Versorgungsschwierigkeiten im Bezirk Schwerin
30. Juli 1956
Information Nr. 108/56 – Betrifft: Versorgungsschwierigkeiten im Bezirk Schwerin
Die bereits wiederholt berichteten Versorgungsschwierigkeiten, besonders bei HO-Fetten sowie Marmelade und Zucker, sind im Bezirk Schwerin noch immer nicht behoben.1 Trotz Aufstockung kann der Bedarf der Bevölkerung noch nicht gedeckt werden, sodass es vor den HO-Geschäften zu erheblichen Schlangenbildungen kam. Besonders schlecht ist die Versorgung der Landbevölkerung in den abgelegenen Gemeinden. Da zurzeit eine ganze Reihe Erntehelfer im Bezirk weilen, werden die Schwierigkeiten noch vertieft. Gegenwärtig müssen 948 Erntehelfer aus den südlichen Bezirken mitversorgt werden. In den nächsten Tagen wird sich die Zahl um 1 304 erhöhen. Es ist bereits vorgekommen, dass in einigen Landgemeinden die Erntehelfer keinen Brotaufstrich bekamen.
Die schlechte Versorgung rief unter der Bevölkerung negative Diskussionen hervor. So wird z. B. von dem Verkaufspersonal dahingehend diskutiert, dass es anekeln würde, den Laden zu öffnen, da man schon nicht mehr wüsste, was man der Bevölkerung erzählen soll. Im Lederwerk Neustadt-Glewe, [Kreis] Ludwigslust, Abus-Werke Schwerin sowie Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Kreis] Perleberg, vertreten die Arbeiter die Auffassung, dass es richtiger wäre, Margarine als Mangelware zu bezeichnen und diese in den Betrieben zu verteilen. Ähnliche Diskussionen sind auch in der Elbewerft Boizenburg, [Kreis] Hagenow, und in den Kreisen der Bauindustrie bekannt.
U. a. werden von der Bevölkerung noch folgende Argumente hervorgebracht:
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»Es müsste sicher wieder einer als Agent herhalten, der Schuld an der schlechten Versorgung hätte.«2
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»Es sei kein Mangel, sondern eine ökonomische Auswirkung der Umstellung unserer Gesellschaftsordnung.«
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»Wir laden uns westdeutsche Kinder ein und haben selbst nichts zu essen.«
Besonders negativ wirkt sich die schlechte Versorgung auf die westdeutschen Besucher aus, weil sie keine Lebensmittelkarten erhalten.3 Trotz Aufstockung im III. Quartal werden die Kontingente bei HO-Zucker, HO-Butter und Marmelade nicht ausreichen. Zu bemerken ist noch, dass sich in der letzten Zeit die gesamten Diskussionen in den Großbetrieben mit der Versorgungslage beschäftigen und dass auch die Bevölkerung über die schlechte Versorgung in den letzten Monaten sehr ungehalten ist.