Stimmung in der Kommunalverwaltung und im Staatsapparat
25. Januar 1956
Stimmung und Lage der Angestellten in den kommunalen Verwaltungen und im Staatsapparat [Information Nr. M23/56]
Kurze Übersicht
Die Stimmung der Angestellten ist unterschiedlich, was sich in politischen wie wirtschaftlichen Fragen zeigt. Eine Ursache dafür ist die verschiedenartige Zusammensetzung der Angestellten und man kann die Gesamtheit aller Angestellten in drei Kategorien einteilen:
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Die erste Kategorie umfasst: den größten Teil der Funktionäre, bewusste Genossen, vereinzelt fortschrittliche Parteilose und Angehörige der Blockparteien. Diese Kategorie setzt die Politik der Regierung und Partei durch, diskutiert die politischen Probleme positiv und ist die treibende Kraft.1
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Die zweite Kategorie umfasst: die übergroße Zahl der Angestellten. Zu einem Teil sind es auch SED-Mitglieder, meist aber Parteilose und Mitglieder bürgerlicher Parteien sowie die schon im alten bürgerlichen Staatsapparat tätig gewesenen Angestellten. Bei dieser Kategorie ist als Allgemeinerscheinung Uninteressiertheit festzustellen. Unterschätzung der politischen Arbeit und »Nur-fachliche Arbeit« sind die Hauptmerkmale. Diskussionen kommen meist nur zu wirtschaftlichen Fragen zustande. Politische Diskussionen unterbleiben bei Parteilosen oft aus Angst, dass sie bei falschen Ansichten ihre Stellung verlieren, und die bürgerlichen Elemente wollen sich nicht entlarven.2
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Die dritte Kategorie umfasst: meist Angestellte, die sich nach dem Westen orientieren, feindlichen Argumenten Vorschub leisten, aber ihre eigene Meinung nicht offen zum Ausdruck bringen. Schlechte Arbeitsmoral und Disziplin sind hier oft Begleiterscheinungen. Diese Kategorie stellt die Minderheit aller Angestellten dar.
Bei der Einschätzung von Stimmung und Arbeitsweise wurden Verschiedenheiten festgestellt zwischen
a) Angestellten im Zentralen Staatsapparat und in den Verwaltungsspitzen
b) Angestellten des Staatsapparates und der Verwaltungen in den Bezirken und Kreisen.
Während im Zentralen Staatsapparat Stimmung und Diskussion mehr auf politischem Gebiete liegt, wird in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden mehr über wirtschaftliche und persönliche Fragen gesprochen. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Tätigkeit der Parteieinheiten und Leitungen mangelhaft und teilweise ungenügend. Das gleiche trifft auf die FDJ und übrigen Massenorganisationen zu. Die BGL befasst sich in der Regel nur mit rein wirtschaftlichen und zum Teil untergeordneten Fragen. Die Feindtätigkeit zeigt sich hauptsächlich in Form von Hetze, Fälschungen und Spionage. Besondere Schwerpunkte wurden hier nicht bekannt.
Erster Abschnitt
I. Stimmung über politische Probleme
a) In den Zentralen Institutionen und Dienststellen des Staatsapparates
In letzter Zeit waren in den Zentralen Institutionen und Dienststellen des Staatsapparates die mit dem Nichtbetreten der Westsektoren Berlins zusammenhängenden Fragen Schwerpunkt. Ein großer Prozentsatz aller Angestellten ist mit dem Verbot, die Westsektoren zu betreten,3 nicht einverstanden und leitet davon negative Diskussionen über die Bestrebungen zur Schaffung der Einheit Deutschlands ab. Solche Diskussionen gab und gibt es z. B. im
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Ministerium für Gesundheitswesen,
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Ministerium für Volksbildung,
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Ministerium für Verkehrswesen,
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Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung,
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Verwaltungsamt.
Schwerpunkt ist das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen.
So wurde im Institut für Post- und Fernmeldewesen schon im Juni 1955 eine Resolution verfasst, die sich in scharfer Form gegen diese Maßnahme richtet. Auszugsweise heißt es dort u. a. wörtlich: »… Die Maßnahmen sind nicht aktuell, sondern gegen die Interessen der Werktätigen unter grober Verletzung der Verfassung der DDR …, der Disziplinarordnung …«
Weiter wird verwiesen auf die KPdSU (B), Presseartikel usw. »Die Sowjetunion leitet Schritte ein zur allgemeinen Entspannung … dagegen mutet diese Verpflichtung wie ein Schildbürgerstreich an.« »… Diese Einwände nicht anzunehmen würde heißen, der heimtückischen Rolle des Sektierertums Vorschub zu leisten. Daher steht die Frage offen, ob nicht bewusst von Agenten diese Anordnung getroffen wurde, um Unruhe und Misstrauen zu säen.« … »Sollte man trotzdem von uns die Unterschrift fordern, dann nur, wenn der Gesetzgeber gemäß Verfassung Abschnitt B, mittels Artikel 83,4 die Artikel 6, 8 und 95 revidiert hat.« Eine Stellungnahme ähnlichen Inhalts wurde von den Angestellten der Deutschen Post – Amt für Fernnetze – abgegeben.
Als Argumente werden weiter benutzt:
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»Wir pfeifen auf die Ehre, im Staatsapparat arbeiten zu können, dadurch sind wir nur Beschränkungen unterworfen.« (Meinung der Techniker im Verwaltungsamt).
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(Die im Randgebiet Berlins wohnhaften Angestellten): »Die An- und Abfahrzeiten zum und von der Arbeit werden länger, dadurch keine Einkaufsmöglichkeiten mehr, größere finanzielle Ausgaben.«
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(Angehörige der Intelligenz im Staatsapparat): »Wir hinken auf einigen technischen Gebieten der Entwicklung hinterher und müssen dies wieder aufholen. Dazu ist [es] auch notwendig, Fachvorträge in Westberlin zu hören.«
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(Allgemein): »Die vielen verwandtschaftlichen Beziehungen können nicht einfach abgebrochen werden.«
Diese Anordnung wird auch in Zusammenhang mit Republikfluchten gebracht und folgende Meinungen geäußert: »Wenn man Menschen dazu zwingen will, die Verbindungen nach Westberlin abzubrechen, dann gehen sie eben nach dem Westen.« oder: »Wenn diese Anordnung nicht aufgehoben wird, werden sich noch viele Kollegen nach dem Westen absetzen oder Arbeit in einem solchen Betrieb suchen, wo eine derartige Anordnung nicht besteht.«
Bei Einstellungsgesprächen ist festzustellen, dass Personen – wenn sie von der Anordnung Kenntnis bekommen – gar nicht erst in ein Arbeitsverhältnis eingehen. Ein großer Teil aller Angestellten (siehe auch kurze Übersicht), äußert sich zu anderen politischen Problemen ungenügend. Fortschrittlichen Diskussionen stehen negative Argumente gegenüber, die aber als Einzelerscheinungen nicht typisch für die Gesamtheit sind.
