Synode der EKD in Westberlin
3. Juli 1956
Information Nr. 51/56 – Betrifft: Synode der evangelischen Kirche in Deutschland
Es ist bekannt, dass die Unzufriedenheit der Geistlichen in der DDR und in Westdeutschland gegen die Politik der evangelischen Kirchenleitung immer größeren Umfang annimmt. Die Unzufriedenheit richtet sich vor allem gegen:
- 1.)
Die Art der Organisierung der sogenannten Wehrmachtsseelsorge in Westdeutschland;
- 2.)
die Romreise von Dibelius;1
- 3.)
die Entfernung von Heinemann2 und Niemöller3 aus führenden kirchlichen Ämtern;
- 4.)
die Haltung der evangelischen Kirchenleitung zur DDR und zur Bundesrepublik u. a.
104 Pfarrer aus Westdeutschland protestierten am 20.2.1956 in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands und forderten Verhandlungen mit der DDR.4 Von der Kirchenleitung der evangelischen Kirche Deutschlands forderten sie die Einberufung einer außerordentlichen gesamtdeutschen Synode, die klare Verhältnisse der evangelischen Kirche zur DDR und Bundesrepublik schaffen soll. Um den Protesten der evangelischen Geistlichen entgegenwirken zu können, beschloss der Rat der EKD am 15. und 16.3.1956 in Hannover die Vorverlegung der Synode für den 27.6.1956 nach Westberlin, die für August geplant war.5 Durch diese Vorgeschichte wird die Synode in kirchlichen Kreisen offen als »Schwindelsynode« bezeichnet.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, die vom 27.6. bis 29.6.1956 stattfand, wurde von den reaktionären Kirchenkreisen zur Hetze gegen die DDR und deren sozialistischen Aufbau ausgenutzt. Um weitere Anhaltspunkte zur Hetze zu erhalten, wurde von den reaktionären Kirchenkreisen vor der Synode eine Aussprache mit der Regierung der DDR gefordert, wo man vonseiten der Kirche an die Regierung Forderungen stellen wollte in der Frage der Baulizenzen, Religionsunterricht an den Oberschulen usw. – also solche Fragen – (wie z. B. der Religionsunterricht, wo vom Magistrat von Groß-Berlin eine Verordnung diesbezüglich erlassen wurde),6 die für eine wüste Hetze gegen unsere Regierung geeignet gewesen wären bzw. Anklang auf der Synode gefunden hätten.
Welche Ziele verfolgten die reaktionären Kirchenführer auf der Synode:
- 1.)
Die reaktionären Kirchenführer versuchten die Evangelische Kirche in der DDR und in der Bundesrepublik als eine Einheit darzustellen.
- 2.)
Die reaktionären Kirchenführer versuchen auch weiterhin an der NATO-Politik festzuhalten und sie aktiv zu unterstützen.
- 3.)
Die organisatorische Einheit der Kirche soll auch auf die politische Einheitlichkeit ausgedehnt werden, die darin besteht, dass die demokratischen Kräfte in der evangelischen Kirche aus ihren Funktionen gedrängt werden und die Geistlichkeit der DDR beeinflusst wird, die NATO-Politik zu unterstützen.
Auf der Synode kam eindeutig zum Ausdruck, dass man durchaus nicht mehr von einer Einheit der evangelischen Kirche sprechen kann. Und zwar bildete sich auf der Synode eine Gruppe, die die demokratischen Kräfte der evangelischen Kirche verkörperten. Der gehören u. a. an Pfarrer Locher,7 Präses Wilm,8 der Synodale Jung9 und Martin Niemöller. Der Gruppe, die die reaktionären Kirchenkreise vertreten, gehörten u. a. Dr. Gerstenmaier,10 der Synodale Bauer,11 Oberkirchenrat Anz12 und Kirchenpräsident Grünbaum13 an. Die Masse der Synodalen brachte ihre wahre Meinung auf der Synode nicht zum Ausdruck.
Dass die reaktionären Kirchenkreise mit dem Ergebnis der Synode nicht einverstanden sind, beweist eine Äußerung des Pastors Zimmermann14 von der westdeutschen Rundfunkkammer.15 Zimmermann sagte sinngemäß: »… dass diese Synode die letzte dieser Art gewesen sein könnte, denn diese ist mit Ach und Krach noch durchgekommen; eine zweite würde unweigerlich zerfallen«. Zimmermann äußerte, dass auch Dibelius diese Ansicht teilt.
