Stimmung zu Lohnfragen (3)
18. Mai 1956
Stimmung zu Lohnfragen (3. Bericht) [Information Nr. M105/56]
Im stärkeren Maße wurden unter den Beschäftigten einer Reihe Industrie- und Verkehrsbetriebe sowie im Post- und Krankenwesen Diskussionen über Lohnfragen bekannt. Dabei kommt es zu Unzufriedenheit und Missstimmung über Folgendes:
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Zu niedrige Entlohnung,
- 2.)
Änderung im Lohngefüge,
- 3.)
Unterschiedliche Lohnzahlung.
1.) Zu niedrige Entlohnung
Am meisten im Vordergrund der Diskussionen steht die Meinung eines Teiles der Beschäftigten in den verschiedensten Industriezweigen sowie im Krankenwesen, dass ihre Entlohnung zu niedrig sei. Indem Vergleiche zu anderen Industriezweigen gezogen werden, bringen sie ihren Unwillen darüber in unzufriedenen oder negativen Diskussionen zum Ausdruck. Vereinzelt wurden auch Forderungen auf bessere Bezahlung erhoben.
Im VEB Porzellanfabrik Stadtlengsfeld, [Bezirk] Suhl, ist ein Teil der Facharbeiter missgestimmt darüber, dass Hilfsarbeiter, welche das Füllen und Leeren der Öfen vornehmen, bedeutend höher entlohnt werden als Facharbeiter mit abgeschlossener Lehrzeit und Prüfung. Zwei Porzellandreher haben aus diesem Grunde in dem vergangenen Monat bereits gekündigt.
Im VEB Werkzeug- und Besteckfabriken Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, sind die Beschäftigten der Abteilung Bohrerfeilerei über ihre Löhne unzufrieden. Am 27.4.1956 verfassten 26 Arbeiter dieser Abteilung einen Bericht mit der Forderung auf Lohnaufbesserung und übergaben diesen dem BPO-Sekretär.
In der Kurverwaltung Bad Liebenstein, [Bezirk] Suhl, liegen seit dem 15.4.1956 bereits elf Kündigungen vor. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Krankenschwestern und Köchinnen, die mit der geringen Bezahlung nicht einverstanden sind.
Unzufriedenheiten über Lohnfragen wurden auch unter Postangestellten in Güterglück, [Bezirk] Magdeburg, bekannt. Die Angestellten äußerten, dass in Zukunft bei der Post ein Mangel an Arbeitskräften eintreten wird, da alle jüngeren Angestellten in die Industrie gehen. Es sei zum Beispiel unmöglich, dass ein Zusteller der Deutschen Post in Gehaltsgruppe 41 und Ortsklasse E2 mit einem Verdienst von 250 DM netto auskommen kann. Bisher wären seitens der IG Post- und Fernmeldewesen nur Versprechungen betreffs Erhöhung der Gehälter gemacht wurden.
Gleichartige und ähnliche Diskussionen wurden bekannt aus folgenden VE-Betrieben und Berufsgruppen:
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Schmalkaldener Kranbau, technische Angestellte und Betriebsschutz;
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Simson-Werk Suhl, Betriebsambulatorium, Krankenschwestern;
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Kabelwerk Vacha, [Bezirk] Suhl, Meister;
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Kaliwerk Unterbreizbach, [Bezirk] Suhl, Meister;
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Glaswerk Ilmenau, Angestellte;
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BKW des Reviers Borna, [Bezirk] Leipzig, Arbeiter und Betriebsschutz;
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Verkehrsbetriebe Dresden, Schaffner;
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Midemo Magdeburg,3 Monteure;
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Karl-Marx-Werk Magdeburg, Former;
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ABUS-Werke Schwerin, Betriebsschutz;
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Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, technische Intelligenz;
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Leuna-Werke »Walter Ulbricht«, Arbeiter;
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Kreisbaubetrieb Potsdam-Land, Bauarbeiter;
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Werk für Fernmeldewesen Berlin, Arbeiter;
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Fotochemische Werke Berlin, Transportarbeiter;
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IFA-Kfz-Zubehör Gera, Angestellte;
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Kraftverkehr Gera, Busfahrer;
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Pumpenwerk Neuhaus, [Bezirk] Frankfurt/O., Wasserbauarbeiter.
2.) Änderungen im Lohngefüge
Neben der niedrigen Entlohnung führen auch vorgenommene Änderungen im Lohngefüge zu Unzufriedenheiten und Missstimmungen unter den Beschäftigten verschiedener Industriezweige. Folgende Beispiele dazu wurden bekannt:
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In der Elektro-Abteilung des Eisenhüttenkombinats »J. W. Stalin« führt die Anweisung, keinen Leistungsdurchschnittslohn mehr zu zahlen, wenn keine technisch begründeten Normen vorhanden sind,4 zur Missstimmung unter den dortigen Beschäftigten. Wenn sich diese Anweisung ungünstig auf den Lohn auswirkt, wollen die Arbeiter kündigen.