Zur »Einheit Deutschlands« und »Freie Wahlen«
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In einer staatspolitischen Schulung beim Projektierungsbüro der Deutschen Post in Berlin im November 1955 forderte Kollege [Name 1], die Kontrollen der Sektorengrenzen abzuschaffen, das sei der erste Schritt. Er findet damit allgemeine Zustimmung.
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Kollege [Name 2]: Die Vereinigung Deutschlands ist eine Angelegenheit der vier Großmächte, da sie auf der Potsdamer Konferenz von einer wirtschaftlichen Einheit Deutschlands gesprochen haben.6
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Kollege [Name 1]: »Wir sind nur ein Drittel von Deutschland und müssen uns deshalb etwas nach der Mehrheit richten. Das Wichtigste sei erst einmal die Einheit. Man muss bedingungslos ›Freie Wahlen‹ durchführen, das Volk muss von sich heraus den Sozialismus aufbauen. Ich bin konsequent gegen Militarismus und habe in Westdeutschland auch keine Soldaten gesehen. Die Ursachen schlechter Arbeit in unserer Wirtschaft und Verwaltung sind die Unfähigkeit führender Funktionäre usw.« Mit diesen Diskussionen fand er Unterstützung des größten Teiles der Schulungsteilnehmer.
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Wie bei diesem Beispiel sind auch in anderen Diskussionen die Einflüsse westlicher Propaganda spürbar. Im Verwaltungsamt forderten fünf Mitarbeiter sofort »Freie Wahlen«, die »Russen« können sich ja an der Kontrolle beteiligen.
b) In den Dienststellen des Staatsapparates, in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden
In den Bezirken gibt es nur wenige Beispiele, aus denen man schließen kann, dass sich mit den politischen Problemen ernsthaft beschäftigt wird. Politische Diskussionen treten in den meisten Fällen nur dann in Erscheinung, wenn persönliche oder fachliche Dinge damit im Zusammenhang stehen. Ähnlich wie die Anordnung des Nichtbetretens der Westsektoren in Berlin ruft die Verweigerung von PM 127 (Reisen nach Westdeutschland) in den Bezirken negative Diskussionen hervor. Besonders in den Kreisen Saalfeld und Jena[-Land] (Bezirk Gera) herrscht die Meinung vor, dass es den Angestellten gegenüber ungerecht ist, wenn diese nicht nach Westdeutschland reisen dürfen. Die Anhänger dieser Meinung konnten auch nicht überzeugt werden. Ein Angestellter beim Rat des Kreises Jena[-Land] hat wegen Verweigerung von PM 12 gekündigt. Gleiche Meinungen, die teilweise zu Republikfluchten führten, gibt es in fast allen Kreisen des Bezirkes Dresden.
Vereinzelt werden Stimmungen zu den verschiedensten politischen Problemen bekannt, die eine Reihe Unklarheiten erkennen lassen oder vom RIAS verbreitete Hetze beinhalten.
Zur »Einheit Deutschlands« und »Freie Wahlen«
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Angestellter [Name 3] vom Stadtbezirk 1 in Leipzig: »Die Macht der Arbeiter und Bauern, also die Diktatur, ist ein Hindernis für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes.«
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Angestellte [Name 4] vom Stadtbezirk 2 in Leipzig: »Für die Einheit Deutschlands kann man nicht den Sozialismus als Grundlage nehmen. Wir wollen ein demokratisches friedliebendes Deutschland, nicht aber die Herrschaft der Arbeiter und Bauern.«
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Genossin [Name 5] vom Rat des Kreises Oschatz: »Wir sind nicht souverän, solange noch die sowjetischen Truppen sich auf dem Territorium der DDR befinden. Warum werden denn keine ›Freien Wahlen‹ in ganz Deutschland durchgeführt und weshalb hat die Sowjetunion auf der Genfer Konferenz diesen Vorschlag der Westmächte abgelehnt.«8
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Genosse [Name 6] vom Rat des Kreises Schmölln: »Man soll doch bei uns die ›Freien Wahlen‹ durchführen. Da wird sich ganz klar zeigen, wer für den Frieden ist.«
Andere Argumentationen
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In der staatspolitischen Schulung vom Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt wurde die Frage gestellt, ob bei einer Wiedervereinigung Deutschlands erst die Entmachtung der Monopolkapitalisten und Großgrundbesitzer in Westdeutschland durchgeführt werden muss und dann die »Freien Wahlen« oder umgekehrt.
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Beim Rat des Kreises Karl-Marx-Stadt, in Glauchau und Brand-Erbisdorf bestehen Unklarheiten über Fragen der Koexistenz.