I. 1. Tag der Generalsynode
Der Eröffnungsgottesdienst von Prof. Gollwitzer16 aus Bonn wurde in theologischer Hinsicht nicht besonders eingeschätzt. Anschließend wurden Referate von Generalsuperintendent Jacob17 aus Cottbus und Bischof Dietzfelbinger18 aus München gehalten. Das Referat von Jacob wurde mit Beachtung aufgenommen. Es war verhältnismäßig loyal abgefasst. Die Ausführungen von Dietzfelbinger waren hauptsächlich theologisch und wirkten langweilig.
Nachmittags fand im Gemeindehaus der Georgenkirchgemeinde ab 15.00 Uhr die öffentliche Aussprache und Diskussion statt. Aus der DDR sprachen Präses Kreyssig19 und Bischof Krummacher.20 Während Präses Kreyssig als Exponent der entschiedenen Reaktion auftrat und u. a. Chruschtschows Stellungnahme zur Wiedervereinigung in verleumderischer Form darlegte – »das deutsche Volk solle im Interesse des Friedens auf eine Wiedervereinigung verzichten«21 – vertrat Krummacher die gemäßigte Gruppe. Er ging zwar im Grundsätzlichen nicht so weit wie Jacob in seinem Vormittagsreferat, stimmte jedoch diesem in der Ablehnung der Staatskirche und anderen restaurativen Tendenzen zu. Er lehnte die allgemeine Wehrpflicht ab, begrüßte alle Versuche zur Entspannung zu kommen, nannte den Krieg Sünde, einen Krieg mit Atomwaffen sinnlos. Er nannte die Einheit der Kirche einen Beitrag zur Entspannung und forderte einen Abbau von Maßnahmen des kalten Krieges gegen sie. Darunter verstand er die Behinderung der Seelsorge in Gefängnissen, Krankenhäusern, Altersheimen, die Kündigung der zu kirchlichen Zwecken dienenden Schulräume, das Fehlen einer seelsorgerlichen Betreuung von Angehörigen der Volksarmee und deren Angehörigen, den Weltanschauungscharakter von Schulen, Hochschulen und Universitäten, die angebliche Behinderung junger Christen in Schüler- und Lehrlingsheimen bei ihrer Glaubensausübung und die Werbung für die Jugendweihe in den Ferienlagern.22 Interessant ist noch zu erwähnen, dass von fünf westdeutschen Sprechern sich drei mit der allgemeinen Wehrpflicht befassten und sie ablehnten.
Die Ausführungen des westfälischen Präses Wilm zeigte neben vielem guten Wollen mancherlei Utopismus. Interessant war, dass er stets von der Regierung in Pankow23 sprach. Das verwerfliche der deutschen Spaltung sah er in Folgendem:
- 1.)
dass alle an der Seele Schaden nehmen, »wenn ein Teil leidet« (damit meinte er die Christenheit in der DDR).
- 2.)
Es werden nicht nur Menschen zerrieben, sondern auch gegeneinander gezwungen (Agentenorganisationen und Wehrpflicht).
- 3.)
Um die Einheit der Kirche nach außen zu dokumentieren, machte er den Vorschlag, dass die Gliedkirchen in der DDR auch die Militärseelsorge in der Nationalen Volksarmee durchführen.
Als positiv muss bei den Ausführungen von Wilm hervorgehoben werden, dass er sich gegen die allgemeine Wehrpflicht in Westdeutschland ausgesprochen hat.24
Die Ausführungen des Synodalen Jung (Bergmann aus dem Ruhrgebiet) über die Nichteinführung der Wehrpflicht und seine Bemerkungen, dass die Kumpel keinen Militarismus wollen, fanden große Beachtung. Abschließend wies er auf die Stimmung seiner Berufskollegen hin und erklärte, wenn die evangelische Kirche jetzt nichts gegen die Wehrpflicht tue, dann verliere sie endgültig das Vertrauen der Arbeiterschaft, das sie ohnehin seit Beginn der Arbeiterbewegung weitgehend eingebüßt habe.
