Stimmung zu Lohnfragen (9)
19. November 1956
Information Nr. 346/56 – Betrifft: Stimmung zu Lohnfragen ([9.] Bericht)
In den letzten vier Wochen wurden wieder verstärkt Diskussionen über Lohnfragen geführt. Beteiligt an diesen Diskussionen waren vorwiegend Beschäftigte der Lohngruppen 1–5 in Betrieben des allgemeinen Maschinenbaues, der Leicht- und Lebensmittelindustrie, der Braunkohlenwerke sowie in einigen Fällen auch Angehörige der Intelligenz.1 In den Diskussionen wurde zu folgenden Fragen Stellung genommen:
- 1.)
zu niedrige Entlohnung
- 2.)
zur Einführung des Wirtschafts-Lohngruppen-Kataloges2
- 3.)
zu unterschiedlicher Entlohnung
1.) Zu niedrige Entlohnung
Diskussionen über zu niedrige Entlohnung wurden hauptsächlich von Beschäftigten der unteren Lohngruppen in Betrieben des allgemeinen Maschinenbaues sowie der Leicht- und Lebensmittelindustrie geführt. Dabei wird zum Ausdruck gebracht, dass der Verdienst bis 350 [DM] monatlich nicht ausreicht, um eine Familie zu unterhalten. Davon ausgehend werden vereinzelt auch Diskussionen geführt, in denen die gesellschaftliche Ordnung der DDR verleumdet und davon gesprochen wird, dass es sich nicht um einen Arbeiter- und Bauern-Staat, sondern um einen Staat der Intelligenz handele. Weiterhin werden Vergleiche zu anderen Betrieben gezogen, in denen gleiche Berufsgruppen bei ähnlichen Arbeiten einen besseren Verdienst erhalten. Charakteristisch dafür sind folgende Beispiele:
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Im VEB Südthüringer Möbelwerke Themar, [Kreis] Hildburghausen, ist eine starke Fluktuation unter den Elektrikern festzustellen. Zurzeit sind nur noch zwei Elektriker in diesem Werk vorhanden, die gleichfalls kündigen wollen. In den Diskussionen erklären sie, »dass schon lange versprochen wurde, ihre Löhne – sie verdienen monatlich 318 DM – aufzubessern, aber bis heute habe sich noch nichts getan. Sie seien damit nicht mehr einverstanden und wollten sich eben dort Arbeit suchen, wo ihnen mehr geboten würde.«
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Im VEB Bekleidungswerk Cottbus diskutieren die Näherinnen vom Stromband, dass es bald Zeit würde, dass ihre Löhne, die zwischen 200 bis 300 DM liegen, erhöht werden. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie sich bei diesen Löhnen keine Anschaffungen leisten können. Wenn das so weiter gehen würde, wollen sie daraus ihre Konsequenzen ziehen.
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In der Zuckerfabrik Wolmirstedt, [Bezirk] Magdeburg, erklären Beschäftigte, dass das Lohngefüge der Leichtindustrie nicht gerecht sei. Sie fordern in Diskussionen mit dem Werkleiter höhere Löhne.
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Gleiche Diskussionen werden in der Zuckerfabrik Genthin geführt, wobei noch zum Ausdruck gebracht wird, dass die Differenzen im Verdienst von Arbeitern, Meistern und Funktionären zu hoch sei.
Ähnliche Beispiele ließen sich auch aus anderen Betrieben aufführen.
2.) Zur Einführung des Wirtschafts-Lohngruppen-Kataloges (WLK)
Diskussionen über die Einführung des WLK wurden bisher vorwiegend nur aus Betrieben der Braunkohlenindustrie und vereinzelt aus Betrieben des Kalibergbaues bekannt. In diesen Diskussionen zeigt sich große Unzufriedenheit unter den Beschäftigten dieser Betriebe, die jedoch in der Mehrzahl auf ungenügende Aufklärung zurückzuführen ist. Hervorgerufen wird die Unzufriedenheit dadurch, dass Umstufungen in den Lohngruppen vorgenommen wurden, dass langjährige Arbeiter an Qualifizierungslehrgängen teilnehmen sollen und ähnliche Maßnahmen. Dadurch wird die Einstufung des WLK nur als Maßnahme zur Verdienstschmälerung angesehen, was bei allen Diskussionen im Vordergrund steht. Außerdem wird behauptet, dass die Einstufung einzelner Lohngruppen unreal sei.
