Westliche Rundfunk- und Presseberichte zum XX. Parteitag der KPdSU (3)
9. März 1956
Feindpropaganda zum XX. Parteitag der KPdSU [3. Bericht] [Information Nr. M52/56]
Die Feindpropaganda beschäftigt sich nur noch wenig mit dem XX. Parteitag der KPdSU selbst,1 sondern ist im Zusammenhang damit mehr zur Hetze gegen die SED übergegangen. Nach wie vor richtet sich die Hetze vor allem gegen den Genossen Walter Ulbricht, was sich nach der Veröffentlichung seines Artikels am 4.3.1956 noch verstärkte.2 Man beschäftigt sich vor allem mit folgenden Hauptpunkten:
- 1.
Hetze gegen den Genossen Walter Ulbricht und die SED
- 2.
Hetze zur Entwicklung in der DDR
- 3.
Fragen der Propagandaarbeit
- 4.
Die Rolle Trotzkis3
Beachtenswert ist, dass die Stellungnahmen der Westberliner Zeitungen zahlen- und umfangmäßig geringer sind als die Kommentare der Westsender, da letztere einen größeren Aktionsradius haben und die Bevölkerung der DDR verstärkt angesprochen werden kann. In geringem Umfang werden direkte Forderungen bzw. Aufgaben für die Bevölkerung der DDR gestellt. Im Wesentlichsten wurden folgende Argumente gebracht:
1. Hetze gegen den Genossen Walter Ulbricht und die SED
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»Der Artikel am 4.3.1956 wurde nur geschrieben, weil man die Diskussionen in der Bevölkerung abwürgen wollte.« (London 5.3.1956)
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»Walter Ulbricht hat keine eigene Meinung und keinen eigenen Willen, sondern richtet sich nur nach Moskau.« (»Telegraf« 6.3.1956,4 RIAS 7.3.1956)
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»Walter Ulbricht hat eine Wendung von 180 Grad vollführt.« (RIAS 5.3.1956)
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»Walter Ulbricht schrieb und sagte früher das Gegenteil von jetzt, deshalb muss man an seinen Worten zweifeln. Was er heute sagt, braucht morgen nicht mehr richtig zu sein.« (Sender Freies Berlin 5.3.56, RIAS 7.3.1956)
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»Walter Ulbricht wird von allen Sendern und Zeitungen als ›Stalin-Verfechter und Erzstalinist‹ beschimpft. Walter Ulbricht hat sich selbst über die Partei gestellt, Personenkult, Beweihräucherung und Entstellung der Parteigeschichte betrieben.« (London5 5.3.1956, RIAS 7.3.1956)
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»Ende der Stalinschen Ära ist vielleicht auch das Ende der politischen Laufbahn Walter Ulbrichts.« (Londoner Rundfunk zitiert aus angeblichen Hörerbriefen)
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»Walter Ulbricht muss auch zur Rechenschaft gezogen werden.« (»Telegraf Wochenspiegel«)6
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»In einem wirklich demokratischen Staat würde ein Mann wie Walter Ulbricht einfach davongefegt werden.« (London 5.3.1956)
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»Stalin hat Schuld, dass Walter Ulbricht eine so große Rolle spielen konnte.« (Der Tag 6.3.1956)7
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Mit großen Schlagzeilen wird gemeldet, dass Paul Merker aus der Haft entlassen wurde. ZPKK nimmt das Verfahren wieder auf. (Nachtdepesche 7.3.56,8 SFB 7.3.1956)
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Größere Meldungen über »erstes öffentliches Auftreten Dahlons«.9
2. Hetze zur Entwicklung in der DDR
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»Stalinsche Verfassung wurde der DDR durch Walter Ulbricht aufgezwungen.« (RIAS 7.3.1956)
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»Walter Ulbricht trägt die Hauptverantwortung für Sowjetisierungsmaßnahmen, die stalinistische Züge trugen.« (SFB 5.3.1956)
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»Bei früheren Kritiken an Stalin kam Ulbrichts SSD.«10 (SFB 5.3.1956)
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»Ausführungen Walter Ulbrichts über friedliche Entwicklungen in der DDR sind falsch, denn nach 1946 wurde ein gewaltsamer Umsturz mithilfe der Besatzungsmacht und der Geheimpolizei durchgeführt.« (RIAS 5.3.1956)
