Stimmung zur Preissenkung
9. Juni 1956
Stimmung zur Preissenkung [Information Nr. M128/56]
Die 17. Preissenkung löste unter breiten Kreisen der Bevölkerung große Freude aus.1 Zahlreiche Diskussionen darüber zeigen, dass diese als ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Lebenslage angesehen wird. Diese Meinung besteht besonders auch deshalb, weil sich unter diesen Waren eine ganze Reihe brauchbarer und guter Waren wie Radios, Fahrräder und Fotoapparate befinden. Folgende Diskussionen kehren immer wieder:
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»Die Preissenkung ist eine feine Sache. Jetzt können sich eine Reihe Menschen bedeutend mehr kaufen.«
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»Man sieht doch, dass es bei uns von Jahr zu Jahr besser und billiger wird.«
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»Wir hätten jetzt wirklich noch keine Preissenkung erwartet. Es ist daher ein schöner Erfolg für die Anstrengung unserer Werktätigen und gleichzeitig wird damit die Richtigkeit unserer Politik bestätigt.«
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»Wir freuen uns besonders über die Herabsetzung der Preise für Radios, Fahrräder und Fotoapparate.«
Von vielen Familien wird vor allem die Preissenkung für Kinderbekleidung begrüßt. Es wird immer wieder erklärt, dass damit den kinderreichen Familien wesentlich geholfen wurde.
Nicht unbedeutend sind aber auch die zahlreichen pessimistischen und negativen Diskussionen. Hierbei nehmen die Diskussionen – »die Preissenkung ist zwar ganz gut und schön, aber man hätte lieber die Lebensmittelpreise senken sollen« – einen beachtlichen Raum ein. Vielfach wird erklärt, dass es besser gewesen wäre, die Lebensmittelpreise zu senken, denn solange die Preise dafür noch so hoch seien, könnte man sowieso nichts anschaffen. Die Rentner sagen dazu, ihnen hätte die Preissenkung keine Erleichterung gebracht, da sie sich die preisgesenkten Waren sowieso nicht kaufen könnten bzw. im Alter gar nicht benötigen. Neben diesem Argument wird noch die Meinung vertreten, »die Preissenkung ist nur vorübergehend, wenn die Waren ausverkauft sind, steigen bei Neuanlieferungen derselben, die Preise wieder an.«
Dabei ist zu erwähnen, dass die Bevölkerung nicht davon informiert wurde, dass eine Abwertungsaktion und eine reguläre Preissenkung durchgeführt werden. Durch diese Unkenntnis wird diese Meinung noch wesentlich bestärkt. So kauften z. B. im Kreis Ilmenau, [Bezirk] Suhl, einige Frauen Stoffe und Gardinen mit der Begründung, diese Waren könnten bis dahin wieder teurer sein. Des Öfteren wird auch davon gesprochen, dass das gar keine richtige Preissenkung sei, weil nur alte Ladenhüter und Überplanbestände verkauft werden, die sonst keinen Absatz gefunden hätten. Als typisch hierfür können folgende Diskussionen bezeichnet werden: Eine Stenotypistin beim Rat der Stadt Erfurt äußerte: »Ich habe mir die Sachen in den Schaufenstern angesehen, es sind ja nur Ladenhüter. Wer kauft sich heute noch Kunstlederschuhe? Die Sachen müssen aber unbedingt verkauft werden, da sie sonst darauf sitzen bleiben. Es heißt, der Reallohn steigt, aber wenn ich mir davon nichts kaufe, steigt ja mein Lohn nicht.« Eine Schneiderin aus Erfurt: »Die Preissenkung hat doch gar nichts weiter zu sagen. Die sitzen mit den Waren fest und brauchen unbedingt das Geld. Die guten Stoffe, Perlon usw., sind nicht billiger geworden.«
Stimmung unter den privaten Geschäftsleuten
In den Bezirken kommen private Einzelhändler zur Unterabteilung Finanzen und bitten um Rückerstattung der Abwertungssummen. Laut Durchführungsbestimmung zur Preissenkung betrifft die Abwertung nur den staatlichen und genossenschaftlichen Handel, sodass der private Einzelhandel die Abwertungssumme nicht zurückbekommen und selbst tragen müsse.
