Stimmung zur Schaffung der NVA (3)
21. Januar 1956
Stellungnahme zur Nationalen Volksarmee (3. Bericht) [Information Nr. M15/56]
I. Gesamteinschätzung
Im Mittelpunkt der Diskussionen unter allen Bevölkerungsschichten steht weiterhin der Beschluss der Volkskammer zur Schaffung einer Nationalen Volksarmee.1 Am stärksten wird dazu unter den Beschäftigten der volkseigenen Industrie Stellung genommen.2 Unter den älteren Arbeitern werden in etwa 60 % der Diskussionen zur Schaffung einer Nationalen Volksarmee positive Stellungnahmen abgegeben, während die Diskussionen Jugendlicher sowie der Angestellten und Angehörigen der Intelligenz der Betriebe in der Mehrzahl negativ oder pazifistisch sind. Ebenfalls ablehnend und pazifistisch äußert sich in der Industrie der größte Teil der weiblichen Beschäftigten.3 In den positiven Stellungnahmen kamen wiederum Verpflichtungen zum Beitritt zur Volksarmee, zu besseren Produktionsleistungen, aktiver Mitarbeit in der GST und den Kampfgruppen4 u. Ä. zum Ausdruck.5 Weiterhin wurden wieder Diskussionen bekannt, in denen einzelne Personen und Gruppen eine Volksabstimmung oder Ähnliches über die Nationale Volksarmee fordern.6
II. Hauptargumente
Im Vordergrund ablehnender und negativer Äußerungen stehen7 weiterhin die bisher schon bekannten Argumente,
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»dass die VP und KVP doch genügt und dass man nicht noch eine Volksarmee braucht«,
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»dass sie kein Gewehr mehr anfassen«,
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»dass ein neuer Krieg bevorsteht«,
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»dass der Westen nicht angreift«,
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»dass alles ›von oben‹ bestimmt würde«,
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»dass die Vorbereitungen ›wie bei Hitler‹ vorgenommen würden«,
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»dass der Lebensstandard nunmehr sinken werde«.8
Zu diesen Argumenten wurden folgende neue wesentliche Argumente bekannt:
- 1.)
Bezugnehmend auf frühere Äußerungen führender Genossen sowie auf Kongressen und Großkundgebungen wird die Ablehnung der Nationalen Volksarmee vielfach damit begründet, dass nach 1945 gesagt wurde, kein Deutscher soll wieder eine Waffe tragen9 (Bezirke Halle, Frankfurt/O., Cottbus, Rostock, Suhl).
- 2.)
Unter Verkennung der neuen politischen Lage und des Charakters der Nationalen Volksarmee wird besonders von Jugendlichen zum Ausdruck gebracht, dass sie die Gestellungsbefehle zerreißen werden,10 wenn die Wehrpflicht eingeführt wird,11 so wie man es bisher von den westdeutschen Jugendlichen forderte (Bezirke Suhl und Wismut).
- 3.)
Verschiedentlich wird aus Unkenntnis über die internationale und nationale Lage zum Ausdruck gebracht, dass sich die DDR damit nicht an das Potsdamer-Abkommen12 hält und die Aufstellung der Nationalen Volksarmee noch verfrüht durchgeführt würde13 (Bezirke Suhl, Potsdam, Cottbus, Rostock).
- 4.)
Im gleichen Zusammenhang wird die Ablehnung damit begründet, dass »dadurch die Wiedervereinigung beiseite gedrängt« und die Verbindungen nach Westdeutschland abgebrochen würden14 (Bezirke Rostock, Cottbus).
- 5.)
Ebenfalls aus Unkenntnis über die Politik der DDR in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands wird bei der Ablehnung argumentiert, sie hätten viele Bekannte in Westdeutschland, gegen die sie keine Waffen erheben würden15 (Bezirke Suhl, Potsdam, Cottbus, Wismut, Berlin – Baustelle Nalepastraße).
- 6.)
Häufig wurde im Zusammenhang mit dem Beschluss der Volkskammer das Argument in den Diskussionen angeführt, dass es nach einem neuen 17.6. aussieht16 (Bezirk Frankfurt/O. und Schwerin, Suhl).
Charakteristische Beispiele
1.) Arbeiter in der Industrie
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Die Arbeiter des Großhandelskontor Auslieferungslager Fürstenberg (Oder) brachten zum Ausdruck, »nach 1945 habe es geheißen, kein Deutscher sollte mehr eine Waffe in die Hand nehmen und jetzt wird alles militarisiert«.17
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Im Schacht 12 Oberschlema der Wismut äußerte ein Hauer: »Ich halte es für besser, wie es auch die Kumpel des Schachtes 38 – Oberschlema – zum Ausdruck brachten, man solle viel lieber ein Telegramm an den Weltfriedensrat senden,18 damit dieser die Menschen in Ost- und Westdeutschland auffordern kann, keine Waffen in die Hände zu nehmen und jeden Stellungsbefehl zu zerreißen.«
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Im Porzellanwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl, führte der Arbeiter [Name 1], Mitglied der SED, aus, »die Einberufung der Volksarmee zum heutigen Tage ist noch verfrüht, da die Bevölkerung im Großen und Ganzen nicht genug vorher ideologisch über die Dringlichkeit aufgeklärt wurde«.19
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Im Objekt 101 der Wismut in Zwickau erklärte ein Arbeiter bei der Ablehnung zur Unterschrift unter einer Entschließung: »Ich werde keine Unterschrift für die Bildung einer Volksarmee geben, denn was man hier tun will, bedeutet Bruderkrieg. Die Arbeiter in Westdeutschland werden schon keine Waffe gegen uns erheben.«20
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Im Funkwerk Dabendorf, [Bezirk] Potsdam, brachten die dort beschäftigten Frauen zum Ausdruck, »wir haben so viele Bekannte und Verwandte in Westdeutschland und da ist es doch nicht möglich, dass wir die Waffe gegen sie erheben«.21 Diese Meinung ist charakteristisch für die weiblichen Beschäftigten in allen Industriezweigen.
2.) Angehörige der Intelligenz und Angestellte in der Industrie
Im Eisenwerk Bernsdorf, [Bezirk] Cottbus, brachte der technische Zeichner, [Name 2], in einer Versammlung von 20 Angestellten zum Ausdruck: »Die Erklärung der Volkskammer zur Schaffung einer Volksarmee ist noch zu verfrüht. Es wäre richtiger gewesen, wenn die Großmächte den Friedensvertrag abgeschlossen hätten und ihre Truppen aus Deutschland herausgezogen hätten. Dann wäre es auch an der Zeit, dass ganz Deutschland eine National-Armee aufbaut.«
In der Warnow-Werft Warnemünde äußerte der Technologe [Name 3]: »Man errichtet jetzt in beiden Teilen Deutschlands eine Wehrmacht, was die Wiedervereinigung Deutschlands vollkommen beiseite drängt. Die Verbindungen zu Westdeutschland werden dadurch restlos abgebrochen und eine Wand zwischen beiden Teilen errichtet.«22
3.) Jugendliche in der Industrie
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In der Abteilung Eisenbahn des BKW Spreetal, [Bezirk] Cottbus, wurde in einer Versammlung der Beschluss der Volkskammer behandelt und anschließend eine Entschließung zur Unterschrift herumgereicht. Der Rangierer [Name 4] brachte dazu zum Ausdruck: »1945 habt ihr gesagt, keine Waffen mehr in die Hand nehmen und aus diesem Grunde gebe ich meine Unterschrift nicht.« Die übrigen elf Arbeiter haben daraufhin auch abgelehnt zu unterschreiben.23
