Stimmung und Lage in der Volkspolizei
23. April 1956
Stimmung und Lage in der VP [Information Nr. M94/56]
Stimmung und Lage in der VP
I.a) Stimmung zu politischen Fragen
Die Mehrheit der VP-Angehörigen ist an den politischen Ereignissen sehr interessiert und bezieht zum größten Teil eine positive Stellungnahme. Das kam besonders zur Schaffung der Nationalen Volksarmee zum Ausdruck,1 wo der größte Teil der VP-Angehörigen die Berechtigung und Notwendigkeit einer Nationalen Volksarmee einsieht und diesen Standpunkt durch entsprechende Verpflichtungen beweist. Dem gegenüber stehen unklare und teils auch ablehnende Stimmen, die zwar nur von einer Minderheit bekannt wurden, aber im Vergleich zu anderen bewaffneten Einheiten hin noch am stärksten sind (siehe Berichte zur Volksarmee).2 Auch zum XX. Parteitag wurden in den VP-Einheiten rege Diskussionen geführt,3 aber die wenigsten befassten sich mit den wichtigsten ökonomischen und politischen Problemen, sondern mit der Frage »Stalin«.4 Allgemeines Kennzeichen dieser Diskussionen war Unklarheit und – damit verbunden – oftmals Unverständnis. Sie unterscheiden sich in keiner Wiese von den Diskussionen der übrigen Bevölkerung und sind in allen Bezirken und Einheiten vorhanden gewesen, jetzt aber zurückgegangen.5
In Berlin werden besonders Diskussionen um den Befehl 2/56 ausgelöst (Nichtbetreten des Westsektors von Angehörigen).6 Dabei treten folgende Argumente auf:
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»Wenn nun meine Mutter, mein Bruder oder meine Schwester doch nach Westberlin gehen, werde ich dann bestraft oder aus der VP entlassen?«
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»Ich kann meine Frau nicht anbinden und auch nicht dafür garantieren, ob sie nicht weiterhin rübergeht, aber unterschreiben werde ich trotzdem.«
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»Meine Frau wird weiterhin durch den Westsektor zu unserem Garten fahren.«
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»Die meisten der Genossen haben zwar unterschrieben, sind aber in Wirklichkeit ganz anderer Meinung.«
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»Ich sehe die Notwendigkeit eines solchen Befehls nicht ein, denn ich weiß, dass viele ehemalige VP-Angehörige im Westen arbeiten. Soll man diesen erst einmal verbieten, dort zu arbeiten. Dieser Befehl ist nicht aus Gründen der Wachsamkeit gegeben.«
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»Diesen Befehl haben Leute rausgegeben, die keine Berliner sind und keine Angehörigen in Westberlin haben.« (VP Weißensee)7
Von über 90 Genossen des VP-Reviers 256 in Lichtenberg hatten bis zum 13.4.1956 nur 33 unterschrieben, einige davon noch mit dem Vermerk, dass sie mit dem Befehl nicht einverstanden sind.8
I.b) Fachliche Fragen
Zu rein fachlichen Fragen gibt es verhältnismäßig wenige Diskussionen. Anweisungen und Befehle werden in der Regel immer durchgeführt. Nur in einzelnen Fällen gibt es Verstöße in dieser Richtung, wie beispielsweise in [Bad] Freienwalde, wo sechs Genossen wegen Befehlsverweigerung bestraft werden mussten.9 Unzufriedenheit über verschiedene Maßnahmen treten dagegen schon öfters auf, sind aber in ihren Ursachen meist örtlicher oder persönlicher Natur.10 Oft ist man mit dem jeweiligen Vorgesetzten nicht zufrieden. Eine verbreitete Erscheinung ist, dass das fachliche Wissen unterschiedlich ist und dass meist die älteren Genossen den jüngeren unterlegen sind. Dabei zeigt sich folgende Tendenz: »Hauptsache, wir nehmen an den politischen Schulungen teil, dann ist schon alles gut.« (Magdeburg: Wasserschutz und Autobahn).
