Stimmung zu Prämienfragen (4)
14. Juni 1956
Information Nr. 14/56 – Betrifft: Stimmung zu Prämienfragen (4. Bericht)
In der Zeit vom 2.5. bis 13.6.1956 wurde wiederum in einer Anzahl von Industrie- und Verkehrsbetrieben Unzufriedenheit im Zusammenhang mit den ausgezahlten Prämien bekannt. Im Besonderen wurden wieder Diskussionen zu folgenden Fragen geführt:
- 1.
Auszahlung der Quartalsprämien
- 2.
Prämierung am 1. Mai 1956
- 3.
Veränderungen in der Prämienzahlung
1. Auszahlung von Quartalsprämien
Nach wie vor löst die Auszahlung von Quartalsprämien unter den Produktionsarbeitern der verschiedensten Industriebetriebe heftige Diskussionen und Unzufriedenheit aus. Besonders die Auszahlung der Prämien an die Wirtschaftsfunktionäre und Angestellten in den Betrieben gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen. Häufig wird neben der Meinung, dass die Prämienzahlung an die Wirtschaftsfunktionäre und Angestellten nicht richtig sei, die Forderung nach gleicher Prämienzahlung erhoben. Hervorgerufen werden derartige Diskussionen immer dann, wenn den Arbeitern die Höhe der Prämien bekannt wird. Aus vorliegendem Material ist ersichtlich, dass in einigen Betrieben Teile der Arbeiter aus diesem Grunde den Maifeierlichkeiten fernblieben bzw. sich weigern, weiterhin FDGB-Beiträge zu zahlen.
So wird im VEB Sachsenwerk Niedersedlitz, [Stadtteil von] Dresden, in der Abteilung Dreherei über die hohe Prämienzahlung an Betriebsleiter, Obermeister und Meister heftig diskutiert. Die Arbeiter sind im Prinzip mit einer Zahlung von Prämien für gute Leistungen einverstanden. Sie verstehen jedoch nicht, dass die verantwortlichen Wirtschaftsfunktionäre, die bereits ein hohes Gehalt erhalten, noch über 1 000 DM Prämie bekommen, während die Arbeiter, die den Plan erfüllen, jedoch schon längere Zeit keine Prämie erhalten haben. Dadurch kam es auch dazu, dass sie den beauftragten Gewerkschaftsfunktionären den Kauf von Maiplakaten verweigerten.
Dem VEB Schleifmaschinenwerk Dresden-Reick wurde für die Erfüllung des Planes für das I. [Quartal] 1956 eine Prämie von ca. 48 000 DM für die Intelligenz und Wirtschaftsfunktionäre sowie 5 000 DM für die Belegschaft zur Verfügung gestellt. Nach der Aufteilung dieser Prämie erhielt ein Angehöriger der Intelligenz bzw. Wirtschaftsfunktionäre eine Prämie in Höhe von ca. 2 000 DM. Ein Arbeiter erhielt je nach Stärke der Abteilung eine Prämie von ca. 7,50 DM bis 12,00 DM. Aufgrund dieser Aufschlüsselung kam es unter den Arbeitern zu erheblicher Missstimmung, die ihren Ausdruck auch noch in der geringen Beteiligung an der Maifeier des Betriebes am 29.4.1956 sowie der Maidemonstration am 1.5.1956 fand. Ähnlich verhielten sich die Arbeiter im VEB AWE Eisenach, deren Stimmung ein parteiloser Arbeiter mit folgenden Worten ausdrückte: »Da habt ihr die Antwort auf die Prämien. Die Intelligenz war am 1. Mai vollzählig zum Festzug erschienen, nur gering waren die Arbeiter anwesend. Das war die Antwort der Arbeiter. Sie sollen nur so weitermachen, so werden sie sehen, welche Unstimmigkeiten sie durch Prämien bei den Arbeitern anrichten.«
Im VEB MIW Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, erklärte ein Arbeiter zur Stimmung über die Prämienzahlung Folgendes: »Der Direktor des MIW Demmin bekommt auf sein großes Gehalt noch 260 DM Prämie. Ist das etwa Gerechtigkeit? Andere stecken sich die Prämien ein und immer sind es dieselben. Ich zahle jetzt keinen FDGB-Beitrag mehr, für was denn? Das Geld kann ich für andere Zwecke gebrauchen, denn der FDGB hilft mir ja doch nicht und kümmert sich um nichts und wie sieht es mit dem anderen alles aus?« Auch unter anderen Arbeitern des Betriebes wurden gleiche Meinungen laut.
In größerem Maße wurden Unstimmigkeiten und ähnliche Erscheinungen zur Auszahlung der Quartalsprämien noch aus folgenden VE-Betrieben bekannt: Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, BKW Profen und »Einheit«,1 Bitterfeld, [Bezirk] Halle, Walzwerk Hettstedt, [Bezirk] Halle, Hydrierwerk Zeitz, [Bezirk] Halle, BKW Hirschfelde, [Kreis] Zittau, [Bezirk] Dresden, »Ernst Thälmann-Werk«, [Bezirk] Suhl, Kettenfabrik Barchfeld, [Bezirk] Suhl, IKA Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl, RWN Neubrandenburg, GUS Torgelow, [Bezirk] Neubrandenburg, Zuckerfabrik Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg, Karosseriewerk Altenburg, [Bezirk] Leipzig, Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, Stahlgusswerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/O., RAW Cottbus, Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, und im VEB Bau Berlin Rungestraße.
2. Prämierung am 1. Mai 1956
In einigen Betrieben kam es auch zu Unzufriedenheiten unter den Arbeitern über die Prämierung anlässlich des 1. Mai 1956. Die Ursachen hierfür liegen einmal in der formalen Arbeit der Betriebsgewerkschaftsleitungen und zum anderen darin, dass sich die Prämierung wiederum nur auf Obermeister, Meister und dergleichen erstreckte.
So waren im VEB Bau (St) Plauen,2 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, die Arbeiter nicht damit einverstanden, dass die BGL zu den Brigaden kam und formal forderte, ihr müsst einen Aktivisten und zwei Bestarbeiter zur Auszeichnung vorschlagen. Die Arbeiter vertreten die Meinung, dass dadurch nicht immer diejenigen, welche fachlich und gesellschaftlich wirklich die Besten sind, in Vorschlag gebracht werden. Diese Vorschläge müssten aus der gesamten Belegschaft kommen.
Im VEB Feinspinnerei Venusberg, [Kreis] Zschopau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, kam es zu Missstimmung unter den Beschäftigten darüber, dass Brigaden mit 1 300 DM ausgezeichnet wurden und ein Teil guter Brigaden nicht prämiert wurde. In den Diskussionen brachten die Arbeiter zum Ausdruck, dass die Auszahlung der Prämien entweder sehr formal erfolge oder persönlichen Charakter trage.
Ähnliche Diskussionen wurden bekannt aus folgenden VEB: Baumwolle Mittweida,3 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Olbernhau,4 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Schrott Rathenow, [Bezirk] Potsdam, Minimax Neuruppin,5 [Bezirk] Potsdam, und Elektromotorenwerk Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg. In letzterem erhielt der Versandleiter aufgrund einer Rückfrage bei der BGL, wieso er als Aktivist ausgezeichnet wurde, vom BGL-Vorsitzenden die Antwort: »Die Richtlinien für die Auszeichnungen sind wie Kautschuk, die kann man dahinbiegen, wo man sie hinhaben will.« Der Versandleiter weiß angeblich selbst nicht, für welche Leistungen er Aktivist geworden ist.
In der Warnow-Werft Warnemünde, [Bezirk] Rostock, kam es zu Unzufriedenheiten unter den Arbeitern deshalb, weil bei der Auszeichnung und Prämierung wiederum nur Angehörige der Intelligenz, Meister und Brigadiere berücksichtigt wurden. So erklärte ein E-Schweißer vom Rohrleitungsbau der Werft: »Ausgezeichnet wurde vom Brigadier an aufwärts. Es hat den Anschein, als ob unsere Produktionsarbeiter keine vorbildlichen Leistungen vollbringen und nicht würdig sind, ausgezeichnet zu werden.«
Ähnliche Diskussionen wurden geführt im VEB Pumpenwerk Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, und im RAW »Einheit« in Engelsdorf, [Bezirk] Leipzig. Im RAW »Einheit« Engelsdorf, [Bezirk] Leipzig, wurden die Prämien schematisch an die Meister und Brigadiere verteilt, ohne mit der Belegschaft darüber zu diskutieren. In mehreren Brigaden und Abteilungen wurden die prämierten Meister und Brigadiere sofort nach dem Empfang der Prämien bestürmt, dass sie diese auf alle Arbeiter aufteilen sollen. Besonders war das in der Abteilung Lok festzustellen. Die Arbeiter erreichten auch in fast allen Fällen, dass das Geld aufgeteilt wurde.
3. Veränderung in der Prämienzahlung
In einigen Fällen führten auch vorgenommene Änderungen in der bisherigen Prämienverteilung zu Missstimmung unter den Beschäftigten, besonders unter Angestellten und technischem Personal. So sind im Bezirk Frankfurt/O. die Eisenbahner, besonders Fahrdienstleiter, Stellwerksleiter und dergleichen, missgestimmt darüber, dass sie nicht mehr wie bisher mit ca. 15,00 bis 20,00 DM, sondern nach der neuen Berechnung nur noch mit 1,50 bis 5,00 DM an der Rangierprämie beteiligt sind.
Im Geräte- und Reglerwerk Teltow, [Bezirk] Potsdam, herrscht immer noch Unzufriedenheit unter den Technologen über die Streichung der Treueprämie.6 Von der Streichung der Treueprämie sind ca. 60 Technologen, die die Arbeit eines Ingenieurs durchführen, betroffen. Alle 60 Technologen zahlen aufgrund dieser Maßnahme nur noch 2,00 DM FDGB-Beitrag, anstatt wie vorher 12,00 DM. Die gleiche Stimmung wie im Reglerwerk Teltow ist im Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke unter den technischen Kräften, die keine akademische Ausbildung haben, vorhanden.