthaft die Frage der Beteiligung an den Ausbildungen der Kampfgruppen stellt, stelle ich eher meinen Posten zur Verfügung, denn für mich kommt eine Teilnahme an den Kampfgruppen überhaupt nicht infrage.« Im Buna Werk Schkopau, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle, ist der Zustand nicht anders.
- –
Aus dem Bezirk Frankfurt/O. wird ebenfalls über eine schlechte Arbeit der Kampfgruppen berichtet. Die Genossen des Teerwerkes Erkner, [Kreis] Fürstenwalde, zeigen wenig Interesse an der theoretischen Ausbildung. Sie lehnen sie ab mit der Bemerkung: »Wir wollen nur schießen.«
- –
Ein Arbeiter aus dem VEB Geräte- und Reglerwerk Teltow, [Kreis] Potsdam-Land, teilte mit, dass in diesem Betrieb die Kampfgruppe schon seit Mai 1956 nicht mehr arbeitet. Zum Teil werden die Kampfgruppenmitglieder auch durch die schlechte Organisation verärgert. So sollte z. B. vor einiger Zeit ein viertägiger Lehrgang durchgeführt werden, wofür sich auch Teilnehmer meldeten. Einen Tag vor Beginn des Lehrganges wurde dieser abgesagt und ein neuer Termin festgelegt. Hierzu gab niemand seine Zustimmung.
- –
In den Kampfgruppen in Werder, [Bezirk] Potsdam-Land, wird ebenfalls eine schlechte Arbeit geleistet. Die Mitglieder der Kampfgruppen wollen an Schießübungen teilnehmen und die Waffen kennenlernen, sie äußern: »Aber die anderen Dinge wie Exerzieren und den anderen Firlefanz lehnen wir ab.«