Studentendemonstration und Stimmung unter Studenten
28. Mai 1956
Studentendemonstration und Stimmung unter den Studenten (2. Bericht) [Information Nr. M114/56]
An der Fakultät für Slawistik der Humboldt-Universität wurde am Freitag, dem 25.5.1956 von der Parteileitung eine Versammlung einberufen. Der Genosse Sekretär Schikowski versuchte auf dieser Versammlung, einen Beschluss herbeizuführen, dass die Studenten in ihren Semesterferien nicht nach Westdeutschland fahren. Dies wurde mit folgenden Begründungen einstimmig abgelehnt: »Damit würde nur erreicht, dass die Studenten jetzt ganz besonders dort hinfahren.«; »Es ist verkehrt, dass gerade Genossen nicht nach Westdeutschland fahren sollen, denn diese können sich besser mit den gegnerischen Kräften in Diskussionen auseinandersetzen. Bis jetzt sind größtenteils die als negativ [zu] bezeichnenden Personen gefahren.«
Es wurde angeregt, mit den Studenten, die unbedingt nach Westdeutschland fahren wollen, zu sprechen, um ihnen aufzuzeigen, wie sie an die Dinge herangehen müssen, aus welchem Grunde die Kontaktstellen, Urlaubslager und Geldmittel bereitgestellt werden. Auf die Frage, wie sich ein Student verhalten soll, der in den Semesterferien seine republikflüchtige Mutter beeinflussen will, wieder in die DDR zurückzukehren, antwortete Genosse Schikowski, dass sich der Student von seiner Mutter abgrenzen soll. Diese Stellungnahme fand keine Zustimmung. In diesem Zusammenhang wurde die Meinung vertreten, dass sich die Genossen vom Staatssekretariat viel mehr mit dem Anliegen der Studenten befassen müssen. Nicht nur – wie es bisher geschah – rein organisatorisch. Es besteht z. B. der Eindruck, dass Genosse Harig1 bestimmten akuten Problemen aus dem Wege geht, weil er sich nicht an den Universitäten sehen lässt. Da Auseinandersetzungen im positiven Sinne aber unbedingt kommen müssen, denn dies sind ja die Auswirkungen des XX. Parteitages,2 geschehen sie – wenn man sie nicht fördert – unter der Oberfläche. Besonders hat man in den letzten zwei Jahren die Erziehung der Studenten sehr vernachlässigt. Ursache ist, dass der Lehrkörper bzw. die Assistenten – denen diese Erziehung größtenteils obliegt – selbst suchende und noch wachsende Menschen sind.
Von der zentralen Parteileitung der Universität Halle wurde an die einzelnen Fakultätsleitungen eine Direktive herausgegeben, mit den Studenten, die in den Ferien nach Westdeutschland fahren wollen, zu diskutieren, um sie von dieser Reise abzuhalten. Fahren sollen nur die Studenten, bei denen dringende familiäre oder verwandtschaftliche Gründe vorliegen. An der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät wurden darüber innerhalb der Parteileitung und unter den Parteimitgliedern heftige Diskussionen geführt, die noch andauern. Die große Mehrzahl der Genossen wendet sich gegen diesen Beschluss. Bei den Studenten der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, die zum größten Teil fortschrittlich sind, gibt es folgende Argumente u. a. von Parteimitgliedern: »Wenn man sich die Menschen ansieht, die einen Interzonenpass holen, bemerkt man viele direkt negative Personen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Studenten lassen sich aber mit diesen Menschen nicht gleichstellen.« In der juristischen Fakultät ist es ähnlich. Die Maßnahmen der ZPL werden noch sehr starke Diskussionen auslösen, da diese Dinge aufgrund der Prüfungsvorbereitungen bisher nicht stark in die Studentenschaft gedrungen sind.