Einige Beispiele von Missstimmung
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Die Kraftfahrer der Fahrbereitschaft der BDVP Leipzig sind nicht einverstanden mit der Einrichtung der Zentralwerkstätten in Bützow/Mecklenburg. Sie verlieren dadurch bei Reparaturen drei Tage Zeit.11
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Im VPKA Wolgast traten schlechte Stimmungen über die Kilometer-Normen der Kraftfahrzeuge auf. Diese Norm besagt, dass die Fahrzeuge der VP monatlich nur eine bestimmte Kilometerzahl fahren dürfen und dann stehen bleiben müssen. Dieses wirkt sich negativ auf die Arbeit der Kripo sowie der Verkehrs- und Schutzpolizei aus, da man an diese Normen gebunden ist und bei bestimmten Anlässen nicht losfahren kann, um Maßnahmen einzuleiten.12
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Im VPKA Bergen, [Kreis] Rügen, gibt es besonders Diskussionen über die Bearbeitung von Vorgängen bekannter Täter durch die U-Abteilung.13 Die Genossen der Abteilung K14 sind der Meinung, dass die Untersuchungsabteilung die Bearbeitung der Vorgänge mit bekannten Tätern zu langsam durchführt, wodurch es einigen Verbrechern gelingt, republikflüchtig zu werden und ihrer Strafe zu entgehen. Auch wird darüber diskutiert, dass die Abteilung K mit zuviel kleinen Dingen beschäftigt wird, die von den einzelnen ABV selbst aufgeklärt werden können. Ferner wird darüber geklagt, dass die Genossen der Abteilung K nicht beweglich genug sind und erst nach einem Fahrzeug suchen müssen, wenn eine Tat bekannt wird.15
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Unzufriedenheiten gab es im Kreis Gotha unter vielen ABV, die jetzt im Zuge der Reorganisierung an anderen Orten eingesetzt werden bzw. ausgetauscht werden sollen. So kommt der ABV von Friedrichroda16 nach Waltershausen und umgekehrt der von Waltershausen nach Friedrichroda.17 Hierzu bringt der ABV, Genosse [Name 1], von Friedrichroda zum Ausdruck, dass sich die Arbeit der ABV dadurch verschlechtern würde, da sie an ihrem bisherigen Arbeitsort besseren Kontakt zur Bevölkerung hatten, während sie an ihrer neuen Stelle erst wieder die Verbindung zu den Menschen suchen und herstellen müssen.18
II. Der politisch-moralische Zustand der VP
Die Gesamtstärke der VP, einschließlich Bereitschaften, beträgt ca. 100 000 Mann.19
Davon desertierten im Jahre 1955: 329 Mann20 = 0,33 % (davon 11 Offiziere21 = 3,34 %, 318 Wachtmeister = 96,66 %). Zeitmäßiger Schwerpunkt war das III. Quartal 1955 mit 118 = 36 %. Bezirksmäßig hatte Groß-Berlin mit insgesamt 148 = 45 % den größten Anteil.22 Im I. Quartal 1956 liegt die Zahl der Desertionen mit 62 um 17 höher als im I. Quartal 1955. Die Gründe der Desertionen sind verschiedenartig. In der Hauptsache sind es:
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Beeinflussung durch Angehörige, Klassengegner und andere Personen,
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Interessenlosigkeit am VP-Dienst,
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Furcht vor Strafe,
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Moralische Vergehen.
Diese Begründungen treffen auf 75 bis 80 % aller Desertionen zu.
