Stimmung zur Neufestsetzung der Arbeitsnormen (1)
14. Januar 1956
Die Stimmung zur Neufestsetzung der Arbeitsnormen [Information Nr. M8/56]
Gegenwärtig kommt es immer wieder zu Diskussionen über Normenfragen unter den Beschäftigten einer Reihe Betriebe. Besonders treten diese Diskussionen auf, wo die Normen neu festgesetzt [wurden] bzw. wo dies geplant wird. Vorwiegend in den Betrieben, in denen die Normen bisher mit 130 bis 200 % erfüllt worden sind, ist zu verzeichnen, dass die Neufestlegung der Normen häufig abgelehnt wird. In verschiedenen Betrieben werden diese Diskussionen auch dadurch ausgelöst, dass bei den Neufestsetzungen von Normen die vorher gemachten Versprechungen durch die Werkleitung nicht eingehalten werden. Dadurch, dass die Bedingungen zur Erfüllung der Norm nicht geschaffen wurden, kommt es unter den Beschäftigten, wie im Martin-Hoop-Werk Zwickau zu Meinungen, dass die Normen zu hoch sind und dass »sie heute mehr ausgebeutet werden als unter den Kapitalisten.«
Vereinzelt kommt es auch durch falsches Herangehen der TAN-Sachbearbeiter1 an die Normenfrage zur Verärgerung und negativen Diskussionen unter den Beschäftigten.
Zu den bisher aufgeführten die bekannt gewordenen Beispiele:
Im VEB Schuhfabrik Schmölln, [Bezirk] Leipzig, wurde, nachdem durch die Gewerkschafts- und Parteileitung aufgrund ständiger Normerfüllung von ca. 200 % vorher mehrere Aussprachen stattfanden, durch den TAN-Sachbearbeiter bei dem Schuhzwicker [Name 1] eine Zeitstudie für eine Norm aufgenommen. [Name 1] sowie alle Arbeiter der Abteilung nahmen dazu eine ablehnende Haltung ein, sodass keine neue Norm eingeführt werden konnte.
Obwohl in allen Steinkohlenrevieren des Bezirkes Karl-Marx-Stadt in Belegschaftsversammlungen und Aktivtagungen über die neuen technisch begründeten Arbeitsnormen volles Einverständnis herrschte, sind an verschiedenen Arbeitsabschnitten im Martin-Hoop-Werk Zwickau heftige Diskussionen über die neue Norm festzustellen. Im Abbau 710/1 sind die Holzpfeilersetzer verärgert, weil die neue Norm 4,6 m gegenüber 4 m der alten vorsieht. Ein Teil der Arbeiter diskutiert dahingehend, »dass ihnen bei Einführung der neuen Norm von zwei Instrukteuren des FDGB versprochen wurde, dass das Material, vor allem Altholz, bis zum Arbeitsplatz hingebracht werden muss. Bisher habe sich jedoch nichts geändert, da die Versprechungen von der BGL und Werkleitung nicht eingehalten werden, nur der Verdienst sei gesunken.«
Verantwortungslos arbeitet die Betriebsleitung des VEB Pressenbau Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl. Trotz jahrelanger praktischer Erfahrungen gibt sie eine Vorgabezeit für die Fertigstellung von Maschinen heraus, die jeder technischen Grundlage entbehrt. So war es einem Arbeiter möglich, eine Maschine in 343 statt 850 Stunden Vorgabezeit fertigzustellen. Dadurch gibt es in diesem Betrieb viele Arbeiter, die ihre Norm mit 180 % erfüllen. Die Betriebsleitung versucht nachdem [sic!], immer den Verdienst ohne Aussprache mit den Arbeitern zu kürzen, wodurch es zu heftigen Auseinandersetzungen kommt.
Ebenfalls Normenerfüllungen mit 160 bis 180 % wurden bei einer Überprüfung im VEB Alfi-Werk Fischbach, [Kreis] Bad Salzungen, bekannt. In den Diskussionen kam zum Ausdruck, dass die Arbeiter mit einer Änderung einverstanden sind, wenn der Verdienst dadurch nicht gesenkt wird. Im VEB Patentpapierfabrik Penig, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, diskutieren besonders die Frauen im Papiersaal über zu hohe Normen, wodurch sie alle Anstrengungen machen müssen, um überhaupt auf ihr Geld zu kommen. Aufgrund dessen ist nach Feststellungen der Betriebsleitung gegenwärtig in dem Betrieb ein sehr hoher Krankenstand zu verzeichnen. Im VEB (K) Wirkwarenfabrik Elsterberg, [Bezirk] Gera, löste falsches Herangehen des TAN-Sachbearbeiters an die Normenfrage Verärgerung und negative Diskussionen unter den Arbeiterinnen aus, die durch diese neue Normfestsetzung im Durchschnitt 60,00 DM monatlich weniger erhalten.