Stimmung zur III. Parteikonferenz der SED (10)
6. April 1956
III. Parteikonferenz der SED (10. Bericht) [Information Nr. M81/56]
In der Zeit vom 3.4. bis 5.4.1956 war festzustellen, dass unter allen Bevölkerungsschichten in stärkerem Maße als bisher über die III. Parteikonferenz diskutiert wurde.1 Die Mehrzahl der Diskussionen ist positiv. Außerdem halten weiterhin die Produktionsverpflichtungen an. Obwohl im Vordergrund aller Diskussionen immer noch die Stellungnahmen zu den Ausführungen des Genossen Walter Ulbricht über die Einführung des 7-Stunden-Tages2 und die anderen Vorschläge zur Verbesserung der Lebenslage3 stehen, wurden auch in stärkerem Maße Diskussionen zu anderen wirtschaftlichen und politischen Fragen bekannt. Insbesondere sind das Diskussionen über die Entwicklung der Landwirtschaft4 und des Mittelstandes5 sowie Stellungnahmen zu den Ausführungen der III. Parteikonferenz über den Weg zur Einheit Deutschlands6 und die breitere Entfaltung der Demokratie.7 In diesen Diskussionen zeigt sich eine Anzahl von Unklarheiten, die auf noch ungenügende Aufklärung zurückzuführen sind. Diese Unklarheiten führten wiederum zu Zweifel und ablehnendem Verhalten bei den verschiedensten Fragen. Negative und feindliche Äußerungen wurden nur vereinzelt bekannt. Der Inhalt richtet sich gegen die SED und den Genossen Walter Ulbricht.
Zu den einzelnen Problemen wurden folgende Argumente unter den verschiedensten Bevölkerungsschichten bekannt:
Zur Einführung des 7-Stunden-Tages
Zur Einführung des 7-Stunden-Tages nehmen weiterhin nur Beschäftigte der Industrie und Landwirtschaft Stellung. Aus dem Handel und den örtlichen Organen wurden nur vereinzelt Stellungnahmen von Angestellten bekannt. In diesen Diskussionen kommen immer wieder Zweifel zum Ausdruck, in dem man sagt, dass dies nur leere Versprechungen seien, dass man sich nicht konkret festgelegt habe, wann die Einführung erfolgt, dass es unter den gegenwärtigen Bedingungen in den Betrieben nicht möglich ist, den 7-Stunden-Tag einzuführen oder dass es überhaupt nicht möglich ist, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft, zu verkürzter Arbeitszeit überzugehen. Derartige Diskussionen werden in stärkerem Maße in den Bezirken Neubrandenburg, Magdeburg, Berlin, Gera, Potsdam, Karl-Marx-Stadt, Cottbus, Leipzig, Frankfurt/O., Rostock und Suhl geführt. Charakteristisch dafür sind folgende Beispiele:
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In der Komplexbrigade des VEB Welton Meiningen trat die Meinung auf, »dass bei der Einführung des 7-Stunden-Tages die Arbeitskraft noch mehr ausgenutzt wird. Man ist der Ansicht, dass, was bisher in acht Stunden geschaffen wurde, das schon in sieben Stunden geschafft werden muss. Es ginge also auf Kosten der Arbeiter.«
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Dem gegenüber wird uns aus Jena berichtet, dass sich mehrere Zeissarbeiter zur Frage der Einführung des 7-Stunden-Tages wieder wie folgt unterhielten: »Bei ihrem 7-Stunden-Tag handelt es sich doch nur um leere Versprechungen, ähnlich wie mit dem nie gekannten Wohlstand am Ende des ersten Fünfjahresplanes.8 Dann sollen wir 50 Prozent mehr leisten, aber das Realeinkommen soll dagegen nur um 30 Prozent gesteigert werden.«
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Ein Meister im VEB Herrenbekleidung Fortschritt bezeichnet die Ausführungen über die Verkürzung der Arbeitszeit als »Gummi« und erklärt hierzu Folgendes: »Aufgrund der Formulierung, dass man erst die Arbeitsproduktivität heben muss, ist man immer in der Lage, diesen Beschluss mit einer entsprechenden Begründung abzulehnen.«
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Weiterhin glauben z. B. einige Kollegen im VEB Reifenwerk [Berlin-]Schmöckwitz, dass ein 7-stündiger Arbeitstag mit erhöhter körperlicher Anstrengung verbunden ist, um dadurch die fehlende Zeit wieder herauszuholen. Im gleichen Betrieb und auch im VEB Elektrokeramik [Berlin-]Pankow bringen einige Kollegen zum Ausdruck, dass Genosse Walter Ulbricht schon einmal die Abschaffung der Lebensmittelkarten angekündigt hat.9 Sie folgern daraus, dass die Einführung des 7-Stunden-Tages ebenfalls nur ein Versprechen bleiben wird.
