Stimmung unter Studenten und Oberschülern
12. Juni 1956
Information Nr. 9/56 – Betrifft: Stimmung unter den Studenten und Oberschülern
Gerichtsmedizinisches Institut und II. medizinische Klinik der Charité Berlin
Unter den Studenten wird immer noch rege über die Feriengestaltung gesprochen. So wurde z. B. im gerichtsmedizinischen Institut und in der II. medizinischen Klinik der Charité Berlin in der Form diskutiert, dass man als Wissenschaftler nicht mehr privat an die See fahren kann. Dabei beruft man sich auf einen Artikel im ND, wo argumentiert wurde, dass man anderen die Plätze wegnehmen würde.1 Prof. Hannemann2 äußerte: »… da spricht man immer von dem Herstellen eines Kontaktes zwischen den Arbeitern und Intelligenzlern, und wenn wir Ihnen nicht die Plätze geben wollen, schimpft man. Wenn wir nicht an die See fahren dürfen, werden eben viele von uns in Urlaub nach dem Westen fahren.« Die gleichen Gespräche treten an der veterinärmedizinischen Fakultät – Anatomisches Institut auf.
Hochschule für Elektrotechnik Ilmenau, [Bezirk] Suhl
In der Hochschule für Elektrotechnik Ilmenau, [Bezirk] Suhl, stellten 70 Studenten Anträge für Westreisen. Bei diesen Studenten handelt es sich um solche, die Eltern oder Verwandte in WD besuchen wollen. Um die Zahl der Westreisen auf ein Mindestmaß herabzudrücken, fand am 7.6.1956 in der Hochschule nochmals eine Sitzung statt, an der folgende Personen teilnahmen: Zwei Vertreter des Prorektorats, der BPO-Sekretär der Hochschule, ein Vertreter der BGL, fünf Vertreter der Kreisleitung der SED, zwei Vertreter der FDJ-Leitung und vier Studenten, die der FDJ-Leitung angehören. Außerdem hatten noch zwei Vertreter der Bezirksleitung der SED ihr Erscheinen zugesagt, die aber nicht zugegen waren. Zwei der anwesenden Studenten haben an der Aussprache in Berlin teilgenommen, wo Dr. Girnus3 vom Ausschuss für Deutsche Einheit4 Richtlinien gab, die bei den Westreisen zu beachten sind.
Die genannten Personen, die an der oben angeführten Sitzung teilnahmen, bildeten sechs Kommissionen, die mit den Studenten individuelle Aussprachen führten mit dem Ziel, von den geplanten Westreisen Abstand zu nehmen. Bei den inzwischen von den einzelnen Kommissionen mit 25 Studenten durchgeführten individuellen Aussprachen haben nur wenige Studenten ihren Antrag auf Westreise zurückgezogen. Die meisten von ihnen beharrten auf ihrem Standpunkt, ihren Urlaub bei ihren Verwandten im Westen zu verbringen. Es wurden nunmehr zwölf Anträge, bei denen zwingende Gründe vorlagen, vonseiten der Hochschule befürwortet. Die anderen wurden abgelehnt.
Karl-Marx-Universität Leipzig
An der Karl-Marx-Universität in Leipzig werden gegenwärtig starke Diskussionen über die Anweisung des Staatssekretärs für Hochschulwesen geführt. Am 14.5.1956 ging dem Dekanat der medizinischen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig die Anweisung zu, dass für die Studenten des 3. und 4. Studienjahres das Berufspraktikum von sechs auf acht Wochen verlängert worden ist. Diese Maßnahme wäre an sich geeignet gewesen, eine positive Stimmung – besonders gegenüber dem Staatssekretariat für Hochschulwesen – hervorzubringen, weil sie den Interessen der Studenten entspricht. Jedoch wurde jetzt damit das Gegenteil erreicht, weil diese Anweisung zu spät kam und bereits alles eingeplant bzw. alle organisatorischen Vorbereitungen in den Krankenhäusern getroffen waren. Weiter ergaben sich Unklarheiten, in welchen Fächern die Verlängerung der Famulatur erfolgen soll.
Aufgrund dieser Anweisung des Staatssekretariats – Verlängerung des Berufspraktikums von sechs auf acht Wochen – wurden auch negative Diskussionen unter den Studenten geführt. So wurde z. B. in der FDJ-Leitungssitzung des 3. Studienjahres am 16.5.1956 darüber gesprochen, dass man die Maßnahmen des Staatssekretariats ablehnen bzw. nicht befolgen müsste. Diese Meinung ist im 3. und 4. Studienjahr weit verbreitet. Andere Studenten erklärten, sie haben sich mit den Krankenhäusern und den verantwortlichen Ärzten in Verbindung gesetzt, wobei ihnen gesagt wurde, dass sie die Studenten zu diesem vorverlegten Termin nicht betreuen könnten. Deshalb will ein Teil der Studenten erst am 15.6.1956 das Berufspraktikum beginnen (also nur 6 Wochen).
Für das 3. Studienjahr ergab sich außerdem noch eine Schwierigkeit, und zwar die Zwischenprüfung im Fach »Gesellschaftliches Grundstudium«5 und im Fach »russische Sprache«. Diese Prüfungen mussten aufgrund des frühen Beginns des Berufspraktikums vorverlegt werden und zwar fanden sie in der Zeit vom 22.5. bis 31.5.1956 statt. Während dieser Zeit war jedoch noch regulärer Vorlesungsbetrieb. Demzufolge nahmen die Studenten nicht an den Vorlesungen teil, da sie sich auf die Prüfungen vorbereiten mussten. Dies wirkte sich so aus, dass an den Vorlesungen, die sonst von fast allen Studenten besucht wurden, nur ein Sechstel der sonst anwesenden Studenten teilnahmen.
Oberschulen im Kreis Hagenow
In den Kreisen der Abiturienten im Kreis Hagenow wird die Meinung vertreten, das Studium hier abzubrechen und das Abitur in Westberlin zu machen, da die Möglichkeit besteht, an den dortigen Hochschulen zum Studium zugelassen zu werden. Zu bemerken ist, dass der dortige Schulleiter es verabsäumte, rechtzeitig die Beurteilungen der Abiturienten zum Weiterstudium an die Universität Greifswald und Rostock zuzuleiten. (Sender »Freies Berlin« vom 21.2.1956 brachte, dass Schüler und Studenten Studienplätze in WD erhalten, ohne vorher ein Notaufnahmeverfahren zu durchlaufen.)6
Ferienlager der Kirche
In der Gemeinde Großschönau, [Kreis] Zittau, führt gegenwärtig die Kirche eine Werbung bei den Schülern der Klasse 8a sowie der Oberschule durch mit dem Ziel, breite Kreise der Jugendlichen für ein Ferienlager a) für Mädchen in Eisenach, b) für Jungen an der Ostsee zu gewinnen. Die Teilnehmergebühr beträgt 30,00 DM. 30 Schüler haben sich angemeldet, jedoch konnte die Zahl verringert werden, da in den Schulen sofort die Agitation einsetzte.