Stimmung in den bewaffneten Einheiten zur Schaffung der NVA (2)
24. Januar 1956
Stellungnahme der Angehörigen der bewaffneten Einheiten zur Nationalen Volksarmee (2. Bericht) [Information Nr. M20/56]
Nachstehend wird über die Stimmung in folgenden bewaffneten Einheiten zur Schaffung der Nationalen Volksarmee berichtet:
- I.
Wachregiment Berlin1
- II.
Transportpolizei
- III.
Grenzpolizei
- IV.
Bereitschaftspolizei
- V.
Volkspolizei
- VI.
Kasernierte Volkspolizei
I. Wachregiment Berlin
Die Stimmung ist weiterhin gut. Der größte Teil ist sich über die politische Notwendigkeit im Klaren. In den Versammlungen und Diskussionen entstehen meist Fragen organisatorischer Art. Dabei sind folgende neue Fragen zu verzeichnen:
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Wird es in der Nationalen Volksarmee eine Vereidigung geben?
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Wird es Armeegesetze und Gerichte für Verbrechen (Desertion) geben?
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Wie wird die Zusammenarbeit mit den Volksarmeen der Volksdemokratien aussehen?
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Wird die DDR die notwendigen Waffen selbst herstellen?
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Wie viel Jahre wird die Dienstzeit in der Nationalen Volksarmee betragen?
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Wird die Dienstzeit in der VP in der Nationalen Volksarmee angerechnet?
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Wird die Nationale Volksarmee ohne Wehrpflicht die notwendige Stärke erreichen?2
Ein großer Teil ist darüber enttäuscht, dass es keine Wehrpflicht gibt, vor allem weil man die »Tango-Bubis«3 und »Halbstarken«4 erziehen müsste. Diesbezüglich wurde auf noch ergehende Durchführungsbestimmungen hingewiesen. Es wurden eine Anzahl Verpflichtungen übernommen. (Antrag zum Eintritt in die Partei, Verbesserung der Dienstdurchführung und Ausbildung, Weiterverpflichtung und Qualifizierung.) Die 7. Kompanie forderte alle Kompanien zu einem Wettbewerb auf. (Dienstdurchführung, Ausbildung, politisch-moralischer Zustand.)
Negative Diskussionen sind Einzelerscheinungen und stützen sich auf folgende Argumente: »Wer eine Nationale Volksarmee gefordert hat, soll selbst erst drei Jahre mitmachen,5 dann wird er anders denken« und »wir werden nicht auf unsere deutschen ›Brüder‹ schießen«.
II. Transportpolizei
Die Stimmung ist auch hier gut. Im Vergleich zum Vorbericht sind keine wesentlichen negativen Diskussionen mehr festzustellen. In den Abschnitten Schwerin, Dresden und Erfurt wurden von Angehörigen der Trapo 17 Kollektiv- und 202 Einzelverpflichtungen übernommen. (Inhalt: Aufnahme als Kandidat in die Partei, Weiterverpflichtung, Studium der Werke von Frunse,6 Kollektivverpflichtungen für 200 Aufbauschichten, Abzeichen für Gutes Wissen in Gold.)
III. Grenzpolizei
Die Angehörigen der Grenzpolizei sind von der Schaffung der Nationalen Volksarmee begeistert. Das drückt sich aus in Begrüßungsadressen, Verpflichtungen und Aufnahmeersuchen als Kandidat der Partei beizutreten. In den Diskussionen kommt zum Ausdruck, dass eine Nationale Volksarmee zu Recht besteht und man nicht die Errungenschaften aufgeben wird. Bei den Diskussionen sind noch einige Unklarheiten festzustellen. Z. B. zu Fragen der Wehrpflicht, Gehalt, KVP und Uniformen.
Negative Diskussionen sind als Einzelfälle zu bezeichnen und werden mit folgenden Argumenten geführt: »Aufstellung einer Nationalen Volksarmee ist nicht der Wille der Bevölkerung, sondern kommt von ›oben‹.« »Schaffung der Nationalen Volksarmee bedeutet Bruderkrieg.« Außerdem ist in einzelnen Fällen festzustellen, dass Angehörige der Grenzpolizei diese verlassen wollen um nicht zur Nationalen Volksarmee zu kommen.7
IV. Bereitschaftspolizei
In allen Bereitschaften kam bei der Verkündigung der Nationalen Volksarmee eine große Begeisterung zustande. Die durchgeführten Versammlungen wurden spontan mit Hochrufen unterbrochen. 150 Bereitschaftspolizisten baten um Aufnahme in die Partei. Hunderte von Einzel- und Kollektiv-Verpflichtungen wurden abgegeben, die eine Verbesserung der gesamten Dienstdurchführung beinhalteten. Ca. 50 Genossen verpflichteten sich den Dienst in bewaffneten Einheiten so lange durchzuführen, wie es die Partei und Regierung verlangt.