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Ein verdienter Aktivist der MTS Einwinkel, Kreis Osterburg, äußerte, »dass der 7-Stunden-Tag eingeführt wird, glaube ich noch nicht, oder es müssen sämtliche Instrukteure, die in der Landwirtschaft auftauchen, in den Arbeitsprozess eingereiht werden«.
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Der Tischlermeister [Name 1] aus Dewitz, Kreis Osterburg, sagte: »Wenn der 7-Stunden-Tag eingeführt wird, muss ich meine Leute entlassen, denn ich kann für weniger Arbeitsstunden nicht denselben Lohn bezahlen.«
Steigerung der Arbeitsproduktivität
Im Zusammenhang mit den Diskussionen über den 7-Stunden-Tag wurden wiederum aus den Bezirken Magdeburg, Berlin und Gera Stellungnahmen bekannt, deren Inhalt darauf hinausgeht, dass eine Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht mehr möglich ist und somit nur auf »Knochen der Arbeiter« erfolgen kann. Zutreffend dafür sind folgende Beispiele:
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Mehrere Arbeiter des Karl-Marx-Werkes Magdeburg sind sich nicht darüber im Klaren, auf welcher Basis der 7-Stunden-Tag erreicht werden soll. In der Härterei meinten mehrere Arbeiter: »Walter Ulbricht popularisiert die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Bei uns ist aber nichts mehr zu machen, denn schneller arbeiten, als bisher, ist nicht mehr möglich.«
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So werden unter der Belegschaft des VEB Papierfabrik Greiz Diskussionen größeren Umfanges vonseiten der Arbeiter in der Form geführt, dass man sagt: »Bei uns ist es gar nicht so leicht möglich, aus den alten Maschinen noch mehr herauszuholen. Auf der anderen Seite soll aber die Produktion gesteigert werden, damit erst die Voraussetzungen zur Einführung des 7-Stunden-Tages bzw. der 40-Stunden-Woche geschaffen werden.«
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In einem Lokal in der Dimitroffstraße, Berlin (Prenzlauer Berg), erklärten drei Arbeiter: »Die haben wieder einen neuen Fünfjahrplan10 beschlossen und wollen mehr produzieren. Da kann man wieder damit rechnen, dass die Normen erhöht werden, d. h., dass man noch mehr schinden muss, um auf sein Geld zu kommen.« »Das war früher auch schon so, ob es nun Refasystem, Akkord oder Leistungslohn heißt, der Prolet muss schinden und die Angestellten und Meister stecken die hohen Gehälter ein.«
Entwicklung der Landwirtschaft
Zu den Ausführungen über die Entwicklung in der Landwirtschaft wurden Stellungnahmen besonders von werktätigen Einzel-, Mittel- und Großbauern aus den Bezirken Magdeburg, Gera, Leipzig, Frankfurt/O. und Rostock bekannt. Diese Stellungnahmen beinhalten ebenfalls Zweifel an den vorgeschlagenen Maßnahmen sowie Befürchtungen, in die LPG gezwungen zu werden, was ebenfalls auf ungenügende Aufklärung zurückzuführen ist. Charakteristisch dafür sind folgende Beispiele:
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Ein werktätiger Bauer (parteilos) aus Sternsdorf,11 [Kreis] Ribnitz[-Damgarten], [Bezirk] Rostock, sagte: »Die III. Parteikonferenz will uns Bauern wohl helfen, aber es sieht für uns noch traurig aus. Man dringt darauf, dass alle Bauern zur LPG übergehen sollen, doch in der LPG ist kein Bauernleben mehr.«
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Aus dem Kreis Lobenstein, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,12 wird berichtet, dass verschiedene Mittelbauern im Zusammenhang mit der III. Parteikonferenz die Meinung vertreten, dass es jetzt gar keinen Zweck mehr habe, sich noch Maschinen und Geräte zu kaufen, denn auf der III. Parteikonferenz wurde ja ganz klar aufgezeigt, dass die Sozialisierung auf dem Lande verstärkt fortgesetzt wird.