Zu den im ersten Bericht vom 25.5.1956 geschilderten Vorfällen an der technischen Hochschule in Dresden sind noch folgende Einzelheiten bekannt:3 Zu der von den Chemiestudenten durch Plakat einberufenen Versammlung wurden von dem Genossen Horn (Fakultäts-Parteileitung) Redakteure der Tageszeitungen der SED, LDP, CDU und NDP eingeladen. Trotzdem der Hörsaal für diese Versammlung nicht freigegeben wurde, kam es zu einer 1 bis 1½-stündigen Ansammlung, wo auch die Resolution von 760 Studenten unterschrieben wurde. An der Spitze und als Befürworter zeichnete der Dekan der Fakultät Berufspädagogik, Prof. Trinks.4 Diese Ansammlung ging dann nach Hinweis auf die am 25.5.1956 stattfindende Versammlung auseinander.5
In der Nacht vom 24. zum 25.5.1956 wurde eine Leitungssitzung der Hochschul-Parteileitung durchgeführt, an der Funktionäre der Stadt-, Kreis- und Bezirksleitung der Partei sowie der FDJ-Bezirksleitung teilnahmen. Weiterhin nahmen daran die Genossen Chemiestudenten, die sich als sogenannte Versammlungsleitung zum Sprachrohr der Studenten machten, teil. Am Ende der Sitzung kam zum Ausdruck, dass vonseiten der Partei eine ungenügende Vorbereitung für diese Anweisung des ZK getroffen wurde. So wurde der Genosse Prorektor Turski6 kurzfristig mit der Durchführung dieser Aufgabe betraut. Die Genossen Studenten wurden jedoch in Bezug auf diese kommende Maßnahme weder unterrichtet noch angeleitet. Es wurde der Vorschlag seitens der Leitungssitzung gemacht, am 25.5.1956 getrennt nach Fakultäten – unter Führung der Partei – mit den Studenten zu sprechen und die zum Teil vertretene Meinung richtigzustellen.
Am 25.5.1956, gegen 10.00 Uhr, gab das Mitglied der Bezirksleitung Genosse Reuter,7 bekannt, dass laut Bürobeschluss und Rückfrage beim ZK die in vergangener Nacht beschlossene Versammlung nicht stattfinden soll, sondern nur in der Abteilung Chemie eine FDJ-Aktivkonferenz und eine Mitgliederversammlung der Partei stattfinden soll.
Gegen 14.00 Uhr versammelten sich in der Mensa der TH ca. 1 000 Studenten zu einer Versammlung, die vorher ebenfalls durch Aushänge angekündigt wurde, und forderten dort, dass Prorektor Turski zu ihnen spricht. (Sprechchöre »Wo bleibt Turski?«). Die Studenten wurden aufgefordert die Mensa zu verlassen. Daraufhin strömten die Studenten mit dem Ruf »alles zum Prorektorat«, »Turski herausfordern«, zum Prorektorat, das ca. 100 Meter entfernt ist. Auch dort wurden durch Sprechchöre Turski und Prof. Ley8 aufgefordert, zum Problem der Westfahrt offiziell Stellung zu nehmen. Dabei bildeten sich Diskussionsgruppen, in denen Genossen – die hierfür eingesetzt waren und ebenfalls in der Mensa zur Versammlung weilten – Auseinandersetzungen führten. Es zeigte sich aber, dass der übergroße Teil der anwesenden Studenten mit den getroffenen Maßnahmen nicht einverstanden war. (z. B.: »Diese Maßnahme entspricht nicht der Politik der Regierung, so kann man die Einheit Deutschlands nicht herbeiführen, Verletzung unserer Verfassung und unserer demokratischen Gesetzlichkeit, Beschneidung der persönlichen Freiheiten« u. a.). Während der Szenen auf der Straße vor dem Prorektorat wurde verschiedentlich von den anwesenden Studenten fotografiert. Genosse Prof. Ley gab vor den Studenten eine kurze Stellungnahme ab, die jedoch zu keiner Befriedigung unter den Studenten führte. Gegen 14.15 [Uhr] wurden vom Staatssekretariat (Genossen Grune) die bereits angekündigten Maßnahmen infrage der Westfahrten telefonisch revidiert. Von dem Inhalt des Anrufes wurden jedoch die Studenten nicht informiert und in den Studentenwohnheimen gab es noch in den Abendstunden Diskussionen.