Stimmung zu Lohnfragen (2)
9. April 1956
Stimmung zu Lohnfragen [2. Bericht] [Information Nr. M82/56]
Die Werktätigen einer Reihe Betriebe befassen sich in ihren Diskussionen über wirtschaftliche und betriebliche Belange wiederholt mit Lohnfragen. Dabei kommt es u. a. zu negativen bzw. unzufriedenen Stimmen über Folgendes:
- 1.)
Zu niedrige Entlohnung und
- 2.)
Neureglung bzw. Änderung im Lohngefüge
1.) Zu niedrige Entlohnung
Unter einem Teil der Beschäftigten der verschiedensten Industriezweige wird die Meinung vertreten, dass ihre Entlohnung zu niedrig sei. Sie bringen ihren Unwillen darüber entweder in negativen Diskussionen zum Ausdruck oder es wird vereinzelt eine bessere Bezahlung als Forderung erhoben. Z. B. sind die Arbeiter des VEB Brauerei Jena, [Bezirk] Gera, die einen Stundenlohn von 1,12 DM bis 1,20 DM erhalten, darüber unzufrieden. In einer Gewerkschaftsversammlung kam es diesbezüglich zu heftigen Diskussionen. Ein parteiloser Arbeiter stellte dabei mit Unterstützung vieler Kollegen die Frage, warum sie denn nicht auch streiken könnten. Einige Kollegen vertraten die Meinung, dass unserer Regierung 30 Millionen DM zur Erhöhung der Löhne in der Leichtindustrie fehlen würden. Andererseits schicke man aber nach befreundeten Ländern, wie Korea und Vietnam, Geldspenden in Höhe von 40 Millionen DM. Außerdem wurde in diesem Zusammenhang erklärt, dass bei uns das Mitbestimmungsrecht nur auf dem Papier stünde.
Unter den Arbeitern in der Abteilung Werkzeugbau des VEB IKA Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, herrscht große Unzufriedenheit darüber, dass der neue Lohngruppenkatalog nicht herausgegeben wird, obwohl seit ca. fünf Jahren davon gesprochen würde. Die Arbeiter vertreten die Auffassung, dass es eine große Ungerechtigkeit sei, wenn in anderen Kreisen, wie z. B. in Aue und Schwarzenberg, höhere Löhne als in Annaberg gezahlt werden. Die Arbeiter sind der Meinung, dass ihre Forderungen vom FDGB nicht weitergegeben werden.
Unzufrieden über ihre Entlohnung sind auch die westdeutschen Arbeiter, die im VEB Schiefergruben Lehesten, [Bezirk] Gera, beschäftigt sind. Sie sind der Meinung, dass sie mit dem Westgeld, welches sie bei uns erhalten, nicht mehr auskommen und dass die Löhne der Lohnstufe III1 unter den Löhnen in Westdeutschland liegen. Aus dem Grunde erheben sie die Forderung nach höherer Entlohnung. Falls ihren Forderungen nicht stattgegeben wird, wollen sie ihr Arbeitsverhältnis in der DDR lösen. Von westlicher Seite wurde ihnen bereits versprochen, dass sie sofort, und nicht wie üblich erst nach sechs Wochen, Arbeitslosenunterstützung erhalten sollen.
Des Weiteren klagen die kaufmännischen Angestellten aus dem VEB Martin-Hoop-Werk Zwickau sowie die Arbeiter der Bauabteilung des Wismutobjektes 177 – Aue – über ihre zu niedrige Bezahlung.
2.) Neureglung bzw. Änderungen im Lohngefüge
Neben der Unzufriedenheit über zu niedrige Entlohnung gibt es noch andere Gründe, die zur Verärgerung der Beschäftigten führen, was nachstehende Beispiele beweisen.
Die Abteilung Arbeit im Fischkombinat Saßnitz, [Kreis] Rügen, geht administrativ dazu über, den Schichtfahrern in der Eisfabrik, in der Fischhalle und im Betriebsschutz keinen 50%igen Sonntagszuschlag zu zahlen. Dies erfolgt ohne vorherige Begründung durch die Partei und Gewerkschaft. Dadurch ist unter den Arbeitern eine negative Stimmung entstanden. Besonders die Angehörigen des Betriebsschutzes drohen damit, aus der Gewerkschaft auszutreten, und wenn sie der Betrieb oder der FDGB nicht unterstützt, wollen sie kündigen. Hierzu ist zu bemerken, dass schon einmal eine Änderung in der Zahlung der 50%igen Zulage erfolgte, was jedoch vom Zentralvorstand rückgängig gemacht wurde.
Im VEB IFA-Werk Gera2 wurde in der Lohnauszahlung eine Neureglung getroffen, indem nicht mehr wie bisher alle acht Tage, sondern alle zehn Tage die Entlohnung erfolgt. Die Arbeiter erklären in ihren Diskussionen, dass sie damit nicht einverstanden sind und »lieber auf die Straße gehen, als dies mitzumachen«. Im VEB Magnesitwerk Aken, [Bezirk] Halle, sind die Arbeiter aus dem gleichen Grunde verärgert.
Aufgrund von Produktionsumstellungen wird in der Fabrik 95 – Freital – (Wismut) seit August 1955 im Durchschnittslohn gearbeitet. Zur Errechnung des Durchschnittslohnes wurde ein Verdienst von drei Monaten als Grundlage genommen. Die Arbeiter sind nicht damit einverstanden, dass gerade die Monate zur Grundlage genommen worden sind, wo die Planerfüllung schlecht und demzufolge die Entlohnung niedrig war. Die Arbeiter der Zeche V wollen deshalb an die Regierung schreiben, da sie die Partei nicht unterstützen würde.