Stimmung in den bewaffneten Einheiten zur Schaffung der NVA (1)
20. Januar 1956
Stellungnahmen der Angehörigen der bewaffneten Einheiten zur Nationalen Volksarmee (1. Bericht) [Information Nr. M13/56]
Nachstehend wird über die Stimmung folgender bewaffneter Einheiten berichtet:
- I.
Wachregiment Berlin1
- II.
Transportpolizei
- III.
HVDVP und MdI
- IV.
Kasernierte Volkspolizei
I. Wachregiment Berlin
Der Beschluss der Volkskammer über die Schaffung der Nationalen Volksarmee wurde von den Angehörigen des Wachregiments begeistert begrüßt.2 In ihren Äußerungen kommt besonders zum Ausdruck, dass unsere Arbeiter aus den VEB die Schaffung einer Volksarmee forderten, damit ihr Arbeitsplatz gesichert ist und ihre Kinder in Ruhe und Frieden lernen können. In Bezug auf organisatorische Fragen, die vor allem mit dem Wachregiment zusammenhängen, gab es noch eine Reihe Unklarheiten, aber direkt negative Äußerungen wurden nicht bekannt. Viele Genossen stellen die Frage, ob das Wachregiment nun auch in die Nationale Volksarmee eingegliedert wird oder ob es den Sicherheitsorganen der DDR weiterhin unterstellt bleibt. Genossen der XI. Kompanie diskutierten auch, wie es nun mit der Entlassung wäre. Einer erklärte, dass seine drei Jahre im März abgelaufen seien3 und er wolle gern wieder in der Produktion arbeiten.
Diskussionen wurden auch noch über die Uniformen und die Besoldung geführt. Zu ersterem wurde geäußert, dass nun wohl die uniformierten Einheiten disziplinierter und militärischer würden, wobei man die Genossen des MfS meinte. Drei Genossen vom III. Bataillon äußerten, dass sie schwarze Uniformen mit roten Spiegeln bekommen und sie eine Sondereinheit darstellen, so ähnlich wie früher die Sondereinheiten der SS. Zur Frage der Besoldung sprechen Genossen die Befürchtung aus, dass es wohl weniger Geld geben würde. Als ein Genosse der Fahrsektion sagte, dass es am Tage zehn Zigaretten und 5,00 DM geben wird, wurde ihm dies von vielen Genossen widerlegt.
Einzelne Unklarheiten gab es noch zum Warschauer Vertrag,4 ob er noch Gültigkeit hat, zur Frage, ob die KVP in die Volksarmee übernommen wird und ob nun die allgemeine Wehrpflicht kommt.5 Die Fragen wurden geklärt.
II. Transportpolizei
Die Genossen Wachtmeister und Unterführer der Transportpolizei des Abschnittes Berlin haben in der Mehrheit den Beschluss der Volkskammer freudig zugestimmt. In Diskussionen brachten die Genossen zum Ausdruck, dass es reichlich an der Zeit ist, eine Volksarmee zu schaffen. Sie wiesen auf die Entwicklung in Westdeutschland hin6 und dass man die Volksarmee gut ausrüsten muss.
Trotz der zahlreichen guten Meinungen und Stimmungen gab es aber einige Genossen, die negativ diskutierten und den Beschluss der Volkskammer indirekt ablehnten. Zum anderen gab es mehrere Unklarheiten, die sich auch auf die Transportpolizei bezogen. Während sich zahlreiche Genossen für eine längere Dienstzeit in der Transportpolizei verpflichteten, gab es andererseits in einigen Fällen negative Diskussionen:
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»Lasse mich bloß mit dem Thema zufrieden. Ich will von der Volksarmee nichts wissen, denn mein Wunsch ist nur, zurück nach Hause und dann hinweg von dem VP-Dienst.«
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»Ich bin nicht für die hier und auch nicht für die da drüben. Am besten man nimmt überhaupt keine Waffe in die Hand.«
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»Ich bin nur in der Volkspolizei, um Geld zu verdienen, damit ich einigermaßen leben kann.«
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Als ein Gruppenführer die Genossen aufforderte, in den nächsten Tagen auf die Stimmung der Bevölkerung zu achten, erklärte ein Wachtmeister: »Ich bin doch kein Spitzel.«
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»Ich bin nur gespannt, von wo man die Menschen für die Volksarmee hernehmen will. Hier in Berlin bekommt die Volksarmee nicht einen einzigen. Die jüngeren Menschen haben alle einen Hass gegen die Volkspolizisten und werden nicht zur Volksarmee gehen. Auch ich habe die Nase von der Volkspolizei voll.«
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»Nun wird man ja doch über kurz oder lang die allgemeine Wehrpflicht einführen, denn sonst bekommen sie ja niemand. Ich habe die Volkspolizei kennengelernt und bin zufrieden, wenn meine drei Jahre herum sind. Mich bekommt keiner mehr.«
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»Bei mir ist im März dieses Jahres Sense und ich habe nicht die Absicht, mich weiter zu verpflichten.«
Im Zusammenhang mit der eigenen Arbeit traten folgende Fragen auf:
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Wird die Transportpolizei der Nationalen Volksarmee angegliedert?