Der rheinische Pfarrer Locher leitete den Synodalen einen Antrag zu, worin er sich gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Westdeutschland ausspricht. Darüber äußerte er [sich] ebenfalls in der Diskussion und führte u. a. noch aus, dass die allgemeine Wehrpflicht nach zwei Weltkriegen ein Unglück sei. Im Übrigen beschäftigte er sich mit der seelsorgerischen Situation in Westdeutschland und sprach darüber, dass man eine Gleichgültigkeit und mangelnde Opferwilligkeit feststellen könne. »Nicht am Eisernen Vorhang, sondern am Unglauben stirbt das deutsche Volk.«
Bei der Aussprache am 1. Tag der Synode zeigten sich bereits schon die einzelnen Gruppierungen. So trug der Beitrag des Synodalen Bauer (Angehöriger des seinerzeitigen Initiativausschusses für die Montan-Union)25 ausschließlich politischen Charakter. Er vertrat die Konzeption der Bonner Regierung im Grundsätzlichen nur mit folgender, für die Gruppe um Gerstenmaier kennzeichnender Modifizierung:
- 1.)
Der Staat kann durch übernationale Verbände nicht völlig übersprungen werden und darin hat die Forderung nach nationaler Einheit ihre Berechtigung.
- 2.)
Das »Überbordwerfen des Bolschewismus« in Russland gibt vielleicht eine Chance.
- 3.)
Eine friedliche Koexistenz ist möglich.
- 4.)
Wenn auch die Rangordnung, die Frieden und Freiheit den Vorzug vor der Wiedervereinigung gibt, unumstößlich ist, so müssen doch Opfer gebracht werden.
Gerstenmaiers Ausführungen selbst zeigten eine interessante terminologische Differenz. Einerseits sprach er von zwei deutschen Teilstaaten, andererseits von der sowjetisch-besetzten Zone. Auch scheute er sich nicht, auf die Ziele der Provokation anlässlich des 17. Juni hinzuweisen. Im Übrigen schien bei ihm die Meinung vorzuherrschen, dass zwar das Einheitsverlangen der Deutschen theologisch legitim sei, dass aber jede konkrete Frage die Zuständigkeit der Synode übersteige. Interessant war seine Feststellung, dass die Wiedervereinigungspolitik des Westens zu unbeweglich sei und seine Befürchtung, dass durch das Streben nach Wiedervereinigung das deutsche National-Gefühl in ähnlich gefährlicher Weise aufgestachelt würde, wie nach 1918. Am Schluss machte er den Vorschlag auf Einberufung einer neuen Synode eigens mit dem Thema: »Wiedervereinigung«. Dr. Gerstenmaier sprach sich auch gegen Präses Wilm aus und verwahrte sich dagegen, dass die Synode die Arbeit von CDU-Bundestagsabgeordneten kritisiert. Als Gerstenmaier zum zweiten Mal das Wort ergreifen wollte, begann ein Scharren mit den Füßen im Saal.
Dibelius ging in seiner Begrüßungsansprache auf die Lage in Berlin ein und stellte u. a. in den Vordergrund die Feststellung, dass die Telefonleitungen zwischen Ost und West gespalten sind und dass der Kirchturm der Georgenkirche vor einigen Jahren gesprengt sei.26
Martin Niemöller ging auf das Referat von Generalsuperintendent Jacob ein und bemerkte, dass nur 6 % Christen wirklich in die Kirche gehen und dass man davon ausgehen sollte, dass die 6 % nicht die Bevölkerung verkörpern und man sollte alle Probleme real einschätzen.
II. Arbeit der Ausschüsse und deren Beschlüsse
Zur Vorbereitung der Entschließung der Synode wurden folgende Ausschüsse gegründet:
- –
Ausschuss I – befasst sich mit der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands. Vorsitzender des Ausschusses: Eberhard Müller.27 Weiter gehören dem Ausschuss Klaus von Bismarck28 und Landesbischof Mitzenheim29 an.
- –
Ausschuss II – Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vorsitzender des Ausschusses: Kreyssig. Weitere Mitarbeiter des Ausschusses waren Putz30 und Beckmann.31
- –
Ausschuss III – Zum Thema: »Raum für das Evangelium«. Vorsitzender des Ausschusses: Präsident Hildebrandt.32Weiter gehören Hoffmann/Loccum33 und Martin Fischer34 dem Ausschuss an.
- –
Ausschuss IV – Konkrete Bedrängungen. Vorsitzender des Ausschusses: Präsident Grünbaum, Vizepräsident Zimmermann.
Alle Ausschüsse haben eine Beschlussvorlage ausgearbeitet, die die Synode nur mit kleinen unwesentlichen Veränderungen angenommen hat – bis auf die Beschlussvorlage des Ausschusses IV, die nur als Information angenommen wurde.