Andere Verbrechen haben begangen: 1 173 Mann23 = 1,17 % (hier überwiegen Amts- und Eigentumsdelikte sowie Geheimnisverrat).24
Disziplinarbestrafungen wurden ausgesprochen gegen 18 641 Mann25 = 18,5 % (davon 1 892 Offiziere26 = 10,1 % und 16 749 Wachtmeister = 89,9 %). Im IV. Quartal 1955 waren 44 % aller Disziplinar-Vergehen von SED-Mitgliedern und 38 % von FDJ-Mitgliedern begangen.27 Es wurden also insgesamt Verfehlungen von 20 143 Mann = 20 % der Gesamtstärke bekannt.28
Wenn man die Mitgliederzahlen der SED in der VP (einschließlich Kandidaten) mit 59 364 = 59,4 % und Anträge auf Aufnahme in die SED mit 13 950 sowie die nur in der FDJ organisierten in Höhe von 13 554 = 13,5 % diesen Verfehlungen gegenüberstellt, ergibt sich zwangsläufig, dass die Partei- und FDJ-Arbeit innerhalb der VP nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben steht. Darüber können auch »statistische« Vergleiche auf dem Gebiete der Parteiarbeit nicht hinwegtäuschen, die eher beweisen, dass die Parteiarbeit oft formal durchgeführt wird. So werden z. B. im statistischen Jahresbericht für 1955 und in den einzelnen Quartalsberichten der HVDVP zwar fast alle Probleme analysiert, nur die Tätigkeit der Parteigrundorganisationen und Gruppen, deren Versammlungstätigkeit, Erfolge und Mängel werden ungenügend behandelt.29 Es sind allein im IV. Quartal in den einzelnen VP-Dienststellen insgesamt 2 253 Vorträge (politische Zeitprobleme, populärwissenschaftliche und allgemeinbildende Themen, Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft)30 gehalten worden, die von insgesamt 145 091 VP-Angehörigen besucht wurden. Es bestehen 692 Volkskunstgruppen, die zum größten Teil auch arbeiten. Es werden gemeinsame Film- und Theaterbesuche u. a. durchgeführt. Das eigentliche Parteileben aber ist vielfach noch mangelhaft.
Dies hat neben den am Anfang erwähnten Verfehlungen noch diese Erscheinungen zur Folge:
- a)
Die Kritik und Selbstkritik ist sehr mangelhaft entwickelt, leitende Genossen missachten sie oft oder würgen sie ab, sodass den Kritikübenden die Lust vergeht oder ihnen in einzelnen Fällen auch Nachteile entstehen (in allen Bezirken und Kreisen vorhanden).
- b)
Das Verhältnis zwischen Offizieren und Mannschaften ist oft schlecht, entweder kumpelhaft oder überheblich seitens der Offiziere. Viele Offiziere sind nicht bzw. schlechte Vorbilder.
- c)
Neben den schweren disziplinarischen Vergehen gibt es in allen Bezirken fortwährend kleinere Fälle unmoralischen Verhaltens (Trinkereien, Frauen).31
Hierzu einige Beispiele:
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In der VA Waldheim, [Kreis] Döbeln, wird die Parteiarbeit fast ausschließlich von Genossen mit Mannschaftsdienstgraden durchgeführt. Diese Genossen haben das schon des Öfteren kritisiert und den Offizieren vorgeworfen, dass sie mehr Geld bekommen und deshalb auch größere Pflichten haben. Geändert hat sich noch nichts.32
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Zwischen den leitenden Genossen im VPKA Eilenburg besteht keine gute kollektive Zusammenarbeit. Der Amtsleiter lässt sich nicht kritisieren, duldet unmoralisches Verhalten verschiedener Offiziere und Mannschaften. Die Mannschaften haben daher keine Achtung vor den Offizieren.33
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Der Polit-Stellvertreter im VPKA Schmölln lässt keine Kritik zu und hat auch kein gutes Verhältnis zu den Volkspolizisten. Er gibt sehr oft alle möglichen Versprechungen ab, die er nicht hält. Der Parteisekretär setzt sich ihm gegenüber nicht durch und wird von den Genossen »als Schatten des Polit-Stellvertreters« bezeichnet.
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Die Mannschaften in der VP-Bereitschaft Dommitzsch, [Kreis] Torgau, sind unzufrieden mit dem Verhalten der Offiziere. Sie erklären, dass sie nur immer einen guten Dienst durchführen sollen, aber für ihre persönlichen Belange zeigen die Offiziere kein Interesse und kümmern sich nicht um sie.34
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Im VPKA Ribnitz[-Damgarten] ist zu verzeichnen, dass der Leiter der Abteilung S,35 Oberkommissar Schakowski, bei Parteiversammlungen wie auch in der marxistisch-leninistischen Schulung selten anwesend ist, in dem er einige wichtige Arbeiten vorschiebt. Wenn er dann aufgrund dessen kritisiert wird, nutzt er seine Dienststellung aus und schikaniert die Genossen, die an ihm Kritik übten. Hiermit erreicht er, dass die Mannschaften des VPKA sich nicht mehr wagen, den Vorgesetzten zu kritisieren.