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Gibt es eine Versetzung zur Volksarmee?
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Wie sehen die Uniformen aus? Bekommt die Transportpolizei auch solche Uniformen?
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Wie wird die Volksarmee besoldet? Gibt es für uns eine neue Besoldung?
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Wird in Zukunft auch jedem Genossen noch Jahres- und Kururlaub gewährt?
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Wo kommt jetzt auf einmal die ganze Munition für die Nationale Volksarmee her?
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Wo wird die Volksarmee untergebracht?
Unter den Genossen der Transportpolizei in Potsdam wird die Meinung geäußert, dass jetzt ein Wehrgesetz kommt. Deshalb müssten die Genossen, die ihre Entpflichtung eingereicht haben, noch ihre zwei oder drei Jahre weiterdienen.
III. Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei und Ministerium des Innern
Die Genossen begrüßen fast ausnahmslos den Beschluss der Volkskammer. Sehr oft befasst man sich in der Diskussion mit der Frage der Uniform und es kam zu folgenden Äußerungen: »Dies ist zu früh. Seit Sonntag wird es propagiert und heute haben wir schon eine Volksarmee. Preußisch-deutsch, hoffentlich verstehen die darunter nicht Lametta, viele Knöpfe wie bei der Wehrmacht.« »Die feldgrauen Uniformen sind so dick mit Schmutz beklebt, dass insbesondere im Ausland schon der Anblick der deutschen Uniform keine Freude auslöst.«7
Negative Stellungnahmen wurden nur vereinzelt bekannt und haben nachstehenden Inhalt: Mehrere Genossen der Lehrbereitschaft Rahnsdorf sprachen sich in der Kantine darüber aus, dass sie jetzt endlich von der VP wegkommen, denn bei der Volksarmee wäre es schöner. Genossen der Kaderverwaltung des MdI vertreten den Standpunkt, dass die Offiziere in der KVP entweder zu viel Geld oder sie zu wenig Geld bekommen.
IV. Kasernierte Volkspolizei
Aus dem vorliegenden Material zeigt sich, dass in der kasernierten Volkspolizei zum überwiegenden Teil eine positive Stimmung zur Schaffung der Nationalen Volksarmee vorhanden ist. In den positiven Äußerungen kommt zum Ausdruck, dass wir unbedingt unsere Errungenschaften schützen müssen. Offiziere sehen in dem Beschluss die Möglichkeit einer besseren Qualifizierung. Verschiedentlich wird eine straffere Disziplin und bessere Ausbildung gefordert. In Divisionen von Potsdam wurde von Unterführern und Soldaten die Frage gestellt, ob sie sich verpflichten können, weitere Jahre ihren Dienst in der Armee zu versehen.
Neben den positiven Momenten traten aber auch mehrfach negative Äußerungen auf, die von einer schlechten Einstellung zeugen oder Ausdruck politischer Unklarheit sind. Bisher wurde dazu bekannt:
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Einige Angehörige der Aeroklubs8 wenden sich gegen die Bildung Nationaler Streitkräfte. »Die Aufstellung einer Volksarmee haben nur welche von der FDJ und GST gefordert. Wir als KVP-Angehörige sind jedoch die Dummen. Sollen die doch selbst hingehen, die das beschlossen haben.« »Wenn man auch eine Volksarmee geschaffen hat, ich verpflichte mich auf keinen Fall einen Tag länger weiter.« »Ob man eine Volksarmee geschaffen hat oder nicht, das ist mir ganz egal, für mich ist 1957 meine Zeit um und dann gehe ich nach Hause.«
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Ein Unterleutnant vom 2. mech. Kdo. Potsdam, der als Oberschüler über ein ausgezeichnetes politisches Wissen verfügt, sagte: »Ich habe darauf gewartet, dass die Opposition in der Volkskammer spricht, aber bei uns gibt es keine Demokratie. Da darf keiner dagegen sprechen?«
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Als in der D-1-Abteilung9 Eiche Objektsperre ausgesprochen wurde, um alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften über die Beschlüsse der Volkskammer zu informieren, äußerte ein Oberleutnant: »Nanu, jetzt kommt wohl der 17. Juni?«
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Zur gleichen Maßnahme erklärte im mittleren C-Kdo. Oranienburg der Gehilfe des Stabschefs: »Wahrscheinlich haben sie jetzt Angst uns rauszulassen, weil sie fürchten, dass nach der Annahme des Gesetzes eine Revolution ausbricht und die Massen sich dagegen empören.«
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Ein Soldat des 2. mech.-Kdo. Potsdam erklärte: »Ich bin zur Volkspolizei gegangen – aber nicht zur Volksarmee.«
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Ein Soldat von der 2. Kompanie der dortigen C-Abteilung äußerte: »In unserer Presse und im Rundfunk sagt man immer, dass in Westdeutschland eine Armee geschaffen wird, aber in der Deutschen Demokratischen Republik existierte schon viel eher eine. Und dabei sprechen wir immer noch vom Frieden.«