Diese Ausarbeitung behandelt die gegenwärtige Lage der Evangelischen Kirche in der DDR und ist sehr aggressiv und besonders DDR-feindlich gehalten. Es hat sich besonders Pfarrer Mochalski,35 der sehr progressiv ist, dagegen gewandt und ausgeführt, dass diese Ausarbeitung nicht den Tatsachen entspricht und die DDR herabgewürdigt wird. Mochalski ist aus Westdeutschland und führendes Redaktionsmitglied und Herausgeber der kirchlichen Zeitschrift »Stimme der Gemeinde«,36 die offen das Adenauersystem und die Machenschaften der reaktionären Kirchenleitung angreift. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass die Gruppe Niemöller, Mochalski, Küppers,37 Werner38 beabsichtigen, in Westdeutschland sogenannte Leserversammlungen der »Stimme der Gemeinde« durchführen. Auf diesen Versammlungen will man die Einberufung einer »Bekenntnis-Synode« fordern.
Um diese Gruppe noch besser zu charakterisieren, sei noch Folgendes mitgeteilt: Am 28.6.1956, um 20.00 Uhr, fand im Gemeindehaus Witzleben39 eine Leserversammlung der westdeutschen kirchlichen Zeitschrift »Stimme der Gemeinde« statt. Geleitet wurde die Versammlung vom Herausgeberkreis der Zeitschrift vom Pfarrer Mochalski, Frl. Küppers und Pfarrer Werner. An der Versammlung nahmen ca. 60 Personen teil, unter ihnen Niemöller, Moderator der Reformierten Kirche, Albertz,40 Johannes Müller,41 Deustelt und Superintendent Funke.42 Während Mochalski und Frl. Küppers einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung und Verbesserung der Zeitschrift gaben, wobei sie sich besonders gegen die katholische Kirche wandten, setzte eine interessante Diskussion ein.
Frl. Küppers wandte sich gegen die katholische Kirche in Westdeutschland und gegen die Intrigen der evangelischen Kirchenleitung. Als Beispiel führte sie die Absetzung vom Heinemann an. Dann sagte Frl. Küppers wörtlich: »Für meine Person würde ich auf die Barrikaden gehen, aber die anderen (gemeint waren Mochalski und Werner) wollen das nicht«.
Niemöller verglich die Zeit in der Kirche mit dem Mai 1933, wo [sich] aus Protest gegen den Arier-Paragraphen der Faschisten den »Pfarrer-Notbund«43 gründete. Niemöller sagte, »wir fühlen alle, dass es in der Kirche anders werden muss, aber keiner weiß, wo der Wendepunkt ist«. Über Jacob, Cottbus, hat sich Niemöller lobend ausgesprochen. Er sagte: »Es ist schon viel von einem Generalsuperintendenten, der von Dibelius eingesetzt wurde, dass er so offen die Dinge angesprochen hat.«
Frau Archels-Bezzelt (Westberlinerin, Mitglied der Heinemann-Partei)44 sagte: »Es muss zu einer neuen ›bekennenden Kirche‹ kommen, die gegen die Entwicklung in Westdeutschland Stellung nimmt.« Man brauchte dazu aber einen Fakt. Die Angriffe gegen Niemöller können nicht genommen werden, da es sich hier um eine Person handelt. Der Zeitpunkt in der Kirchenpolitik für das Umschlagen von Quantität zur Qualität ist noch nicht da.
Mochalski sprach von der DDR. Er erklärte zu den Angriffen, warum die »Stimme der Gemeinde« sich nicht auch gegen die DDR ausspreche, dass er selber mit Vertretern der Regierung gesprochen habe und dass in den meisten Fällen Abänderungen getroffen wurden.
Superintendent Funke sagte, dass die »Stimme der Gemeinde« in der DDR auch zugelassen werden sollte, die könnte bei der Demokratisierung mithelfen. Funke verband dies mit den Ausführungen über den XX. Parteitag der KPdSU45 und über die III. Parteikonferenz46 im positiven Sinne.
Einige interessante Auszüge aus den Beschlüssen: »Die Synode beauftragt mit Zustimmung des Rates eine Kommission, bestehend aus fünf Brüdern, davon drei aus den östlichen und zwei aus den westlichen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland
- 1.)
