Westliche Flugschriften, Rundfunk- und Presseberichte zum 17. Juni (2)
16. Juni 1956
Information Nr. 23/56 – Betrifft: Feindpropaganda zum »17. Juni« (2. Bericht)
Das SPD-Ostbüro1 verbreitet zum »17. Juni« ein vierseitig beschriebenes Flugblatt mit der Überschrift: »Die Früchte reifen heran«. Darin wird einleitend in der bereits bekannten Art gegen unsere Partei und besonders gegen den Genossen W. Ulbricht gehetzt und wie folgt argumentiert: »… der internationale Kommunismus durchlebt eine tiefe Krise, die sich eben auf den Boden Mitteldeutschlands in ihrer schärfsten Auswirkung zeigt.« Des Weiteren sprechen sie von den »Losungen des 17. Juni 1953«, die »heute noch genauso aktuell sind«.
Sie lauten:
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Wiederherstellung der Einheit Deutschlands;
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Sturz der SED-Diktatur durch freie Wahlen;
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Freiheit für die politischen Häftlinge;
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Freiheit für jeden Bürger, seine Meinung zu äußern, sich zu organisieren, zu informieren und an der Gestaltung des politischen und wirtschaftlichen Lebens mitzuwirken.
An anderer Stelle des Flugblattes hetzen sie:
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Auch mit Gewalt lässt sich die Zonenbevölkerung nicht kommunistisch beeinflussen.
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Der permanente Widerstand verlangsamt selbst radikale Sowjetisierungsmaßnahmen oder macht sie unmöglich.
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Der 17. Juni war nicht vergebens.
Am Schluss fordern sie offen »die Fortsetzung des Widerstandes mit allen geeignet erscheinenden Mitteln des politischen Kampfes, der die SED isoliert …« (Am 15.6.1956 wurden im demokratischen Sektor von Berlin in mehreren S-Bahnzügen, aus Westberlin kommend, mehrere Tausend solcher Flugblätter aufgefunden und sichergestellt.)
Am 17.6.1956 beabsichtigt der Präsident des Abgeordnetenhauses W. Brandt2 über den Sender »Freies Berlin« zum Thema »17. Juni« sprechen. Aus dieser Rede wurde Folgendes entnommen. Brandt geht in seiner Rede von zwei Problemen aus, und zwar: 17. Juni 1953 und die Berliner Blockade.3 Die Erläuterung dieser beiden Probleme stellt eine Antwort auf die Frage dar, ob es möglich ist, den »bestehenden Druck in der Zone«, mit anderen Worten, »die bestehenden Verhältnisse in der Zone zu verändern«. So hätten z. B. die »harten Auseinandersetzungen zur Zeit der Blockade gezeigt, dass auch eine waffenlose und äußerlich machtlose Bevölkerung große Ziele zu erreichen vermag, dass sie das zunächst unmöglich Erscheinende möglich machen kann, wenn sie genau weiß, was sie will«. Hier leitet er über zum »17. Juni 1953« und sagt: »Die Streiks und Massendemonstrationen des 17. Juni haben bewiesen, dass auch in unserer Zeit die Spontanität noch eine Rolle spielt, und dass sie ein System staatlicher Allmacht zu erschüttern vermag …« Des Weiteren stellt er heraus, dass ein Unterschied zwischen diesen beiden Problemen bestehe und zwar insofern, dass: »Wir in Berlin standen nicht allein, sondern hier konnten wir nach und nach starke Bundesgenossen für uns gewinnen. Die Sowjetzone blieb demgegenüber abgeschnitten, ihr wurde keine Hilfe zuteil …«. Daraus ergibt sich eine Lehre, so heißt es weiter, »dass wir unser Ziel nicht allein erreichen vermögen, sondern dass wir eines engen Zusammenwirkens mit anderen bedürfen, dass wir um Hilfe und Verständnis ringen müssen«.
Dann geht er auf die Fragen der »politischen Gefangenen« ein und erklärt, dass dies »ein Beweis dafür sei, dass sich in der Zone noch nichts geändert hat«. Daran schließen sich die bekannten Phrasen an von der »Schaffung der Einheit und Freiheit«, was nur erfolgen kann, wenn »die weltpolitische Voraussetzung dazu geschaffen wird«. Des Weiteren wirft Brandt die Frage auf, ob ihrerseits alles getan worden sei und was heute getan werden könnte, »um der Wiedervereinigung weltpolitisch den Boden zu bereiten und sie im deutschen Bereich erleichtern zu helfen …«. Weiter heißt es: »Der 17. Juni 1953 wirft die Frage auf, ob nicht damals große Möglichkeiten der Politik ungenutzt geblieben sind. Aber wie dem auch sei, heute geht es darum, den Ruf der Arbeiter von der Stalinallee, von Leuna, Zeiss, von Görlitz und Rostock und Magdeburg wieder aufzunehmen und ihn unüberhörbar werden zu lassen: den Ruf nämlich, dass wir uns niemals abfinden werden mit dem Zustand willkürlicher und widernatürlicher Zerklüftung, sondern, dass wir wieder zusammenfügen wollen, was zusammen gehört.« Am Schluss seiner Ausführung heißt es: »Was die Demonstranten des 17. Juni wollten und was zu vollenden uns aufgegeben ist, fügt sich ein in das wohlverstandene Interesse aller, die den Weg nach vorn suchen zu Frieden, Freiheit und Sicherheit.«
Aus inoffiziellen Mitteilungen wurde Folgendes bekannt: Am 14.6.1956, 19.00 Uhr, sind in Frankfurt/M. ca. zehn Studenten, die angeblich zu einer Tischtennismannschaft gehören, in den Interzonenzug nach Berlin zugestiegen. Während der Fahrt nach Berlin äußerten sie sich des Öfteren in negativer Weise über die DDR und studierten mehrere Hetzschriften. Einer dieser Studenten erklärte während des Gespräches, »ausgerechnet zum 17. Juni muss man uns nach Berlin schicken«. Bei einer im Abteil sitzenden Westberlinerin erkundigten sie sich, ob man ungehindert in den demokratischen Sektor von Groß-Berlin gelangen kann. Weiterhin interessierten sie sich auffallend stark für eine Verbindungsaufnahme mit Studenten der Humboldt-Universität. Es ist anzunehmen, dass es sich um Studenten handelt, die aus Anlass des 17. Juni nach Westberlin bzw. in den demokratischen Sektor eingeschleust werden.
Aus Westberliner Journalistenkreisen wurde bekannt, dass mit Zwischenfällen am 17. Juni 1956 vor dem Schönberger Rathaus sowie am Brandenburger Tor gerechnet wird. Die Journalisten erhielten den Hinweis, sich am Brandenburger Tor aufzuhalten.