Stimmung zu Lohnfragen (5)
27. Juni 1956
Information Nr. 36/56 – Betrifft: Stimmung zu Lohnfragen (5. Bericht)
In letzter Zeit wurden wiederum unter den Beschäftigten einer Reihe von Industrie- und Baubetrieben Diskussionen über Lohnfragen bekannt. Nach wie vor kommt es dabei zu Unzufriedenheiten und Missstimmung über Folgendes:
- 1.)
Zu niedrige Entlohnung
- 2.)
Änderung im Lohngefüge
- 3.)
Unterschiedliche Lohnzahlung
1.) Zu niedrige Entlohnung
Am stärksten im Vordergrund der Diskussionen über Lohnfragen steht immer wieder die Meinung eines Teiles der Beschäftigten in den verschiedensten Industriebetrieben, dass ihre Entlohnung zu niedrig sei. In den Diskussionen werden meist Vergleiche zu anderen Industriezweigen oder gleichartigen Betrieben in Westdeutschland gezogen und Absichten geäußert, ihr bisheriges Arbeitsverhältnis zu kündigen und in anderen Betrieben Arbeit aufzunehmen. Vereinzelt werden auch Forderungen auf bessere Bezahlung erhoben.
Im VEB Westglas Waldau, [Kreis] Hildburghausen, [Bezirk] Suhl,1 sind verschiedene Arbeiter mit ihrem Lohn nicht einverstanden. Drei Be- und Entlader des Betriebes haben bereits gekündigt. Als Begründung gab ein Arbeiter an: »Warum soll ich mich hier für wenig Geld schinden, wenn ich bei der Bau-Union in Suhl mehr verdienen kann.«
In der Rhönglashütte Dermbach, [Bezirk] Suhl, gibt es unter einem Teil der Arbeiter ebenfalls Unstimmigkeiten wegen der geringen Entlohnung. Zurückzuführen ist das darauf, dass der ehemalige Leiter der Abteilung Arbeit die Arbeiter nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen, sondern nach seinem eigenen Gutachten einstufte. Zum Beispiel wurden Glasbläser, welche in die Lohngruppe 7 gehören, nach der Lohngruppe 6, und Kübelmacher, welche in die Lohngruppe 3 gehören, nach der Lohngruppe 4 entlohnt.2 Außerdem sind die Arbeiter nicht damit einverstanden, dass ihre Invalidität nicht als Berufskrankheit anerkannt wird, obwohl sie aus der Ausübung der beruflichen Tätigkeit entsteht.
Im VEB Holzwerk Gehren, [Kreis] Ilmenau, [Bezirk] Suhl, tragen sich viele Arbeiter mit dem Gedanken zu kündigen und eine andere Arbeitsstelle zu suchen. Als Grund geben sie die niedrigen Löhne und zu hohe Normen an.
Im VEB Bekleidungswerk Bürgel, [Kreis] Eisenberg, [Bezirk] Gera, herrscht zurzeit unter den 600 Beschäftigten infolge ihres geringen Verdienstes große Unzufriedenheit. Infolge der stockenden bzw. nicht rechtzeitigen Belieferung der erforderlichen Stoffe ist der Verdienst in den letzten beiden Monaten im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich von 267 DM auf 217 DM gesunken.
Im VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, sind besonders die Arbeiter der Abteilung Putzerei mit den bestehenden Lohnverhältnissen nicht mehr einverstanden. Die gleiche Stimmung ist in den VEB Lederfabrik Hirschberg – besonders unter den Maschinisten – und Keramische Werke Hermsdorf, [Bezirk] Gera, in der Abteilung Schleiferei festzustellen.
Dem VEB Porzellanwerk Kahla, [Kreis] Jena, [Bezirk] Gera, wurde durch einen Vertreter der HV Glas- und Keramik mitgeteilt, dass eine Einstufung der Arbeiter von der Lohngruppe 5 in die Lohngruppe 6 nicht genehmigt würde, da es sich um ungelernte Arbeitskräfte handeln würde. Seit dem 12.5.1956 bis zum heutigen Tage ist jedoch festzustellen, dass aus diesem Grunde bereits 58 Arbeiter den Betrieb verlassen haben und fünf weitere Kündigungen sich in Ablaufzeit befinden.
Im VEB Schlachthof Jena, [Bezirk] Gera, sind die Kopfschlächter darüber unzufrieden, dass sie nur noch monatlich 400 bis 500 DM gegenüber 600 bis 700 DM im Jahre 1945 verdienen, als der Schlachthof noch kommunales Unternehmen war.