In der Bereitschaft Markkleeberg haben sich von 300 Angehörigen ca. 40 Genossen bereit erklärt, sofort in die Nationale Volksarmee einzutreten, nur in zwei Fällen erfolgte eine Ablehnung. In den Versammlungen wurden folgende Fragen aufgeworfen:
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Warum wird die allgemeine Wehrpflicht nicht eingeführt?
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Wird die Dienstzeit in der VP angerechnet?
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Wie ist die Stellung der Bereitschaftspolizei im Rahmen der Nationalen Volksarmee.
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Wie erfolgt jetzt die Werbung?
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Werden die Arbeiter in den Betrieben bereit sein, die Waffen herzustellen?
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Wird die sozialistische Wirtschaft durch die Nationale Volksarmee nicht zu stark entblößt?
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Können weibliche Angehörige weiterhin Dienst tun?
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Wie wird die materielle Lage in der Nationalen Volksarmee sein?
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Werden Vertreter der DDR jetzt mit zur gemeinsamen Führung (Warschauer Vertrag)8 gehören?
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Werden wir die modernen Kampfmittel selbst herstellen oder von befreundeten Ländern erhalten?
Die meisten Genossen sehen in der Uniform die der Nazis und haben keine Ahnung von nationalen Traditionen.9
Negative Diskussionen waren nur selten zu verzeichnen und sind nicht typisch.
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Z. B. »Es mögen die hingehen, die in Berlin eine Volksarmee gefordert haben.«
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»Durch die Nationale Volksarmee ist die Einheit Deutschlands unmöglich gemacht.«
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»Eine Nationale Volksarmee ist nicht erforderlich, das Weltfriedenslager ist stark genug, um Provokationen im Keime zu ersticken.«
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»Die Nationale Volksarmee ist mit der KVP gleichzusetzen, das Kind hat nur einen anderen Namen bekommen.«
V. Volkspolizei und MdI
Unter den Angehörigen der VP sind ebenfalls positive Stellungnahmen zur Schaffung der Nationalen Volksarmee vorherrschend. Auch hier erklärten sich Volkspolizisten bereit in die Nationale Volksarmee einzutreten und es wurden Anträge auf Aufnahme in die Partei gestellt.
Jedoch ist zu verzeichnen, dass die negativen Stimmungen etwas stärker in Erscheinung treten, als in den anderen bewaffneten Einheiten. Dabei wird vor allem zum Ausdruck gebracht, dass man sich aus den verschiedensten Gründen nicht zum Dienst in der Nationalen Volksarmee meldet (2 VP-Reviere Magdeburg, Hoyerswerda, Zwickau, BdVP Erfurt).10 Dabei spielen meist Überlegungen der finanziellen Seite und der Bequemlichkeit eine Rolle. Weitere unklare Vorstellungen herrschen über die Uniformen, (»es fehlt nur noch der Pleitegeier«),11 über Wehrgesetz (»warum soll es anderen besser gehen als uns«) und die Finanzierung sowie kadermäßige Schaffung der Nationalen Volksarmee. (Aufbau des Sozialismus und Schaffung einer Nationalen Volksarmee kann man nicht zusammen durchführen.) (Diese Diskussionen treten im Kreis Meiningen, Magdeburg, VPKA Potsdam, VPKA Rostock, BdVP Cottbus auf.)
