Stimmung von SPD- und DGB-Mitgliedern zum Verbot der KPD (3)
5. September 1956
Information Nr. 185/56 – Betrifft: Stimmung von SPD- und DGB-Funktionären und Mitgliedern zum KPD-Verbot (3. Bericht)
Aus Hessen berichtete ein verantwortlicher Frankfurter SPD-Funktionär, dass sich eine Reihe von SPD-Funktionären sehr über das Verbot der KPD empört hätten und bestrebt seien, ein gutes Verhältnis zu den Funktionären und Mitgliedern der KPD herzustellen, im Gegensatz zu einer ausdrücklichen Anweisung des Parteivorstandes der SPD.1 So habe man beispielsweise dem Lokalredakteur der Frankfurter KPD-Zeitung einen Ausweis als freier Journalist für die Stadt Frankfurt gegeben. Er bekomme alles Pressematerial und werde zu den Pressekonferenzen eingeladen. Der Vorstand des Presseverbandes der Stadt habe erklärt, da kein Berufsverbot für Kommunisten ausgesprochen worden sei, müsse man ihn als freien Journalisten behandeln und unterstützen. Der Vorstand habe einmütig den Beschluss gefasst, eine eventuelle Einsichtnahme in seine Mitgliederlisten durch das Innenministerium zu verweigern.
Weitergehende Aktionen der SPD gegen das Verbot der KPD gäbe es allerdings nicht. Vereinzelt werde zwar die Auffassung geäußert, eines Tages würde Bonn behaupten, alle Kommunisten seien jetzt in die SPD eingetreten und würde deshalb gegen die SPD vorgehen. Man halte aber allgemein die SPD für stark genug, dem zu widerstehen und sehe keine direkten Parallelen zu 1933.
Einige Mitglieder der SPD aus dem Kreis Mellrichstadt sind empört über das KPD-Verbot und brachten zum Ausdruck, dass es genauso wie bei Hitler wieder losgeht. In diesem Sinne äußerten sich auch der Malermeister [Name 1] und der Händler [Vorname Name 2] aus Ostheim/Rhön/Westdeutschland. Sie fügten hinzu, dass nur ein Unterschied zu 1933 besteht, dass es diesmal um die Interessen der Amerikaner gehe, aber ohne sie.
Ein SPD-Funktionär aus Düsseldorf äußerte sein Erstaunen darüber, dass das Verbot der KPD gerade in dieser Stadt keine nennenswerte Resonanz gefunden habe. In allen Unterhaltungen mit SPD- und DGB-Funktionären habe er festgestellt, dass die Bedeutung des Verbots völlig unterschätzt werde. Einige hätten gewisse Bedenken um ihre eigene Zukunft geäußert, die meisten aber fühlten sich ziemlich sicher. In der Bevölkerung bekomme man allgemein nur etwas zum Verbot zu hören, wenn man unbedingt danach frage. Allerdings äußere sich die Mehrzahl dann aus verschiedenen Gründen ablehnend. Allgemein aber werde schon wieder mehr über andere Dinge gesprochen, so beispielsweise über das Problem der sogenannten Halbstarken.2
Ein Schulungsfunktionär der SPD aus München empörte sich über die »dümmliche Freude«, die bei führenden SPD-Funktionären über das Verbot der KPD spürbar geworden sei. Er bezeichnete allerdings auch die Haltung der Mehrheit der Mitgliedschaft der SPD in dieser Frage als stumpf und interessenlos. Diese Mehrheit wolle nicht kämpfen, sie spekuliere nur auf ihren »Anteil am Sozialprodukt«, und der werde ihr ja von der Parteiführung versprochen. Die DDR solle sich auf alle Fälle hüten, das zu verkennen; die KPD habe es weitgehend verkannt. So müsse man wissen, dass 40 Prozent der SPD-Mitglieder in Bayern – und in Baden-Württemberg sogar 70 Prozent – Umsiedler seien mit zum Teil stark ausgeprägten nationalistischen Auffassungen. In der DDR habe man auch die Probestimmung3 auf dem Münchner Parteitag überschätzt.4 Der »Prawda«-Artikel zu diesem Thema sei direkt eine Irreführung gewesen.5 Der Parteivorstand verstehe es eben äußerst geschickt, allen Stimmungen innerhalb der Partei gerecht zu werden. In sekundären Dingen werde eine Opposition geduldet, und das lenke ab.
