Versorgung mit Kohle und Koks
17. Oktober 1956
Information Nr. 256/56 – Betrifft: Versorgung mit Kohle und Koks
Die mangelhafte Versorgung mit Kohle und Koks führte in einigen Betrieben, Gaswerken und bei der Deutschen Reichsbahn zu erheblichen Schwierigkeiten und Produktionsausfällen. Vielfach wird über die Qualität der angelieferten Steinkohle aus der Volksrepublik Polen Klage geführt, da diese einen hohen Prozentsatz Gestein und Sand aufweist. Ebenfalls zeigen sich in der Brikett- und Rohkohleförderung der Braunkohlenwerke der DDR große Sollrückstände, die bis zum Einbruch des Winters nicht mehr aufgeholt werden können. Im Einzelnen zeigt sich folgendes Bild:
1.) Lage in den Braunkohlewerken
Im gesamten Revier Merseburg, [Bezirk] Halle, waren bis zum 15.9.1956 7,140 Mio. t Abraum nicht bewegt, was bedeutet, dass 2,5 Mio. t Kohle nicht gefördert werden können. Hinzu kommen noch 1,85 Mio. t Kohle, die bisher nicht gefördert, sowie 650 000 t Brikett, die nicht hergestellt wurden. Allein im Braunkohlenwerk Nachterstedt, [Bezirk] Halle, ist per 4.9.1956 ein Sollrückstand von 32 966 t Briketts vorhanden. Bei Stückkohle ist im selben Zeitpunkt ein Minus von 62 205 t entstanden. Dazu ist zu bemerken, dass sich dieser Rückstand bei der gegenwärtigen Kapazität noch um täglich 500 t vergrößern wird. Im gesamten Abraum bestehen mit Stand vom 4.9.1956 166 300 m³ Sollrückstand. Das bedeutet, dass 2,5 Mio. t Kohle weniger freigelegt sind.
2.) Situation in den Industriebetrieben
Im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« in Stalinstadt, [Bezirk] Frankfurt/O., ist in der Koksversorgung eine ernste Situation entstanden. So ist bereits seit einem Monat der Ofen 4 in Generalreparatur und seit dem 24.9.1956 mussten weitere drei Öfen aus der Produktion genommen werden. Zzt. wird nur mit zwei Öfen produziert. Dadurch sind dem Eisenhüttenkombinat und der gesamten Produktion in den eisenverarbeitenden Betrieben 27 000 t Roheisen Verlust entstanden. Laut Richtsatzplan müssen [sic!] im Eisenhüttenkombinat ein Lagerbestand von 53 000 t Koks vorhanden sein. Durch die schlechte Belieferung im Monat September bzw. durch die unkontinuierliche Anlieferung in den vorhergehenden Monaten wurde der Lagerbestand von 53 000 t mit verbraucht. Durch den Stillstand der Öfen ist auch die Produktion des Kraftwerkes zurückgegangen, wo zeitweilig nur eine bzw. zwei Turbinen laufen. Durch den Rückgang der Hochofenschlacke wurde die Massenbedarfsgüterproduktion von Hohlblocksteinen und Bauelementen seit dem 26.9.1956 eingestellt, was sich negativ in der Bauindustrie auswirkt.
Das Mähdrescherwerk Weimar, [Bezirk] Erfurt, hat 6 800 t Kohle eingeplant, erhält aber nur 4 800 t, die restlichen 2000 t wurden gestrichen. Das Kokskontingent des Betriebes ist ebenfalls gestrichen worden. Das bedeutet, dass jetzt nur noch 2 bis 3 t Koks für die Gießerei vorhanden ist [sic!]. Im VEB Fernmeldewerk Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, wurden für die Planerfüllung noch zusätzlich 210 t Braunkohle und 380 t Siebkohle benötigt. Der an die HV gerichtete Antrag wurde abgelehnt.
Im Bezirk Leipzig fehlt noch in drei Betrieben die Kohle für die Winterbevorratung. Diese Betriebe sind:
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VEB Elektrostahlgießerei Leipzig: ca. 250 t Sieb- und Rohbraunkohle
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VEB Emaillierwerk Geithain: ca. 150 t Brikett für die Brennerei
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VEB Steingutwerk Colditz, [Kreis] Grimma: ca. 1 100 t Rohbraunkohle
Ähnliche Schwierigkeiten in der Kohle- und Koksversorgung wurden noch aus folgenden VE-Betrieben bekannt:
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Walzengießerei Coswig, [Bezirk] Dresden
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Elektrochemie Hirschfelde, [Kreis] Zittau, [Bezirk] Dresden
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Altgersdorfer1 Baumwollspinnerei Zittau, [Kreis] Dresden
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Webstuhlbau Karl-Marx-Stadt
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Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin
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Dampfkesselbau Gera
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Textilwerk Elsterberg, [Bezirk] Gera
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Lokomotivbau »Karl Marx« Potsdam-Babelsberg
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Landmaschinenwerk Barth, [Bezirk] Rostock
3.) Versorgung der Gaswerke mit Steinkohle
Aus einer ganzen Anzahl von Gaswerken unserer Republik wird über Mangel an Steinkohle bzw. über die minderwertige Qualität der Kohle, vor allem aus der Volksrepublik Polen, Klage geführt. Aufgrund des geringen Heizwertes sowie durch Sand und Gestein ist die Kohle aus Polen schlecht geeignet für die Gasgewinnung. Dadurch musste bereits in einigen Werken der Gasdruck herabgesetzt werden, was in einigen Betrieben zu Produktionsschwierigkeiten führte und unter der Bevölkerung große Verärgerung hervorrief. So wurde am 25.9.1956 in Dresden das Gas für den Industriebedarf abgeschaltet. Für die Haushalte wurde das Gas von 110 mm-Druck auf 70 mm-Druck herabgesetzt.
