Stimmung zu Lohnfragen (8)
25. Oktober 1956
Information Nr. 277/56 – Betrifft: Stimmung zu Lohnfragen
In den Monaten September bis Oktober 1956 war festzustellen, dass in einigen Industriezweigen die Diskussionen zu Lohnfragen an Umfang zugenommen haben. Diese Unzufriedenheit und Missstimmung über die Löhne, kam in folgenden Fragen zum Ausdruck:
- 1.
Unterschiede in der Lohnzahlung
- 2.
Änderungen im Lohngefüge
- 3.
Zu niedrige Entlohnung
- 4.
Zum Leistungslohn
- 5.
Zur Einführung des Wirtschaftslohngruppen-Kataloges1
1. Unterschiedliche Lohnzahlung
Diskussionen über unterschiedliche Lohnzahlungen wurden hauptsächlich bekannt aus den Betrieben der Textilindustrie, des allgemeinen Maschinenbaus, der Braunkohlenindustrie und aus Gaswerken. Dabei ist festzustellen, dass diese Diskussionen unter Arbeitern wie auch unter Meistern auftreten. Anlass dieser Diskussionen sind Unterschiede in der Entlohnung bei gleicher Arbeit bzw. neue Arbeitsmethoden. Dazu einige charakteristische Beispiele:
Im VEB Textilveredelungswerk Weida, [Kreis] Gera[-Land], Abteilung Schererei, sind die Arbeiter mit ihrer Entlohnung gegenüber den Arbeitern der Abteilung Färberei nicht einverstanden. Sie vertreten die Meinung, die Arbeit in der Schererei wäre gefährlicher, als die in der Färberei und mit der Lohngruppe IV nicht richtig entlohnt.2
Im VEB Weberei Mittweida, [Kreis] Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bestehen unter den Meistern rege Diskussionen über die Bezahlung. Die Meister erhalten 410 DM Lohn. Sie sind damit nicht einverstanden, da jeder bessere Weber auch 400 DM erhält und die Weber außerdem durch die Matthes-Methode monatlich 650 DM verdienen.3 Viele – vor allem jüngere Meister – wollen deshalb wieder als Weber arbeiten.
Im VEB Wärmegerätewerk Königsbrück, [Kreis] Kamenz, [Bezirk] Dresden, herrscht Unzufriedenheit unter den Betriebsschlossern und Reinigungskräften. Von diesen erhalten verschiedene höhere Löhne, als es ihren Qualifizierungsmerkmalen entspricht. Z. B. erhalten die Reinigungskräfte (Frauen) 190 DM brutto, jedoch werden einige mit 210 DM entlohnt. Bisher war eine Rückstufung nicht möglich. Diese erfolgte mit der Abschaffung der Ortsklassen C und D, was unter den betroffenen Personen negative Diskussionen auslöste.4
Im VEB »Paul Schäfer« Erfurt5 wird Unzufriedenheit unter den Schlossern durch die Unterschiede in der Entlohnung der Fach- und Hilfskräfte hervorgerufen. So verdient ein Schlosser 325 DM brutto. Seine Ehefrau, die ebenfalls im Betrieb als ungelernte Arbeitskraft tätig ist, erhält dagegen einen Bruttoverdienst von ca. 450 DM bis 500 DM.
Im Gaswerk Stendal, [Bezirk] Magdeburg, werden die Unstimmigkeiten zu Lohnfragen durch Folgendes hervorgerufen: Im Gaswerk Stendal verdient ein Kohlenarbeiter mit Leistungszuschlag 1,30 DM. Für die gleiche Arbeit erhält er bei der DHZ und Konsumgenossenschaft 1,53 DM. Durch Fluktuation im Betrieb sind deswegen sechs Planstellen unbesetzt, sodass durch die im Gaswerk verbliebenen Arbeiter hohe Überstunden geleistet werden müssen. Im August 1956 betrug die Zahl der Überstunden 15 000.
Ähnliche Beispiele werden auch aus anderen Betrieben der genannten Industriezweige berichtet.
