Stimmung zu Prämienfragen (7)
14. November 1956
Information Nr. 333/56 – Betrifft: Stimmung zu Prämienfragen (7. Bericht)
In der Zeit vom 14.9.1956 bis 22.10.1956 wurden wiederum unter den Beschäftigten einer Reihe von Industrie- und Verkehrsbetrieben unzufriedene Diskussionen über das Prämiensystem bekannt, besonders zu folgenden Fragen:
- 1.)
Unterschiedliche Auszahlung der Prämien zwischen Angehörigen der Intelligenz und Arbeitern
- 2.)
Forderung über Wegfall des Prämiensystems
1.) Unterschiedliche Prämienzahlung an Angehörige der Intelligenz und Arbeiter
Wie schon vielfach berichtet, löst die Auszahlung von Prämien unter den Produktionsarbeitern in einem großen Teil von Industriebetrieben Unzufriedenheit und Missstimmung aus. Sie sind damit nicht einverstanden, dass Wirtschaftsfunktionäre und Angestellte in den Genuss von hohen Prämien kommen, wogegen die Produktionsarbeiter, die den Hauptanteil an der Erfüllung der Produktionspläne leisten, nur mit geringen Mitteln oder überhaupt nicht bedacht werden.
Im VEB Lederwaren Zeitz, [Bezirk] Halle, gelangten 22 000 DM für 20 Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz und demgegenüber nur 3 000 DM für 500 Arbeiter als Prämie zur Verteilung. Die Arbeiter sind damit nicht einverstanden. Sie sind verbittert und arbeiten lustlos.
Aufgrund der hohen Auszahlung der Quartalsprämie an Wirtschaftsfunktionäre und Angestellte hat ein erheblicher Teil der Belegschaft der Kyffhäuserhütte in Artern, [Bezirk] Halle, die Zahlung von FDGB-Beiträgen verweigert. Zum Beispiel verweigerten diese Zahlung rund 40 % der 160 Arbeiter zählenden mechanischen Werkstatt. Ebenfalls verweigerten im VEB Gummiwerk Elbe, [Bezirk] Halle, aus dem gleichen Grunde rund 30 % einer 108 Arbeiter starken Abteilung die Zahlung der FDGB-Beiträge.
Im Hydrierwerk Zeitz, [Bezirk] Halle, ist das Hauptthema der Diskussionen die Prämienzahlung. Besonders deshalb, weil außer den Meistern und den Angehörigen der technischen Intelligenz auch sämtliche Angestellten der Verwaltung Prämien erhielten. Für die Arbeiter wurde eine Prämie von 25 000 DM aufgeteilt, sodass jeder Arbeiter 8,00 DM als Prämie erhält. Die Arbeiter bringen keinesfalls Verständnis dafür auf, dass auf der anderen Seite Prämien bis zu 150 % des Monatsgehaltes gezahlt werden.
In der Hauptreparaturwerkstatt »Max Reimann« in Kleinmachnow, [Kreis] Potsdam-Land, hat die letzte Ausschüttung der Erfüllungsprämie Unzufriedenheit unter der Belegschaft hervorgerufen. Die Produktionsarbeiter sind nicht damit einverstanden, dass die Prämien nur unter den leitenden Angestellten verteilt wurden. Der 1. Sekretär der BPO erklärte dazu, dass die Produktionsarbeiter am 1. Mai und 13. Oktober1 ihre Prämien bekommen und das müsste genügen.
Im VEB Elektrophysikalische Werkstätten in Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, wirkt sich die Unzufriedenheit so aus, dass vor allem die Arbeiterinnen die Beteiligung an Wettbewerben ablehnen. Dabei diskutieren sie u. a. wie folgt: »Wir bekommen ja doch immer nur 25,00 bis 35,00 DM und die Angehörigen der Intelligenz bekommen alle drei Monate eine Quartalsprämie von ca. 700 DM.«
Im VEB Stahlleichtbau Staaken, [Kreis] Neuruppin,2 [Bezirk] Potsdam, hat die Betriebsleitung durch Aushang die Prämierung des ingenieurtechnischen Personals, der Meister und der leitenden kaufmännischen Angestellten veröffentlicht. Dadurch steigerte sich die Missstimmung unter den Arbeitern. Sie bezeichneten diesen Aushang als Provokation. Da den Arbeitern bekannt ist, dass für die Prämierung der Arbeiter nur noch 2 800 DM zur Verfügung stehen, haben sie sich errechnet, dass auf jeden Arbeiter 12,00 bis 15,00 DM Prämie kämen und sagen: »Wir werden keinen Wettbewerb mehr mitmachen, damit die nicht mehr das Geld in die Tasche stecken können. Wir machen die Arbeit und die stecken das Geld ein.«
Die Arbeiter des VEB Schamottewerk Thonberg, [Kreis] Kamenz, [Bezirk] Dresden, sind über die letzte Prämienzahlung sehr verärgert. Bei der Verteilung der Prämie wurden lediglich Betriebsleiter, Ingenieure, Techniker, Buchhalter und Meister mit einer Prämie in Höhe von 700 bis 1 000 DM bedacht, wogegen die Produktionsarbeiter leer ausgingen. Unter den Arbeitern wird die Meinung laut, »dass sie bloß die Arbeit machen müssen und die Prämien stecken andere ein.«
Im Stabwalzwerk des Stahlwerkes Riesa, [Bezirk] Dresden, wurde durch die Prämienverteilung unter den Arbeitern große Unruhe und Missstimmung hervorgerufen, weil auf ca. 100 Arbeiter 2 000 DM und auf 15 Angestellte 1 500 DM kommen. Ein Arbeiter sagte dazu, »dass man eben mit dem Bleistift doch am besten verdient«.