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Bei einer Diskussion beim Rat der Stadt Plauen war deutlich westliche Beeinflussung spürbar: »Das Potsdamer Abkommen ist veraltet und bedarf einer Abänderung.«
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Zur Frage der Kriegsverurteilten äußerte sich der Angestellte beim Rat des Kreises Altenburg, [Name 7] (SED): »Die zurückgekehrten Kriegsverurteilten und die vielen, vielen noch in der Sowjetunion zurückgehaltenen Deutschen sind nur kleine Feldwebel. Ich als Deutscher habe zu viel Nationalgefühl und lasse mich von menschlichen Gefühlen leiten.«
c) Über die Arbeit in den Kampfgruppen9
Kampfgruppen bestehen zwar in fast allen Verwaltungen und Stellen des Staatsapparates, aber die Beteiligung und Ausbildung ist besonders in den Bezirken meist mangelhaft. In den zentralen Stellen (Ministerien usw.) ist die Arbeit und Ausbildung der Kampfgruppen besser. Als Ausnahme ist die Kampfgruppe des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt anzusehen, wo 80 Angestellte der Kampfgruppe angehören und zweimal wöchentlich mit guter Beteiligung Übungen durchgeführt werden. Im Übrigen ist die Beteiligung sehr gering und ein Teil der Angestellten lehnt einen Eintritt in die Kampfgruppen überhaupt ab. Bei diesen sind pazifistische Diskussionen vorhanden. Zum Beispiel: Beim Rat des Kreises Saalfeld (Bezirk Gera) werden besonders stark unter den Kraftfahrern und auch unter SED-Mitgliedern pazifistische Diskussionen geführt und eine Mitarbeit in der Kampfgruppe abgelehnt. Die Ausbildungsstunden der 80 Mann starken Kampfgruppe werden nur von 10 bis 15 Angestellten besucht. Auch in mehreren Kreisen des Bezirkes Potsdam sind pazifistische Tendenzen und eine nicht zufriedenstellende Beteiligung an den Ausbildungsstunden vorhanden. Ein häufiges Argument ist: »Die Ausbildung der Kampfgruppen ist gleichzusetzen mit der Aufrüstung in der Bundesrepublik.«
II. Stimmung über wirtschaftliche und fachliche Fragen und Ursachen schlechter Stimmung
a) In den zentralen Stellen des Staatsapparates
In verschiedenen Stellen des Staatsapparates sind auch Diskussionen und schlechte Stimmung vorhanden, die wirtschaftliche Belange als Ursachen aufweisen. Im Gegensatz zu den Bezirken sind dies jedoch Einzelfälle und nicht typisch. Diskussionen im Zusammenhang mit fachlichen Fragen sind häufiger.
Einige Beispiele zu wirtschaftlichen Fragen
Versorgungslage: Im Verwaltungsamt, im Verlag Volk und Wissen und im ADN wurde die Meinung vertreten, dass zehn Jahre nach Kriegsende wenigstens die Versorgung gesichert sein müsse und die Preise nicht so hoch sein dürften. Im Zusammenhang damit wurde im Institut für Zeitgeschichte10 über unzureichende Qualität und Quantität des Betriebsessens diskutiert.
Lohnfragen: Im Hauptreferat Technische Anlagen des Verwaltungsamtes ist von den Elektrikern und Schlossern 3-fache Bezahlung der Sonntagsarbeit gefordert worden. Meinung des Genossen [Name 8] ist: »Ich bin schon 15 Jahre in diesem Hause, alles was früher erkämpft wurde, nimmt heute der Arbeiter-und-Bauern-Staat wieder weg.«
Allgemeine Forderung: »Mehr Lohn, Leistungslohn, weg von der Gewerkschaft VBV, wir gehören zum Post- und Fernmeldewesen.«
Einige Beispiele zu fachlichen Fragen
Durch die Umbildung des Ministeriums für Schwerindustrie in drei Ministerien kam es unter den Angestellten zu Missstimmung, weil personelle und strukturelle Veränderungen nicht bekannt waren.11 Einzelne Angestellte nahmen an, dass sie auf das tote Gleis geschoben werden. In der HV 5 des Ministeriums für Schwermaschinenbau gab es in letzter Zeit verstärkte Fluktuationen von technischem Personal, weil es mit der Arbeitsweise des technischen Leiters, Genossen [Name 9], (mangelnde Anleitung, keine selbstständigen Entscheidungen, Unterdrückung der Kritik) nicht einverstanden ist.
Schlechte Stimmung aufgrund gleicher und ähnlicher Ursachen gibt es im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, bei den Abteilungen pflanzliche Produktion, tierische Produktion. Besonders tritt hier in Erscheinung, dass die Angestellten unzufrieden sind, weil sie für alles Mögliche (Einsätze, Berichte schreiben usw.) herangezogen werden und zu ihrer eigentlichen Tätigkeit, für die sie verantwortlich sind, nicht kommen. Schwerpunkt im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft ist die HA Planung. Dort ist man besonders verärgert über die Unterbesetzung der Abteilung und das Fehlen eines Hauptabteilungsleiters. Es fühlt sich keiner für die Arbeit richtig verantwortlich, jeder macht nur das, was nicht zu umgehen ist. Dadurch werden die Hauptaufgaben nicht immer gelöst und es herrscht die »Feuerwehr-Arbeit«. Schlechte Arbeitsmoral und Arbeitsüberlastung einzelner Mitarbeiter ist die Folge.
Unter den Angestellten des Amtes für Wasserwirtschaft, Berlin, herrscht eine schlechte Stimmung, die folgende Ursachen hat: Nach Einsetzung des neuen Leiters mussten die Abteilungsleiter eine persönliche Verantwortung übernehmen, was von ihnen als »unangenehm« empfunden wird. [Die] Ankündigung einer Strukturveränderung ließ bei vielen Mitarbeitern Fragen um ihre weitere Existenz entstehen und gab Diskussionen über »Bevorstehende Entlassungen« Nahrung. Ein zweimaliger Umzug (November 1955 und Anfang 1956) rief heftige Diskussionen hervor: »Diese Handlungsweise kostet dem Staat viel Geld und raubt uns die Arbeitszeit.«
b) In den Stellen des Staatsapparates, in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden
Hier sind in allen Bezirken als Schwerpunkt die Diskussionen vieler Angestellten um Löhne, Gehälter und Prämien zu beachten. Übereinstimmend kommt zum Ausdruck, dass die Arbeit der Angestellten nicht richtig gewürdigt wird und der Unterschied zwischen den Löhnen und Gehältern des Verwaltungs- und des Staatsapparates einerseits und der Industrie und Wirtschaft andererseits ungerechtfertigt ist. In Bezug auf Prämien und Leistungsstufen gibt es noch Tendenzen der Gleichmacherei und der direkten Ablehnung. In der Praxis sind Unlust zur Arbeit, starke Fluktuationen und vor allem negative Stimmungen die Folgeerscheinung.
Einige Beispiele zu wirtschaftlichen Fragen
Löhne, Gehälter, Prämien, u. a.: Im Bezirk Gera werden von den Angestellten in Bezug auf Entlohnung Vergleiche mit den VEB Zeiss und Schott in Jena und der Maxhütte gezogen. Beim Rat des Kreises Schleiz ist eine Buchhalterstelle wegen niedriger Bezahlung seit einem Jahr unbesetzt.