Bundesregierung und Bundestag der Bundesrepublik Deutschland von den Gesichtspunkten und Besorgnissen in Kenntnis zu setzen, die von Synodalen über die Rückwirkung der Einführung einer Wehrpflicht auf die Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik geäußert worden sind;
- 2.)
bei der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik dafür einzutreten, dass nicht, wie vielfach berichtet worden ist, Zwang zum Eintritt in die Nationalen Streitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik und zur Teilnahme an vormilitärischer Ausbildung ausgeübt wird.«
Bei der Abstimmung waren Niemöller, Beckmann und Heinemann nicht anwesend.
Der Beschluss des Ausschusses III enthält u. a. folgende Forderungen:
- a)
Die Ermöglichung gegenseitiger Hilfe aller Glieder unserer Kirche und ihrer caritativen und missionarischen Werke.
- b)
Die Amnestierung aller im Zusammenhang mit den bestehenden Spannungen verurteilten und inhaftierten Personen, soweit sie keine kriminellen Gewalttaten verübt haben, und die Einstellung schwebender Verfahren.
- c)
Die Beendigung aller aus dem Geiste des Hasses und der Lüge entsprungenden Propaganda, die die bestehenden Gegensätze zwischen den an der deutschen Frage beteiligten Regierungen und zwischen den Gliedern unseres Volkes verschärfen muss.
- d)
Das Verbot jeder Nötigung oder Anstiftung zur Bespitzelung von Mitmenschen, zu untergründiger Zersetzungsarbeit oder zu irgendwelcher Art von Spionage und Sabotage.
- e)
Die Aufhebung aller Beschränkungen des Reiseverkehrs und Literaturaustausches.
(Dieser Beschluss wurde mit großer Mehrheit angenommen).
Abschließend sei noch gesagt, dass Oberkirchenrat Anz aus Magdeburg am 1. Tag der Synode einen Antrag eingebracht hatte, welcher direkte Angriffe gegen Propst Grüber47 enthielt und von den Synodalen als Misstrauensantrag aufgefasst wurde. Dieser Antrag von Oberkirchenrat Anz wurde an den Ausschuss verwiesen, Anz selbst äußerte sich dahingehend, dass der Antrag nicht der Synode vorgelegt wird, sondern dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland übergeben werden soll. Niemöller forderte, dass dieser Antrag wenigstens der Synode vorgelesen wird, was jedoch ebenfalls abgelehnt wurde.
Anlage zur Information Nr. 51/56
Abschrift des Beschlusses des Ausschusses IV: Zur gegenwärtigen Lage der evangelischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik48
Aus der Verantwortung, die ihr für die gesamte evangelische Christenheit Deutschlands gegeben ist, hält sich die in Berlin tagende Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland für verpflichtet, auch zur gegenwärtigen Lage der evangelischen Christen in der Deutschen Demokratischen Republik ein Wort zu sagen. Sie tut dies um des Auftrages willen, den Christus den Seinen gegeben hat, allen Menschen das Evangelium zu verkündigen. Sie tut es um der bedrängten Gewissen aller derer willen, die seit Jahren in einem wachsenden Widerspruch leben müssen zwischen dem, was ihnen Gottes Wort gebietet, und dem, was von ihnen als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik vielfach erwartet wird.
Sie tut es aus dem Bemühen, einem in der Freiheit der Gewissen begründeten Frieden und damit einer Behebung der gegenwärtigen Spannungen zwischen Staat und Kirche zu dienen. Glaubens- und Gewissensfreiheit, ungestörte Religionsausübung, Selbstverwaltung und Selbstordnung ihrer Angelegenheiten, die Erhebung von Steuern von ihren Gliedern, die Garantie ihres Vermögens und der Staatsleistungen, der Schutz der kirchlichen Feiertage, die Erteilung von Religionsunterricht in den Räumen der öffentlichen Schulen, Gottesdienst und Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten und anderen öffentlichen Anstalten, alles dies ist in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik der Kirche gewährleistet. Dank gebührt den Männern und Frauen in der Staatsverwaltung, die sich ernstlich darum bemüht haben, dass diese Bestimmungen gehalten werden, und denen, die auch sonst dazu beigetragen haben, dass die Kirche ihren Auftrag ausrichten konnte.