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Von einem guten Verhältnis zwischen Offizier und Mannschaften ist im VPKA Ribnitz[-Damgarten] nicht zu sprechen. Die Mannschaften nehmen auch Anstoß daran, dass die dortigen Offiziere sich wiederholt in starkem Maße dem Alkoholgenuss hingeben, wozu der Hauptwachtmeister [Name 2] Folgendes äußerte: »Was wollen die uns schon von Moral predigen, die saufen ja selber.«36
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Im VPKA Stralsund führten die Hauptwachtmeisterin [Name 3] und Oberwachtmeisterin [Name 4] ständig einen unmoralischen Lebenswandel und ließen sich u. a. auch mit einigen Westrückkehrern ein. Beide mussten aus der VP entlassen werden. Weiter gibt es im VPKA Stralsund Fälle, wo verheiratete Genossen ständig mit ledigen Genossinnen in intimen Verhältnissen stehen. Die Grundorganisation der Partei im VPKA hat es nicht verstanden, diese Verhältnisse zu klären. Der Wachtmeister [Name 5], welcher in der Haftanstalt Stralsund tätig ist, ging mit einem ehemaligen Häftling, welcher seine Strafe in Stralsund absaß, trinken und nahm diesen auch mit in seine Wohnung. Solche und ähnliche Beispiele können aus allen Bezirken angeführt werden.37
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Trotz der fast überall regelmäßigen Durchführung des Parteilehrjahres gibt es noch manche ideologische Unklarheiten unter den VP-Angehörigen. So wurde beispielsweise festgestellt, dass im VPKA Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, 102 Angehörige der VP Westverbindungen unterhalten und Westbesuche empfingen. Diese Westverbindungen bzw. Westbesuche traten erst im November 1955 im Wesentlichen in Erscheinung. Durch diese Westverbindungen wurden die Genossen ideologisch beeinflusst und verherrlichen in Diskussionen innerhalb der VP den Westen.38
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Im VPKA Worbis, [Bezirk] Erfurt, haben von fünf infrage kommenden Genossen vier abgelehnt, ihre Kinder zur Jugendweihe gehen zu lassen.39 Vonseiten der Amtsleitung wurde hierzu auch nichts unternommen. Ebenfalls ist im VPKA Waren ein hoher Prozentsatz der VP-Angehörigen sehr eng mit der Kirche verbunden und betrachtet die Aufklärung von Pfarrern als Bespitzelung.40
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In Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt, ist ein großer Teil der VP-Angehörigen noch Mitglied der katholischen Kirche und besucht diese noch. Ein VP-Angehöriger, der schon jahrelang verheiratet ist, hat sich jetzt noch nachträglich kirchlich trauen lassen. Im Kreis Heiligenstadt macht sich bei einigen VP-Angehörigen bemerkbar, dass sie sich westlich orientieren bzw. Schundliteratur lesen. Z. B. besitzen einige VP-Angehörige einen Fernsehapparat und empfangen damit den westdeutschen Sender Hoher Meißner.41
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Im VPKA Seelow, [Bezirk] Frankfurt/O., wird die politisch-ideologische Arbeit nicht planmäßig durchgeführt. Die Ansetzung von Parteiversammlungen erfolgt zu kurzfristig. Der größte Teil der anwesenden Genossen nimmt keine Stellungnahme [sic!] in den Versammlungen ein. Die ABV versuchen sich vor den Parteiversammlungen zu drücken.