Die Notwendigkeit einer »vorsichtigen Taktik« in der Frage des KPD-Verbots durch den SPD-Parteivorstand begründete der Westberliner SPD-Betriebsgruppensekretär Borske6 vor Westberliner Betriebsräten. Die SPD dürfe ihrem parlamentarischen Gegner keine Argumente liefern, auch wenn das ihre Erfolge in der Politik der Wiedervereinigung beschränke. Die SPD dürfe den Kommunisten nicht die politische Bedeutung erst geben, die sie jetzt noch nicht hätten. Eine eventuelle SPD-Regierung müsse zudem auch auf die Wähler der CDU Rücksicht nehmen und in den Ost-West-Auseinandersetzungen die gleiche »Vorsicht« walten lassen wie Adenauer. Ein Westberliner SPD-Funktionär meinte, das Verbot der KPD habe ohnehin nur bis zum nächsten Jahr Gültigkeit. Dann werde es eine SPD-Regierung wieder aufheben. An Maßnahmen der Bonner Regierung gegen die SPD glaube er nicht, das könne sie nicht wagen. Ein Westberliner Betriebsratsvorsitzender, Mitglied der SPD, vertrat die Meinung, man hätte »die paar Figuren« ruhig schalten und walten lassen sollen. Man hätte sie dann viel besser beobachten können.
Der Westberliner SPD-Funktionär Dr. Werner Stein,7 Mitglied des Abgeordnetenhauses, riet angesichts der zustimmenden Haltung, die von einigen Westberliner SPD-Funktionären zum Verbot der KPD eingenommen wird, zu allergrößter Vorsicht. Die Entwicklung in der Bundesrepublik sei keineswegs so, dass ein Verbot der KPD auf die Dauer ohne Folgen für die anderen Parteien bleiben könnte. Tatsächlich seien heute in der Bundesrepublik schon wieder Kräfte am Werk, die unmittelbar an die Vergangenheit anknüpfen möchten und es gäbe bereits Stimmen, die auf Verbindungen zwischen SPD und KPD hinweisen, da ja schließlich beides Arbeiterparteien seien, die ihre Wurzeln im Marxismus hätten. Das seien zwar jetzt noch einzelne Meinungen in der Regierung nahestehenden Kreisen; aber immerhin liege darin eine Gefahr für die SPD. Deshalb müsse die SPD die kommende Entwicklung sehr aufmerksam verfolgen. Er, Stein, weise in diesem Zusammenhang auf die Bestrebungen der Bundesregierung hin, den Wahlmodus für die Bundesverfassungsrichter zu ihren Gunsten zu ändern. Sollten sich diese Bestrebungen verwirklichen, bestehe durchaus die Möglichkeit, auch die SPD einmal vor den Karlsruher Gerichtshof zu zitieren. Ähnlich äußerte sich der SPD-Oberbürgermeister von Remscheid Walter Frey.8 Er erklärte: »Das, was wir der DDR bisher voraushatten, nämlich die politische Freiheit, haben wir durch den Karlsruher Urteilsspruch verloren. Das ist gefährlich für die Weiterentwicklung der Demokratie.«
Zustimmend zum Verbot der KPD äußerte sich das Mitglied des Westberliner SPD-Landesvorstandes Maria Reuber.9 Das Argument, durch das Verbot der KPD werde die Wiedervereinigung unmöglich gemacht, kaufe dem Osten kein vernünftig denkender Mensch ab. Wenn es die Sowjetunion für richtig halte, Deutschland wiederzuvereinigen, spiele es keine Rolle, ob die KPD verboten sei oder nicht. Schließlich sei sie ja eine Partei, die nicht einmal die 5%-Klausel hätte überwinden können, die in den sieben Jahren seit Bestehen der Bundesrepublik immer bedeutungsloser geworden wäre. Im Übrigen sei die KPD an ihrem Verbot selbst schuld. Sie hätte die ständigen Provokationen der demokratischen Grundordnung in der Bundesrepublik unterlassen sollen.
