Studentendemonstrationen in Weimar und Dresden
25. Mai 1956
Studentendemonstrationen an der Musikhochschule Weimar (2.5.1956) und an der Technischen Hochschule Dresden (24.5.1956) [Information Nr. M109/56]
Protestdemonstration von Studenten der Musikhochschule Weimar1 gegen den Komponisten Herbert Roth2 am 2.5.1956.
Die Demonstration hat folgende Vorgeschichte: Von den Professoren und Dozenten der Musikhochschule Weimar wird die Musik H. Roths im Unterricht als Beispiel für den »Kitsch in der Volksmusik« angeführt. Auch das Ministerium für Kultur, der Komponistenverband und das ZK der SED sollen die Musik Roths als ernste Gefahr für die wahre Volksmusik ablehnen. Entsprechende Artikel erschienen in der musikwissenschaftlichen Zeitschrift der DDR.3 In diesem Zusammenhang organisierten die Studenten [Name 1, Vorname], [Name 2, Vorname], Fietz, Erhard4 und [Name 3, Vorname] seit ca. 23.4.1956 einen Protestmarsch gegen die Roth’sche Musik.
Die Genossen Slomma5 (Prorektor für Studentenangelegenheiten), Felix6 (Direktor) und Cäsar (Parteisekretär) merkten zwar einige Tage vorher, dass unter den Studenten Stimmung gegen Roth organisiert wurde, schenkten diesen Dingen jedoch keine Beachtung. Erst am 2.5.1956, gegen 16.00 Uhr, erhielten die drei Vorgenannten und der FDJ-Sekretär Hammer Kenntnis von der geplanten Demonstration. Bei einer sofortigen Aussprache zwischen Direktor Felix, FDJ-Sekretär Hammer, den Organisatoren und einigen anderen Studenten verhinderte Felix diese Absichten nicht, sondern ermunterte indirekt die Studenten noch dazu, indem er sinngemäß sagte: »Ja, wenn Ihr das vor dem Theater machen wollt – ich dachte im Saal.« Der Parteisekretär Cäsar unterrichtete daraufhin den 1. Kreissekretär der SED, Genossen Lindenlaub,7 welcher anwies, auf die Studenten einzuwirken, dass die Demonstration zu unterbleiben hat. Wer trotzdem demonstriert, ist sofort von der Schule zu weisen. Den Genossen Cäsar und Hammer gelang es nicht, die Studenten von der Demonstration abzuhalten und beide Funktionäre marschierten später an der Spitze der Demonstranten, »damit alles im ›Rahmen‹ verläuft«.
Verlauf der Demonstration
Die Studenten demonstrierten von der Mensa in die Geleitstraße aus in Richtung Theater des Friedens. An der Spitze des Zuges befand sich eine Kapelle, die Roth’sche Lieder parodierte. Es wurden vier Transparente mitgeführt, die Losungen aus Artikeln der musikwissenschaftlichen Zeitschrift trugen. Ein Transparent war mit Notenschlüssel, Fragezeichen (?), Schere und Nadel bemalt (Roth ist von Beruf Friseur). Vor dem Theater des Friedens hatte die Demonstration eine Stärke von ca. 300 Personen, darunter ca. 200 Studenten (auch anderer Hochschulen und der ABF) und ca. 100 »Schaulustige«. Der Aufforderung des Schnellkommandos der VP, die Straße zu räumen, wurde nicht Folge geleistet und die VP nahm den Studenten mit Gewalt die Transparente ab. Dabei kam es zu Tätlichkeiten zwischen Studenten und Volkspolizisten. Das Eingreifen der VP wurde von negativen Elementen – besonders von den Studenten [Vorname Name 4] (Abteilung Volksmusik) und [Vorname Name 5] (Abteilung Tast[en]instrumente) – zur »Stimmungs-Mache« gegen VP und »Demokratie« benutzt. Nach ca. einer Stunde war die Ordnung wieder hergestellt.
Bemerkungen
In den am 3.5.1956 durchgeführten Sitzungen und Versammlungen nahmen die Professoren und Abteilungsleiter klar gegen die Handlungsweise der Studenten Stellung, während bei vielen Studenten selbst Unklarheiten über die politische Auswirkung dieser Demonstration bestanden. Z. B. vertrat der FDJ-Sekretär Hammer danach den Standpunkt, dass das Motiv zur Demonstration gut gewesen und die Demonstration nur durch das Eingreifen der VP in politische Bahnen gelenkt worden sei. (H. wurde von der Bezirksleitung der FDJ sofort beurlaubt.)