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In der Schiffbau- und Reparaturwerft Stralsund brachte der jugendliche Schlosser [Name 5] seine Ablehnung mit den Worten zum Ausdruck, »zu den Weltfestspielen 1951 mussten wir einen Schwur leisten,24 nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen, und jetzt kommt die Bildung der Armee«.25
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In der Grube Stahlberg, [Kreis] Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, äußerte der Jugendliche [Name 6]: »Auf dem IV. Parlament der FDJ hat man uns erklärt,26 die Jugend soll lernen und nochmals lernen, aber nicht, dass wir schon wieder Krieg führen sollen.«27
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In der mechanischen Werkstatt des Werkes 536 Zwickau erklärten mehrere Jugendliche, »wenn das Wehrgesetz erlassen wird«, wollen sie es so machen, wie es den westdeutschen Jugendlichen immer empfohlen würde, nämlich »den Stellungsbefehl zerreißen«.28
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Im RAW Potsdam erklärten mehrere Jugendliche, im Potsdamer Abkommen wäre festgelegt, dass »keine Armee mehr aufgestellt wird. Die DDR würde doch immer betonen, dass sie sich an das Potsdamer Abkommen hält.« Ein Jugendlicher lehnte den Eintritt in die Volksarmee ab mit der Begründung, erst sein Abitur zu machen. 25 % der Belegschaft haben sich gegen die Aufstellung der Volksarmee ausgesprochen.
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In der gestern stattgefundenen Aktivtagung der FDJ in Ilmenau, wo 120 Jugendfreunde und -freundinnen vertreten waren, verpflichteten sich 40 Jugendfreunde, den Reihen der Volksarmee beizutreten. Hierzu muss noch betont werden, dass die Begeisterung der Jugendlichen zur Schaffung einer Volksarmee vorrangig gewesen ist.29
4.) Landwirtschaft
In der Landwirtschaft wurden vorwiegend Stimmen aus dem sozialistischen Sektor bekannt. Einzel- und Mittelbauern nahmen bisher nur sehr wenig Stellung und von Großbauern wurde bis jetzt fast gar nicht zur Schaffung einer Nationalen Volksarmee diskutiert. Im Verhältnis zur Industrie ist die Zahl der positiven Stellungnahmen der Werktätigen des sozialistischen Sektors (Traktoristen, Brigadiere, Landarbeiter, LPG-Bauern u. a.) größer.30 Ca. 75 % des gesamten Personenkreises sprechen sich für die Schaffung einer Nationalen Volksarmee aus. Dabei muss allerdings die Einschränkung gemacht werden, dass ein kleiner Teil der Nationalen Volksarmee zustimmt, aber selbst mit dieser nichts zu tun haben will. Hauptargument der positiven Stimmen ist, »dass wir unsere Errungenschaften schützen müssen« und vielfach heißt es auch, »dass unsere Jugendlichen bei der Nationalen Volksarmee endlich einmal richtig erzogen werden«.31 Ausdruck der positiven Stellung sind auch die Verpflichtungen zum Beitritt zur Nationalen Volksarmee, deren Zahl in der Landwirtschaft größer ist als in der Industrie. Z. B. verpflichteten sich sechs FDJler von MTS der Kreise Grimmen und Wismar, sofort in die Reihen der Nationalen Volksarmee einzutreten.