Bezirk Karl-Marx-Stadt: Beim Rat des Bezirkes wird die Prämienzahlung kritisiert (vor allem von Frauen), weil Männer mehr als Frauen bekommen. Es wurde argumentiert: Verstoß gegen die Gleichberechtigung der Frau, das sieht man auch daran, dass keine Frau eine leitende Stellung beim Bezirksrat bekleidet. Ein Beschluss, zum Wilhelm-Pieck-Aufgebot12 und als Solidaritätsspende je ein halbes Prozent des Brutto-Lohnes zu geben, erzeugte folgende negative Stellungnahme: »Das kommt einer Erhöhung der Partei- oder FDGB-Beiträge gleich.« In der Gemeinde Mackesdorf13 herrscht starke Unzufriedenheit unter den vier Angestellten der Gemeindeverwaltung. Sie sind schon viele Jahre in der Gemeindeverwaltung tätig und haben ein Gehalt von rund 250 DM, das entspricht nicht einmal dem Verdienst eines unqualifizierten Industriearbeiters.
Bezirk Leipzig: Der Angestellte [Name 10] vom Rat des Kreises Grimma verlangte bei der Kaderabteilung, dass die Leistungsstufen am Ende des Jahres gekündigt werden sollen. Der größte Teil der Angestellten des Rates des Kreises Schmölln vertritt die Meinung: »Nicht so hohe Prämien, sondern jedem etwas (auch bei Leistungsstufen).« Angestellte des Rates des Kreises Torgau: Es ist falsch, dass der Leiter vom HO I über 1 000 DM verdient und der Abteilungsleiter für Handel und Versorgung, der mehr Verantwortung hat und diese Stellen anleiten soll, nur 600 DM.
Bezirk Magdeburg: Ein großer Teil der Kollegen des Post- und Fernmeldeamtes Magdeburg ist der Meinung, dass die Lohnerhöhung bei der Reichsbahn auch auf die Post ausgedehnt werden muss. Kollege [Name 11] vom Bahnpostamt Wernigerode äußerte: »Wenn das Post- und Fernmeldewesen einmal die Arbeit einstellen würde, könnte man feststellen, dass für Lohnerhöhung Geld da ist.«
Bezirk Dresden: In fast allen Kreisen negative Diskussionen über Bezahlung der Angestellten. Schwerpunkte sind hierbei die Abteilungen Finanzen. Dort wurde in sechs Fällen gekündigt und in Industrie oder höher bezahlte Stellen übergewechselt.
Diese Beispiele von Diskussionen über Lohn können aus allen Bezirken gebracht werden.
In Berlin hat die Frage der Dienstaufwandsentschädigung Bedeutung. Beim Magistrat, den Räten der Bezirke und der volkseigenen Wohnungsverwaltung wird sich gegen die Streichung einer Aufwandsentschädigung für die Vergütungsgruppe III und höher und gegen eine Staffelung der übrigen Gehaltsstufen ausgesprochen.14 Arbeitsschutz-Inspektoren beim Magistrat fordern eine zusätzliche Versicherung, weil sie ebenfalls (wie in den Betrieben) an besonders gefährdeten Stellen arbeiten. Die Antwort, sich zusätzlich privat versichern, hat Verärgerung hervorgerufen. Beim Rat des Bezirkes Gera haben eine Anzahl Angestellter mit einem Verdienst von 800 DM sich mit 5,00 DM am Aufbausparen beteiligt und diesen Beitrag gleich nach der Einzahlung wieder abgehoben.15
Versorgung
Unzufriedenheit und schlechte Stimmung über die Versorgungslage waren ebenfalls unter den Angestellten in fast allen Bezirken vorhanden, aber bei Weitem nicht in dem Ausmaße wie beispielsweise Lohnfragen. Auf Schwierigkeiten und Mängel in der Versorgung erfolgte eine sofortige Reaktion. Vor allem wurde dabei von einem Teil das Unverständnis über diese Schwierigkeiten zum Ausdruck gebracht und als Ursache die falsche Warenstreuung angesehen. Im Zusammenhang damit stehen negative Diskussionen wie: »Wir sind im ersten Fünfjahrplan16 nicht vorwärtsgekommen, haben noch Lebensmittelkarten17 und hohe Preise.« oder »Im Westen sind die Schaufenster voll.« u. a. In der letzten Zeit handelte es sich vorwiegend um das Fehlen von Margarine, Zwiebeln, Zündhölzer und Bohnenkaffee.
Einige Beispiele zu fachlichen Fragen
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Unzufriedenheit und Missstimmung wird durch eine Reihe organisatorischer Mängel hervorgerufen. So [wird] beispielsweise beim Rat des Bezirkes Gera wegen Mehrarbeit durch laufende Preisänderung beim Sonderverkauf und Änderung der Baupläne für die ländlichen Gemeinden diskutiert: »Bei uns wird mehr abgebaut als aufgebaut.«
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Unzufriedenheit über zu viele Berichte, Analysen, Aufstellungen usw. ist in den Kreisen Eisenberg, Lobenstein und Pößneck (Bezirk Gera) festzustellen.
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Die Angestellten des Rates des Kreises Stadtroda haben kein Vertrauen zum Vorsitzenden, der sich nur mit einem engen Kreis von Mitarbeitern beschäftigt und keinen richtigen Kontakt zu allen Angestellten hat.
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Beim Rat des Kreises Gera[-Land] arbeitet der Vorsitzende ohne Kollektiv der Abteilungsleiter, die darüber verärgert sind. Das wirkt sich auch auf die anderen Angestellten aus. Weitere Fälle von nicht kollektiver Leitung gibt es im Bezirk Suhl und Dresden.
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Beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Mitte wurde von den Angestellten die Wiedereinführung der alten Arbeitszeit gefordert und auch versprochen, aber nicht durchgeführt. Ergebnis: Schlechte Stimmung.
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Eine geplante »eventuelle« Kreiszusammenlegung Hoyerswerda-Spremberg (Bezirk Cottbus) rief negative Diskussionen hervor. Es wurde keine klare Linie gegeben, jeder Angestellte zog seine eigenen Schlussfolgerungen. Der größte Teil hatte sich bereits um andere Arbeitsstellen beworben.
