Stimmung im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (1)
17. Mai 1956
Information über die Stimmung im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten [Information Nr. M103/56]
1) In Diskussionen der Angestellten untereinander sagt man, wieso bei einigen Funktionären unserer Regierung nicht die gleichen Schwächen und Fehler aufgetreten sind wie bei Stalin, da doch viele unserer führenden Staatsfunktionäre in der SU unter Stalin erzogen wurden. Bei uns sei die Partei noch nicht so stark, die Fehler sofort zu erkennen. Unsere Regierung wolle in diesem Falle nur nicht diese Schwächen anerkennen. Als Beispiel sagt man: »Als Walter Ulbricht noch zum XX. Parteitag der KPdSU1 in Moskau weilte, habe die Presse in der DDR noch nichts über Stalin gebracht. Man habe erst abgewartet bis Walter Ulbricht gekommen sei, um dessen Meinung zu hören.« Diese Stimmung geht besonders von der Presseabteilung aus, wo die Westpresse ausgewertet wird. Diese Dinge diskutiert man jedoch nicht offen.
2) Weiter gibt es im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten die Meinung, dass die Arbeit im Ministerium immer weiter zurückgeht. Es fehle ein richtiger Fachminister, der auch wirklich das MfAA anleiten könne. Zurzeit ist nicht das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Bezug auf Auslandsverhandlungen das führende Ministerium, sondern das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel. Minister Rau2 macht zum großen Teil die Arbeit, die eigentlich dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten zukommen würde. Unter der jetzigen Leitung im MfAA könne niemals etwas werden. Bolz3 sei nur wenige Tage im Außenministerium und seine Arbeit würde man überhaupt nicht merken. Es gibt im MfAA noch viele Angestellte, die schon jahrelang dort beschäftigt sind und Bolz noch nicht einmal gesehen haben. Bolz kümmert sich überhaupt nicht um die Belange des Außenministeriums, ob in Bezug auf Kader, Räumlichkeiten und auf den Fuhrpark. Die Angestellten sind im MfAA so zusammengedrängt, dass sie in ehemaligen Küchen und schmalen dunklen Gängen arbeiten müssen.