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Ein werktätiger Bauer aus Klein Ziethen,13 Kreis Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/O., äußerte: »Was hat die Partei denn für uns getan? Wir sind nur da, um zu finanzieren. Wir werden aber bald mit Euch anders verfahren. Wir sind freie Bauern und wollen nicht unter der Diktatur leben, ihr wollt uns alle in die Kolchosen haben,14 aber da machen wir nicht mit. Wir wollen freie Wahlen machen, dann werdet ihr schon sehen, wer an die Regierung kommt. Wenn wir alle in die LPG hinein müssen, dann muss das ganze Volk verhungern.«
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Ein Großbauer aus Zwochau, [Kreis] Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, brachte über die III. Parteikonferenz Folgendes zum Ausdruck: »Die III. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist ganz gut und schön, aber über die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten unserer Landwirtschaftlichen Betriebe wird nichts gesagt, denn die Kommunisten würden uns am liebsten alle vernichten. Wenn wir aber nichts abliefern würden, dann wäre unser Staat schon lange zusammengebrochen. Die Einführung des 7-Stunden-Tages ist ja auch nur ein Propagandamittel, sie sollen lieber erst einmal die Menschen als anständige und freie Menschen leben lassen.«
Entwicklung des Mittelstandes und privaten Sektors
In der Berichtszeit wurden aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Gera, Suhl und Rostock Diskussionen über die Ausführung der III. Parteikonferenz zur Entwicklung des Mittelstandes und des privatkapitalistischen Sektors bekannt. Dazu äußerten sich besonders private Unternehmer und Einzelhändler. In diesen Diskussionen kommen ebenfalls Zweifel über die Vorschläge sowie Befürchtungen über eine eventuelle Enteignung zum Ausdruck. Dazu folgende charakteristische Beispiele:
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Im Kreis Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde festgestellt, dass von verschiedenen Unternehmern und Gewerbetreibenden negativ über die Beschlüsse der III. Parteikonferenz diskutiert wird. So bringt man zum Ausdruck, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen wäre, wo alles Privateigentum liquidiert und der Sozialismus im Vormarsch sei. Weiterhin sind sie der Meinung, dass erhöhte Steuern zu erwarten sind, denn die Volkskammer würde doch Millionen verschlingen, und die Nationale Verteidigung sei sowieso nur eine Tarnung des Staates.
