Stimmung zu Prämienfragen (5)
13. August 1956
Information Nr. 146/56 – Betrifft: Stimmung zu Prämienfragen (5. Bericht)
In der Zeit vom 14.6.1956 bis 8.8.1956 wurden wiederum in einer Reihe von Industrie- und Verkehrsbetrieben unzufriedene Diskussionen über das Prämiensystem bekannt. Im Besonderen wurden die Diskussionen zu folgenden Fragen geführt:
- 1.)
Auszahlung von Quartalsprämien
- 2.)
Prämien zum 10. Jahrestag der VE-Betriebe
1.) Auszahlung von Quartalsprämien
Wie schon mehrfach berichtet, löst die Auszahlung von Quartalsprämien unter den Produktionsarbeitern in den verschiedensten Industriebetrieben große Unzufriedenheit aus. Die Unzufriedenheit richtet sich besonders dagegen, dass Wirtschaftsfunktionäre und Angestellte in den Genuss von hohen Prämien kommen, wogegen die Produktionsarbeiter nur mit geringen Mitteln bedacht werden.
So besteht im VEB Spinnstoffwerk »Otto Buchwitz« in Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, unter den Arbeitern in den Abteilungen Faserhalle und technische Werkstätten große Empörung über die Höhe der ausgezahlten Prämien an die Intelligenz, die sich auf 2 000 bis 3 000 DM belaufen. Die Arbeiter diskutieren dazu in folgender Form: »Wir bekommen 20,00 DM und die Intelligenz 200 mal mehr, das will eine Arbeiter- und Bauern-Regierung sein.«
Im Kaliwerk Bernburg-Gröna, [Bezirk] Halle, sind Angehörige der Belegschaft mit der hohen Prämienzahlung an die Werkleitung und an die Lenkungskräfte unzufrieden und äußern: »Wenn der Arbeiter mal 20,00 DM bekommt, wird ein Anschlag usw. gemacht. Wenn aber die Lenkungskräfte Prämien von 1 000 DM erhalten, wird alles schön verschwiegen. Jedes Mal, wenn die Lenkungskräfte die Prämien bekommen, geht die Arbeit im Betrieb zurück.«
Im VEB Mälzerei- und Speicherbau Erfurt wurde am 31.7.1956 die Quartalsprämie in Höhe von 91 000 DM gezahlt. Durch die unterschiedliche Zahlung im Verwaltungsapparat wurden Prämien bis über 2 000 DM gezahlt, dagegen betrug im Betrieb die Höchstprämie nur 100 DM, worüber unter den Arbeitern heftige Diskussionen in negativer Art entbrannten. Dabei wurde von den Arbeitern zum Ausdruck gebracht, dass man von keinem Arbeiter- und Bauernstaat sprechen könnte, sondern von einem Staat der Intelligenz sprechen müsste, da sie so sehr gefördert würde. Des Weiteren vertraten die Kollegen den Standpunkt, dass man wohl Prämien zahlen sollte, aber nicht in dieser Höhe und nicht an Angestellte, sondern an Produktionsarbeiter, die die Werte schaffen.
Charakteristisch für die Prämienverteilung ist die Äußerung eines Arbeiters aus dem Kraftwerk Harbke, [Bezirk] Magdeburg, der seine Stimmung mit folgenden Worten ausdrückte: »Überall gibt es Unfrieden wegen der Prämien. Die Werkleiter und Techniker schlucken Tausende von Mark, der Arbeiter wischt sich aber nur die Nase. So etwas nennt sich nun Arbeiterregierung.«
Unstimmigkeiten und ähnliche Erscheinungen über die Auszahlung der Quartalsprämien wurden noch aus folgenden Betrieben (VE-Betrieben) bekannt:
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Blechverformungswerk Aue,1 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,
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Stahl- und Walzwerk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam,
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Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,
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Flachsspinnerei Wiesenbad, [Kreis] Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,
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Werkzeug-Ring Suhl,
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Chemische Werke Buna, Merseburg, [Bezirk] Halle,
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Möbelwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera,
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Berliner Druckhaus,
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Schott Jena, [Bezirk] Gera,
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Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« Rudolstadt, [Bezirk] Gera,
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Jenapharm Jena, [Bezirk] Gera,
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Zellwollbetrieb Blankenstein,2 Lobenstein, [Bezirk] Gera,
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»Hammerschuh« Roßwein, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig,
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Entwicklungsbau Dresden,
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Holzbau Goldberg, [Kreis] Lübz,3 [Bezirk] Schwerin,
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Phönix Rudolstadt,4 [Bezirk] Gera,
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Tewa Neustadt [an der] Orla, [Kreis] Pößneck, [Bezirk] Gera,
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Bahnwerk Magdeburg-Rothensee
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und im Press- und Schmiedewerk »Hein Fink« in Wismar, [Bezirk] Rostock.
