Vorkommnisse auf Bauernversammlungen in Cotta, Kreis Pirna
13. Juli 1956
Information Nr. 67/56 – Betrifft: Vorkommnisse in Cotta, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden
[Faksimile des Verteilers (Quelle: BStU, MfS, ZAIG 14381, Bl. 391)]
[Faksimile von Blatt 1 der Information]
Am 7.6.1956 fand in Cotta, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden, eine Bauernversammlung statt, die von der VdgB/BHG angesetzt und auch durchgeführt wurde. Der Versammlung war am 6.6.1956 eine Blaufahrt vorausgegangen, auf der von den Bauern in Cotta in provokatorischer Art und Weise auf die DDR geschimpft wurde. Hierbei taten sich u. a. folgende Bauern besonders hervor: [Name 1], [Name 2], [Name 3], [Name 4], [Name 5], [Name 6], [Name 7] (Mühlenbesitzer), [Name 8] (Ofensetzer).
Als Anführer kann der Bauer [Name 1] bezeichnet werden, der während der Fahrt am stärksten gegen die Regierung hetzte. Als er u. a. einen Brief des republikflüchtigen Bauern [Name 9] verlas, in dem dieser »sein schönes Leben in der Schweiz pries«, erklärte [Name 1], man müsse Forderungen bezüglich Erlassung der Sollrückstände von 1955 erheben. Würde dieser Forderung nicht stattgegeben, so erklärte er, »müssen wir es wie im Bauernkrieg machen. Jeder Bauer muss ein Gewehr in die Hand bekommen. Sobald es wieder einmal zu einem 17. Juni kommt, müssen wir Bauern zusammenhalten.« Zu erwähnen ist noch, dass [Name 1] bei den darauffolgenden Geschehnissen ebenfalls der Wortführer war.
Aufgrund der eben geschilderten Ereignisse nahm an der am 7.6.1956 einberufenen Versammlung ein Genosse der Kreisleitung teil. Während des Referates »Die Aufgaben des 2. Fünfjahrplanes in der Landwirtschaft«1 kam es bereits zu Zwischenrufen und Gelächter. Zu Beginn der Diskussion sprach dann auch gleich wieder [Name 1], der erklärte, dass er schon drei Mal an das ZK wegen Streichung des Solls geschrieben hätte und noch keine Antwort erhalten habe. Er schlug weiterhin vor, ein Schreiben an die Volkskammer zu schicken und forderte alle Bauern auf, dieses zu unterschreiben. Zu bemerken ist hierzu, dass er einen bereits fertig entworfenen Brief verlas, in dem die Forderung bezüglich des Solls erhoben wurde. Der Brief wurde von 42 anwesenden Personen unterschrieben. Im Verlaufe der Diskussionen wurden noch weitere Forderungen erhoben, die zum Teil im Kreismaßstab gelöst werden können und ihre Ursache in der teilweise schlechten Arbeit der VdgB/BHG und des Staatsapparates haben.
Am 21.6.1956 fand die nächste Bauernversammlung in der Konsumschule Cotta statt. An dieser Versammlung nahm der Genosse Schmidtke2 vom ZK teil. Sie war von 250 Personen aus Cotta und Umgegend besucht. [Name 1] lud die Bauern persönlich ein.
Zu dieser Versammlung ist zu bemerken, dass die gleichen Forderungen erhoben wurden und der Genosse vom ZK die Bauern zu beruhigen versuchte, indem er mitteilte, dass sich die Regierung mit dieser Frage beschäftigte. Als der Genosse Schmidtke in seinem Diskussionsbeitrag erwähnte, dass es eine Schande sei, dass die Bauern das Heu noch auf den Feldern hätten, protestierten die Bauern so stark, dass er Mühe hatte, die Ruhe wiederherzustellen. In der weiteren Diskussion war [Name 1] wiederum Hauptsprecher und stellte die Forderung, bis zum 15.7.1956 vom ZK über Folgendes Bescheid zu haben:
- 1.)
Streichung der Kartoffelschulden für 1955 im ganzen Kreis;
- 2.)
Zuteilung für Butter- und Zuckermarken für Bauernkinder;
- 3.)
SVK-Beiträge auf den alten Stand herabzusetzen und Krankengeld für Bauern;3
- 4.)
bei Abgabe von freien Spitzen Rücklieferung von Frischfleisch in Form von Marken;4
- 5.)
Senkung und Neueinschätzung der Bodenwertzahlen;5
- 6.)
Absetzung sämtlicher Sollschulden der letzten zwei Jahre.
Außerdem wurde von den Bauern ein Kreisbauerntag gefordert.
Die Forderung zwecks Absetzung der Kartoffelschulden von 1955 wurde auch von Bauern aus umliegenden Gemeinden erhoben.
