Streikandrohung an der Pädagogischen Hochschule Potsdam
16. Oktober 1956
Information Nr. 257/56 – Betrifft: Streikandrohung durch Professor Picht, Pädagogische Hochschule Potsdam, Institut für theoretische Physik
Am 2.10.1956 beantragte Prof. Dr. Picht1 bei der Kaderabteilung der Pädagogischen Hochschule zwei weitere Assistentenplanstellen für sein Institut. Da jedoch alle Planstellen der PH besetzt sind, wurde der Antrag abgelehnt. Dazu äußerte Prof. Dr. Picht, wenn er diese zwei Planstellen nicht erhalte, streike er. 1953 legte er bereits aus ähnlichen Gründen die Arbeit nieder.
Am 5.10.1956 überprüfte die Genossin Honecker,2 MfV, den Sachverhalt an der PH Potsdam mit folgendem Ergebnis: Von der Äußerung des Prof. Picht wurde weder die Leitung der PH, noch die Parteileitung unterrichtet. Prof. Dr. Picht ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Physik und wird als Wissenschaftler in der DDR und in Westdeutschland anerkannt. Sein Laboratorium gilt als mustergültig und ist mit den neuesten Geräten ausgestattet. Unter den Studenten ist er beliebt, da er sich für ihre Belange tatkräftig einsetzt. Er ist ein Nurwissenschaftler, der jegliche Stellungnahme zu politischen Problemen ablehnt und nur seiner Forschung lebt. Die bisherige politische Arbeit an der PH hat verschiedentlich zu Verärgerungen und Republikfluchten beigetragen. So wurde z. B. der Mathematiker der ABF nach einer Aussprache über »atheistische Propaganda – Recht und Pflicht jedes Lehrers« republikflüchtig. In einem Brief erklärte er, dass er als religiös eingestellter Mensch diese Pflicht nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann.
Dem Oberassistenten [Vorname Name] wurde der Antrag auf eine Dozentur abgelehnt. Nach einer Aussprache über die Republikflucht seiner Verlobten mit Prof. Grohn,3 Dekan der PH, verließ [Name] illegal die DDR. Unter den parteilosen Professoren und Dozenten herrscht angeblich eine gewisse Angst vor der Partei. Die Dinge, die auch sie angehen, werden hinter verschlossenen Türen behandelt. Sie werden davon nicht in Kenntnis gesetzt, sondern bekommen die Dinge angeblich erst durch dritte Personen zugetragen.
Der Parteisekretär wurde auf die Unhaltsamkeit [sic!] dieses Zustandes hingewiesen. Die Differenzen mit Prof. Picht sollen in einer Aussprache zwischen dem bisherigen Rektor Müller4 (Enthebung seiner Funktion schon längere Zeit vorgesehen), dem neuen Rektor, Genossen Scheele5 und ihm geklärt werden.