2. Änderungen im Lohngefüge
Neben Unzufriedenheit über Unterschiede in der Lohnzahlung wurde im starken Maße über Änderungen im Lohngefüge diskutiert. Die Mehrzahl dieser Diskussionen – besonders in den Braunkohlenwerken und Kraftverkehrswesen – wurde durch Lohnaufbesserungen einzelner Berufsgruppen dieser Zweige hervorrufen. Vereinzelt wurden auch aus anderen Industriezweigen Äußerungen darüber bekannt, die Kürzungen des Lohnes infolge falscher Einstufungen zum Inhalt hatten. Dafür folgende charakteristische Beispiele:
In den Braunkohlenwerken des Kreises Altenburg, [Bezirk] Leipzig, wird unter den Arbeitern besonders über die Lohnaufbesserung bei E-Lokführern gesprochen. Von verschiedenen Arbeitern wurde aus diesem Grunde bereits bei den BGL- und Werkleitungen Antrag auf Lohnerhöhung gestellt. In der Grube Phönix kündigten in den ersten Wochen des Monats Oktober zehn Arbeiter aus diesem Grunde. Darunter befanden sich zwei Baggerführer. Diese Arbeiter finden die Lohnaufbesserung bei den E-Lokfahrern nicht gerechtfertigt.
Im VEB Kraftverkehr Sebnitz, [Bezirk] Dresden, sind die Kraftfahrer nicht damit einverstanden, dass für die Busfahrer der Busse mit über 40 Personen Besetzung, eine 12%ige Lohnerhöhung erfolgt, während für die Busfahrer der kleineren Busse keine Lohnerhöhung vorgesehen ist. Ähnlich ist es im VEB Kraftverkehr Altenburg, [Bezirk] Leipzig, unter den 20 Lkw-Fahrern.
Unter den Beschäftigten der Fahrkarten- und Gepäckausgabe im Hauptbahnhof Leipzig ist die Unzufriedenheit zu Lohnfragen auf Folgendes zurückzuführen: Im Dezember 1955 wurden die Löhne von 272 auf 307 bzw. 327 DM erhöht. Am 3.9.1956 wurde den Ladeschaffnern mitgeteilt, dass sie im Dezember 1955 zu hoch eingestuft worden seien und ihnen in Zukunft wieder 30,00 DM abgezogen werden.
Im VEB Kaliwerk »Karl Marx« Sollstedt, [Bezirk] Erfurt, wird heftig gegen die ab 1. Oktober 1956 eingeführte neue Entlohnung gesprochen. Danach wird eine tägliche Einstufung in die Lohngruppe nach der am Tag verrichteten Arbeit vorgenommen. Für viele Arbeiter bedeutet dieses Lohnsystem eine Minderung ihres Einkommens.
Im VEB Fahlberg-List Magdeburg besteht Unzufriedenheit unter den Beschäftigten der Abteilungen Materialversorgung, Buchhaltung und Absatz. Grund: Bisher erhielten die Material- und Absatzdisponenten monatlich 623 DM und die Buchhalter 450 DM. Nach einer Anordnung der Abteilung Arbeit der Hauptverwaltung erhalten jetzt neueingestellte Material- und Absatzdisponenten monatlich nur noch 550 DM und Buchhalter nur noch 325 DM, obwohl sie die gleiche Arbeit leisten.
Ähnliche Beispiele werden im großen Maße auch aus anderen Betriebszweigen gemeldet.
3. Zu niedrige Entlohnung
In geringerem Umfang als bisher wurden wieder Diskussionen bekannt, in denen die Arbeiter die Meinung vertreten, dass sie zu niedrig entlohnt werden und damit die Forderung auf Lohnaufbesserung erheben. In den meisten Fällen wird dabei mit Kündigung gedroht. Neu in Erscheinung trat, dass Republikflucht angedroht wurde, wenn keine Änderung erfolgt. Besonders stark treten Meinungen im Graphischen Gewerbe, Fernmeldewesen sowie in Forstwirtschaftsbetrieben auf. Dazu folgende Beispiele:
Aus den Graphischen Betrieben in Dresden wird bekannt, dass bis auf einzelne Facharbeiter unter den Beschäftigten große Unzufriedenheit über die Entlohnung herrscht. In diesem Berufszweig sind aufgrund der niedrigen Löhne die meisten Abwanderungen nach Westdeutschland festgestellt worden. Im VEB Kraftverkehr Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, sind die Kraftfahrer nicht mit ihrem Lohn von 280 DM einverstanden. Der größte Teil leistet deshalb Überstunden, um einen Monatslohn von 400 DM zu erhalten. In der Oberförsterei Cunnersdorf, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden, verließen im ersten Halbjahr 1956 40 Arbeitskräfte ihren Arbeitsplatz mit der Begründung, dass sie im Forstbetrieb zu wenig verdienen. Diese Kräfte wanderten ab in die umliegenden Industriebetriebe des Kreises Pirna. Ähnliche Erscheinungen sind in allen Bezirken vorhanden.
