Vorkommnisse in Cotta, Kreis Pirna (Ergänzung)
27. Juli 1956
Information Nr. 103/56 – Betrifft: Ergänzung zum Bericht über Vorkommnisse in Cotta, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden
Bei einer Überprüfung der Lage in Cotta wurde festgestellt, dass die dortigen Verhältnisse und Forderungen der Bauern dem Ministerium für Land- und Forstwirtschaft bekannt waren, da ein Mitarbeiter des Ministeriums an einer Aktivtagung des Kreisvorstandes der VdgB/BHG am 12.7.1953 teilnahm und den anwesenden Bauern versprach, die Missstände schleunigst zu beseitigen. So wurde z. B. die besondere geographische Lage des Kreises Pirna und der umliegenden Kreise bei der Sollfestsetzung im Anbau- und Viehhalteplan wenig berücksichtigt. Hinzu kommen die ungünstigen Witterungsverhältnisse, die Schwierigkeiten bei der Einbringung der gesamten Ernte, einschließlich Futter, verursachten. Dies führte in einigen Gemeinden zum Rückgang der tierischen Produktion.
Aufgrund der schlechten Verhältnisse waren im Kreis Pirna die Republikfluchten besonders hoch. In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden im Kreis 33 Bauern republikflüchtig. Die bestehenden Missstände wurden von feindlichen Elementen ausgenutzt, die Bauern zu bereits genannten Provokationen aufzuwiegeln.
Die provokatorischen Forderungen der Bauern von Cotta wurden in anderen Gemeinden unterstützt. Hier treten vor allem die Gemeinden Gorknitz, Großröhrsdorf, Ottendorf, Langenhennersdorf (wo besonders der Provokateur [Name 1] auftrat), Maxen, Nentmannsdorf, Krebs, [Dorf] Wehlen, Göppersdorf, Bad Gottleuba, Liebstadt und Friedrichswalde in Erscheinung. Auch aus den Nachbarkreisen des Kreises Pirna liegen Hinweise vor, die mit den Vorkommnissen in Cotta eng zusammenhängen. So unterstützte der Ortsvorsitzende der VdgB/BHG Zimmer aus Grumbach, [Kreis] Freital, die Cottaer Forderungen. Er forderte ebenfalls einen Kreisbauerntag und drohte bei Nichtdurchführung ab 21.7.1956 mit der Einstellung der Milchablieferung.
In den Gemeinden Langenwolmsdorf, Ulbersdorf, Langburkersdorf,1 Polenz, Wilschdorf und Goßdorf, [Kreis] Sebnitz, diskutierten die Bauern die Forderungen in Cotta und unterstützten sie. Der Vorsitzende der VdgB/BHG in Langenwolmsdorf forderte im Namen der Großbauern eine gleiche Versammlung wie in Cotta. In der Gemeinde Brabschütz, [Kreis] Dresden[-Land], forderte der Großbauer [Name 2] die Bauern zur Teilnahme am Kreisbauerntag am 21.7.1956 in Pirna auf. In den Gemeinden Hausdorf, Fürstenwalde und Liebenau,2 [Kreis] Dippoldiswalde, wurden Forderungen wie in Cotta erhoben.
Auch in anderen Kreisen wurden ähnliche Forderungen wie in Cotta erhoben, wobei man sich jedoch nicht auf die Forderungen in Cotta berief. Hier sind folgende neue Forderungen zu Tage getreten:
- 1.)
Einführung eines staatlichen Arbeitsdienstes oder Landjahres;3
- 2.)
Gleichstellung der Einzelbetriebe mit dem sozialistischen Sektor in jeder Hinsicht;
- 3.)
Beseitigung der doppelten Veranlagung bei Obstflächen.
Die Untersuchungen ergaben, dass es sich bei den Provokateuren speziell in Cotta und Langhennersdorf um DDR-feindliche Elemente handelt. Es gibt jedoch keine Hinweise, dass diese Personen mit feindlichen Zentralen in Verbindung stehen.4 Eine Reihe von ihnen sind wirtschaftlich gut gestellte Groß- und Mittelbauern, die zum Teil aktive Mitglieder der NSDAP und Angehörige des SA-Reitersturmes waren. Ein Teil der Personen besuchte in den letzten Jahren die »Grüne Woche« in Westberlin. Einerseits wird von diesem Personenkreis die Auflösung der VdgB/BHG und Gründung einer eigenen Berufsorganisation gefordert, zum anderen nutzen sie jedoch ihre Mitgliedschaft in der VdgB/BHG für ihre feindliche Arbeit aus. Z. B. wurden interne Zusammenkünfte als Vorstandssitzungen getarnt. Von den Parteiorganen, der VdgB/BHG und vom Staatsapparat wurden Maßnahmen eingeleitet, die Provokateure von den ehrlichen Bauern zu isolieren. In den meisten Fällen wurde eine individuelle Klärung herbeigeführt. Der Forderung nach einem Kreisbauerntag wurde nicht stattgegeben. Weiterhin ist zu bemerken, dass das Auftreten des Stellvertreters des Ministerpräsidenten Paul Scholz5 in der erweiterten Ortsvorstandssitzung in Cotta bei den Bauern Zustimmung fand. Die Bauern erklären hierzu, dass das Versprochene bald realisiert werden möge.
Bei einer Aussprache mit den Wortführern der Bauern, die beim Rat des Kreises stattfand, wurde von diesen erklärt, dass sie nicht die Absicht gehabt hätten, in irgendeiner Form gegen unseren Staat aufzutreten. Es wurde festgestellt, dass auch in den Bezirken Gera und Frankfurt/O. ähnliche Forderungen bekannt geworden sind. So fand am 23.7.1956 in Ziegenrück, [Kreis] Schleiz, eine Vorstandssitzung der BHG statt, in der die Bauern u. a. über die Versorgung der Vollselbstversorger mit Zucker diskutierten und erklärten, dass es bald nicht mehr so weitergehen könne. Ein Bauer, der bei Fortbestand dieser Verhältnisse mit Streik drohte, erhielt von anderen Bauern Zustimmung. Dem Vorschlag, keine Milch mehr abzuliefern, wurde ebenfalls zugestimmt. Es wurde erwähnt, dass im Bezirk Karl-Marx-Stadt die Bauern auch solche Forderungen gestellt hätten. Maßnahmen wurden eingeleitet.
Im Bezirk Frankfurt/O. häufen sich in letzter Zeit ebenfalls die Fälle, wo zum Teil in provokatorischer Form eine Sollherabsetzung gefordert wird. Z. B. wurde in der Gemeinde Genschmar, [Kreis] Seelow, von der Gemeindevertretung und dem Bürgermeister der Beschluss gefasst, sämtliches Soll von 1956 zu streichen. Gegenwärtig wird die Arbeit der Gemeinde überprüft. In der Gemeinde Neu Wustrow,6 [Kreis] [Bad] Freienwalde, forderten die Bürgermeisterin und drei Altbauern ebenfalls Sollherabsetzung und eine Entschädigung (pro ha 400 DM) für die vom Hochwasser überschwemmten Felder. In dieser Angelegenheit wurde von einem Altbauern beim Vorsitzenden der VdgB/BHG in der Gemeinde Rüdnitz vorgesprochen. Beide brachten diese Forderung auch beim Zentralvorstand der VdgB/BHG vor. Die Bauern dieser Gemeinden sind an der Klärung dieser Fragen interessiert. Obengenannter Altbauer versucht zurzeit die Bauern zu überreden, die Herabsetzung des rückständigen Solls zu fordern. Er argumentiert wie folgt: »Geht die Regierung auf unsere Forderungen nicht ein, dann sind wir Bauern gezwungen, den Koffer zu packen und nach dem Westen zu gehen.«
Es sind Anzeichen vorhanden, dass auch die Bauern in den durch Hochwasser geschädigten Bezirken – das sind vor allem Magdeburg, Halle, Leipzig, Cottbus, Erfurt und Suhl – Sollherabsetzungen fordern werden. Z. B. stehen seit 1955 im Kreis Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, mehr als 1 000 ha Land unter Wasser. Obwohl darauf nichts geerntet werden konnte, wurde das Soll nicht gestrichen, sondern auf 1956 vorgetragen. Hierüber sind die betroffenen Bauern sehr unzufrieden, da auch das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft keine Änderung herbeiführte.