So werden z. B. im Bezirk Karl-Marx-Stadt unter den Privathändlern negative Diskussionen geführt. Deshalb sprachen in dieser Angelegenheit am 4.6.1956 ca. 60 Einzelhändler bei der Abteilung Handel und Versorgung des Rates des Kreises Karl-Marx-Stadt vor.
In Spremberg, [Bezirk] Cottbus, hat der private Einzelhändler [Name 1] für ca. 6 000 DM alte Radioapparate, die im staatlichen und genossenschaftlichen Handel im Preis gesenkt wurden, auf Lager. Da der private Einzelhandel bei dieser Abwertung nicht einbezogen ist, erklärt dieser Einzelhändler, dass er Pleite machen muss, wenn keine andere Regelung getroffen wird. Ähnlich sieht es auch im Kreis Calau aus, wo die privaten Einzelhändler keinen Limit [sic!] für Fahrradhilfsmotor erhalten haben und darüber sehr verärgert sind.
Starke negative Diskussionen wurden besonders aus den Bezirken Frankfurt/O., Cottbus und Neubrandenburg bekannt.
Stimmung zur Änderung der Preise für Arbeitsbekleidung
Da der Bevölkerung außer der Erklärung des Genossen Grotewohl, dass die Arbeitsbekleidung bezugsscheinfrei und zum alten Preis weiter verkauft wird,2 nicht bekannt gegeben wurde, dass einige Artikel, wie buntkarierte Oberhemden und buntgedruckte Kleiderarbeitsschürzen aus der Position Arbeitsbekleidung herausgenommen wurden, ruft die Erhöhung der Preise für diese Artikel Verärgerung hervor.
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So erklärte z. B. eine Angestellte vom Rat des Kreises Greiz, [Bezirk] Gera: »Genosse Grotewohl hat doch gesagt, dass die Berufskleidung nicht mehr bezugsscheinpflichtig ist und im Preis sich nicht verändert. Es hat doch aber keiner etwas gesagt, dass die bunte Berufswäsche dem HO-Preis angepasst wird. Da werden doch die Leute sagen, das ist ja Betrug.«
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In Greiz, [Bezirk] Gera, waren die Käufer darüber sehr verärgert und erklärten: »Es ist doch alles Schwindel.« Das Verkaufspersonal war den Diskussionen der Bevölkerung nicht mehr gewachsen und wollte den Verkauf einstellen. Von der Unterabteilung Abgaben beim Rat des Kreises wurde veranlasst, diese Waren bis zur Klärung aus dem Verkauf zu ziehen.
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Im Bezirk Karl-Marx-Stadt löste die Abschaffung der Bezugsscheine für Berufskleidung in fast allen Betrieben lebhafte Diskussionen aus. Man erklärt sich mit den neuen Preisen nicht einverstanden. Vom Rat des Bezirkes, Abteilung Handel und Versorgung, wird berichtet, dass laufend Anrufe seitens der BGL der Betriebe kommen, in denen man sich über diese Maßnahme erkundigt und dabei zum Ausdruck bringt, dass in den Betrieben über die Höherstufung lebhafte und zum Teil erregte und negative Diskussionen geführt werden.
Besondere Vorkommnisse
Am 31.5.1956 wurde im HO-Warenhaus am Markt in Halle beim Direktor eine Unterschriftensammlung gegen die Sonntagsarbeit am 3.5.1956, die von ca. 60 Kollegen unterschrieben war, abgegeben. Es handelt sich hierbei vorwiegend um Jugendliche, die damit keine böswilligen Absichten verfolgten. Urheber dieser Unterschriftensammlung war ein Angestellter, der bei einer Aussprache zugab, den Kollegen geraten zu haben, ihre Forderungen bei der BGL schriftlich einzureichen. Dieser Angestellte trat bei Diskussionen wiederholt negativ in Erscheinung. Er wurde 1951 aus der Partei ausgeschlossen. Aufgrund dieses Vorfalles wurde er beurlaubt und wird wahrscheinlich entlassen. Die an der Unterschriftensammlung beteiligten Kollegen erklärten sich bereit, in ihrer Brigade über den gemachten Fehler zu diskutieren.