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Mehrere private Unternehmer aus Gera äußerten sich zu der staatlichen Beteiligung an Privatbetrieben wie folgt: »Erst dachten wir, die letzte Stunde wäre gekommen, aber nachdem wir den Kommandit-Vertrag gesehen hatten, der keine außerordentliche Kontrolle oder Machtbefugnisse für den Staat vorsieht, sind wir einverstanden. Wir verstehen nur nicht, dass unsere Anträge auf Beteiligung nicht beachtet werden.«
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Ein Privatunternehmer aus Lichte, [Ortsteil] Geiersthal, [Kreis] Neuhaus, [Bezirk] Suhl, sagte: »Die III. Parteikonferenz zeigt Perspektiven auf, die auch den Privatunternehmer leben lassen. Es bleibt jetzt nur noch abzuwarten, ob dies auch Wahrheit ist oder man nur mit Schwindel operiert.«
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Der Inhaber des Hutgeschäftes [Name 2] in Quedlinburg, [Bezirk] Halle, sagte zur III. Parteikonferenz Folgendes: »Leider erhalten nur die größeren Privatbetriebe Staatszuschüsse, wo die Inhaber derselben als sogenannte freie Mitarbeiter tätig sein können. Gleichzeitig ist diesen Menschen die Zusicherung gegeben, dass sie ihre Betriebe behalten. An uns kleine Geschäftsleute hat man wieder nicht gedacht und wir sind wieder vergessen worden.«
Rentenerhöhung15
Die Diskussionen über die Rentenerhöhung sind nach vorliegendem Material zurückgegangen. In den bekannt gewordenen Äußerungen kommen weiterhin Befürchtungen zum Ausdruck, dass es sich nur um eine geringe Aufbesserung handeln wird. Im Bezirk Gera wurden außerdem Diskussionen bekannt, dass man auch den Kriegerwitwen eine Rente geben soll sowie, dass den Schwerbeschädigten die Renten gekürzt würden, um die Altersrenten aufbessern zu können. Diskussionen dieser Art wurden aus den Bezirken Gera, Suhl und Rostock bekannt. Dafür folgende Beispiele:
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Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, diskutiert man: »Es ist ja ganz schön, dass die Renten erhöht werden sollen, aber man soll endlich einmal nach elf Jahren auch an die Kriegerwitwen denken und denen auch eine Rente geben, damit sie es leichter haben.«
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Aus dem VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera, wird berichtet, dass dort Diskussionen dahingehend auftreten, indem gesagt wird, dass den Schwerbeschädigten die Renten deshalb gekürzt worden sind, um die Altersrenten aufbessern zu können.
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Ein Angestellter (Mitglied der SED) vom Rat der Stadt Grimmen, [Bezirk] Rostock, äußerte zum Referat des Genossen Walter Ulbricht auf der III. Parteikonferenz Folgendes: »Man sollte bei der Rentenerhöhung doch gleich die Summe angeben, damit man weiß, wie weit sie erhöht werden, nicht vielleicht nur um 5,00 DM. Die Renten hätten schon lange erhöht werden können, zumal der Haushaltsplan für das Jahr 1955 mit einigen Milliarden Überschuss abgeschlossen wurde. Wo bleiben die ganzen Gelder, die im ersten Fünfjahrplan eingespart wurden?«
Zur breiteren Entfaltung der Demokratie
Zu den Ausführungen des Genossen Otto Grotewohl wurden Diskussionen unter Arbeitern, Angestellten und der Intelligenz aus den Bezirken Gera, Berlin, Leipzig, Potsdam und Frankfurt/O. bekannt.16 In diesen Diskussionen befasst man sich in der Hauptsache mit der Justiz und der Staatssicherheit. Dabei werden Auffassungen geäußert wie, Genosse Grotewohl hat mit der Justiz abgerechnet, man will sich vor der Öffentlichkeit reinwaschen, die Urteile der Gerichte sind zu hart, die Staatssicherheit arbeitet zu scharf und Ähnliche, wie sie in folgenden Beispielen zum Ausdruck kommen.17
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Im Ministerium für Land und Forstwirtschaft äußerte ein Genosse: »Bei uns wird es sich so auswirken, dass man die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit überprüfen wird. Die Staatssicherheit wird in Zukunft nicht mehr mit der bisherigen Schärfe arbeiten können.«18
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Ein Angestellter aus Belzig, [Bezirk] Potsdam, erklärte dazu Folgendes: »Der Genosse Grotewohl hat in seinem Referat mit der Justiz abgerechnet, insbesondere mit dem Generalstaatsanwalt und mit dem Minister für Justiz, Benjamin.«19
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In Jena unterhielten sich einige Arbeiter über die Ausführungen des Genossen Otto Grotewohls über die Arbeit der demokratischen Justiz. In den Diskussionen wurde zum Ausdruck gebracht, »dass die Urteile der Justiz in vielen Fällen zu hoch sind. So wurden z. B. Menschen, welche im betrunkenem Zustand sich in ihren Gesprächen gegen unseren Staat auslassen, zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt, während man in kriminellen Sachen wieder viel zu mild urteilen würde«.