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In der Deutschen Notenbank Dresden brachte die unorganisierte Führung der sog. Westzonenkonten viele Überstunden mit sich. Eine Änderung wurde von der Leitung der Notenbank abgelehnt. Dadurch kam es zu Unzufriedenheit und Arbeitskräftefluktuation.
Zweiter Abschnitt
I. Faktoren, die sich hemmend auf die Arbeit im Staatsapparat auswirken
(Dies trifft hauptsächlich auf die Arbeit in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden zu.)
1.) Arbeitskräftefluktuationen
Die Arbeitskräftefluktuation ist im Staatsapparat stark und hat die verschiedensten Ursachen. Neben den im ersten Abschnitt (Lohnfragen und PM 12) erwähnten Ursachen gibt es noch familiäre Gründe und Fälle, wo sich Angestellte der politischen und gesellschaftlichen Arbeit entziehen wollen.
Beim Rat der Stadt Jena sind 1955 insgesamt 75 Angestellte, darunter viele Frauen, ausgeschieden, die nach kurzer Zeit wieder arbeiteten, jedoch nicht im Staatsapparat. Beim Rat des Kreises Jena[-Land) waren es in der gleichen Zeit 98 Personen = 30 %, wovon ein großer Teil aber wieder Staatsfunktionen übernahm. Im Kreis Schleiz waren es 63 Angestellte und beim Rat der Stadt Schleiz 30 Angestellte. Beim Rat des Bezirkes Suhl kündigten 25 %. In den Bezirken Schwerin und Cottbus wurde nach Auswertung des 25. Plenums18 von zahlreichen Angestellten die Meinung vertreten, dass dies Entlassungen nach sich zieht und man schon vorher kündigen soll. Als beim Rat des Bezirkes Magdeburg die ersten Versuche einer Reorganisation durchgeführt wurden, kündigten sofort einige Kollegen.
2.) Einfluss kleinbürgerlicher Elemente
Einen gewissen Einfluss üben noch immer bürgerliche Elemente, Christen und alte Beamte durch ihre Arbeitsweise und Diskussionen aus. Schwerpunkt hierbei sind meist die Abteilungen Finanzwesen. Ergebnis ist hier schlechte politische Arbeit. Zum Beispiel sind in Berlin hier noch eine ganze Reihe von Kräften tätig, die schon 1945 auf diesem Gebiet gearbeitet haben. Diese finden aufgrund ihrer guten fachlichen Kenntnisse Anerkennung bei den Kollegen. Verschiedene unterhalten noch Verbindungen zu Personen, die heute in Banken und Finanzinstituten in Westberlin beschäftigt sind und mit denen sie früher zusammengearbeitet haben. Seit Annahme des Beamtenschutzgesetzes in Westberlin haben sich verschiedene ehemalige Beamte abgesetzt.19
In der Abteilung Finanzen beim Rat des Kreises Zittau ([Bezirk] Dresden) herrschen kleinbürgerliche Elemente vor. In der Brigade 5 mit 13 Mitarbeitern sind z. B. sechs CDU, zwei LDP und der Leiter ist parteilos. Beim Rat der Stadt Zeuthen (Bezirk] Potsdam) kommt nur ein Angestellter aus Arbeiterkreisen. Drei sind ehemalige Nazis, von drei Frauen waren die Männer Nazis und vier Kollegen sind Mitglieder bürgerlicher Parteien. Der Bürgermeister Koch20 (LDP), Apolda (Erfurt) versucht, Genossen gegenseitig auszuspielen, was negative Diskussionen unter den Angestellten hervorruft. Prof. Dr. Dr. Kukowka21 vom Kreiskrankenhaus Greiz fördert den Einfluss der katholischen Kirche und hat erreicht, dass sämtliche Angestellten einschließlich der Kaderleiterin katholischer Konfession sind. Negative Diskussionen treten dort häufig auf.
3.) Interessenlosigkeit, Unterschätzung der politischen Arbeit sog. Gehaltsempfänger
Für diese Kategorie gibt es zahlreiche Beispiele, sie sind überall vorhanden. Das zeigt sich am schlechten Besuch der staatspolitischen Schulungen (in zahlreichen Fällen 35–50 %) bzw. am Nichtbeteiligen bei Diskussionen, bei der Teilnahme an Versammlungen, bei der gesellschaftlichen Arbeit u. a. Z. B. äußerte die parteilose Angestellte [Name 12] vom Rat des Kreises Röbel: »Ich möchte mich nicht weiter qualifizieren, wozu soll ich noch eine Schule besuchen, ich verdiene doch auch so ganz gut.« Wenn beim Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt eine Versammlung der DSF durchgeführt wird, nehmen in der Regel von 800 Angestellten (davon 50 % SED) nur 10 bis 15 Personen teil. Beim Rat des Kreises Brand-Erbisdorf ist bei allen Versammlungen ein schlechter Besuch zu verzeichnen. Argument: »Fast jeden Abend ist etwas los, wir haben schlechte Zugverbindungen und sind dann erst zwischen 21.00 und 22.00 Uhr zu Hause.« Zwei Magistratsangestellte (Berlin) haben gekündigt und dort Arbeit aufgenommen, wo sie gesellschaftlicher Mitarbeit enthoben sind.
Angestellte beim Rat des Kreises Weißensee vertreten die Meinung, dass es besser sei, fachliche Arbeiten zu erledigen, statt das 25. Plenum zu studieren. Während des Jahresabschlusses herrschte in starkem Maße die Ansicht: »[Für] Diskussionen steht jetzt keine Zeit zur Verfügung.« Beim Rat des Kreises Sömmerda ([Bezirk] Erfurt) herrschte Missstimmung über Einsätze in den Landgemeinden nach Feierabend und sonntags. Der VEAB-Angestellte [Name 13] aus Neubrandenburg äußerte: »Was soll ich mich mit den Bauern erzürnen, ich halte mich überall so, dass ich als Freund wiederkommen kann.« (Diese Meinung ist kein Einzelfall.) In Magdeburg wurde festgestellt, dass Angestellte, die eine gute fachliche Arbeit leisten, unter den Kollegen angesehen sind, ganz gleich, ob sie sich indifferent verhalten oder gar negativ diskutieren. Beschwerden aus den Kreisen der Bevölkerung werden nicht oder nicht sorgfältig bearbeitet. (Rat des Kreises Wurzen und Geithain) Bei letzterem wurden von 54 Beschwerden nach fünf Monaten erst acht bearbeitet. In Burg Stargard [Bezirk] (Neubrandenburg) achtet der Rat der Stadt überhaupt nicht auf Hinweise und Kritik der Bevölkerung.