Eine schlechte Resonanz riefen die am 4.5.1956 erschienenen Zeitungsartikel (Thüringische Landeszeitung »Ungewöhnlicher Auftakt«8 und Thüringer Neueste Nachrichten »So protestiert man nicht«)9 hervor, in denen die Studenten als Jugendliche und »Halbstarke« bezeichnet wurden, die »randalierten und lärmten«. Es wurden erneut Stimmungen gegen die VP laut, und drei Studenten ([Name 1], [Name 2] und [Name 3]) versuchten, in der Redaktion der NDP-Zeitung den Artikelschreiber zu ermitteln, wobei es wieder zu negativen Diskussionen kam.
Am 4.5.1956 wurden von unbekannten Tätern zwei selbstgefertigte Flugblätter am Schwarzen Brett der Musikhochschule und der Hochschule für Architektur10 angebracht. (Inhalt: »So demonstriert man nicht! – Wie? – Plötzlich Wut gegen den Kitsch? – Ohne Voranmeldung?« Dazu gemalt war ein Polizist mit Tschako, langem Säbel und Pistole und erhobenem Zeigefinger, darunter ein kleiner geknickter Student mit Geige und zertrampeltem Transparent mit der Aufschrift »Kampf dem Kitsch«). Danach sah der größte Teil der Studenten die Fehler ein und distanzierte sich von den negativen Elementen.
Einige Angaben über die Organisatoren der Demonstration
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[Name 1, Vorname], Abteilung Volksmusik, arbeitet aktiv in der FDJ und in der GST mit und setzte sich vorbildlich bei der GST-Werbung an der Hochschule ein. Er trat bisher nie negativ in Erscheinung.
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[Name 2, Vorname], Abteilung Streicher, [Name 2] ist zwar Mitglied der FDJ und der GST, aber völlig indifferent. Er verließ am 3.9.1955 die DDR illegal, kehrte aber nach zwei Tagen wieder zurück, weil er angeblich an der Musikhochschule Detmold nicht angenommen wurde.
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Fietz, Erhard, Abteilung Volksmusik, aktiv in der FDJ tätig.
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[Name 3, Vorname], Abteilung Volksmusik, indifferent.
Die beiden Letztgenannten sind bisher noch nie feindlich in Erscheinung getreten.
Die vom ZK der SED – Abteilung Wissenschaft und Propaganda – gegebene Anweisung, dass keinerlei Studenten im Alter von 18 bis 25 Jahren in den Semesterferien Verwandte in Westdeutschland besuchen dürfen,11 ist am 23.5.1956 durch den Prorektor der Technischen Hochschule Dresden, Genossen Turski,12 vor 300 Seminargruppensekretären in guter politischer Form unterbreitet worden. Dabei kam es bereits hier zu erheblichen Missfallenskundgebungen. Im Laufe des 24.5.1956 war unter einem großen Teil der Studenten eine ziemliche Unruhe wegen dieser Ausführungen festzustellen, die durch einige Chemiestudenten verstärkt wurde, indem sie Plakate mit folgendem Inhalt anfertigten: (Sinngemäß) »Die Chemiestudenten laden zu einer öffentlichen Versammlung ein über das Thema ›Warum dürfen wir nicht nach dem Westen fahren?‹«.
Die Versammlung sollte am 24.5.1956, 16.00 Uhr, im großen Chemiehörsaal, der von Professor Simon13 zu diesem Zweck freigegeben wurde, stattfinden. Die Parteileitung berief deshalb eine Sitzung ein, zu der auch einige Befürworter dieser Angelegenheit eingeladen wurden. Es wurde festgelegt, den dafür vorgesehenen Hörsaal nicht freizugeben. Wie erwartet erschienen 500 bis 600 Studenten zu dieser angekündigten Versammlung. Aufgrund des Verbotes kam es wieder zu erheblichen Tumulten. Es wurde ein Protestschreiben an den Ministerpräsidenten Genossen Grotewohl verfasst, das von den Anwesenden unterschrieben wurde. Von der Partei wurde vorgeschlagen, dass dieses Thema am 25.5.1956 in Form einer öffentlichen Parteiversammlung behandelt wird.14