Im Bau 333 der Leunawerke, [Bezirk] Halle, wird die Ansicht vertreten, dass der Anfangslohn für die Arbeiter in der Lohngruppe II mit einer DM Stundenlohn zu niedrig sei. In der Elektro-Abteilung des VEB Leunawerke kündigten im I. Quartal dieses Jahres etwa 20 Elektriker mit der Begründung, dass ihre Entlohnung zu schlecht sei.
Im BKW Profen, [Kreis] Zeitz, [Bezirk] Halle, ist die Belegschaft missgestimmt über die niedrige Entlohnung aufgrund der schlechten Planerfüllung. Von vielen Arbeitern wird zum Ausdruck gebracht, dass sie nur noch die Bergmannsprämie abwarten und dann den Betrieb verlassen.
Im Kraftwerk Vockerode, [Kreis] Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle, sind die Arbeiter mit der Bezahlung der Lohngruppe IV nicht einverstanden.3 Aufgrund dessen ist eine ständige Fluktuation im Gange.
Im Steinkohlenwerk Martin Hoop Zwickau sind die Arbeiter mit der gegenwärtigen Entlohnung nicht mehr zufrieden. In den Diskussionen bringen sie zum Ausdruck, dass sich ihr Lohn gegenüber den letzten Monaten um mindestens 11 % gesenkt habe.
Im VEB Bekleidungswerk Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Abteilung Mützen, ist die Stimmung besonders schlecht. Infolge häufig auftretender Stillstandszeiten und Nichtauslastung der Arbeitskräfte ist der Verdienst der Arbeiter, auch derer, die noch Kinder zu ernähren haben, monatlich nur 180 DM.
Im VEB Nähmaschinenwerk Altenburg, [Bezirk] Leipzig, sind in der Abteilung Automatensaal sechs Arbeiter beschäftigt, die Kollektivleistungslohn erhalten. Die Berechnung dieses Lohnes wurde vom TAN-Sachbearbeiter4 nur auf der Grundlage des Grundlohnes erarbeitet. Dadurch werden diese Arbeiter schon seit Jahren zu niedrig bezahlt. Jetzt fordern sie, dass sie ihren Lohn mit Leistungszuschlag erhalten und außerdem für die vergangenen Jahre der Fehlbetrag nachgezahlt wird. Andernfalls wollen sie ihren Arbeitsplatz wechseln.
Im Dresdener Zoo ist eine starke Abwanderung in besser bezahlte Berufe festzustellen und eine deutliche Überalterung der Tierpfleger, besonders aber der Handwerker, spürbar. Der Verdienst dieser Kräfte ist für Hilfstierpfleger 1,18 DM Stundenlohn, für Tierpfleger mit abgelegter Prüfung 1,28 DM Stundenlohn und für Reviertierpfleger mit Verantwortung für eine ganze Abteilung 310 DM. Verhandlungen mit der Stellenplankommission des Ministeriums für Kultur in Berlin zur Aufbesserung des Lohntarifes für Zootierpfleger laufen bereits seit vier Jahren. Bisher jedoch ohne wesentliche Ergebnisse.
Im VEB Kraftverkehr Torgelow, [Bezirk] Neubrandenburg, sind die Fahrer über ihre Entlohnung unzufrieden. Sie vertreten den Standpunkt, dass ihr Verdienst von 1,56 DM die Stunde zu gering ist und sie deshalb Überstunden leisten müssten. Außerdem führen sie in den Diskussionen an, dass der Verdienst in Westdeutschland 2,10 DM die Stunde wäre.
2.) Änderungen im Lohngefüge
Vorgenommene Änderungen im Lohngefüge führen ebenfalls zu Unzufriedenheiten und Missstimmung unter den Beschäftigten verschiedener Industriebetriebe. Dazu wurden folgende Beispiele bekannt:
Im VEB Kaliwerk »Ernst Thälmann« in Merkers, [Kreis] Bad Salzungen, sind vor längerer Zeit 40 Arbeiter aus Schmalkalden und Umgebung eingestellt worden. Diese Arbeiter, die in den Eisenmanganerzgruben entlassen wurden, führen heftige Diskussionen darüber, dass sie eine Lohngruppe niedriger als vorher eingestuft wurden, obwohl sie vordem auch im Bergbau tätig waren. Einige haben bereits schon ihr Arbeitsverhältnis wieder gekündigt.
Aus dem VEB Rhönglashütte Dermbach, [Bezirk] Suhl, haben 14 Arbeiter beim Arbeitsgericht Klage erhoben. Sie stellen die Forderung, dass ihnen die Erschwerniszulage von 1951 bis 1954 nachgezahlt wird, weil ihnen in diesen Jahren das Geld nicht ausgezahlt wurde.