Von einem Teil der Beschäftigten wird aus diesem Grunde in negativer Weise über den FDGB gesprochen, das Zahlen von Beiträgen und die Unterschriftsleistung unter den WLK abgelehnt. Dafür folgende charakteristische Beispiele:
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Im BKW Plessa, [Kreis Bad] Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, lehnt der überwiegende Teil einer Schicht im Neuaufschluss Lauch die Unterschrift unter den WLK mit der Begründung ab, dass die Lohngruppen für verschiedene Berufsgruppen nicht real sind.
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Im BKW »Franz Mehring«,3 [Bezirk] Cottbus, lehnen die Bandwärter an der Förderbrücke sowie mehrere Arbeiter ihre Unterschrift unter den WLK mit der Begründung ab, dass die Bagger- und Lokführer den Lohn wieder erhöht erhalten, während sie keine Lohnerhöhung erhalten.
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Im Kraftwerk Trattendorf, [Bezirk] Cottbus, sollten die E-Lokfahrer, die Schlosser oder Schmied gelernt haben, in die Lohnstufe VI übernommen werden.4 Die anderen Lokführer waren damit nicht einverstanden und begründeten ihre Haltung damit, dass alle Lokführer, ob Schlosser oder nicht Schlosser, während der Fahrt sowieso keine Reparaturen durchführen würden.
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Im Kaliwerk »Karl Marx« Sollstedt ist die Mehrzahl der Beschäftigten der Ansicht, dass die Einführung des WLK eine allgemeine Lohnerhöhung bringt, ein großer Teil hat jedoch die Anerkennung des WLK durch Unterschrift verweigert und dabei negative Diskussionen gegen den FDGB, die Partei und [die] SU zum Ausdruck gebracht. So wurde in der mechanischen Werkstatt erklärt, »wir verlangen von der Gewerkschaft – oder wir zwingen sie dazu – uns zu verstehen und zu vertreten, oder wir machen etwas anderes«.
Ähnliche Beispiele könnten noch aus anderen Betrieben dieser Industriezweige angeführt werden.
3.) Zu unterschiedlicher Entlohnung
Diskussionen über unterschiedliche Entlohnung wurden vorwiegend nur unter Angestellten und Angehörigen der Jungintelligenz bekannt. Diese Diskussionen enthalten ebenfalls Unzufriedenheit dieser Personen, in der Hauptsache darüber, dass in den einzelnen Industriezweigen bei gleicher Arbeit unterschiedliche Löhne gezahlt werden. Für die Angehörigen der Jungintelligenz sind die Unterschiede oft Anlass zur Fluktuation und z. T. auch zur Republikflucht. Am meisten trifft das in der Bau- und Papiererzeugungsindustrie in Erscheinung. Über die Unterschiede in der Bezahlung wurde aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt Folgendes bekannt:
Ein Jungingenieur erhält in der Bauindustrie 495 bis 555 DM, der Papiererzeugungsindustrie 545 bis 608 DM, im Allgemeinen Maschinenbau 565 bis 625 DM, Bergbau über Tage 600 bis 700 DM, Schwermaschinenbau 640 bis 700 DM. Unter Angestellten führt besonders die Nichterhöhung der personengebundenen Gehälter zur Unzufriedenheit. Besonders tritt diese Unzufriedenheit in den Betrieben in Erscheinung, wo den Beschäftigten durch den Wegfall der Ortsklassen C und D eine Lohnerhöhung zukam.5 Derartige Diskussionen wurden bekannt aus den verschiedenen Textilbetrieben in Forst, [Bezirk] Cottbus.