Nach dem [am] 10. Juni 1953 mit dem Ministerpräsidenten Otto Grotewohl geführten Gespräch konnten die evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik die Hoffnung haben, dass die inzwischen entstandenen großen Schwierigkeiten behoben seien und der Kirche der für ihre Arbeit nötige Raum gegeben werde.49 Sehr bald aber haben wieder jene Kräfte die Oberhand gewonnen, denen das christliche Bekenntnis nichts als religiöser Aberglaube ist und die den verfassungsmäßigen Schutz für die Kirche50 unwirksam machen wollen und damit die Kirche erneut aufs Schwerste bedrängen. Die dadurch entstandenen Beschwernisse sind im Einzelnen immer wieder von den kirchlichen Stellen den zuständigen Staatsbehörden bis hin zu den Ministerien und dem Ministerrat vorgetragen worden, ohne dass Abhilfe geschaffen ist.
Noch einmal weisen wir hier auf einige der größten Schwierigkeiten hin. In wachsendem Maße wird der Unterricht in den öffentlichen Schulen der Deutschen Demokratischen Republik einseitig auf den Lehren eines atheistisch verstandenen dialektischen und historischen Materialismus aufgebaut, ohne dass die christlichen Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder vor den sich hieraus ergebenden inneren Nöten zu schützen. Unter Duldung, Förderung, ja sogar Mitwirkung staatlicher Organe wird in der Schule und in den staatlichen Bildungsanstalten der christliche Glaube weithin verächtlich gemacht. Vielfach werden hochbegabte Kinder christlicher Eltern, insbesondere kirchlicher Mitarbeiter, von dem Besuche der Oberschule und der Universität ausgeschlossen, weil sie sich nicht zur Weltanschauung des Marxismus bekennen können. Die Heranbildung des theologischen Nachwuchses wird erschwert, nicht zuletzt dadurch, dass eine Reihe von Lehrstühlen der Theologischen Fakultäten seit Jahren nicht mehr besetzt sind und die zur Zurüstung für den kirchlichen Dienst unentbehrlichen kirchlichen Proseminare behindert, ja sogar geschlossen werden. Junge Christen werden unter Androhung von Nachteilen für ihr Fortkommen veranlasst, sich der Jugendweihe zu unterziehen und ein Bekenntnis abzulegen, dass ihrem Glauben widerspricht. Selbst von den künftigen Geistlichen und Mitarbeitern der Kirche wird ein Bekenntnis zu dieser Weltanschauung erwartet. Dies alles ist mit dem Artikel 41 der Verfassung, der volle Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert,51 nicht in Einklang zu bringen.
Ebenso verstößt es gegen den Artikel 44 der Verfassung, der der Kirche das Recht auf Erteilung von Religionsunterricht (Christenlehre) in den Räumen der öffentlichen Schulen gewährleistet,52 wenn vielfach in Grundschulen die Christenlehre behindert oder durch Maßnahmen der staatlichen Schulverwaltung praktisch unmöglich gemacht und in Oberschulen untersagt wird.
Weiterhin werden kirchliche Veranstaltungen übergemeindlicher Art, besonders der Jugend, entgegen staatlichen Bestimmungen von besonderen Genehmigungen abhängig [gemacht] oder sogar verboten. Zahlreich sind die Verdächtigungen und Drohungen gegenüber aktiven Gliedern der Studentengemeinde und der Jungen Gemeinde. Die einzige evangelische Jugendzeitschrift ist schon seit Jahren ohne Angabe von Gründen am Erscheinen gehindert.53 Andere kirchliche Blätter wurden vorübergehend verboten; alle sind in der Auflagehöhe einschneidend begrenzt. Gottesdienste und Seelsorge in Straf- und Haftanstalten, in Krankenhäusern, Altersheimen und anderen staatlichen Heimen werden behindert oder ganz unterbunden. Das missionarische Wirken der Kirche wird durch willkürliche Handhabung der Vorschriften über Anmeldepflicht von Veranstaltungen eingeschränkt oder unmöglich gemacht. Das gilt besonders für das Sperrgebiet.54 Der in Artikel 16 der Verfassung zugesagte Schutz der Sonn- und Feiertage wird immer mehr durchbrochen.55
