Stimmung zu Prämienfragen (8)
27. November 1956
Information Nr. 364/56 – Betrifft: Stimmung zu Prämienfragen (8. Bericht)
Innerhalb der letzten vier Wochen wurden wiederum von Beschäftigten der verschiedensten Industriebetriebe Diskussionen über das Prämiensystem bekannt. Obwohl das gegenwärtige Prämiensystem nach wie vor den Unwillen der Beschäftigten erregt, wurden auch Meinungen bekannt, indem – aufgrund des Vorschlages des FDGB – bestimmte Gedanken zur Änderung des Prämiensystems zum Ausdruck gebracht werden.1 Die Mehrzahl dieser Gedanken sind jedoch negativen Inhalts und – bedingt durch die in Vergangenheit ständig hervorgerufenen Unzufriedenheit über die an die Intelligenz und Angestellten ausgezahlten hohen Prämien – nicht als verwendbare Vorschläge zu betrachten. Im Einzelnen wurde darüber Folgendes bekannt:
I. Unzufriedenheit über die Auszahlung der Quartalsprämien für das III. [Quartal] 1956
Wie schon in der Vergangenheit löste auch die Auszahlung der Prämien nach Abschluss des III. Quartales 1956 wieder Unzufriedenheit unter den Beschäftigten in den verschiedensten Industriebetrieben aus. Nach wie vor ist der Anlass dazu die unterschiedliche Beteiligung der Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz an den Prämien. Als Argument wird von den Arbeitern immer wieder angeführt, dass nicht nur die Angestellten und Angehörigen der Intelligenz, sondern in erster Linie sie als Arbeiter den Plan erfüllen und demzufolge besser prämiiert werden müssten. Über derartige Diskussionen ist in den vorangegangenen Berichten schon wiederholt Mitteilung erfolgt. Mehr Beachtung muss – aufgrund der Ereignisse in Ungarn hervorgerufen2 – den Diskussionen geschenkt werden, in denen schwankende und negative Stellungnahmen im Zusammenhang mit der erfolgten Prämienzahlung zum Ausdruck gebracht wurden.
Im VEB Woll- und Seidenweberei Greiz, [Bezirk] Gera, sah die Prämienaufteilung entsprechend den noch geltenden gesetzlichen Bestimmungen wie folgt aus:
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99 Personen (Techniker): 66 TDM
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90 Personen (Büroangestellte): 12 TDM
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1 200 Personen (Arbeiter): 31 TDM
Die Betriebsparteiorganisation der SED und Betriebsgewerkschaftsleitung ist nicht damit einverstanden, dass diese Prämienauszahlung so vorgenommen wird. Zur Begründung wird angeführt, dass dadurch Unruhen unter der Belegschaft zu befürchten seien.
Im VEB Mineralölwerk Herrenleithe, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden, bringen die Arbeiter nach erfolgter Prämienzahlung zum Ausdruck, »dass die Regierung doch von der Unzufriedenheit im Volk orientiert sei, denn die Unzufriedenheit sei in allen VE-Betrieben. Man müsste außerdem aus den Vorgängen in Ungarn gelernt haben, was es bedeutet, wenn sich das Volk zu einem Volksaufstand zusammenfindet.« Der größte Teil der Arbeiter in der Produktion lehnt es außerdem ab, sich weiter am Parteilehrjahr zu beteiligen, mit der Begründung, »was dort gelehrt wird, wird doch nicht in die Tat umgesetzt. Es hat deshalb keinen Zweck, die Freizeit für eine derartige Theorie zu opfern.«
Im VEB Baumwollweberei Olbersdorf, [Kreis] Zittau, [Bezirk] Dresden, wurde von einem stellvertretenden Saalmeister geäußert, dass er auf eine Frage nach der Prämienzahlung zur Antwort erhielt, dass die Zahlung noch nicht feststeht. »Wir werden denen (Betriebsleitung) schon aufs Leder knien, die wollen es vielleicht so haben wie in Ungarn.«
Im Kalk- und Zementwerk Rüdersdorf, [Bezirk] Frankfurt/O., rief die Auszahlung der Quartalsprämien ebenfalls große Unzufriedenheit hervor. Am 12.11.1956 wurde auf einer Blechtafel über der Schmiede im Tiefbau folgende Losung angebracht: »28 Prämien wurden gezahlt. Zusammen 21 701 DM. 434 Mann à 50,00 DM wäre für alle ein schönes Weihnachtsfest.« Das Wort »alle« war unterstrichen.
Im VEB (K) Spielwarenbetrieb Sonneberg, [Bezirk] Suhl, wird unter den Beschäftigten nach der Auszahlung der Prämien wie folgt diskutiert: »Wir erfüllen den Plan und wenn wieder einmal die Frage stehen wird, Überstunden zu leisten, um den Plan zu erfüllen, dann soll die Intelligenz die Überstunden leisten. In Ungarn ist es wahrscheinlich auch so gewesen und die Arbeiter hatten sich dagegen aufgelehnt, was der Gegner dann ausgenutzt hat.«
Im Kreisbauhof Hagenow, [Bezirk] Schwerin, wurden am 26.10.1956 die Prämien ausgezahlt. Der Betriebsleiter erhielt 1 500 DM und die Schreibkräfte 50,00 DM. Die Schreibkräfte holten sich jedoch ihre Prämien nicht ab und erklärten, »dass der Betriebsleiter, wenn er das dreißigfache leistet, dieses Geld auch noch bekommen könnte«.