Im VEB Groma Markersdorf,3 [Kreis] Karl-Marx-Stadt[-Land], haben die Betriebsfunktionäre für die Quartalserfüllung Prämien in Höhe von 800 bis 1 000 DM und die Arbeiter nur 25,00 bis 80,00 DM erhalten. Deshalb lehnt ein Teil der Belegschaft ab, am gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen, Literatur zu kaufen und Gewerkschaftsbeiträge zu zahlen. Das gleiche trifft auch auf die VEB Halbzeugwerk Auerhammer, Feinspinnerei Burgstädt,4 Baumwollweberei Mittweida und Patentfabrik Penig, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zu.
Im VEB Spindelfabrik Hartha, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig, wird von den Arbeitern hauptsächlich gegen die Höhe der Prämien, die die einzelnen leitenden Angestellten erhielten, Stellung genommen. Z. B. erhielten der Werkleiter eine Prämie in Höhe von 2 000 DM und der technische Leiter in Höhe von 1 800 DM ausgezahlt. Damit waren die Arbeiter nicht einverstanden und erklärten, dass sie in der Hauptsache an der Planerfüllung beteiligt sind und nun mit leeren Taschen ausgehen müssen.
Aus dem VEB Werk für Bauelemente Großbreitenbach, [Kreis] Ilmenau, [Bezirk] Suhl, wird bekannt, dass unter den Arbeitern Missstimmung herrscht, weil man den Werkleiter, technischen Leiter, Hauptbuchhalter, Planungsleiter und andere mit einer Prämie von ca. 1 000 DM bedachte, während die Arbeiter nur ca. 25,00 bis 30,00 DM erhielten. Die Arbeiter sagen ganz offen, dass diejenigen, die das Geld einstecken, auch die freiwilligen Einsätze im Betrieb allein machen sollen.
Diese Beispiele könnten noch um ein Vielfaches erweitert werden, da im überwiegenden Teil der Betriebe der DDR in dieser Form diskutiert wird.
2.) Forderungen über Wegfall des Prämiensystems
Vereinzelt tritt noch unter den Arbeitern die Meinung auf, man solle mit der Verteilung der Prämien aufhören und das Geld für andere Zwecke verwenden bzw. dafür die Löhne erhöhen, da durch die Verteilung der Prämien nur Missstimmung unter die Arbeiterschaft gebracht wird. So wird z. B. unter einem großen Teil der Arbeiter des VEB Ziehwerk Brotterode, [Kreis] Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, sehr schlecht über die zur Auszahlung gelangenden Quartalsprämien gesprochen. Der parteilose Arbeiter [Name 1] aus diesem Werk sagte Folgendes: »Ich kann nicht verstehen, dass unsere Regierung es nicht einsehen will, dass mit der Auszahlung der Quartalsprämien nur eine Missstimmung unter die Arbeiter getragen wird. Die Arbeiter müssen doch Tag und Nacht ihre ganze Kraft für die Erfüllung der Pläne einsetzen und werden nicht an der Quartalsprämie beteiligt, sondern sie bekommen nur einen geringen Teil ausgezahlt, und davon auch nur ein gewisser Teil der Arbeiter. Arbeiten müssen doch alle, und es ist an der Zeit, dass, wenn die Regierung das Vertrauen aller Arbeiter gewinnen will, mit dieser Art von Prämienzahlung Schluss gemacht wird.«
In der Abteilung Odlexylin5 im VEB ECW Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, vertreten die Arbeiter die Meinung, dass eine Prämierung Unsinn sei, da jeder dasselbe leistet und einer auf den anderen angewiesen ist. Es sollte lieber der Lohn dafür erhöht und der Lebensstandard verbessert werden. So erklärte der Brigadier [Name 2], die sollen uns mit ihrem Prämiensystem in Ruhe lassen, da gibt es wenigstens keine Streitereien. Ebenfalls fordern die Arbeiter des VEB Industriewerk Nord Halle die Abschaffung des Prämiensystems.