III. Feindtätigkeit
Die sogenannte »VP-Beratungsstelle« der KgU42 in Westberlin befasst sich ausschließlich mit Anwerbungen von VP und Spionage auf diesem Gebiet.43 So wurde beispielsweise der ehemalige VP-Hauptwachtmeister [Name 6, Vorname 1] aus Eggersdorf, Kreis Strausberg, zur Spionage angeworben und beauftragt Spionagematerial über das VPKA Strausberg zu liefern. (Befehle, Dienstanweisungen, strukturelle und personelle Veränderungen, Schulungsmaterial, Stärken der Einheiten und Abteilungen, Namen, Dienstgrade und Charakteristiken der Offiziere, Alarm- und Einsatzpläne und das gleiche über MfS, Beschaffung aller Formulare der VP, Blanko-Ausweise und Dienstsiegel.) Außerdem sollte er alle Angaben über KVP, Sowjetarmee, über Kampfgruppen44 und die Sicherheitsabteilung der SED-Kreisleitung berichten. Dabei wurde auch die Ehefrau des [Name 6], [Vorname 2 Name 6], zur Übermittlungs- und Trefftätigkeit mit herangezogen.45
Die gleiche Stelle hat im I. Quartal 1956 den größten Teil aller Abschnittsbevollmächtigten angeschrieben, um – im Stile der üblichen Hetze, Verleumdung und Drohung – zu erreichen, dass der Befehl 45/55 des Chefs der VP46 nicht durchgeführt wird.47 Die ABV werden auf den Absatz des Befehls hingewiesen, wonach verschiedene ABV abgelöst werden sollen, wenn sie nicht die Eignung im Sinne des Befehls besitzen, und aufgefordert: »Halten sie sich nur an rein polizeiliche Aufgaben.« Die ABV erhielten eine Erkennungsnummer und eine Deckanschrift, an die sie Antwort geben sollen.
Am 18.2.1956 erhielt der Volkspolizei Oberwachtmeister [Name 7] vom VPKA Fürstenberg/Oder einen Hetzbrief mit dem Inhalt, dass bei der KgU in Berlin eine Anzeige wegen Spitzeltätigkeit vorliegt. Der Genosse [Name 7] wurde aufgefordert, zur Klärung dieser Angelegenheit mit der KgU in Verbindung zu treten. Er soll der KgU mitteilen, in welcher Form er sich als Spitzel betätigt hat.48 Außerdem werden immer wieder diverse Hetzschriften der Agentenzentralen49 (SPD-Ostbüro,50 FDP-Ostbüro,51 UfJ)52 an VP-Angehörige geschickt.
In der VP-Bereitschaft I in Magdeburg ist zu verzeichnen, dass ein VP-Angehöriger eines Sonderfahrzeuges andere Genossen negativ beeinflusst [hatte] und schon in den Streik treten wollte. Er propagierte, wenn es mal zu einem Einsatz kommen würde, dann sollte man nicht auf Arbeiter schießen. Der 17. Juni habe bewiesen, dass nur Arbeiter auf der Straße waren, die ihr Recht verlangten. (Person wird bearbeitet.)53 In der StVA Magdeburg-Sudenburg54 sind Personen vorhanden, welche mit den Strafgefangenen sympathisieren und ihnen Mut zusprechen, da sie »für eine gerechte Sache« in Haft sitzen. Diese Personen werden ebenfalls bearbeitet.55
Im VPKA Wanzleben wird eine Person bearbeitet, die im Verdacht der Sabotage steht. Es besteht der dringende Verdacht, dass diese Person Klappenschränke der Nachrichtenabteilung etappenmäßig außer Betrieb setzt.56 In zwei Fällen wurden in der letzten Zeit Abwerber festgenommen, die versuchten, VP-Angehörige zur Desertion zu verleiten. Ein Auftrag von einer Agentenzentrale konnte diesen Personen jedoch nicht nachgewiesen werden.57
IV. Konkretes Beispiel über die Lage in der IV. Bereitschaft
Die IV. Bereitschaft (ehemalige I. C.-Bereitschaft) wurde am 15.1.1956 durch Reorganisation neugebildet. Ihre Struktur stimmt mit denen der übrigen Bereitschaften überein. Sie hat eine Ist-Stärke von 757 Mann (Soll-Stärke = 787 Mann)