Im VEB Chemiewerk Nünchritz, [Kreis] Riesa, [Bezirk] Dresden, verlangen die Arbeiter aus der Lohngruppe IV in die Lohngruppe V eingestuft zu werden.6 Im Kaliwerk Volkenroda,7 [Kreis] Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, erfolgten im September fünf Republikfluchten. Ursache war, dass zzt. im Betrieb nur Reparaturschichten gefahren werden und der Durchschnittsverdienst der Arbeiter um 100 bis 150 DM gesunken ist. Ähnlich ist es im VEB Braunkohlenwerk Pfännerhall, [Bezirk] Halle, wo 14 Arbeiter, nachdem ihren Lohnforderungen nicht nachgekommen worden war, die Republik verließen. Ähnliche Beispiele liegen noch aus anderen Betrieben vor.
4. Zum Leistungslohn
Vereinzelt wurden Stimmungen bekannt, die zum Inhalt haben, nicht im Leistungslohn zu arbeiten bzw. den Leistungslohn wieder abzuschaffen. Zum anderen wurde aus der Wismut Unzufriedenheit der Arbeiter bekannt, da sie vom Leistungs- wieder in den Schichtlohn einbezogen werden sollen. Im Einzelnen folgende Beispiele: Im VEB Edelstahlwerk »8. Mai 1945« Freital, [Bezirk] Dresden, sind zzt. auf der Baustelle 40 Abiturienten beschäftigt. Alle 40 müssen im Leistungslohn arbeiten. Es ist jedoch festzustellen, dass keine der gebildeten Brigaden eine 100%ige Normerfüllung erreicht. Die Abiturienten sind darüber unzufrieden. Im VEB Nahrungskombinat Wurzen,8 [Bezirk] Leipzig, wehren sich besonders die älteren Arbeiter gegen die Einführung des Leistungslohnes mit der Begründung, dass man in diesem Betrieb keinen Leistungslohn einführen könnte. In der Bahnmeisterei Weimar, [Bezirk] Erfurt, erklärten die Rottenarbeiter, dass der Leistungslohn abgeschafft und ein ständiger Stundenlohn eingeführt werden müsste. Im Schacht 277 der Wismut in Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind die Gleisbauarbeiter unzufrieden darüber, dass sie aus dem System des Leistungslohnes herausgenommen und im Schichtlohn arbeiten sollen. Das Gleiche trifft auf das Kombinat Schmirchau Ronneburg und den Schacht 352 Ronneburg zu.
5. Zur Einführung des Wirtschafts-Lohngruppen-Kataloges (WLK)
Zu dieser Frage liegen bisher ebenfalls nur einzelne Beispiele vor. Ohne näher auf die Beispiele einzugehen, kann zur Einschätzung gesagt werden, dass die Arbeiter der Einführung des WLK skeptisch und zum Teil ablehnend gegenüberstehen. Bedingt dadurch, dass einzelne Berufsgruppen mit der Einführung des WLK eine Änderung in der Entlohnung erfahren. So sind die Arbeiter im BKW Heide, [Kreis] Hoyerswerda, [Bezirk] Dresden, der Meinung, dass die Differenz zwischen den einzelnen Lohngruppen zu hoch ist. Sie empfinden es als ungerecht, dass der Baggermaschinist rund 160 DM in der Lohngruppe VI mehr erhält, als der Klappenschläger in der Lohngruppe IV.