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Unter den Angestellten des staatlichen Kreiskontors in Seelow, [Bezirk] Frankfurt/O., wurde über die Einhaltung der Gesetzlichkeit diskutiert: »Die Regierung hat von den voreiligen Verhaftungen und Urteilen gewusst, jetzt will man sich in der Öffentlichkeit nur reinwaschen.« Die drei Wissenschaftler brachten sinngemäß zum Ausdruck, »dass sich bei uns in der DDR etwas geändert hat und dass man sich freier äußern könnte«.
Zur Verständigung und der Einheit Deutschlands
Aus den Bezirken Erfurt, Gera, Suhl und Berlin wurden Diskussionen aus allen Bevölkerungsschichten zu den Vorschlägen über die Verständigung beider Teile Deutschlands und die Herstellung der Einheit Deutschlands bekannt. In diesen Diskussionen wird Missfallen darüber geäußert, dass sie keine Interzonenpässe erhalten und dass Päckchen mit kleinen Geschenken zurückgebracht werden. Diese Tatsachen nimmt man zum Anlass, um zu argumentieren, dass dies sich nicht mit den Vorschlägen der III. Parteikonferenz vereinbaren würde. Dazu folgende Beispiele:
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Eine parteilose Arbeiterin aus der Zigarettenfabrik Wolf, Brotterode, [Kreis] Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, äußerte sich wie folgt: »Gewiss bringt die III. Parteikonferenz viel Neues auf allen Gebieten. Ich kann nur nicht verstehen, dass in Bezug auf die Ausstellung von Interzonenpässen und des Paketverkehrs keine Änderungen eintreten sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man Päckchen mit einer Kinderschürze und 1 m Kleiderstoff zurückgeschickt [sic!]. Das ist meiner Meinung nach eine große Schweinerei. Genauso ist es mit den Interzonenpässen. Da muss man annehmen, dass diese nach dem Gesicht verteilt werden. Diese Missstände müssen auch noch beseitigt werden, denn die Verhältnisse, so wie sie jetzt sind, tragen nicht zur Einheit Deutschlands bei.«
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Die Materialbuchhalter vom VEG Sülzhayn, [Bezirk] Erfurt, ist sehr ungehalten darüber, dass er keine PM 12a bekommen hat.20 Er wollte zu einer Erbschaftsgerichtsverhandlung nach Westdeutschland. Er meinte, »somit seien die Menschen in der DDR rechtslos. Das hätte mit Freiheit nichts mehr zu tun. Er glaube nicht an den Arbeiter- und Bauernstaat.«
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Ein Rentner aus Greiz, [Bezirk] Gera, äußerte in einer Hausversammlung unter Zustimmung der Anwesenden über die Ausgabe von PM 12a wie folgt: »Ich kann nicht verstehen, warum man zurzeit den Interzonenverkehr einschränkt. Dies führt doch nicht zur Verständigung der beiden Teile Deutschlands.«
Hetze gegen die Partei und führende Funktionäre
Aus den Bezirken Magdeburg, Gera sowie aus zentralen Institutionen in Berlin wurden wiederum negative und feindliche Diskussionen gegen die Partei und führende Funktionäre gerichtet, bekannt. Diese Diskussionen sind z. T. auf den Einfluss feindlicher Sender mit zurückzuführen.
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Der Ortsvorsitzende der CDU in Zoppoten, [Bezirk] Gera, äußerte: »Es ist doch klar, die SED muss doch wieder einmal ihre Macht zeigen, die anderen Parteien sind ja abgemeldet. Das wird auch vom Ausland beobachtet, denn es sind auch Vertreter vom Ausland da, denen muss doch gezeigt werden, wie stark die SED ist.«
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Im Karl-Liebknecht-Werk Magdeburg äußerte ein Arbeiter: »Der Hamburger Sender21 sagte, dass Ulbricht, Grotewohl und Stoph22 während der III. Parteikonferenz herausgerufen worden sind. Da ist sicher ein Telegramm aus Moskau gekommen, damit sie nicht so viel Mist erzählen. Wir könnten sonst denken, wir sind schon im Himmel.«
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Ein anderer Arbeiter des gleichen Werkes sagte: »Ulbricht soll nicht so viel erzählen, sonst müsse er auch noch nach Moskau zur Kur und könnte versterben.«23
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Im Entwurfsbüro für Industriebau Berlin erklären Angestellte, »dass bei uns auf der III. Parteikonferenz der Personenkult nicht angesprochen wurde«. Damit meinen sie den Genossen Walter Ulbricht.
