Stimmung in den bewaffneten Einheiten zur Schaffung der NVA (3)
31. Januar 1956
Stellungnahmen der Angehörigen der bewaffneten Einheiten zur Nationalen Volksarmee (3. Bericht) [Information Nr. M29/56]
Nachstehend wird über die Stimmung folgender bewaffneter Einheiten berichtet:
- I.
Wachregiment Berlin1
- II.
Grenzpolizei
- III.
Bereitschaftspolizei
- IV.
Volkspolizei
- V.
KVP
I. Wachregiment Berlin
Die Stimmung ist nach wie vor positiv. Negative Diskussionen sind weniger geworden und drehen sich meist um Uniform oder Gehalt. Dabei tauchen keine neuen Argumente auf.
II. Grenzpolizei
Die Verpflichtungen anlässlich der Schaffung der Nationalen Volksarmee halten weiter an. Ihr Inhalt besagt z. B. Übernahme von Patenschaften für schwache Genossen, Erreichung des Ehrentitels »Vorbildlicher Postenführer«, Weiterverpflichtung zum Dienst in der Grenzpolizei (GB Schenkendorf, GB Groß Glienicke, GB Wittendorf,2 [Kreis] Hagenow, Löcknitz, Greifswald). Die Bereitschaft, weiter Dienst bei der Grenzpolizei zu tun, ist auch der Inhalt der meisten positiven Diskussionen.
Im gleichen Maße wie vorher sind negative Erscheinungen und Diskussionen zu verzeichnen. Insgesamt gesehen stellen sie jedoch die Minderheit dar. Neben den bereits bekannten Argumenten wie Gehalt, Uniform, organisatorische Fragen usw. wird von Angehörigen der Grenzpolizei eine Entlassung aus dieser gefordert. Z. B. häufen sich in den letzten Tagen im Bereich der Grenzbereitschaft Karl-Marx-Stadt die Äußerungen nach Entlassung aus der DGP. In einigen Dienststellen bilden sich Gruppen, die gemeinsam ihre Entlassung aus der DGP anstreben (Kommando Brambach). Im Kommando Stedtlingen, [Kreis] Meiningen, ist die Meinung mehrerer Angehöriger der DGP: »Wenn es nicht mehr 350 sondern nur 10,00 DM in der Woche gibt, bleiben wir nicht mehr dabei.«
Hetzargumente der Westsender wurden in der Kommandantur Wiewohl,3 GB Perleberg, geäußert: »Bei der westdeutschen Armee ist es besser, dort gibt es mehr Freiheiten als bei uns. Dort braucht sich keiner zu verpflichten und es wird kein Druck auf die Soldaten ausgeübt.« Daraufhin erklärte ein Gefreiter: »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon längst abgehauen.«
Einen Einfluss auf die Angehörigen der DGP nehmen pazifistische und negative Diskussionen. Z. B. diskutieren vorwiegend Arbeiterinnen aus der Porzellanfabrik Köppelsdorf (Ring um Berlin): »Wir haben nichts zu verteidigen als die Gehälter der Intelligenz und der Parteifunktionäre. 1945 war jeder Soldat ein Kriegsverbrecher, heute nennt man ihn Vaterlandsverteidiger. Wir werden nicht zulassen, dass Deutsche auf Deutsche schießen, wir sollten neutral bleiben wie die Schweiz.«
III. Bereitschaftspolizei
Die Stimmung unter den Angehörigen der Bereitschaftspolizei ist positiv. In der Berichtszeit wurden zahlreiche Selbstverpflichtungen übernommen. Z. B. haben sich allein in den Bereitschaften in Berlin
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98 Genossen zum weiteren Dienst verpflichtet,
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44 Genossen zur Aufnahme in die Partei beworben,
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43 Genossen zur Aufnahme in die FDJ bewerben,
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84 Genossen um Aufnahme in die Bestenbewegung gemeldet.
Weit über 100 Genossen erklärten in Diskussionen ihre Bereitschaft, in die Nationale Volksarmee einzutreten.