2.) Prämien zum 10. Jahrestag der VE-Betriebe
In verschiedenen Betrieben hat die Prämierung anlässlich des 10-jährigen Bestehens volkseigener Betriebe große Unzufriedenheit hervorgerufen. Vielfach taucht unter den Beschäftigten die Meinung auf, dass die Verteilung der Prämien nicht gerecht erfolgt sei, da wiederum – wie bei den Quartalsprämien – die Leitungskräfte bevorzugt worden sind. Verschiedentlich gingen die Arbeiter auch davon aus, dass alle Beschäftigten, die zehn Jahre in einem volkseigenen Betrieb tätig sind, eine Prämie erhalten werden. So brachte z. B. im VEB Falkenruf in Oelsnitz,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, die Belegschaft in Diskussionen zum Ausdruck, dass sie an diesem Tage eine Gesamtprämie erwartet hätten, welche unter allen Arbeitern gleichmäßig aufgeteilt würde.
Ebenfalls hat die Prämierung unter den Arbeitern des VEB Werk für Fernmeldewesen Berlin große Unzufriedenheit hervorgerufen. Die Kollegen bezeichnen es als ungerecht, dass fast ausschließlich nur die Wirtschaftsfunktionäre des Betriebes – und diese mit einer verhältnismäßig hohen Prämie – berücksichtigt worden sind. Ihrer Meinung nach wäre es richtiger gewesen, die Mitarbeiter aller Beschäftigten [sic!], die schon zehn Jahre dem Betrieb angehören, in irgendeiner Form anzuerkennen. Die Verärgerung über die Prämierung hat bei den alten Kollegen die Meinung aufkommen lassen, dass in den kapitalistischen Betrieben die Prämien gerechter verteilt worden sind, da hätte z. B. bei Dienstjubiläum jeder Beschäftigte die gleiche Summe als Anerkennung für seine Arbeit ausgezahlt erhalten.
In der Zuckerfabrik Friedland, [Kreis] Neubrandenburg[-Land], war festzustellen, dass die Angestellten der Zuckerfabrik Geldprämien erhielten und die Arbeiter nur Buchprämien bekamen. Von den Arbeitern des Betriebes wurde dieses Verhalten mit Verärgerung zur Kenntnis genommen. Sie brachten zum Ausdruck, dass scheinbar die Angestellten bessere Menschen wären als die Arbeiter, da solche Unterschiede gemacht werden.
Auch unter den Kollegen des VEB Funkwerk Berlin-Köpenick tauchte die Meinung auf, dass bei der Verteilung der Prämien Ungerechtigkeiten vorgekommen sind. So sei es falsch, dass eine Angestellte prämiert worden ist, die im Jahre 1950 die Arbeit aufgenommen hat, einige Zeit später in einen anderen Betrieb überwechselte und jetzt wieder beim Funkwerk arbeitet. Diese Angestellte könnte nach Ansicht der Kollegen bei einer anderen Gelegenheit, nicht aber zum 10. Jahrestag der volkseigenen Betriebe prämiert werden. Im Betrieb ging im Juni das Gerücht herum, dass alle Kollegen, die seit 1946 im Funkwerk arbeiten, prämiert werden. Die Enttäuschung war groß, als sich herausstellte, dass diese Annahme nicht stimmte.
Ähnliche Diskussionen wurden noch geführt im Kabelwerk Köpenick, Städtisches Werk Berlin-Buch,6 »Aktivist« Berlin,7 Zwirnereimaschinenbau Karl-Marx-Stadt, Schott Jena und Sprengstoffwerk Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg.