Stimmung zu Lohnfragen (4)
7. Juni 1956
Stimmung zu Lohnfragen (4. Bericht) [Information Nr. M123/56]
In der Zeit vom 18.5.1956 bis 31.5.1956 wurden wieder in stärkerem Maße Diskussionen über Lohnfragen geführt. Vorwiegend wurden diese Diskussionen und Unzufriedenheiten unter Arbeitern der verschiedensten Industrie- und Verkehrsbetriebe bekannt, vereinzelt auch unter Angestellten dieser Betriebe sowie örtlicher Verwaltungen. Hervorgerufen wurden diese Erscheinungen wiederum durch Folgendes:
- 1.)
Zu niedrige Entlohnung,
- 2.)
Unterschiedliche Lohnzahlung,
- 3.)
Änderung im Lohngefüge.
Dabei sind Diskussionen und Unzufriedenheiten über letztere beiden Fragen in ihrer Mehrzahl auf falsche administrative Maßnahmen in den Betrieben zurückzuführen.
1.) Zu niedrige Entlohnung
Diskussionen, in denen die Meinung vertreten wird, dass die Entlohnung zu niedrig sei, wurden nur unter Arbeitern bekannt. Diese Meinung wird in den verschiedensten Industrie- und Verkehrsbetrieben vertreten. Dabei werden immer wieder Vergleiche gegenüber anderen Industriebetrieben sowie zu den Löhnen in Westdeutschland gezogen. Vereinzelt wurde dazu auch Kündigung der Arbeitsverhältnisse angedroht.
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Die Arbeiter der Baustelle 543, Flugplatzbau in Cochstedt, [Kreis] Aschersleben, [Bezirk] Halle, vertreten die Meinung, dass der Lohn von 1,03 DM Zeitlohn und 1,18 [DM] Leistungslohn ein Hungerlohn ist, womit man keine Familie ernähren könnte. Einige Arbeiter wollen deshalb ihr Arbeitsverhältnis kündigen.
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Im Kaliwerk Deutschland in Teutschenthal, [Bezirk] Halle, haben einige Bergarbeiter der Lohngruppen I–IV1 die Absicht, aufgrund des geringen Verdienstes nach dem Bergmannstag2 und Erhalt der Prämien den Betrieb zu verlassen.
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Im VEB (K) Straßen- und Überlandbahn Halle sind die Schaffner und das Fahrpersonal unzufrieden über den Stundenlohn von 1,12 DM und die erfolgte Urlaubskürzung. Sie erklären, dass sie sonn- und wochentags arbeiten müssten, um überhaupt etwas zu verdienen, während die Straßenbahner in Westdeutschland und Westberlin 1,60 DM verdienen würden. Ähnlich ist die Stimmung in den volkseigenen Kraftverkehrsbetrieben in Gera, Jena und Rudolstadt. Hier ist eine wachsende Unzufriedenheit unter den Kraftfahrern vorhanden. Sie wollen besser entlohnt werden und führen zum Vergleich an, dass in Westdeutschland die Kraftfahrer Löhne in Höhe von 3,50 bis 4,00 DM erhalten würden. Auch in der Druckerei der »Volkswacht« in Gera häufen sich – besonders unter den Buch- und Offsetdruckern – die Diskussionen, dass sie zu wenig verdienen würden. Auch hier wird die Meinung vertreten, dass die Buchdrucker in Westdeutschland besser bezahlt werden.
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Im VEB Porzellanwerk Kahla, [Bezirk] Gera, sind die Ofenarbeiter unzufrieden darüber, dass ihr Verdienst teilweise bis zu 50,00 DM geringer geworden ist. Die Ursache dafür ist darin zu suchen, dass bisher die Füllung der Öfen nur geschätzt wurde, was für den Betrieb eine große Belastung des Lohnfonds darstellte und deshalb verändert wurde. Außerdem sind die Ofenarbeiter bestrebt, von der Lohngruppe V in eine höhere Lohngruppe zu kommen.3
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Im VEB Sprengstoffwerk Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, wollen die Ersatzpacker nach der letzten Explosion4 das Verpacken der Sprengkapseln nicht mehr für 1,70 DM Stundenlohn durchführen und verlangen nach dem Stundelohn von 2,56 DM der Satzlader entlohnt zu werden. Ebenfalls die Meinung, zu niedrig entlohnt zu werden, wird unter Arbeitern im Kalk- und Zementwerk sowie im Betonwerk Rüdersdorf, [Bezirk] Frankfurt/O., vertreten. Hier haben bereits einige Arbeiter ihr Arbeitsverhältnis gekündigt und bei anderen Betrieben, wo eine bessere Bezahlung erfolgt, Arbeit aufgenommen.