Kirchliche Stiftungen und solche kirchlichen Ursprungs, wie z. B. die weltbekannten Franckeschen Stiftungen in Halle, aus dem Glauben eines August Hermann Francke entstanden, werden aufgehoben und der Kirche entzogen;56 in ihnen werden trotz der Bitten und Proteste der Kirche und ihrer Synoden Gottesdienst und Seelsorge unmöglich gemacht. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), der auf dem Boden des Marxismus-Leninismus steht, versucht in Krankenhäusern und Anstalten der Inneren Mission mit Hilfe der Arbeitsgerichte Einfluss durch Betriebsgewerkschaftsleitungen zu gewinnen. Diese haben seinen Weisungen zu folgen. Sie werden von ihm eingesetzt oder nur durch die im FDGB organisierten Arbeiter und Angestellten gewählt und drohen durch eine maßgebliche Mitbestimmung die in der Verantwortung vor dem Herrn der Kirche arbeitende Werkgemeinde christlicher Liebestätigkeit zu zerreißen. Die Bildung der kirchengesetzlich angeordneten Mitarbeitervertretungen wird durch Gerichtsurteil verboten. Das der Kirche verfassungsmäßig garantierte Recht zur Erhebung von Kirchensteuern wird dadurch eingeschränkt und behindert, dass ihr die in Artikel 45 zugesagte Einsichtnahme in die staatlichen Steuerunterlagen57 verwehrt wird. Durch eine Verfügung des Justizministeriums wird sogar die Kirchensteuer zu einer Forderung gemacht, die nicht durchgesetzt werden kann, also rechtlich einer Spielschuld gleichgestellt wird.58 Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden öffentlichen Leistungen des Staates und der Gemeinden an die Kirche, die bis zu einer Ablösung durch Gesetz gewährleistet worden sind,59 werden nur noch zu einem Teil erfüllt. Zahl und Umfang der öffentlichen kirchlichen Sammlungen sind immer mehr eingeschränkt worden. Die Einziehung des Diakoniegroschens, der Christenlehregebühr und von Mitgliedsbeiträgen in namentlich begrenzten Freundeskreisen werden behindert. Damit sind dem Opferwillen der Glieder der evangelischen Kirche schwere Hindernisse entgegengestellt. Alles dies verstößt gegen die Grundsätze des Artikels 41 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik.
Hand in Hand mit diesen Verstößen geht eine Fülle von Maßnahmen, die für die Kirche unerträglich sind, z. B. die Verhaftung von Christen, die auf Aufforderung in Versammlungen der Nationalen Front60 und anderen Organisationen offen ihre Meinung sagen, die Zerschlagung der Bahnhofsmission,61 die fast einer Stilllegung gleichkommende Einschränkung des kirchlichen Bauwesens, die fast völlige Ausschaltung der kirchlichen Dienststellen bei der Zuteilung der Kontrollziffern für kirchliche Bauvorhaben, der Abbruch der Ulrichskirche in Magdeburg,62 die Versagung staatlicher Genehmigungen des Erwerbs von Grundstücken für den kirchlichen Dienstgebrauch, die Verweigerung von Zuzugsgenehmigungen für kirchliche Amtsträger und von Aufenthalts- und Reisegenehmigungen, die Behinderung der Einführung von kirchlichen Spenden in die Deutsche Demokratische Republik. Besonders belastend muss die Kirche es empfinden, dass immer wieder der Versuch gemacht wird, kirchliche Amtsträger, Mitarbeiter und Gemeindeglieder zur Berichterstattung an die Organe der Staatssicherheit zu nötigen.
Der Eindruck einer planmäßigen Zurückdrängung und Schädigung der Kirche wird immer zwingender. Damit sind im Verhältnis von Staat und Kirche Fragen von größter grundsätzlicher Bedeutung aufgebrochen. Eine Erörterung solcher Fragen könnte heilsam sein, wenn in Freiheit nach einer Lösung gesucht wird, die unserem Volke in allen seinen Gliedern, und zwar auch der christlichen Mehrheit, gerecht wird. Geschieht dies nicht, werden Presse, Film sowie der Apparat des Staates und der Organisationen einseitig für die materialistisch-atheistische Weltanschauung eingesetzt, so ist ein ehrliches Verstehen nicht mehr möglich. Gewissensnot bricht über viele Menschen herein. Angst und Misstrauen werden erneut gesät und damit das Vertrauen weiter Kreise der christlichen Bevölkerung zur Regierung zerstört.
In einer Stunde, in der die Weltmächte nach einer Form des Zusammenlebens der Völker in Freiheit und Frieden suchen, damit die Welt nicht erneut in einem Meer von Blut und Tränen untergehe, bittet die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, dass auch der evangelischen Christenheit in der Deutschen Demokratischen Republik Freiheit und Frieden für die [Ausrichtung]63 ihres Dienstes gewährt werden.