Unzufriedenheiten bei der Intelligenz (2)
16. Mai 1956
Unzufriedenheiten der Intelligenz (2. Bericht) [Information Nr. M102/56]
In der Zeit vom 16.3.1956 bis 15.5.1956 wurde wieder aus einigen Bezirken Unzufriedenheit unter Angehörigen der technischen Intelligenz sowie Lehrern, Juristen und Ärzten bekannt. Im Vordergrund dabei stehen materielle Fragen wie Wohnung, Entlohnung, Urlaubsreisen u. a. Außerdem wurde auch Unzufriedenheit zu Fragen der Produktion sowie Qualifizierung und Weiterbildung bekannt.
I. Zu materiellen Fragen
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Im VEB Jenapharm Jena, [Bezirk] Gera, sind die Angestellten und Angehörigen der Intelligenz missgestimmt darüber, dass ihnen vonseiten der Kaderabteilung ohne Erklärung achtseitige Fragebögen zum Ausfüllen übergeben wurden.
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Unter einem Teil der technischen Intelligenz des VEB Kraftwerkes Breitungen, [Bezirk] Suhl, macht sich eine immer größere Missstimmung bezüglich der Entlohnung bemerkbar. Sie vertreten den Standpunkt, dass sie als Lenkungskräfte gegenüber den Brigadieren zu wenig Lohn erhalten, zumal sie sich nicht an den 8-Stunden-Tag halten könnten, da sie immer erreichbar sein müssten.
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Im VEB Ernst-Thälmann-Werk Suhl herrscht Unzufriedenheit unter den Angehörigen der Intelligenz darüber, dass das Amt für Technik abgelehnt hat,1 dass Handwerksbetriebe mit der Bauausführung von Intelligenzwohnungen beauftragt werden. Der Betrieb sollte 480 000 DM Investgelder zum Bau dieser Wohnungen 1956 zur Verfügung gestellt bekommen. Da jedoch kein VE-Baubetrieb dafür vertraglich verpflichtet werden konnte, sollte die Bauausführung Handwerksbetrieben übertragen werden.
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Im VEB Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, sind die Angehörigen der Intelligenz unzufrieden darüber, dass es nicht gestattet ist, nach Italien oder in die Tatra in Urlaub zu fahren, es aber andererseits westdeutschen Bürgern sehr leicht gemacht wird, ihren Urlaub in den genannten Gegenden oder Ländern zu verbringen.
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Ein Arzt aus Dresden äußert seine Unzufriedenheit darüber, dass er nach dem Staatsexamen im ersten Pflichtassistentenjahr nur 620 DM erhält, während ein Elektromonteur im Sachsenwerk Niedersedlitz, der mit 17 Jahren Gehilfe geworden ist, bereits 700 DM verdienen würde.
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Ein Oberschullehrer aus Dresden bringt seine Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass seiner Tochter, aus der Tatsache heraus, dass ihr Sohn nach Westdeutschland ging, keine PM 12a2 erteilt wurde und ihr außerdem der DPA abgenommen werden sollte. Weiterhin ist er nicht damit einverstanden, dass er in der Schule unterschreiben musste, Westberlin nicht zu betreten.
II. Zu Fragen der Produktion, Weiterentwicklung und Qualifizierung
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Im VEB Funkwerk Köpenick ist ein Spezialist für Fernsehsender unzufrieden darüber, dass er für seine Arbeit nicht die erforderlichen Messgeräte erhält, denn schließlich könne man doch nicht erwarten, dass im Labor von den Ingenieuren und Technikern die Messungen über den Daumen gepeilt werden. Nach seiner Meinung müssten dem Betrieb mehr finanzielle Mittel für die Entwicklungsarbeiten zur Verfügung gestellt werden, um somit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die an die Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung gestellt werden.
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Im VEB Zellwolle Wittenberge,3 [Bezirk] Schwerin, ist der technische Leiter unzufrieden darüber, dass er einige Stunden vor Antritt seiner Reise zu einem Erfahrungsaustausch nach den Volksdemokratien durch das Ministerium für Leichtindustrie telefonisch von der Absage unterrichtet wurde, ohne die Begründung dafür zu erfahren. Die Begründung wurde vom MfL verweigert.
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Im VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/O., sind die Ingenieure und Techniker damit nicht einverstanden, dass sie nicht an der Messe in Hannover teilnehmen konnten.
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Im VEB Glaswerk Ilmenau, [Bezirk] Suhl, sind die Nachwuchskräfte unzufrieden darüber, dass sie in ihrer Weiterentwicklung durch die alten Angehörigen der technischen Intelligenz gehemmt werden.
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Im VEB Formenbau Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte ein Ingenieur seine Unzufriedenheit darüber, dass allein an einem Tage der Betrieb von acht Kommissionen aufgesucht und besichtigt wurde.
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Ein Nationalpreisträger4 im VEB Waggonbau Dessau äußerte sich in einer Unterhaltung mit anderen Angehörigen der Intelligenz wie folgt: »Den Papierkrieg, wie wir ihn heute haben, hat es früher nicht gegeben; er hält uns nur von den eigentlichen Aufgaben ab. Die ganzen Pläne und Berichte, die von uns an die vorgesetzten Dienststellen gehen, können keinesfalls ausgewertet werden, sonst würden derartige Pannen, wie sie heute noch in Erscheinung treten, nicht vorkommen. Ich habe den Eindruck, als ob dort oben Personen sitzen, die nur knobeln, wie und wo es neue Formulare zu schaffen gibt, um die leitenden Wirtschaftsfunktionäre in den Betrieben von der Arbeit abzuhalten. Man könnte davonlaufen, wenn man diesen oftmals unsinnigen Arbeitsstil mit ansehen muss. Als wir noch SAG-Betrieb waren, hatten wir ca. 60 % der Angestellten weniger als heute im volkseigenen Betrieb und es wurde mehr Arbeit geleistet als heute. Vor allen Dingen gab es nicht die vielen Nebenabteilungen und vielen Funktionäre, die keine Produktion leisten. Meiner Meinung nach müsste dieses einmal überprüft werden, denn man könnte viele Arbeitskräfte und auch Geld damit einsparen.«