In den negativen und ablehnenden Äußerungen werden die gleichen Argumente gebracht wie sie auch aus der Industrie bekannt sind.32
Die nachstehend aufgeführten Äußerungen aus dem Bezirk Potsdam werden auch aus anderen landwirtschaftlichen Betrieben in ähnlicher Form bekannt.33
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Der parteilose Traktorist34 [Name 7] von der MTS Ludwigsfelde, Kreis Zossen, brachte zum Ausdruck: »Es ist doch nicht richtig, dass der Osten und der Westen aufeinander hetzen, doch die Volksarmee ist auch eine Hetze. Im Jahr 1945 wurde gesagt, kein Gewehr, jetzt ist es aber wieder soweit.«35
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Auch der parteilose Aktivist36 [Name 8] vom VEG Großbeeren, Kreis Zossen, erklärte: »Wenn die Bundesarmee wirklich kommt und wir haben keine Waffen, dann tun sie uns auch nichts, haben wir aber eine Volksarmee, dann wird man uns später genauso zur Verantwortung ziehen, wie jetzt die Faschisten.«37
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Von einigen werktätigen Bauern38 aus Werder, Kreis Neuruppin, wurde folgendermaßen diskutiert: »Wozu brauchen wir eine Volksarmee, wenn wir für den Frieden sind?«39
Außerdem beschäftigen sich noch einige Werktätige der Landwirtschaft mit der Frage, wo die Menschen für die Nationale Volksarmee herkommen sollen.40 Aufgrund der Befürchtung eines Arbeitskräftemangels lehnen sie die Nationale Volksarmee ab.
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Der LPG-Vorsitzende [Name 9] aus Ludwigsfelde, Kreis Zossen, sagte: »Die Aufstellung einer Volksarmee bedeutet, dass wir weniger Arbeitskräfte für die Landwirtschaft haben werden. Wie sollen wir dann die Pläne erfüllen?«
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Aus den Reihen von Groß- und Mittelbauern wurden nur ganz vereinzelt – dabei meist ablehnende und negative – Äußerungen bekannt, die nachstehend wiedergegeben werden: Von einigen Mittel- und Großbauern der Gemeinde Ruppersdorf ([Kreis] Stadtroda),41 Bezirk Gera, wurde zum Ausdruck gebracht, »dass die Schaffung der Volksarmee nur von einem bestimmten Personenkreis verlangt und geschaffen wurde«. Die Werktätigen aber hätte man gezwungen, ihre Zustimmung zu geben.42
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Eine Bäuerin aus Lindig [Kreis] Jena[-Land], Bezirk Gera, 45 Jahre alt, parteilos, brachte zum Ausdruck, dass es nun wieder Krieg gäbe, denn die Volksarmee würde aufgestellt.
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Die Großbauern in der Gemeinde Blankenhagen, [Kreis] Rostock[-Land], erklärten: »Naja, die rüsten da drüben und hier wird jetzt auch aufgerüstet, da kann es ja dann bald losgehen.«43
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Die Großbauern der Gemeinde Ziesendorf, [Kreis] Rostock[-Land], erkennen diesen Beschluss der Volkskammer nicht an. Sie sind angeblich für den Frieden und sind der Meinung, dass man dazu keine Armee braucht.44
III. Übrige Bevölkerung45
Für die Stimmung der Angestellten in der Verwaltung kann die gleiche Einschätzung wie bei den Angestellten der Industrie gegeben werden (siehe Punkt III/2).
In der übrigen Bevölkerung (Hausfrauen, Handwerker, Geschäftsleute u. a.) beginnen jetzt erst die Diskussionen größeren Umfang anzunehmen. Dabei ist bei Hausfrauen, Handwerkern und Geschäftsleuten eine starke ablehnende Haltung festzustellen.46 Positive Beispiele wurden fast gar nicht bekannt. Die Ablehnung der Nationalen Volksarmee wird hier mit den gleichen Argumenten wie in der Industrie begründet.47
Ein Handwerkmeister aus Zoppoten ([Kreis] Lobenstein), Bezirk Gera, äußerte sich anlässlich einer Mitgliederversammlung der NDPD wie folgt: »Das glaubt doch kein Mensch, dass die Werktätigen die Volksarmee gefordert haben, das ist wieder einmal eine Sache, die von oben künstlich gelenkt wurde. So ein Schwindel, etwas anderes ist es nicht und in der Presse heißt es dann: Die Werktätigen forderten die Aufstellung einer Volksarmee.«48 Eine Hausfrau (SED) aus Bützow, [Bezirk] Schwerin, sagte, dass nach Ansicht ihres Sohnes, welcher Offizier bei der KVP ist, von 1 000 KVP-Angehörigen 100 gegen die Regierung ständen, es könne somit leicht zu einem 17. Juni kommen.