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Im VEB Papierfabrik Grünhainichen, [Kreis] Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind ein Teil der Arbeiter, besonders der Lohngruppe III,5 der Meinung, dass man bei einem Nettoverdienst von monatlich 240 bis 270 DM nicht von einem befriedigenden Lebensstandard sprechen kann, zumal die Preise für Lebensmittel und Textilien noch ziemlich hoch wären. Auch hier ist eine starke Fluktuation.
2.) Unterschiedliche Lohnzahlung
Unzufriedenheit über unterschiedliche Lohnzahlungen wurden wiederum unter Arbeitern wie auch Angestellten der Betriebe und Verwaltungen bekannt. Häufig sind diese Unzufriedenheiten jedoch auf betriebliche Maßnahmen zurückzuführen, wie unerledigte Versprechungen und dergleichen. Vereinzelt wurden auch Diskussionen bekannt, künftig langsam zu arbeiten.
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Im VEB Schiefergruben Lehesten, [Bezirk] Gera, herrscht unter den Arbeitern der Abteilung Förderung eine starke Unzufriedenheit, weil sie mit 1,34 DM gegenüber den Arbeitern bei der Gewinnung und Bearbeitung mit 2,30 DM pro Stunde entlohnt werden. In einer Produktionsberatung wurde bereits die Meinung laut »so wie die Bezahlung, so die Bewegung«.
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Im VEB Baumwollspinnerei Mühltroff, [Kreis] Schleiz, [Bezirk] Gera, sind die Arbeiterinnen an den Strickmaschinen unzufrieden über ihre zu niedrige Bezahlung gegenüber den Arbeiterinnen an den Spinnmaschinen. Sie vertreten die Meinung, dass sich letztere nicht so anstrengen müssen und trotzdem mehr verdienen. Der durchschnittliche Unterschied beträgt im Monat ca. 80,00 DM.
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Ähnlich ist die Meinung unter den Spinnerinnen im VEB Flachsspinnerei Wiesenbad, [Kreis] Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, da sie, obwohl sie die Lohngruppe 5 erhalten, trotzdem einen geringeren Verdienst haben als die Werferinnen, welche nach der Lohngruppe 3 bezahlt werden.6 Sie vertreten die Meinung, dass ihre Arbeit schwerer ist als die der Werferinnen.
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Im VEB Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ist ein Teil der Arbeiter nicht einverstanden damit, dass bei Neueinstellungen und Arbeitsplatzwechsel die Lohngruppen immer um ein oder zwei Lohngruppen gesenkt werden, obwohl die gleiche Arbeit verrichtet wird.
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Im VEB Steinkohlenwerk »Martin Hoop« in Zwickau sind die Förderleute in der Abteilung V unzufrieden über die immer wieder entstehenden Lohnrückstufungen. Sie erfüllten z. B. ihren Monatsarbeitsplan mit 85 % und sollten deshalb auf Anweisung des Werkleiters auch nur 85 % ihres Monatsverdienstes ausgezahlt erhalten. Ähnliche Erscheinungen gibt es bei den Schießern des Betriebes über den Unterschied, der zwischen alten und neuen Schießern in der Bezahlung erfolgt. So werden die alten Schießer nach Leistungslohn und die neuen Schießer nach Prämienzeitlohn bezahlt.
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Im VEB Chema Rudisleben, [Bezirk] Erfurt, ist ein Teil der Arbeiter nicht einverstanden mit den Unterschieden in der Lohnzahlung. Sie vertreten die Meinung, dass es nicht richtig ist, dass der Verantwortliche für den Wareneingang ca. 750 DM erhält und die Arbeiter der gleichen Abteilung, welche die gesamte Arbeit erledigen müssten, nur ca. 300 DM erhalten.
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Bei der BVG Berlin wurde Unzufriedenheit unter den Angestellten bekannt. So vertrat ein Obermeister die Meinung, dass es besser wäre, als Schlosser zu arbeiten, da er dann mehr verdienen würde. Verschiedene Ingenieure und technische Angestellte der BVG erklärten, dass sie sich um ein anderes Arbeitsverhältnis bemühen werden, da das Gehalt beispielsweise eines Ingenieurs in der Bauindustrie mit gleicher Qualifikation und bei ähnlicher Tätigkeit etwa doppelt so hoch ist als das eines Ingenieurs bei der BVG. Eine Tatsache ist, dass die BVG keine I-Gruppen zahlen kann und der Umfang der Einzelverträge sehr beschränkt ist.