In dem VEB Chemische Werke Buna, [Bezirk] Halle, besteht innerhalb der Parteigruppe 28 der SED Unstimmigkeit. Zwei Mitglieder der SED haben ihre Mitgliedsbücher mit der Begründung abgegeben, »dass sie mit der Entwicklung nicht einverstanden sind«. Außerdem sind beide mit der Beitragszahlung erheblich im Rückstand. Die Begründung ist, dass bei der halbjährlichen Prämienzahlung die Prämiensumme zum Monatslohn hinzugerechnet wird, sodass sich der Beitragssatz erhöht.
II. Meinungen zur Änderung des Prämiensystems
Die vorliegenden Stellungnahmen zur Änderung des Prämiensystems sind nur zu einem geringen Maß auf die Veröffentlichung des Beschlusses des FDGB über die Änderung des Prämiensystems oder auf Diskussionen der Gewerkschaft in den Betrieben zurückzuführen. Die Mehrzahl der Stellungnahmen wurde im Zusammenhang mit der Auszahlung der Quartalsprämien und der dadurch hervorgerufenen Unzufriedenheit abgegeben. Diese Stellungnahmen enthalten deshalb auch falsche und negative Tendenzen und sie sind, wie schon eingangs erwähnt, nur z. T. als Vorschläge zu verwenden. Nachfolgend die im Einzelnen dazu bekannt gewordenen Meinungen.
Im Keramikmaschinenbau Steinach,3 [Kreis] Sonneberg, [Bezirk] Suhl, erklärten Arbeiter, »dass man die Prämien wohl differenziert ausgeben soll, aber nicht so, dass einzelne Personen über 1 000 DM erhalten und andere überhaupt nichts bekommen«. In ähnlicher Weise äußerten sich Arbeiter im Nähmaschinenwerk Altenburg, [Bezirk] Leipzig, und der Verwaltung der Mitropa Berlin. Beschäftigte der Mitropa Berlin erklärten, »dass die Prämien nach der Planerfüllung nicht nur an Abteilungsleiter, sondern besonders an das Personal gezahlt werden sollten, das die Waren an Sonn- und Feiertagen umsetzt«.
Im Kraftwerk Harbke, [Bezirk] Magdeburg, vertraten Arbeiter die falsche Ansicht, »für die Prämien lieber vor Weihnachtsfeiertagen – ähnlich wie in Westdeutschland – eine ansehnliche Summe Weihnachtsgeld zu zahlen«. Sie begründen ihre Meinung damit, dass die »Prämienzahlung nur Unstimmigkeit mit sich bringt«. Gleiche und teilweise negative Tendenzen wurden in Stellungnahmen der Beschäftigten im Zementwerk Schwanebeck,4 [Bezirk] Magdeburg, Kaliwerk Roßleben, [Bezirk] Halle, und Walzwerk Kirchmöser, [Stadtteil von] Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, bekannt.
Die Grundtendenz dieser Diskussionen ist, die Prämienzahlung ganz abzuschaffen und dafür die Löhne auszugleichen.
III. Feindpropaganda zur Prämienzahlung
Ausgehend von einer Kritik am Prämiensystem – veröffentlicht in der Zeitschrift »Die Wirtschaft«5 – nimmt RIAS in einem Kommentar am 20.11.1956 zu angeblich in der DDR geführten Diskussionen und beabsichtigten Änderungen am Prämiensystem Stellung. Darin fordert RIAS indirekt die Betriebsleitungen auf, »die Pläne niedrig zu halten, damit ihnen die Quartalsprämien umso sicherer sind.«
Weiterhin hetzt RIAS, indem er sich besonders mit angeblichen Diskussionen von Arbeitern befasst, mit folgenden Worten: »Wahre Leistungen, ob nun von diesem Personenkreis oder nicht, sind dagegen vielfach überhaupt nicht oder nur mit 50,00 Mark im Quartal honoriert worden.« Im Folgenden behauptet dann RIAS, zur Vermeidung von Unstimmigkeit wäre vorgesehen, den Fonds für Quartalsprämien und den Direktorfonds zusammenzulegen.6 Dazu gibt RIAS folgende »Hinweise«, auf deren Realisierung die Beschäftigten achten müssten.
- 1.)
Dass »viele einschränkende Vorschriften über die Bedingungen und die Höhe der Zuwendungen an diesen Fonds wegfallen, damit überhaupt an nennenswerte Prämien gedacht werden könnte«.
Außerdem »müssten die Ministerien und Hauptverwaltungen sich dazu bequemen, objektive Schwierigkeiten anzuerkennen«.
- 2.)
»käme es darauf an, wer – nicht formell – sondern tatsächlich über die Prämienempfänger und die Höhe der Prämien bestimmt«.
- 3.)
»dass in Zukunft der Direktorfonds wirklich ganz für Prämien zur Verfügung steht. Die zweckgebundenen Teile des Fonds für soziale und kulturelle Zwecke sowie für den Arbeitsschutz würden die Prämien nach wie vor schmälern.«