Negative Erscheinungen sind noch vorhanden, aber als Einzelfälle zu werten. Neben den bekannten negativen Diskussionen tauchen neue Argumente auf, die sich gegen die Uniformen und die sowjetischen Waffen sowie gegen die Entlohnung richten. Unklarheit besteht über die Rolle ehemaliger hoher Wehrmachtsoffiziere in der Nationalen Volksarmee (Paulus).4 Einige typische Beispiele:
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»Das ist nichts für mich, ich bleibe bei meinem Gehalt, wer weiß, was man dort bekommt.«
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»… da gibt es Sold, da muss ich mich wohl scheiden lassen und meine Frau kann dann einen Straßenfeger heiraten.«
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»In der neuen Uniform schäme ich mich, deswegen werde ich niemals zur Nationalen Volksarmee gehen.«5
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»Ich habe kein Vertrauen zu den sowjetischen Waffen. Warum gibt man uns den Karabiner 44,6 nur weil ihn die Sowjetarmee nicht mehr gebrauchen kann.«
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»Man spricht davon, dass die westdeutsche Söldnerarmee mit amerikanischen Waffen und Uniformen ausgerüstet wird. Unsere Nationale Volksarmee trägt den deutschen Traditionen entsprechende Uniformen, bei den Waffen handelt es sich jedoch um sowjetische.«
Von der Bereitschaftspolizei des MfS, S-Kdo.-Berlin-Adlershof, desertierte am 23.1.1956 der Unterleutnant [Name 1]. [Name 1] äußerte vorher, dass er mit der Bildung der Nationalen Volksarmee nicht einverstanden sei und diese niemals anerkennen würde.
IV. Volkspolizei
Übereinstimmend wird unter den VP-Angehörigen positiv gesprochen. Zahlreiche Offiziere und Mannschaften haben sich bereit erklärt, in der Nationalen Volksarmee Dienst zu tun und der größte Teil begrüßt die Schaffung der Nationalen Volksarmee. Unklarheiten führen immer wieder zu Diskussionen über Gehalt und Uniform, wobei die Frage der Uniform (wie bereits berichtet) im Vordergrund steht. In vielen Fällen erwartet man die Wehrpflicht,7 da sich sowieso niemand freiwillig melden wird. Die negativen Stimmungen haben im Umfang nachgelassen und sind keinesfalls typisch. Neue Argumente sind nicht aufgetreten. Sie richten sich in der Hauptsache gegen einen Dienst in der Volksarmee. Charakteristische Beispiele hierfür sind:
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Ein VP-Meister aus Marienberg: »Es ist doch gar keine Voraussetzung zur Schaffung einer Nationalen Volksarmee vorhanden. Laut Potsdamer Abkommen ist dies auch gar nicht möglich.8 Die vielen KVP-Angehörigen sind eine zu große Belastung des Staates, diese Gelder sollte man lieber für Rentenerhöhung verwenden.«
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Ein VP-Wachtmeister aus Werdau: »Mögen nur die in die vordersten Reihen gehen, die das anstreben, dann wird es ihnen schon anders werden.«
V. KVP
Die überwiegende Mehrheit bringt weiterhin in positiven Diskussionen ehrliche und freudige Zustimmung in Form von Kollektiv- und Einzelverpflichtungen zur Verbesserung der politisch-fachlichen Ausbildung, in Weiterverpflichtungen zum Dienst in der Nationalen Volksarmee und in den zahlreichen Anträgen um Aufnahme in die Partei der Arbeiterklasse zum Ausdruck. Vereinzelt, jedoch in allen Einheiten der KVP, gibt es weiterhin negative Stimmungen und Unklarheiten, besonders in den Fragen der neuen Uniformen, der Anrechnung der Dienstjahre in der KVP und in der waffentechnischen Ausrüstung.
In einzelnen negativen Diskussionen taucht immer wieder Unglauben an unsere eigene Kraft und das Nichtvertrauen auf die Richtigkeit des Beschlusses der Volksarmee auf. Es wird in diesen negativen Diskussionen die Meinung vertreten, [dass] die Schaffung der Nationalen Volksarmee nicht die Forderung der Mehrheit unserer Bevölkerung sei. Ebenfalls gibt es immer noch vereinzelte Diskussionen die beinhalten, dass die Nationale Volksarmee Krieg bedeute.
Ein Soldat der 3. Abteilung des 2. mech.-Kdo. Potsdam erklärte, dass die Schaffung der Nationalen Volksarmee zum Kriege führe und in seinen Augen jeder ein Lump sei, der die Waffe auf einen Deutschen richte. Der Innendienstleiter im 2. Kdo. des 1. Aeroclubs9 Cottbus vertritt die Meinung, dass der Westen uns militärisch überlegen sei und wir gegen ihre guten Waffen und Technik nichts ausrichten können. Ein Fernsprecher in der D-110 Kompanie des 1. Aeroclubs: »Wir regen uns immer über den Westen auf, weil dort ehemalige faschistische Offiziere die Armee führen. Bei uns sieht es nicht anders aus, denn General Paulus war auch faschistischer Offizier. Früher brüllte man ›Heil‹ und ›totaler Krieg‹ und jetzt brüllt man nach bewaffneten Streitkräften. Ich sehe darin keinen Unterschied.«