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Der VEB Zentrale Graphische Lehrwerkstatt findet keine Lehrausbilder, da das Gehalt für diese verhältnismäßig niedrig ist.
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Im Kreis Ilmenau, [Bezirk] Suhl, sind die Angestellten der HO-Gaststätten über die unterschiedliche Lohnzahlung unzufrieden. So erhalten beispielsweise ungelernte Kräfte 325 DM und Kräfte mit einer fachlichen Ausbildung nur 275 DM Lohn.
3.) Änderungen im Lohngefüge
Ebenfalls zu Missstimmung und Unzufriedenheiten unter Arbeitern und Angestellten führten Änderungen, die im Lohngefüge vorgenommen wurden und mit finanziellen Einbußen verbunden waren. Vereinzelt kam es auch dabei zur Androhung von Kündigungen.
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Im VEB Bleierzgruben »Albert Funk« wird in negativer Weise über das Bergmannsgeld diskutiert.7 Angeblich wird durch die Richtlinie über die zusätzliche Belohnung diese nicht mehr nach den Arbeitsjahren, sondern nach dem Beruf unter Tage berechnet.8 Die Arbeiter vertreten die Meinung, dass eine derartige Maßnahme kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt sei.
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In der Zentralwerkstatt der Wismut in Freital kam es zur Missstimmung gegenüber der Personalleitung des Objektes 96, da verbunden mit der Reorganisation Lohnumstufungen von der Lohnstufe 6 auf die Lohnstufe 5 durchgeführt wurden.
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Im VEB Glaswerk Großbreitenbach, [Bezirk] Suhl, gibt es Unzufriedenheiten unter den Glasmachern über die Mechanisierung. Sie vertreten die Meinung, dass sie durch die Mechanisierung vom Glasmacher zum Hilfsarbeiter heruntergesetzt werden. Die Glasmacher kommen von der Lohnklasse VI in die Lohnklasse III und erhalten statt wie bisher 400 DM dann nur noch 250 DM.9
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Im BKW »Friedenswacht« Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus, herrscht unter den Verwaltungsangestellten eine schlechte Stimmung. Ein Teil der Angestellten erhielt vor Kurzem eine Gehaltserhöhung, die jedoch auf Anweisung der Revierleitung Senftenberg wieder rückgängig gemacht werden musste.
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Die Angestellten des Rates des Kreises Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, sind missgestimmt darüber, dass vor kurzer Zeit größtenteils die Leistungsstufen gestrichen wurden und verschiedene Angestellte dadurch einen geringeren Verdienst haben.
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Aus den Kreisen Jena[-Land] und Stadtroda, [Bezirk] Gera, wurde bekannt, dass die Hilfsschwestern, Reinigungskräfte und dergleichen verärgert darüber sind, dass sie keine Berücksichtigung bei der kürzlich erfolgten Lohnerhöhung für die Angestellten und Beschäftigten im Gesundheitswesen gefunden haben.
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In der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, ist ein Teil der Reinemachefrauen unzufrieden. Die Ursache dafür ist, dass aufgrund einer Anregung des Meisters [Name 1] einige Frauen sich verpflichteten, zur Selbstkostensenkung 2 % ihres Lohnes abzugeben. Die Frauen können nicht verstehen, warum bei ihnen der Lohn gedrückt wird.
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Im VEB Kaliwerk Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, sind die Arbeiter der Grube 1 unzufrieden darüber, dass die gegenwärtig durchzuführenden Reparaturarbeiten nur im Grundlohn bezahlt werden. Einige Arbeiter brachten bereits zum Ausdruck, nach dem Tag des Bergmanns die Grube zu verlassen und nach Westdeutschland zu gehen und dort in der Grube Fulda zu arbeiten.
Feindpropaganda
RIAS befasst sich in einer Sendung am 24.5.1956 mit den in Polen und Ungarn durchgeführten Lohnerhöhungen sowie mit der in der ČSR erfolgten Preissenkung.10 Da er diesen Maßnahmen nichts entgegenzusetzen hat, benutzt er sie zur Hetze gegen die SED und die DDR, indem er erklärt: »In der Sowjetzonenrepublik gab es auch Ende Mai noch keine grundsätzliche Rede des 1. Parteisekretärs. Walter Ulbricht ist in Urlaub gefahren.11 Nun gibt es aber nicht nur in Polen, nicht nur in Ungarn, nicht nur in der SU, sondern auch in der DDR Forderungen auf Lohnerhöhung, vor allem in den bisher benachteiligten Industriezweigen.« Damit will RIAS erreichen, dass in starkem Maße Forderungen auf Lohnerhöhung in der DDR gestellt werden.