Einige negative Beispiele:
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Einige Genossen der VPI Mitte Berlin diskutieren in folgender Form: »Ich kann meine Zustimmung nicht zur Schaffung einer Volksarmee geben, weil unser Staat noch nicht einmal einen Friedensvertrag hat. Aus diesem Grunde darf und kann man keine Armee aufstellen. Außerdem kommt die Forderung nicht vom Volke, sondern wird von der Partei organisiert. Durch die Schaffung der Volksarmee wird auf Jahre hinaus eine Verbesserung des Lebensstandards unmöglich. Wer hat denn zuerst mit dem Militarismus angefangen? Während man im Westen vor einigen Jahren noch nicht dergleichen sah, gab es bei uns schon Tausende KVP-Angehörige. Man sollte mal auf der Friedrichstraße die Menschen fragen, wie sie zur Schaffung einer Nationalen Volksarmee stehen, da würde man die wahre Meinung des Volkes kennenlernen.«
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Ein Hauptwachtmeister beim VPKA Hoyerswerda: »Es ist ganz klar, dass wir eine Armee brauchen, aber zu mir soll keiner kommen. Ich bin schon vier Jahre bei der VP und habe den Kanal voll bis oben hin. Ich würde sofort meine Entpflichtung einreichen und in die Produktion gehen.«
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Andere sagen dazu, dass man dann ja unsere noch nach Westdeutschland geben könne. (2 VP-Reviere Magdeburg).12
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Ein VP-Wachtmeister aus Gera erklärte: »Laut Potsdamer Abkommen darf Deutschland nicht wieder bewaffnet werden.13 Wo kommen auf einmal die vielen Waffen her, die für die Armee benötigt werden.«
HVDVP und MdI
Die Stimmung ist weiterhin unverändert gut. Ein großer Teil ist bereit, in der Nationalen Volksarmee Dienst zu tun. Beibehalten werden die Diskussionen um die Uniformen. Als neues negatives Argument taucht dabei auf. »Man müsste die bestrafen, die erst die KVP-Uniform und jetzt die neue Uniform eingeführt haben. Das kostet eine Menge Geld und wir können uns das in Bezug auf das 25. Plenum nicht leisten.«14 (Finanzverwaltung MdI) Viele Genossen verschließen sich den Diskussionen und wollen erst noch eine ganz klare Stellungnahme durch Rundfunk oder Presse hören. (Abteilung Finanzen MdI) In verschiedenen Abteilungen und Einheiten wird über die Frage der Bezahlung in der Nationalen Volksarmee diskutiert, dass diese ja geringer sein müsse und man dann auch nicht mehr ein so ruhiges Leben führen kann. (Lehrbereitschaft Rahnsdorf, MdI)
VI. KVP
Die positiven Diskussionen überwiegen auch weiterhin. In zahlreichen Fällen baten KVP-Angehörige um Aufnahme in die Partei. Einige Unklarheiten gibt es zu Fragen der Disziplinarordnung, Verpflichtung, Ausgang, Urlaub usw.
Die negativen Argumente sind Einzelerscheinungen. Sie richten sich in der Hauptsache gegen einen Eintritt in die Nationale Volksarmee (Nord, Süd, See, Luft). Folgende neuen Argumente sind zu verzeichnen:
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»Das Geld, welches man zur Aufstellung der Nationalen Volksarmee benötigt, sollte man lieber für die Bevölkerung verwenden, wie soll jetzt bei uns der Lebensstandard steigen.« (Luftstreitkräfte, Kdo. Cottbus)
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Einige Angehörige der VP See wollen nicht zur Nationalen Volksarmee, weil sie dann nichts mehr sparen können. Solche Diskussionen wirkten auf Jugendliche so, dass sie erklärten: »Wenn der schon nicht zur Volksarmee will, dann brauchen wir erst recht nicht zu gehen.« (Ribnitz, [Bezirk] Rostock)
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Im Stab der KVP wurde die Schaffung der Nationalen Volksarmee als verfrüht betrachtet.
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Weiter gibt es vereinzelt Stimmen, »dass man die Werktätigen vorgeschoben hat und in Wirklichkeit schon alles vorbereitet hat, dass die Schaffung der Nationalen Volksarmee Krieg bedeute«.
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Es wird die Frage gestellt: wenn deutsche Uniformen, dann auch deutsche Waffen (Dienststelle Niederlehme, Flak-Regiment Eggersdorf, Armeekorps Nord, Armeekorps Süd, See, Luft).
Auch pazifistische Diskussionen sind zu verzeichnen: »Kein Mensch müsste sich zur Volksarmee melden. Nach 1945 hat man geschrien, kein Deutscher soll mehr eine Waffe anfassen« (Dienststelle Drewitz-Luft). »In der Schule hat man uns gelehrt, dass demjenigen, der eine Waffe anfasst, die Hand abfallen soll. Wie viel haben schon in der KVP ihr Leben lassen müssen? Warum schreibt man in unserer Hymne, dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint?«15 (Armeekorps Nord)