4.) Arbeitsmoral und Disziplin
Teilweise – vor allem in ländlichen Gebieten – sind Arbeitsmoral und Disziplin noch schwach entwickelt. Es gibt zahlreiche Fälle von Trunkenheit im Amt, Benutzung von Arbeitszeit zu privaten Dingen und Fälle, wo man Auseinandersetzungen über derartige Dinge aus dem Wege geht.
Ein Schwerpunkt in dieser Hinsicht ist der Rat des Kreises Lobenstein. Außerdem herrscht dort in starkem Maße der »Kumpelgeist«. Dadurch werden die Anweisungen der Vorgesetzten nicht mit dem nötigen Ernst und formal durchgeführt. Auch von Mitgliedern der SED wurden zahlreiche Fälle moralischer Schwäche – Trunkenheit – bekannt. Der Bürgermeister von Doberlug-Kirchhain, Genosse [Name 14], besitzt unter der Bevölkerung keine Autorität. Er kam angetrunken zu einer Versammlung in einem Privatbetrieb als Referent. Er betrinkt sich auch sonst oft. Der Bürgermeister [Name 15] (SED) aus Altenwillershagen, [Bezirk] Rostock, trinkt oft während der Arbeitszeit mit den Mittelbauern der Gemeinde und steht unter deren Einfluss. Der LPG gibt er nicht die nötige Unterstützung. Die Bürgermeisterin [Name 16] (SED) aus Kavelstorf,22 [Kreis] Rostock[-Land], erscheint öfters betrunken in der Bürgermeisterei.
Verantwortungslosigkeit führte dazu, dass die Angestellten [Name 17] und [Name 18] vom Rat des Kreises Altenburg falsche Zahlen im Erntebericht angaben und Desinformationen hervorriefen.
5.) Arbeitsüberlastung
Ein Teil der Funktionäre und auch verantwortungsbewusste Angestellte drückten ihre Unzufriedenheit über die vielen Überstunden und deren Folgen (Familienleben) aus.
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Z. B. ist sehr schlechte Stimmung unter den Justizangestellten in Leipzig. Kreisgerichtsdirektor Burghardt erklärt: »Die Richter haben zu viel Arbeit, vor allem zu viel Nebenarbeit, dagegen ist die Bezahlung sehr schlecht im Verhältnis zu anderen geistigen Berufen, kein Wunder, wenn viele Richter von der Justiz abgehen.«
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Kreisgerichtsdirektor Biedermann, Wahren, [Bezirk] Leipzig: »Die Bezahlung ist das Wenigste, aber man soll auch einmal bedenken, dass Richter auch bloß Menschen sind und eine Familie besitzen, die von ihnen ein klein wenig Privatleben verlangt.« Er möchte in die Produktion gehen, um sich zu erholen.
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In der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Löbau – Bevölkerungspolitik – will man die Arbeit niederlegen, weil die Republikfluchten überhand nehmen und man den Aufgaben angeblich nicht mehr gewachsen ist.
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Von vielen Abteilungsleitern im Bezirk Cottbus wird gesagt, dass zu viel Nebensächliches gemacht werden muss. Durch die vielen Sitzungen, Tagungen und Versammlungen, kurzfristigen Termine sind sie gezwungen, ihre Freizeit zu opfern. Unstimmigkeiten in der Familie und Unlust zur Arbeit sind dann die Folge.
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Bürgermeister Schulz (SED) von Ehnenhorst,23 [Kreis] Rostock[-Land]: »Es ist doch immer das gleiche, die Volkssolidarität soll die Ausgabe der Weihnachtsgeschenke organisieren, aber der Bürgermeister muss sich darum kümmern. Für alle Dinge wird man verantwortlich gemacht, aber dass der Bürgermeister auch nur ein Mensch ist, wird vergessen. Das Beispiel haben wir bei dem Bürgermeister Haselow24 aus Zarrendorf, der ist total mit den Nerven fertig.«
Dritter Abschnitt
Arbeit der Partei- und Massenorganisationen
I. Partei
a) In den zentralen Institutionen und Dienststellen des Staatsapparates
Übereinstimmend wird festgestellt, dass die Arbeit der Partei in vielen Verwaltungen und Dienststellen des Staatsapparates mangelhaft und teilweise formal ist. Das bezieht sich sowohl auf die innerparteiliche Arbeit wie auch auf die Arbeit mit den Parteilosen und Einflussnahme auf die Massenorganisationen und die fachliche Arbeit. Folgende Erscheinungen sind häufig:
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Formale Durchführung von Versammlungen und Behandlung politischer Probleme.
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Keine kämpferischen Auseinandersetzungen. Die Parteileitungen lassen sich oft von der fachlichen Arbeit überwältigen.
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In den Parteileitungen sind meist nicht die besten und fähigsten Genossen.
Hierfür einige Beispiele: Im Ministerium für Schwermaschinenbau wurden in der HV 5 bei der Auswertung des 25. Plenums gegensätzliche Diskussionen geduldet, ohne sich mit diesen auseinanderzusetzen. Der Parteisekretär der HV LPG nimmt feindlichen Auffassungen gegenüber eine versöhnlerische Haltung ein. In der Abteilung Planung beim Ministerium für Land- und Forstwirtschaft wurde nach zwei Monaten noch nicht das 25. Plenum behandelt und Schlussfolgerungen gezogen. Im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten sind die Mitarbeiter der Meinung, sie haben Partei- (und auch FDJ-) Arbeit nicht nötig, da sie sich den ganzen Tag mit politischen Problemen beschäftigen müssen. Beim Büro des Ministerrates werden in einigen Abteilungen überhaupt keine Versammlungen durchgeführt. So konnte es vorkommen, dass der Parteiorganisator der Kontrollabteilung die Partei belog, Parteigelder unterschlug und seine fachliche Arbeit unter dem Deckmantel der Parteiarbeit vernachlässigte.