Die gleiche Meinung brachte der Westberliner SPD-Senatsdirektor für Justiz Dr. Werner Kauffmann10 zum Ausdruck. In Karlsruhe sei ein Meisterprozess geführt worden, der den Unterschied in der Rechtsprechung in Ost und West deutlich gemacht hätte. In aller Öffentlichkeit seien alle Argumente für und wider ein Verbot der KPD diskutiert worden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei klar und verständlich. Für die SPD ergäben sich keine Konsequenzen daraus. Die Behauptungen, auch sie sei nun bedroht, wären völlig aus der Luft gegriffen. Ein zweites 1933 gäbe es in Deutschland nicht mehr.
Etwas anders ist die Stimmung im DGB. Hier hegt man besonders in mittleren Funktionärskreisen starke Bedenken und fürchtet einen eventuellen Angriff Adenauers auf die Gewerkschaften.11
Auf einer Vorstandssitzung der IG Textil und Bekleidung in Bielefeld sprachen sich die anwesenden DGB-Funktionäre einstimmig gegen das Verbot der KPD aus. Der 1. Vorsitzende der IG in Bielefeld bezeichnete es als eine Schande für die Gewerkschaftsbewegung, dass sie auf das Verbot der KPD nicht mit einem Streik reagiert habe. Die Funktionäre lehnten es ab, sich an Aktionen gegen kommunistische Kollegen zu beteiligen und fassten einstimmig den Beschluss, Beamten des Verfassungsschutzamtes, die unter der Bezeichnung »K 13« in den Betrieben auftauchen und bei den Betriebsräten Erkundigungen über Kommunisten oder Sympathisierende einholen, keine Auskunft zu erteilen.
Auf der letzten Landesvorstandssitzung des Westberliner DGB kam es zwischen einigen DGB-Funktionären und dem Landesvorsitzenden Scharnowski12 zu Auseinandersetzungen über das Verbot der KPD. Der ÖTV-Funktionär Behre13 verlangte für eine nächste Landesvorstandssitzung eine Diskussion über die faschistischen Umtriebe in der Westberliner Bereitschaftspolizei und vertrat dabei unter Hinweis auf das Verbot der KPD die Auffassung, dass die faschistischen Kräfte immer stärker würden, weil man gegen die linken Kreise zu scharf vorgehe. Scharnowski empörte sich über diese Auffassung und warnte alle Anwesenden davor, die KPD in der Öffentlichkeit in Schutz zu nehmen. Der DGB müsse schweigen, wenn gegen die Kommunisten etwas unternommen würde. Diese erregt vorgebrachte Äußerung von Scharnowski wurde von einigen Funktionären mit dem Bemerken zurückgewiesen, dass er kein Recht dazu habe, politisch anders Denkende anzuschreien. Die letzte Ortsvorstandssitzung der Westberliner IG Metall hat zu diesem Vorfall eine offizielle Stellungnahme angekündigt.
Ein Schulungsreferent des DGB aus München, Mitglied der SPD, berichtete, er habe im Zusammenhang mit dem Verbot der KPD verschiedentlich von einer beabsichtigten Verschärfung der Kontrolle an der Zonengrenze von westdeutscher Seite aus gehört. Vor allem rechne er mit Sicherheit damit, dass das Kaiserministerium14 dem Literaturaustausch mit der DDR einschränken wolle. Die treibende Kraft hinter diesen Bestrebungen sei besonders der Staatssekretär Thedieck.15 Die DDR müsse neue Methoden für die bisher schon gute Zusammenarbeit auf diesem Gebiete finden.
Ein Westberliner DAG-Funktionär wies in einem Gespräch darauf hin, dass die KPD nur, was Europa betreffe, in rein faschistischen Staaten verboten sei, und die Bundesrepublik hätte sich jetzt in eine gefährliche Nähe dieser Staaten manövriert. Die Bundesregierung hätte die Verfassungsklage gegen die KPD zurückziehen sollen. Auf die Dauer lasse sich das Verbot sowieso nicht aufrechterhalten, oder man müsse bestimmte Nachfolgeorganisationen erlauben. In der SPD werde jetzt so »Manches« untertauchen. Westberlin werde wohl die neue Zentrale der illegalen KPD werden.