Zur Versammlung ist zu bemerken, dass bei Eröffnung derselben durch den Parteisekretär vom ehemaligen Ortsbauernführer6 [Name 10] dazwischen gerufen wurde, dass diese Versammlung keine Parteiversammlung, sondern eine Bauernversammlung sei und deshalb von der VdgB geleitet werden müsste. Um die dadurch im Saal entstandene Unruhe wieder zu beseitigen wurde die Versammlung vom Vorsitzenden der VdgB eröffnet. Zu [Name 10] ist zu sagen, dass dieser sich am 23.6.1956 in der Gaststätte »Tankstelle« Pirna negativ über die Ablieferung der LPG und die Arbeit derselben äußerte.
Am 28.6.1956 fand eine Bauernversammlung in Struppen statt, zu der [Name 1] erschien und versuchte, die gleichen Forderungen zu stellen. Er fand hier jedoch mit seinen Forderungen keinen Anklang und musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Am 9.7.1956 fand eine Versammlung in der Gemeinde Naundorf statt, an der 25 Bauern teilnahmen. Hier wurde von den Bauern [Name 11], [Name 12] und dem VdgB-Vorsitzenden [Name 13] der Antrag erhoben, die Forderungen von Cotta zu unterstützen. Weiterhin wurde gefordert:
- 1.)
einen Kreisbauerntag durchzuführen;
- 2.)
Zuckerzuteilung an die Bauern;
- 3.)
Bereitstellung von Kleinstmaschinen;
- 4.)
Bereitstellung von Arbeitskräften;
- 5.)
eventuelle Einführung des Arbeitsdienstes.
Der Gastwirt erklärte dem Genossen [Name 14] vom Rat des Kreises Pirna, »dass die Stimmung unter den Bauern wie vor dem 17. Juni 1953 sei«.
Am 7.7.1956 wurden von unbekannten Personen 23 anonyme Briefe an die Ortsvorsitzenden der VdgB/BHG im Kreis Pirna verschickt, in denen die Bauern aufgefordert werden, auf dem bevorstehenden Kreisbauerntag ihre Forderungen frei zu erheben. Einen solchen Brief erhielt ebenfalls der Bauer [Name 1], der erklärte, den Brief dem zuständigen ABV zu geben.
Am 10.7.1956 fand in Cotta eine weitere Bauernversammlung statt, in der die Gründung einer Weidegemeinschaft auf der Tagesordnung stand. Auf dieser Versammlung erklärte [Name 1] wiederum: »Wir sind nicht gewillt, einen 17. Juni oder ein Poznan7 zu einer Provokation zu machen, indem wir uns vor die Panzer stellen; wir haben dann andere Mittel.« Weiterhin gab er bekannt, wenn bis zum 21.7.1956 von Berlin noch keine Klärung der Frage in Cotta eingehen sollte und keine Bauernversammlung einberufen wurde, würden die Bauern nach Pirna marschieren und auf dem Thälmann-Platz eine Versammlung durchführen.
Am 11.7.1956 fand bei [Name 1] unter Anwesenheit von [Name 10], [Name 3] und [Name 2] eine Versammlung statt, in der ein Mitarbeiter des ZK als VdgB-Mitglied vorgestellt wurde. Das Auftreten des ZK-Mitarbeiters Bauer war nicht befriedigend, da dieser auf die Fragen der Bauern keine konkreten Antworten gab. An den stellvertretenden Ministerpräsidenten Paul Scholz8 wurde nochmals ein Schreiben mit den gleichen Forderungen gesandt.
Da eine Beruhigung unter den Bauern noch nicht eingetreten ist, wird auf folgende Umstände hingewiesen:
- 1.
Es scheint eine Prüfung erforderlich zu sein, ob die Streichung der Ablieferungsschulden in Kartoffeln gestattet werden kann.
- 2.
Eine persönliche Rücksprache mit den einflussreichen positiv eingestellten Bauern würde zur Beruhigung der Bauern beitragen und der Gefahr illegaler Aktionen entgegenwirken.
- 3.
Die Möglichkeit, dass der geforderte Kreisbauerntag illegal durchgeführt und demonstrativ ausgenutzt wird, besteht noch.
- 4.
Dieses würde sich besonders schädlich auswirken, weil der Kreis Pirna (Teil der Sächsischen Schweiz) zurzeit von vielen Feriengästen besucht wird und weiter viele Ausflugsorte besitzt, die täglich Ziel von Exkursionen verschiedener Art sind.
- 5.
Die Umliegerkreise des jetzigen Kreises Pirna – Dippoldiswalde, Freital, Sebnitz, Bischofswerda – haben bei der Bezirksaufteilung 1952 Gebiete des damaligen Kreises Pirna in sich aufgenommen. Es bestehen daher noch eine Reihe traditioneller Verbindungen, die ein Übergreifen von Provokationen auf die gesamten Kreise erleichtern.
- 6.
Seitens des Ministeriums für Staatssicherheit wurden bereits operative Maßnahmen eingeleitet.