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Im Bw Buchholz-Süd, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind die Entladearbeiter nicht damit einverstanden, dass für das freiwillige Entladen der Kohlenwaggons die Zuschläge für den Nachtdienst an Sonn- und Feiertagen in Wegfall kommen sollen. Dadurch ist die fristgemäße Entladung der Waggons gefährdet.
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Im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, sind die Brigadiere nicht damit einverstanden, dass sie ab 1.4.1956 als Meister eingesetzt werden sollen, da sie dann nur noch 720 DM gegenüber ca. 1 300 DM ihres jetzigen Monatsverdienstes erhalten würden.
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Im VEB Travertinwerk5 Langensalza, [Bezirk] Erfurt, sind die Steinmetze unzufrieden darüber, dass ihnen von ihrem Stundenlohn 0,10 DM abgezogen wurden, die sie bisher als Staubzulage erhielten. Außerdem äußerten sie, dass sie bei dem ehemaligen Privatbesitzer mehr Lohn verdient hätten.
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Im BKW Zeitz, [Bezirk] Halle, sind die Arbeiter unzufrieden darüber, dass aufgrund der gegenwärtig schlechten Planerfüllung kein Leistungslohn gezahlt wird, wodurch sie monatlich 50,00 DM weniger verdienen.
3.) Unterschiedliche Lohnzahlung
Bei den Diskussionen über die unterschiedliche Lohnzahlung kommt es zur Unzufriedenheit hauptsächlich über das bestehende Ortsklassensystem sowie über Unterschiede in der Lohnzahlung gleichartiger Betriebe. Häufig kommt es dabei auch zu Kündigungen der Arbeitsverhältnisse. Dazu folgende Beispiele:
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Im Kreisbauhof Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, haben zum 15.4.1956 über 40 Arbeiter ihr Arbeitsverhältnis gekündigt. In ihrem Kündigungsschreiben geben sie an, dass ihnen seit 1954 versprochen wurde, sie sollen die Ortsklasse C bekommen, wobei es jedoch geblieben wäre. Weiter bringen sie darin zum Ausdruck, dass nur 16 km weiter die Arbeiter der Bauunion sogar die Ortsklasse A bekommen und sie nicht die Absicht haben, den Arbeiter- und Bauernstaat zu sabotieren, ihr Brot jedoch genau so viel kosten würde wie in Berlin. Die Ursache der Massenkündigung liegt in der Hauptsache darin, dass die Kreisbaubetriebe im Kreis Bad Salzungen durch eine Ausnahmegenehmigung die Ortsklasse C bekommen.
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In der Zuckerfabrik Brottewitz, [Bezirk] Cottbus, tritt in Erscheinung, dass sehr viele Arbeiter ihr Arbeitsverhältnis lösen und zur MTS gehen. Die Ursache dafür ist das bestehende Ortsklassensystem. So ist z. B. die Gemeinde Martinskirchen Ortsklasse 2 und Brottewitz nur Ortsklasse 3.6 Die Kaderabteilung der Zuckerfabrik äußert bereits Befürchtungen dahingehend, dass in Kürze im Betrieb keine Arbeiter mehr vorhanden sein werden, da sie nach und nach kündigen.
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Im Ernst-Thälmann-Werk Magdeburg herrscht unter den Beschäftigten der Stahlgießerei große Unzufriedenheit darüber, da sie nach Einsicht in die Einstufungsliste festgestellt hatten, dass sie in eine höhere Lohngruppe eingestuft sind, jedoch nicht das Geld dafür erhalten. Sie stellten Forderung auf Nachzahlung des Geldes.
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Auf einer Aktivtagung des Entwurfsbüros Hochbau II Berlin wurde zu der Frage der Abwanderung qualifizierter Bauingenieure in die Projektierungsbüros der Grundstoffindustrie Stellung genommen. Von den Teilnehmern der Tagung wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die höheren Gehaltsgruppen in den Entwurfsbüros der Grundstoffindustrie einen starken Anreiz auf die Bauingenieure ausüben.
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Im Werk für Fernmeldewesen Berlin, Konstruktionsabteilung, haben in einem Zeitraum von ca. acht Wochen drei Konstrukteure und acht Zeichnerinnen gekündigt und die Arbeit bei Betrieben aufgenommen, deren Tarife günstiger liegen. In der Hauptsache kommt dabei der VEB EAW »J. W. Stalin« infrage. Von den Funktionären wird die Auffassung vertreten, dass eine Änderung der Lohnverhältnisse in diesen beiden Betrieben unbedingt herbeigeführt werden muss, um die bestehenden Schwierigkeiten zu beseitigen.
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Im Hydrierwerk Zeitz, [Bezirk] Halle, besteht ein Lohnunterschied unter den Rangierern, indem sie nach den Tarifen der IG Chemie bezahlt werden, obwohl sie nichts mit Chemie zu tun haben und nur eine Arbeit der Reichsbahn verrichten. Da die Rangierer der Reichsbahn höher entlohnt werden, sind mehrere Rangierer bereits zur Reichsbahn übergegangen, sodass ein Arbeitskräftemangel eingetreten ist.