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Im Ministerium für Lebensmittelindustrie, Presseabteilung, erklärte ein Genosse: »Ulbricht kann gut reden, aber ich weiß noch ganz gut, dass er auf dem XIX. Parteitag24 nicht dicht genug an Stalin herankommen konnte, um ja mit aufs Bild zu kommen.«
Äußerungen aus der Berliner SPD25
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Im VEB Wissenschaftlich-Technisches Büro für Gerätebau Berlin erklären SPD-Mitglieder: »Wir haben uns zwar mit der Konferenz beschäftigt, enthalten uns aber einer Stellungnahme, da wir diese erst von unserer Parteileitung abwarten.«
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Im Kraftwerk Klingenberg äußerte ein Schichtmeister, Mitglied der SPD: »Die haben uns schon viel versprochen, die sollten erst einmal beweisen, was sie können. Wir würden uns wohl alle freuen, wenn sie das, was auf der Parteikonferenz vorgeschlagen worden ist, wahrmachen.«
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Auf einer Kreismitgliederversammlung der SPD Friedrichshain äußerte der als Referent anwesende Kurt Neubauer26 u. a. »Die SED hat ihre Schlussfolgerungen aus dem XX. Parteitag27 gezogen und erklärt, dass sie Fehler gemacht hat in der Zusammenarbeit mit der SPD. Aber was ist das für eine Partei, die jahrelang einem Phantom nachjagt und plötzlich merkt, dass sie in falscher Richtung fährt. Man könnte jetzt der Meinung sein, dass nun eine Aktionseinheit möglich wäre.28 Aber wer gibt uns die Garantie dafür, dass die jetzige neue Meinung nicht eines Tages von der SED ebenfalls als falsch proklamiert wird. So, wie die SED heute zu den Problemen steht, ist eine Aktionseinheit mit ihr unmöglich. Es kann den Sozialdemokraten nicht zugemutet werden, sich mit Menschen zu vereinen, die es gutheißen, dass Tausende, die anderer Meinung sind, in Gefängnissen und Zuchthäusern der Zone schmachten. Die KPD in Westdeutschland solle sich dafür einsetzen, dass die politischen Gefangenen freigelassen werden, dann käme man sich vielleicht einen Schritt näher. Wenn es einmal eine Aktionseinheit geben wird, dann nur, wenn die SPD die Richtung bestimmt.«
Besondere Vorkommnisse
Zum vorzeitigen Stapellauf des zweiten 10 000-t-Frachters »Völkerfreundschaft« erklärte der Werkzeuginstandhalter [Name 3] von der Warnow-Werft Warnemünde Folgendes: »Der Stapellauf des zweiten 10 000-t-Frachters zu Ehren der III. Parteikonferenz ist schön und gut, aber eine Tatsache ist, dass das Schiff noch gar nicht reif zum Stapellauf war, angefangen von den Ankerklüsen bis zu den Ladepfosten, und die Eisenwände waren auch nur lose angeheftet. Um das Schiff tatsächlich reif zum Stapellauf zu machen, wären mindestens noch 4 bis 6 Wochen Zeit auf der Helling benötigt worden. Alle diese Arbeiten, die man durch die vorteilhafte Anlage bequem hätte auf der Helling unter geringem Kostenaufwand verrichten können, müssen jetzt bedeutend teurer im Wasser durchgeführt werden. Auf der einen Seite proklamiert man die Erfolge und auf der anderen Seite schmeißt man das Geld immer nur so weg.«