Westliche Rundfunk- und Presseberichte zur Schaffung der NVA (1)
19. Januar 1956
Feindpropaganda zur Schaffung der Nationalen Volksarmee [Information Nr. M11/56]
Nach dem 15. Januar 1956 nahmen die Westberliner Zeitungen und die Westsender in längeren Kommentaren zur Kampfdemonstration zu Ehren Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs Stellung.1 Dabei wurden einmal die Kampfgruppen als »rote Volksmiliz« bezeichnet.2 Zum anderen kommentierte man aber die bei der Demonstration geforderte Schaffung einer Nationalen Volksarmee, dabei sprach man in mehr oder weniger hetzerischer Form von einem entsprechenden Beschluss der Volkskammer.
Nachdem die Volkskammer der DDR am 18.1.1956 das Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee beschlossen hat,3 setzte eine wüste Hetzkampagne ein. Das in fast allen Sendungen und Artikeln verwandte Hauptargument ist die »Umwandlung der KVP in die Volksarmee«. Es wird von einem »bereits seit Jahren bestehenden Zustand gesprochen«. Im Zusammenhang mit der Begründung zum Gesetzentwurf wird gelogen, dass »die Aufstellung der Kader im Osten bereits abgeschlossen gewesen sei, als die Bundesrepublik an der Verteidigungsgemeinschaft der freien Welt noch nicht teilgenommen hätte.« (Erklärung eines Regierungssprechers aus Bonn)
RIAS vom 18.1.1956 hetzt, dass »die SED, um den Schein zu wahren, gewartet hätte, bis in Andernach die ersten Wehrkompanien der Bundesrepublik in die Kasernen eingezogen waren.«4 Die Resolutionen mit den Forderungen der Werktätigen der DDR zur Schaffung einer Nationalen Volksarmee werden als »durchsichtige von der SED organisierte Resolutionswelle, die eindeutig auf dieses Ziel los steuert«, bezeichnet.
Sender »Freies Berlin« nimmt noch besonders Bezug auf die Ausführungen des Genossen Otto Grotewohl und hetzt, dass die Aufstellung der Nationalen Volksarmee »erste Illustration solcher friedlichen Absichten«, wie sie Genosse Otto Grotewohl darlegte, sei.5
RIAS versucht gleichzeitig eine Beeinflussung im internationalen Maßstab, indem er von der »Anerkennungswürdigkeit« der DDR spricht. Er hetzt am 18.1.1956: »… Wir können nur hoffen, dass alle Welt erkennen möge, wie es um die Friedensliebe und die Anerkennungswürdigkeit dieses Staates aussieht, der erst seine Armee schafft, dann ihre Existenz leugnet und sechs Jahre später das Gesetz erlässt, mit dem die Bewaffnung logischer Weise zu beginnen gehabt hätte …«
Zu einzelnen Punkten der Ausführungen des Genossen Stoph wird wie folgt argumentiert:6
Dass in der DDR keine allgemeine Wehrpflicht eingeführt wird,7 nehmen alle westlichen Presseorgane zum Anlass der Behauptung: »Man wird in der Sowjetzone nicht die allgemeine Wehrpflicht einführen, weil man vor allem die Zahl der Flüchtlinge nach dem Westen nicht erhöhen will.« Gleichzeitig wird aber gehetzt, dass gar kein Wehrgesetz notwendig sei, da »andere Methoden« (z. B. wilde Werbung, Erpressung, Bedrängnis, Verschlechterung auf dem Arbeitsplatz, Erschwerung der Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche u. a.) angewandt würden.
Zur Beunruhigung der Jugendlichen der DDR hetzt der Sender »Freies Berlin«, dass es auch infolge der früher beschlossenen Verfassungsänderung keines Wehrgesetzes bedarf, da es »im Weigerungsfalle oder bei Desertion genügt, eine Verletzung der Verfassung festzustellen, um diesbezüglich Strafen zu verhängen«. Sender »Freies Berlin« behauptet noch, dass die Ausführungen des Genossen Stoph früheren Ausführungen der Genossen Otto Grotewohl und Walter Ulbricht widersprechen würden, die die Einführung der Wehrpflicht »angedroht« hätten.
Mit der Uniform der Nationalen Volksarmee beschäftigt man sich mehrfach. Während einzelne Westberliner Zeitungen die Uniform – vor allem [die] Farbe der einzelnen Waffengattungen – bereits nennen, hetzen die Westsender, dass die neuen Uniformen nicht mehr den »Eindruck der Abhängigkeit vom Kreml erwecken sollen«. Im Zusammenhang mit den genannten Traditionen und den Vorbildern der Nationalen Volksarmee wird von »Rot-Preußen« und »national-bolschewistischen Tendenzen« gesprochen.8
Zum Personalbestand der Nationalen Volksarmee heißt es, dass einmal die KVP einen »Uniformwechsel« vornimmt und zum anderen die Gesellschaft für Sport und Technik »für die notwendige Zahl der Volksrekruten sorgt«. Anschließend heißt es im »Abend«, »dass zu den 120 000 Volksarmisten noch weitere 100 000 modern bewaffnete Bürgerkriegskämpfer kommen«. Um die Angehörigen der Volksarmee negativ zu beeinflussen heißt es, dass die Aufstellung der Armee wohl beschlossen werden kann, aber die Gesinnung der Angehörigen derselben unbeeinflussbar bleibt. Dabei wird an den 17. Juni 1953 erinnert.
Den Beschluss der Volkskammer nimmt man zum Anlass, nochmals in großer Aufmachung gegen die KVP zu hetzen. Es werden Entwicklung, Stärkezahlen, Bewaffnung, Schulung und Manöver genannt. Zur Verleumdung der KVP benutzt man vor allem die Manöver, wo die KVP nicht ihre Eignung zur Verteidigung, sondern zum Angriff hätte beweisen müssen. Z. B. heißt es im RIAS vom 19.1.1956: »… In den Ausbildungsvorschriften der KVP-Soldaten stehen die Vorbereitungen für den Angriff an erster Stelle. Und als im vergangenen Herbst zwei Divisionen der KVP Übungen abhielten, da hießen die taktischen Aufgaben, die zu lösen waren, nicht Verteidigung, sondern Angriff …« In der gleichen Sendung wiederholt RIAS die Forderung nach »Freien Wahlen« mit folgendem Schlusssatz: »Warum drückt man ihnen dazu nur einen Karabiner in die Hand; warum nicht auch einen Wahlzettel?«
Bemerkungen:
Vorstehende Hinweise auf die Feindpropaganda sind bei Analysierung der Stimmung der Bevölkerung zu beachten. Bei Auftreten derartiger Argumente ist dies in den Informationsberichten gleich als Feindargument zu kennzeichnen.