Stimmung zu Lohnfragen (1)
20. März 1956
Stimmung zu Lohnfragen [1. Bericht] [Information Nr. M59/56]
In letzter Zeit wurden aus einigen VEB wiederholt negative Diskussionen und Unzufriedenheiten unter den Beschäftigten zu Lohnfragen bekannt, die im Einzelnen auf Folgendes zurückzuführen sind:
1.) Zu niedrige Löhne
Zu negativen Diskussionen und Unzufriedenheit über Lohnfragen kam es besonders unter den Beschäftigten unterer Lohngruppen sowie unter Angestellten. Diese vertreten die Meinung, dass ihre Löhne im Verhältnis zu ihren Leistungen und zu den gegenwärtigen Preisen zu niedrig sind. So vertreten ausschließlich1 alle Arbeiter im VEB Ziegelei Lobenstein, [Bezirk] Gera, die Meinung, dass die Löhne bis 320 DM brutto im Monat für diese Arbeit zu niedrig seien.
Im Bezirk Rostock sind die Lotsen im gesamten Küstengebiet unzufrieden über ihre Ent-lohnung. Die Lotsen hatten bereits 1955 eine Erhöhung ihrer Löhne beantragt. Diese Lohnforderung wurde jedoch von der HV Schifffahrt mit dem Hinweis auf den abgeschlossenen Haushaltsplan für 1955 abgelehnt und eine Lohnerhöhung für 1956 versprochen. Diese Lohnerhöhung ist auch für 1956 wieder abgelehnt. Aufgrund dessen, dass die Lotsen in Westdeutschland besser bezahlt werden, sind 1955 schon zwei Lotsen republikflüchtig geworden. Außerdem liegen bereits Anzeichen vor, dass noch weitere Lotsen ihre Arbeit wechseln werden und der Nachwuchs gefährdet ist.
In der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, sind die kaufmännischen Angestellten nicht einverstanden damit, dass die I-Gruppen2 erhöht wurden und ihre Gehälter in der bisherigen Höhe bestehen bleiben. Im Braunkohlenwerk Bruckdorf, [Bezirk] Halle, sind 60 % der Arbeiter, besonders der Brikettfabrik, mit ihrem Lohn nicht zufrieden. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie trotz Mehrarbeit weniger verdienen als sonst. Ähnlich ist die Stimmung im VEB Kammgarnspinnerei Bad Liebenstein, Gera.3 Im Kreisverband der Konsumgenossenschaft Riesa sind die Lagerarbeiter mit ihrem Verdienst von 1,20 DM die Stunde nicht einverstanden.
2.) Unterschiedliche Lohngruppen und falsche Anwendung der Lohntarife
Eine weitere Ursache zur Unzufriedenheit bei Lohnfragen sind unterschiedliche bestehende Lohngruppen und falsche Anwendung der Lohntarife sowie Nichtauszahlung von Überverdienstsummen.
In der Filmfabrik Wolfen besteht Unzufriedenheit darüber, dass bei den Kraftfahrern unterschiedliche Lohngruppen gezahlt werden. Die Kraftfahrer werden nach den Lohngruppen IV, V und VI bezahlt.4 Aufgrund dessen werden Diskussionen geführt, wie: »Es werden nur die Fahrer gut bezahlt, welche die führenden Leute unseres Werkes fahren, alle anderen aber hinken hinterher.« Im Betriebsteil »Wofagan« sind die Arbeiter nicht damit einverstanden, dass von den 73 % Überverdienst des Monats Februar nur 45 % an sie ausgezahlt werden sollen.
In der Abteilung Tiefbau des VEB Tiefbau Pirkau, [Kreis] Höhenmölsen, herrscht unter den Kumpels deswegen schlechte Stimmung, weil aufgrund des neuen BKV ein Teil der Arbeiter, welcher bisher im Leistungslohn stand, aus diesem herausgenommen und in ein Prämiensystem einbezogen werden soll. Dadurch würden sie monatlich 50,00 DM weniger Lohn erhalten. Im Hydrierwerk Zeitz, [Bezirk] Halle, ruft die Nichtbezahlung der Erschwerniszulage eine negative Stimmung unter einem Teil der Belegschaft hervor. Den Arbeitern ist es unerklärlich, dass bis 31.12.1955 die Erschwerniszulage gezahlt wurde und dass ihnen im Jahre 1956 dieses Geld wieder entzogen werden soll. Im VEB Kraftverkehr Eibau, [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden, besteht unter den Kraftfahrern eine große Missstimmung über die ungerechte Entlohnung im Verhältnis zu den Kraftfahrern des Kraftverkehrs Zittau und Bautzen. Die unterschiedliche Lohnzahlung hat ihre Ursache in dem unterschiedlichen Ortsklassensystem.5 Unter den Kraftfahrern des Kraftverkehrs Eibau besteht jetzt die Meinung, dass sie kündigen wollen, um in Zittau die Arbeit aufzunehmen. Im VEB Kammgarnspinnerei Eisenach, Abteilung Vorbereitung, kam es am 6.3.1956 von 22 bis 22.30 Uhr zu einer Arbeitsniederlegung. Die Ursache dafür war Folgende: Durch die Kälteeinwirkungen und den damit verbundenen Energieschwierigkeiten wurde die Tagesschicht in eine Nachtschicht verlegt. Bedingt dadurch stand den Arbeitern dieser Abteilung der gesetzmäßige Nachtschichtzuschlag zu, welcher jedoch vom Betrieb nicht gezahlt wurde. Erst nachdem den Arbeitern die Zusage der Auszahlung des Zuschlages gegeben wurde, nahmen sie die Arbeit wieder auf.
Der VEB »7. Oktober« Berlin6 sah sich gezwungen, um die Schwierigkeiten in der personellen Besetzung der Heizer zu überwinden, übertarifliche Löhne zu zahlen, da andere Betriebe, wie das Gummiwerk Berlin-Weißensee und der VEB Isokond, sich nicht an die gesetzlichen Regelungen hielten und den Heizern übertarifliche Löhne [von] bis zu 3,00 DM die Stunde zahlten. Es bestand deshalb die Gefahr der Fluktuation von Heizern für den Betrieb. Ähnlich wie das Gummiwerk Weißensee handelt das Werk für Signal- und Sicherungstechnik Berlin, das den zusätzlich eingestellten Drehern Löhne bis 1 000 DM monatlich zahlt, sodass auch hier die Gefahr der Fluktuation von Arbeitskräften aus anderen Betrieben besteht.