IV. Forderungen einer Volksabstimmung
Volksabstimmungen wurden noch gefordert49 in folgenden Objekten:
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VEB Feinmechanik Dresden,50
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VEB Kreisbaubetrieb Seelow, [Bezirk] Frankfurt/O.,
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VEB Schwermaschinenbau Wildau, [Bezirk] Potsdam.51
V. Objekte mit negativen Erscheinungen
In einigen Objekten traten negative Erscheinungen, besonders bei Abstimmungen und Unterschriftenleistungen in folgenden VE-Betrieben auf:52
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Schiffbau und Reparaturwerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, zwei Drittel der Belegschaft stimmten dagegen.53
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Lehrkombinat des EKS Stalinstadt, [Bezirk] Frankfurt/O.: von 28 Jugendlichen stimmten 23 dagegen.54
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VEB Bau-Union Dresden, Baustelle Altmarkt, wurde die Abstimmung durch negative Diskussionen verhindert.55
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VEB Simson Suhl, Abteilung Jagd, 96 % stimmten dagegen.56
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IKA Sonneberg, [Bezirk] Suhl, 100 % gegen Volksarmee.57
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VEB Röhrenwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl (Angestellte, Hauswerkstatt, Teilfertigung, Chemie, Kathodenfertigung und Aufbau), Mehrzahl gegen Volksarmee.
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VEB Vamag Plauen,58 Abteilung Montage, von 20 Genossen stimmten elf dagegen.
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BKW Spreetal,59 [Bezirk] Cottbus, von 2 000 Beschäftigten gaben nur 400 ihre Unterschrift60 unter die Entschließung an die Volkskammer.
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Kraftwerk Trattendorf, [Bezirk] Cottbus, durch negative Diskussionen keine Resolution unter den Angestellten angenommen.
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Kfz-Werk Potsdam,61 25 % der Belegschaft sprachen sich gegen Aufstellung aus.
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VEB Maxhütte Unterwellenborn, die Abteilung Hochofen lehnt Volksarmee ab.
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»Torpedo«-Werk Bernau, [Bezirk] Frankfurt/O., gesamte Belegschaft lehnt Volksarmee ab.62
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Werk 536 und 101 der Wismut in Zwickau, Belegschaft leistet keine Unterschrift unter Entschließung.63
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VEB Feinmechanik64 Dresden, 120 Jugendliche lehnten Volksarmee ab.65
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VEB Kabelwerk Köpenick, 80 % der Abteilung Registratur und Einkauf lehnten Aufstellung ab.
Im VEB Bekleidungswerk Bergen, Kreis Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, legten66 am 18.1.1956, in der Zeit von 12.30 bis 15.00 Uhr, 125 Arbeiterinnen (Besetzerinnen und Stepperinnen) die Arbeit nieder.67 Ursache: Bisher wurden Uniformstücke für die KVP bei guter Entlohnung angefertigt. Diese Produktion wurde auf Herrenoberbekleidung umgestellt und der Verdienst ging dadurch wesentlich zurück. Die Arbeiterinnen brachten zum Ausdruck, dass sie gern wieder Uniformen arbeiten wollen. Nach Überzeugung durch die Partei und die Gewerkschaft wurde die Arbeit wieder aufgenommen.68
VI. Republikflucht Jugendlicher
Seit dem 15. Januar 1956 wird festgestellt, dass mehr Jugendliche als bisher versuchen, illegal die DDR zu verlassen, weil sie nicht zur Volksarmee wollen bzw. befürchten, dass bald ein Wehrgesetz kommt. Es handelt sich dabei vorwiegend um die Jahrgänge 1930 bis 1940, welche aus allen Bezirken der DDR, in der Mehrzahl aus Halle und Leipzig, kommen. Seit dem 8. Januar 1956 wurden von den Organen der Deutschen Grenzpolizei und der Transportpolizei folgende Jugendliche an die zuständigen VP-Organe übergeben, weil sie republikflüchtig werden wollten:
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8. bis 15.1.1956: 94 Jugendliche,
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17. bis 18.1.1956: 7 Jugendliche,
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18. bis 19.1.1956: 51 Jugendliche.69
VII. Feindtätigkeit
Im VEB Baumwolle Olbersdorf, Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, wurde im Damenklosett eine Hetzlosung festgestellt. »Wir wollen keine Volksarmee, denn das bedeutet Krieg, nieder mit den Lumpen.«70
Weiterhin wurden folgende Hetzlosungen festgestellt:
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VEB Arzneimittelwerk Heyden Radebeul,71 [Kreis] Dresden[-Land]: »Nieder mit Pieck – Adenauer72 ist unser Befreier.«73
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VEB Getriebewerk Liebertwolkwitz,74 [Bezirk] Leipzig: »Das waren Zeiten« und ein Hakenkreuz.75
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VEB Förderanlagen Leipzig: »Alles für Deutschland, Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen.«
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VEB Porzellanwerk Neuhaus-Schierschnitz, [Kreis] Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Wir brauchen keine Volksarmee.«
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Kreiskonsum Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ohne uns.«
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VEB PAMA Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir wollen keine Wehrpflicht.«
Der VEB Sachsenwerk Niedersedlitz, [Bezirk] Dresden, erhielt eine anonyme Hetzschrift mit Anti-Sowjet-Hetze in Verbindung mit der Volksarmee. Weiterhin wird darin der Sturz der Regierung gefordert, und es heißt noch, dass freie und geheime Wahlen und Anschluss an die Bundesrepublik verlangt werden sollen.76
Am 18.1.1956, gegen 21.30 Uhr, ist im VEB Phämomenwerk Zittau,77 [Bezirk] Dresden, im Werk II, Seifhennersdorf, das Notstromgerät auseinandergeflogen.
Am 17.1.1956, gegen 22.55 Uhr, brach in der Gemeinde Leuchtentin,78 Kreis Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg, bei einem werktätigen Bauern ein Scheunenbrand aus. Es verbrannten zwei Pferde, zwei Milchkühe, ein Kalb, eine Sau mit vier Ferkeln, 30 Zentner Heu und verschiedene Geräte. Ursache: Vermutlich Brandstiftung.
Vorkommnisse an der D-Linie79 bzw. an den Sektorengrenzen Berlin:
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Am 19.1.1956, gegen 10.15 Uhr und 19.40 Uhr, verletzten vier Flugzeuge aus Richtung Weimarschmieden (Westdeutschland)80 kommend und in Richtung Meiningen, [Bezirk] Suhl, weiterfliegend den Luftraum der DDR über den Gemeinden Stedtlingen, Bettenhausen und Geba.81 Beim ersten Einflug flogen die Flugzeuge einzeln und beim zweiten Einflug zwei im Verband. Des Geräusches nach [sic!] müssen es größere mehrmotorige Flugzeuge gewesen sein.82
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Am 18.1.1956 erschienen um 9.30 Uhr an der Sektorengrenze in Bergfelde, Kreis Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, Panzerspähwagen der französischen Armee in Bataillon-Stärke. Zwei Offiziere besichtigten das Gelände und nach ca. 30 Minuten Aufenthalt fuhren die Panzerspähwagen nach verschiedenen Richtungen auseinander.
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Am 18.1.1956 forderten drei Frauen in Glienicke, Kreis Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, die Grenzpolizisten auf, nach Westberlin rüberzukommen.
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Im Kreis Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, zeigt sich nach dem Zurückziehen der sowjetischen Armee von der Wache an den Sektorengrenzen, dass im verstärkten Maße Stummpolizisten an der Sektorengrenze in Erscheinung treten.83