Das Ergebnis der Reorganisation ist nicht befriedigend. Ca. 50 % der Angehörigen sind Berliner, wovon ein großer Teil starke Bindungen nach Westberlin hat, sodass also Leute, die gestern noch ständig die Westsektoren aufsuchten, heute Dienst an der Sektorengrenze verrichten. Aufgrund der Nachermittlungen in dieser Richtung mussten viele entpflichtet werden, daher die Differenz zwischen Soll- und Ist-Stärke.58 Außerdem sind in der Bereitschaft Bestrebungen vorhanden, in die Republik oder zu den Inspektionen in Berlin versetzt zu werden, hauptsächlich weil über die Ausgangs- und Urlaubsregelung Unzufriedenheit herrscht. Auch die ständigen Veränderungen (besonders Versetzungen und Fluktuation leitender Offiziere) wirken sich nachteilig aus. Gut entwickelte Kader werden von der HVDVP abgezogen und das Niveau der übrigen Offiziere und Unterführer ist im Allgemeinen schwach.59
Die politische Ausbildung (und teilweise auch die fachliche) wird von der Mehrzahl der Wachtmeister schlafend, Brief schreibend und in einzelnen Fällen beim Skatspielen über sich »ergehen« lassen. Dazu trägt nicht selten die Methodik des Unterrichtenden und die für junge Menschen wenig ansprechende Themenstellung bei, die oft ein zu hohes Niveau voraussetzt. Somit bleibt der Politunterricht ohne Massenwirkung. Trotzdem versieht der größte Teil seinen rein fachlichen Dienst zufriedenstellend.60 Zu bedenken gibt auch das moralische Verhalten vieler Bereitschaftsangehörigen, das für den Gegner einen leichten Anknüpfungspunkt darstellt.
Fast alle Angehörigen der Bereitschaft einschließlich Offiziere versuchen, ihre Freizeit außerhalb des Objekts zu verbringen. Sie suchen dann zweifelhafte Gaststätten auf und verkehren mit leichten Mädchen, die dann von Hand zu Hand gehen und bei Ausgangszeit die Unterkunft schon belagern. Das Ziel vieler Angehöriger ist eine WMW (Witwe mit Wohnung). Auch nach dem offiziellen Dienstschluss wird die Freizeit in den Unterkünften mit Skatspiel, Trinkerei und Briefschreiben an Mädchen und Angehörige verbracht. Die verschiedenen formal bestehenden Zirkel (Segelflug-, Foto-, Laienspiel- usw.) haben keinen Zuspruch. Interesse besteht lediglich an Sport- und Kino-Veranstaltungen im Objekt, doch ist es hier so, dass der aktive Sport zzt. vollständig ruht und Kino-Vorstellung nur einmal wöchentlich stattfindet!61 Durch die ungenügende Freizeitgestaltung kommt es oft zu Zank und Schlägerei und nicht selten gewinnen »Radaubrüder« in den Unterkünften, Gruppen und Zügen die Oberhand.
Das Parteileben in der IV. Bereitschaft besteht nur in Anweisungen und Aufgabenstellung der übergeordneten Parteileitungen. Eigeninitiative entwickeln die Grundorganisationen kaum. Der Einfluss der Partei ist gering, zumal die Mitglieder zahlenmäßig wenig und ohne große Erfahrungen sind. Die Tätigkeit der FDJ beschränkt sich zzt. auf Versammlungen, in denen über Disziplinarfälle gesprochen wird.62
Anzeichen feindlicher Tätigkeit, die sich diese Verhältnisse zunutze macht, sind vorhanden und werden operativ bearbeitet. U. A. wurde festgestellt, dass gerade diese Bereitschaft
- 1.
besonders stark mit Briefen der sogenannten VP-Beratungsstelle bedacht wurde,
- 2.
die doppelte Anzahl von Desertionen aufweist, als andere Bereitschaften,
- 3.
Fälle antidemokratischer Tätigkeit zu verzeichnen hat.63
VP-Angehörige dieser Bereitschaft, die sich in der »Bärenschänke« aufhielten, kehrten nicht mehr zu ihrer Einheit zurück.64