Dem VEB Druckguß Heidenau, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde am 26.9.1956 vom Gaswerk Dresden-Reick aufgrund von Kohlenmangel um fast ein Drittel die Gaszufuhr gedrosselt. Normalverbrauch pro Stunde sind 400 Kubikmeter. Von dieser Zeit ab dürfen aber nur noch 300 Kubikmeter pro Stunde verbraucht werden, was einen erheblichen Produktionsausfall bedeutet. Die Tagesleistung ist 4 t-Druckguss. Die Drosselung der Gaszufuhr bedeutet einen Ausfall von fast 2 t Tagesproduktion.
Am 29.9.1956 ereignete sich im Gaswerk Dresden-Reick eine Explosion, die darauf zurückzuführen ist, dass das Werk seit Wochen für die Verkokung eine sehr schlecht geeignete Kohle erhält. Dabei entstand ein Schaden von 10 000 DM. Unter den Beschäftigten wurden bereits Stimmen laut, dass sie unter den bestehenden Bedingungen nicht mehr weiterarbeiten wollen, da sie ständig in Lebensgefahr sind.
Weitere Schwierigkeiten, aufgrund der Kohleversorgung, wurden noch aus den Gaswerken Heidenau, [Bezirk] Dresden, Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, Frankfurt/O., Leipzig, Potsdam, Berlin-Lichtenberg und Dimitroffstraße sowie Meiningen, [Bezirk] Suhl, bekannt.
4.) Kohlelage bei der Deutschen Reichsbahn
Die allgemeine Lage bei der Deutschen Reichsbahn ist so, dass der Kohlevorrat im DDR-Durchschnitt bei 3,5 Tagen liegt. Jedoch zeigt sich bereits, dass in einzelnen Bahnbetriebswerken tageweise keine Kohle vorhanden ist. Laut Plan der Staatlichen Plankommission wurde der Deutschen Reichsbahn ein Kohlevorrat von sechs Tagen zugesichert. Die Einfuhr von Steinkohle aus der Volksrepublik Polen unterliegt jedoch ständigen Schwankungen. Der Ausgleich wird dann durch Briketts aus dem Plan anderer volkseigener Industriezweige von zuständigen Fachministerien vorgenommen. Die Qualität der Steinkohle ist nicht für den Lokdienst geeignet, da sie stark gesteinshaltig ist und die Feuerbuchsen der Loks verschlacken. Von einer Brigade der Reichsbahn wurden innerhalb vier Wochen ca. 200 Waggons Steinkohle abgelehnt, da sie für den Lokomotivdienst nicht geeignet waren.
Dazu folgende Beispiele: Im Bahnbetriebswerk Berlin-Ostbahnhof war in der letzten Zeit teilweise nur ein Kohlevorrat von einem halben Tag vorhanden. Ähnlich sieht es im Bahnbetriebswerk Berlin-Schöneweide aus. Die angelieferte Kohle aus der DDR und Polen gibt zu Beanstandungen Anlass. Durch den hohen Prozentsatz an »totem Gestein« tritt ein übermäßiges Verschlacken der Feuerroste bei den Lokomotiven ein, was zu Dampfmangel führt. Dadurch traten in einem Monat 18 Zuglaufstörungen auf. Im Rbd-Bezirk Cottbus ist in den Bahnbetriebswerken und Lokbahnhöfen die Kohlenlage ungenügend. In fast allen genannten Stellen ist der planmäßige Prozentsatz an Kohle nicht vorhanden. Der gegenwärtige Zustand ist so, dass der Kohlevorrat höchstens für ein bis zwei Tage ausreicht. Weiter wurde festgestellt, dass die Qualität der Braunkohle ungenügend ist, wodurch Schwierigkeiten in der Feuerhaltung der Lokomotiven auftreten.
Ähnliche Erscheinungen, wie in den Beispielen aufgezeigt, gibt es in den Rbd-Bezirken Greifswald, Halle und Schwerin.