3. Fragen der Propagandaarbeit
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»Über viele Probleme der bisherigen Parteipropaganda wurde das Todesurteil gesprochen.« (London 2.3.1956)
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»Die SED-Mitglieder werden gegenüber der Parteitheorie, der Parteigeschichte und den Biographien der Parteiführer misstrauisch.« (SFB 5.3.1956)
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»Was soll man jetzt studieren, wenn alles falsch ist?« (RIAS 7.3.1956)
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»Wo soll man sich über Walter Ulbricht informieren, denn die deutsche Geschichte ist auch falsch dargestellt.« (RIAS 7.3.1956)
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»Walter Ulbricht ist auf falsche Darstellung der Geschichte der KPD nicht eingegangen.« (»Telegraf« 6.3.1956)11
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»SED-Mitglieder müssen sich neue Lehrbücher kaufen, da Kurzer Lehrgang12 und Stalinbände nur noch als Makulatur verwandt werden können.« (London 2.3.1956)
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»Das Studium der Geschichte der KPdSU war sinnlos.« (SFB 5.3.1956)
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»Parteitheoretiker müssen sich revidieren. Sie haben früher den unterwürfigsten Stalinkult betrieben.« Genannt werden die Genossen Fred Oelßner13 und Alexander Abusch.14 (RIAS 6.3.1956)
4. Die Rolle Trotzkis
Am 6. und 7.3.1956 brachten die Westberliner Zeitungen längere Artikel mit der Überschrift »Trotzki rehabilitiert«, »Trotzki wieder salonfähig« u. a.15 Dagegen schreibt »Der Tag« am 8.3.1956 »Trotzki nicht rehabilitiert«.16 Die Westberliner Zeitungen hatten einen Artikel in der sowjetischen Zeitung »Probleme der Geschichte« zum Anlass genommen, von einer Rehabilitierung zu sprechen. Der Sender Freies Berlin nimmt am 6.3.1956 in längeren Ausführungen Stellung und gibt zur Beeinflussung der Genossen u. a. folgendes Argument: »Trotzkis Ansichten, seine Ideen über die Gestaltung des Parteilebens werden heute wieder in Moskau für gutgeheißen.«
Aus den Sendungen und Artikeln müssen folgende Ausführungen besonders beachtet werden:
RIAS 7.3.1956:»… Wenn die Funktionäre der SED in der Zone sich auch nur Spuren von Selbstachtung bewahren und Reste eines Charakters aufbringen wollen, dann muss es zu einer Vertrauenskrise in der Partei kommen, nachdem sich der 1. Sekretär derart verächtlich gemacht hat … Die Funktionäre im Lande denken über diese Frage nach und wenn sie das Denken noch nicht ganz verlernt haben, dann müssen sie zu dem Ergebnis kommen, dass sie einer Partei angehören, in der es weder eine klare Linie noch eine menschlich qualifizierte Führung gibt. Ulbrichts unbeschreiblich schlechtes Beispiel ist ein drastisches Mittel zu einer kommunistischen Entwöhnungskur.«
London 5.3.1956: »Vielleicht wird die Eigendynamik der neuen Ereignisse stärker sein, als Ulbricht und seine säuberlichen Taktiken und vielleicht auch stärker, als Chruschtschow und die andern Spitzenfunktionäre in Moskau es eingeplant haben …«
Folgende Forderungen bzw. Aufgaben werden gestellt:
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»Wann behandelt die SED die Rehabilitierung der zu Unrecht verurteilten Genossen?« (RIAS 7.3.1956)
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SED-Mitglieder erwarten Herausgabe von Materialien über die Genossen Kossior17 und Antonow.18
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Bei Schulungen und Versammlungen sollen folgende Fragen gestellt werden: »Seit wann Ulbricht eigentlich Stalin für einen Schädling hält und aus welchem Grunde er diese immerhin wichtige Erkenntnis nicht schon früher offen geäußert hat. Man kann auch fragen, warum er Stalin heute so hart verurteilt, wenn er ihn vor kurzer Zeit noch als den genialen, großen und weisen Führer der Völker rühmte. Oder ist bereits die Frage nach dem plötzlichen Umsturz der Überzeugung des obersten Genossen gefährlich?« (Der Tag 6.3.1956)19