Im VEB Gasversorgung Gera sind die Arbeiter mit der vorgesehenen Lohnauszahlung alle zehn Tage nicht einverstanden.
Aus dem Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, wurde bekannt, dass in allen VEB die Kraftfahrer mit der Neufestsetzung ihrer Tagegelder, wie sie in Gesetzblatt Nr. 35 vom 5.4.1956 festgesetzt wurden,5 nicht einverstanden sind. So wurde im VEB Karl-Max-Werk in Pößneck unter den Kraftfahrern eine Versammlung durchgeführt, wo Folgendes zum Ausdruck gebracht wurde: »Wenn wir nicht mehr 6,00 DM, sondern nur 3,00 DM Tagegelder erhalten, machen wir eben Überstunden, damit wir wieder zu unserem Gelde kommen. Wir möchten den sehen, welcher sich bei Wind und Wetter, dem wir ausgesetzt sind, für 3,00 DM beköstigen kann.«
Im VEB Baumwollspinnerei Zschopautal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, treten unter den Transport- und Hofarbeitern negative Diskussionen über die 14-tätige Lohnzahlung in Erscheinung. Sie erklären sich mit dieser nicht einverstanden und ziehen Vergleiche zur früheren wöchentlichen Lohnzahlung. Die Arbeiter fordern gegebenenfalls eine Geheimabstimmung über die künftige Lohnzahlung.
Im VEB Renak Reichenbach,6 Galvanische Abteilung, bringen die dort beschäftigten Arbeiter zum Ausdruck, dass sie lieber in ihre frühere Abteilung zurückwollen, weil der Erschwerniszuschlag von 20 auf 10 % gesenkt wurde und außerdem noch die Normen.
3.) Unterschiedliche Lohnzahlung
Bei den Diskussionen über die unterschiedliche Lohnzahlung kommt es zur Unzufriedenheit hauptsächlich über Unterschiede in der Lohnzahlung gleichartiger Berufe oder Betriebe sowie über das bestehende Ortsklassensystem.7
Auch in diesen Diskussionen werden Kündigungen angedroht. So sind in der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, die technischen Angestellten missgestimmt über die Unterschiede in der Lohnzahlung. Der Leiter der Schmalfilmentwicklung brachte dazu Folgendes zum Ausdruck: »In der Filmfabrik wird zu viel Unterschied gemacht. Ein Doktor bekommt dreimal so viel Geld als ich. Ein Jungingenieur, der erst von der Schule kommt, erhält ein Anfangsgehalt, das ebenfalls höher liegt, als das eines alten Obermeisters. Fast alle technischen Angestellten sind darüber missgestimmt.«
Unter den Grubenelektrikern im BKW Gölzau, [Kreis] Köthen, [Bezirk] Halle, werden zurzeit heftige Diskussionen in der Form geführt, dass die Arbeiter als Untertagefacharbeiter bedeutend weniger Geld verdienen als ein Elektriker in einem Privatbetrieb. Sie verlangen eine gerechte Entlohnung.
Unter den Schichtmeistern der Brikettfabrik Neukirchen, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, besteht ebenfalls Unzufriedenheit über die Entlohnung. Sie sind der Meinung, dass es ungerecht ist, dass sie weniger Lohn bekommen als die Brigadiere, obwohl sie in der Schicht für den gesamten Produktionsablauf verantwortlich sind.
Im VEB Edelstahlwerk »8. Mai« Freital,8 [Bezirk] Dresden, Abteilung Putzerei und Walzwerk, sind die Arbeiter unzufrieden über die unterschiedliche Lohngruppenzahlung. Sie bringen zum Ausdruck, dass in den anderen Werken, wie z. B. Riesa, für die gleiche Arbeit die Lohngruppe 5 gezahlt wird, wogegen sie in Freital nur die Lohngruppe 4 erhalten würden.9 Einige Arbeiter äußerten bereits den Betrieb zu verlassen. Ähnlich ist die Stimmung im VEB Record Spannzeuge Gera.
Im VEB Simson-Werk Suhl ist ein Teil der Arbeiter des Zweigwerkes Schmiedefeld, welches am 1.3.1956 vom Simson-Werk übernommen wurde, unzufrieden über die Entlohnung, da Schmiedefeld in einer niederen Ortsklasse als Suhl entlohnt wird. Die Unzufriedenheit herrscht vor allem in der Revisionsabteilung, wo einige Arbeiterinnen deshalb nur einen Stundenlohn von 0,92 DM erhalten.
Im Kreisbauhof Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg, gibt es heftige Diskussionen unter der Belegschaft darüber, dass Röbel nach der Lohnstufe C bezahlt wird, während die anderen Kreise nach B und A bezahlen. Es kam deshalb bereits zu Kündigungen.