Schwerpunkt schlechter Parteiarbeit ist die Zentrale Kommission für staatliche Kontrolle. Dort wurden in der Zeit von elf Monaten nur vier zentrale Parteiversammlungen durchgeführt, in einer Abteilungsorganisation sogar nur eine. Die Leitung des ZKK vertrat die Auffassung, dass ihre fachliche Arbeit ja gesellschaftliche Arbeit sei, Kritik wird abgebogen und Überheblichkeit ist in fast allen Arbeitsgruppen vertreten.
Eine bessere Parteiarbeit wird geleistet im
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Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung;
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Ministerium für Land- und Forstwirtschaft:
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HV Pflanzliche Produktion und HV Tierische Produktion,
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ZVdgB (BHG), Institut für Agrarökonomie,
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HV Forstwirtschaft und HV Wasserwirtschaft.
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HV III des Ministeriums für Schwermaschinenbau.
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b) In den Dienststellen des Staatsapparates, in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden
Die unter a) gegebene Einschätzung trifft auch auf die Bezirke zu. Die Partei ist oft nicht der Motor der gesamten Arbeit, sie wirkt nicht auf die parteilosen Angestellten ein. Die Anleitung durch die Parteileitungen ist mangelhaft. Einige Ausnahmen gibt es in den Kreisen Rudolstadt, Zeulenroda, Stadtroda (Gera), Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt und Halle. Dort werden Aussprachen mit Parteilosen durchgeführt, die diese sehr begrüßen. Dort werden Diskussionen über die ständigen politischen Probleme entfacht und auch die Anleitung der Parteigruppen ist zufriedenstellend.
Einige negative Beispiele
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Im Bezirk Leipzig (Kreise Delitzsch und Geithain) wurden in den Parteiversammlungen die politischen Probleme formal behandelt. Zur Diskussion sprachen nur Funktionäre. Bei den Mitgliedern und Funktionären wird meist alles mit fachlicher Arbeit entschuldigt.
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Die Parteileitung der BPO Döbeln arbeitet nicht kollektiv. Der Sekretär, Genosse Wermann, besitzt nicht die nötige Autorität unter den Genossen und Parteilosen, weil seine fachliche Arbeit ungenügend ist.
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Die BPO beim Rat der Stadt Bernau bekommt von der Kreisleitung der SED Bernau ungenügende Unterstützung, sodass sie sich selbst überlassen sind [sic!]. Dadurch werden die Genossen missmutig und es tritt eine Lethargie ein.
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Der Genosse Korolewski, Parteisekretär beim Rat des Kreises Rostock, und zwei weitere Parteileitungsmitglieder blieben einer Feierstunde anlässlich des 38. Jahrestages der Oktoberrevolution mit der Begründung fern: »Wir haben schon am Abend vorher gefeiert und die Zeit verpasst.« Die Reaktion war, dass sich ein Parteiloser äußerte: »Dann brauchen wir das nächste Mal auch nicht zu kommen.«
II. FDGB
a) In den zentralen Institutionen und Dienststellen des Staatsapparates
Die Arbeit des FDGB bzw. der einzelnen BGL und Betriebsgruppen ist schwach. Vom Vorhandensein einer Gewerkschaft zeugt meist nur die Kassierung. Kommt es in einzelnen Fällen doch zu aktiver Tätigkeit durch die BGL, dann zu formal. Es werden keine fachlich-politischen Probleme behandelt, sondern allgemeine Dinge (Versorgungsinstitut). Das hat mit seine Ursachen in der mangelnden Anleitung der Parteileitungen. Diese oben geschilderte Lage ist z. B. vorhanden im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, VdgB (BHG) und in den meisten anderen Ministerien und Regierungsstellen.
b) In den Dienststellen des Staatsapparates, den Bezirken, Kreisen und Gemeinden
Auch hier trifft die gleiche Einschätzung wie unter a) voll inhaltlich zu. Von einer aktiven Gewerkschaftsarbeit ist nichts oder nur wenig zu bemerken. Es werden höchstens rein wirtschaftliche Fragen wie Prämienverteilung, Ferienplätze, Organisierung von Betriebsfeiern und ähnliche Dinge behandelt. Politische und erzieherische Aufgaben werden durch die Gewerkschaften nur in den seltensten Fällen durchgeführt. Diese Charakterisierung der Gewerkschaftsarbeit liegt übereinstimmend von allen Bezirken vor.
III. FDJ- und andere Massenorganisationen
a) In den zentralen Institutionen und Dienststellen des Staatsapparates
Die FDJ-Arbeit ist in den Ministerien als mittelmäßig zu bezeichnen. Es gibt in einzelnen Ministerien Beispiele, dass die FDJ zwar arbeitet, aber zu formal. In vielen Fällen ist jedoch von einer FDJ-Arbeit wenig zu spüren bzw. es arbeiten nur einzelne Funktionäre. Ein solches Beispiel gibt es in der Stellenplankommission, wo die Jugendlichen der Ansicht sind, wenn sie in der Partei arbeiten, genügt das. Bessere FDJ-Arbeit wird im Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung und im Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf geleistet. Mangelhaft ist die FDJ-Arbeit im Verwaltungsamt, im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Ministerium für Gesundheitswesen, Ministerium für Volksbildung,25 Ministerium für Land- und Forstwirtschaft. Die Ursachen für mangelhafte oder formale FDJ-Arbeit sind in der Unterschätzung seitens der Mitglieder und zum Teil auch der Parteiorganisationen zu suchen, die nicht genügend anleiten und helfen.
Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft tritt so gut wie gar nicht in Erscheinung, lediglich die Kassierung wird durchgeführt. Einen kleineren Aufschwung brachte der Monat der Freundschaft,26 wo Versammlungen durchgeführt wurden.
b) In den Dienststellen des Staatsapparates, in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden
Bis auf wenige Ausnahmen trifft die unter a) gegebene Einschätzung der FDJ-Arbeit auch für die Bezirke und Kreise zu. Im Bezirk Leipzig liegt fast überall die FDJ-Arbeit am Boden, obwohl zum größten Teil FDJ-Gruppen bestehen. Ebenfalls ist in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Suhl, Potsdam und Gera sowie Neubrandenburg die FDJ-Arbeit unbefriedigend. Z. B. weiß beim Rat der Stadt Burg Stargard keiner, wer eigentlich der 1. Sekretär der FDJ ist. Im Bezirk Frankfurt/O. ist insgesamt gesehen eine bessere FDJ-Arbeit zu verzeichnen, doch gibt es auch schlechte Beispiele. In Seelow, Kreis Frankfurt/O.,27 z. B. fand die letzte FDJ-Versammlung im März 1955 statt. Als Ursachen für schlechte Arbeit der FDJ wird übereinstimmend Uninteressiertheit, Unterschätzung seitens der Mitglieder und ungenügende Anleitung – auch durch die Partei – angegeben.
Die übrigen Massenorganisationen spielen in den Dienststellen des Staatsapparates in den Bezirken und Kreisen eine untergeordnete Rolle. So ist von einer Arbeit der DSF außer der Kassierung nichts zu spüren. Lediglich im Freundschaftsmonat wurde sie aktiv, aber mehr propagandamäßig in Form von Versammlungen und Veranstaltungen. Ebenso ist die Arbeit der GST einzuschätzen. In Zusammenhang mit der Arbeit der Massenorganisationen müssen die schon erwähnten Diskussionen gebracht werden, aus denen hervorgeht, dass es unmöglich ist, neben der fachlichen Arbeit noch gesellschaftliche Tätigkeit auszuüben.
IV. Feindtätigkeit
a) Hetze von außen
Hetze gegen die Regierung der DDR, gegen die Partei und die Sowjetunion, besonders unter Kreisen der Angestellten des Staatsapparates, wird vom sogenannten UfJ durchgeführt.28 Diese Agentenzentrale29 gibt in regelmäßiger Reihenfolge ein sogenanntes »Informationsblatt für Staatsfunktionäre«, »Der Umlauf«, heraus, das in Artikeln und Mitteilungen – welche die Angestellten interessieren – versteckte Hetze beinhaltet. Z. B. wird in einem Artikel im Heft Nr. 5/55, der sich mit »Der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten« befasst, erklärt: »Die Angestellten in den Sachgebieten staatliches Eigentum der Kreise müssen deshalb versuchen, diese geringfügige Lockerung im vollen Umfange zu verwirklichen. Wer nicht alles einsetzt, die jetzt gewährte Erleichterung zu verwirklichen, muss damit rechnen, dass er eines Tages von dem rechtmäßigen Eigentümer für alle Schäden, die weiterhin entstehen, verantwortlich gemacht wird.«30 Die Diskussion um Lohnfragen ausnützend heißt es in einer Mitteilung unter der Überschrift: »Volksdemokratischer Ausgleich«: »Im Gegensatz zum bisherigen Stellenplan der Industrie und Handelskammer ist den Bezirksdirektionen und ihren Stellvertretern eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 300 DM zugebilligt worden. Zum Ausgleich wurden die Bezüge für die Angehörigen der unteren Tarifgruppen von der Gruppe IX auf X gesenkt.«31 Nebenstehend wird dann in einem Artikel das »Westdeutsche Wirtschaftswunder« schmackhaft gemacht. U. a. heißt es dort: »Die Lohnsituation in Westdeutschland kann den Vergleich mit dem Ausland ohne Weiteres aushalten. Seit 1950 ist die Entwicklung des Reallohnes in Westdeutschland am höchsten von allen Ländern.«32 Auf diese Art und Weise sollen schwankende Elemente zur Republikflucht verleitet werden.
Von der sogenannten KgU wurden verschiedene Angestellte des Rates des Kreises Langensalza angeschrieben und Angaben über andere Angestellte des Kreises übermittelt, um diese zu diffamieren.33 Von unbekannter Stelle wurde der Abteilung Aufbau beim Magistrat von Groß-Berlin ein Schreiben unter dem Absender »Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« zugesandt, das sich gegen die Richtlinien für die Bildung und Tätigkeit der Wohnungskommissionen richtet und die Begründung der noch vorhandenen Wohnungsknappheit in hetzerischer Form »richtigstellt«.34
b) Hetze durch Angestellte
Ein Beweis, dass ein großer Teil der Angestellten RIAS hört, sind die an den RIAS-Argumenten erkennbaren Diskussionen. (Siehe erster Abschnitt.) In Jüterbog und Treuenbrietzen wurde festgestellt, dass ca. 70 % aller Angestellten des Rates der Stadt und des Kreises RIAS und NWDR hört. Viele machen daraus auch gar keinen Hehl. Z. B. diskutierten fünf Kolleginnen beim Rat des Kreises Luckenwalde, dass die SU »durch ihre sture Haltung für das Scheitern der Genfer Konferenz verantwortlich sei«. Auf die Frage, wieso, wurde geantwortet: »Na, Sie hören doch wohl auch den RIAS oder den NWDR.«
Im zentralen Kontrollinstitut für Veterinär-Impfstoffe35 besteht eine Gruppe, die antidemokratische Hetze durchführt.
c) Andere Feindtätigkeit
Im Vergleich zu anderen Institutionen, Industrie und Wirtschaftszweigen und der übrigen Bevölkerung ist die Feindtätigkeit im Staatsapparat gering. In den Zentralen wie auch örtlichen Institutionen des Staatsapparates wurden keine Schwerpunkte der Feindtätigkeit festgestellt. Das zeigt sich auch darin, dass von allen im Jahr 1955 inhaftierten Personen ca. 5 % Angestellte aus allen Zweigen des Staatsapparates waren. Auch von den zzt. vom MfS in Bearbeitung befindlichen Personen entfallen auf die Angestellten des Staatsapparates ca. 5 %.
Einzelne Fälle von Schädlingstätigkeit sind jedoch bekannt. Z. B. im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, HV Pflanzliche Produktion. Von der HV Tierische Produktion sind in der letzten Zeit einige wichtige Unterlagen wörtlich durch den RIAS bekannt gegeben worden und auch einige Unterlagen verschwunden. Im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten werden Angestellte von nach Westberlin geflüchteten ehemaligen Angestellten angeschrieben, die sie für eine Agententätigkeit anwerben wollen. Im Kreis Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg, hat sich im letzten halben Jahr die Republikflucht verstärkt. Vor allem handelt es sich um jüngere weibliche Angestellte. In mehreren Fällen war eine Abwerbung durch vorher flüchtig gewordene Angestellte zu verzeichnen. Insgesamt wurden aus Kreisen der Angestellten in allen Zweigen des Staatsapparates – ohne Schifffahrt, Kraftverkehr und Eisenbahn – im letzten Vierteljahr 1955 6 780 Angestellte republikflüchtig.