Zweiwochenbericht
7. Juli 1956
Informationsdienst Nr. 13 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Zur Lage in Industrie und Verkehr
Politische Diskussionen
Im Vordergrund der politischen Diskussionen standen in der Berichtszeit wieder die Abrüstungsmaßnahmen der Sowjetunion.1 Der Anlass dazu, dass es erneut wieder zu Diskussionen über diese Fragen kam, war die Teilnahme von Betriebsdelegationen bei der Verabschiedung von Truppenteilen in der DDR. Die Mehrzahl dieser in ziemlich großen Umfang geführten Diskussionen war wiederum positiv und kam am charakteristischsten in folgenden Argumenten zum Ausdruck:
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»Mit der Demobilisierung der sowjetischen Truppen in der DDR liefert doch die Sowjetunion einen neuen Beweis, dass es ihr mit der Abrüstung ernst ist. Wenn jetzt alle Staaten so handeln würden, gäbe es auch in Westdeutschland keine Aufrüstung mehr.« (Arbeiter im VEB Zeiss Jena)
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»Wenn die Westmächte diesem Beispiel folgen, dann kann man von beiden Seiten die Bereitschaft zur Entspannung der Lage sehen und alle Menschen werden erleichtert aufatmen.« (Arbeiter in den Optischen Werken Rathenow)
Positive Beispiele dieser und ähnlicher Art können aus allen Bezirken aufgeführt werden.
Zur Verabschiedung der sowjetischen Truppen wurden jedoch auch eine Anzahl unklare Argumente bekannt, aus denen zum Teil der Einfluss westlicher Sender erkennbar ist. Am weitesten verbreitet sind dabei folgende Argumente:
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»Auf der einen Seite werden 35 000 Mann abgezogen, auf der anderen Seite werden jedoch wieder andere Truppen in Zivil von der SU eingeschleust. Die Verabschiedung war Propaganda.« (Angestellte der VEAB Magdeburg)
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»Die brauchen wahrscheinlich die Kasernen für die Volksarmee,2 sonst würden sie auch noch nicht abziehen.« (Arbeiter im VEB Qualitätsmöbel Eilenburg, [Bezirk] Leipzig)
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»Die Sowjetunion kann leicht ihre Truppenteile zurückziehen, die wirkliche Stärke der Roten Armee erfahren wir doch nicht.« (Arbeiter im VEB Flachsspinnerei Wiesenbad,3 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt)
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»Dass man in der Öffentlichkeit zeigt, dass die sowjetischen Truppen abziehen, aber in Wirklichkeit werden sie nach einer anderen Stelle geleitet.« (Arbeiter im VEB Tiefbau Frankfurt/O.)
Von ähnlichen Ansichten sind fast alle unklaren und negativen Diskussionen bestimmt.
In den Diskussionen über die Regierungserklärung vor der Volkskammer,4 nahm in der Berichtszeit besonders die Frage der beabsichtigten Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland breiten Raum ein5. Während die Vorschläge Otto Grotewohls nach wie vor positiv aufgenommen werden, kam in den Diskussionen besonders die Forderung an die westdeutsche Bevölkerung zum Ausdruck, die Einführung der Wehrpflicht zu verhindern und den Bundestag zu Verhandlungen mit der Regierung der DDR zu zwingen. Charakteristisch dafür sind folgende Stellungnahmen: »Die wichtigste Aufgabe, um die Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland zu verhindern, ist die Schaffung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse. Hier müssen wir tatkräftig mithelfen, sei es durch Gespräche mit westdeutschen Besuchern oder durch Briefverkehr mit westdeutschen Freunden.« (Jugendliche in Weitersroda, [Bezirk] Suhl) Außer solchen und ähnlichen Diskussionen sind in einigen Betrieben des Bezirkes Suhl die Arbeiter dazu übergegangen, Protestschreiben mit der Forderung auf Verzicht der Wehrpflicht und nach Verhandlungen mit der DDR an den Bundestag zu senden. Ähnliche Diskussionen und Maßnahmen wurden auch aus anderen Bezirken bekannt.
Zu Diskussionen größeren Umfanges kam es auch über die vorzeitige Haftentlassung ehemals zu Recht verurteilter Personen.6 Auch zu dieser Frage ist festzustellen, dass überwiegend positiv Stellung genommen wird, obwohl auch einige dieser zustimmenden Argumente noch Unklarheiten enthalten. Charakteristisch dafür ist die Meinung einer Angestellten im VEB Wurzener Teppichfabrik, [Bezirk] Leipzig, die sagte, »dass sie zwar nicht grundsätzlich gegen diese Maßnahme ist, aber die Entlassung dieser großen Zahl von Häftlingen für zu großzügig hält, da von diesen Personen viele nach dem Westen gehen und uns in den Rücken fallen werden«. Für die vollkommen unklaren und negativen Diskussionen, in denen Einfluss von Hetze zu erkennen ist, ist folgende Stellungnahme charakteristisch: »Die neue demokratische Gesetzlichkeit und damit die Freilassung von tausenden Gefangenen in der DDR ist auf Druck des Westens geschehen und es ist darin eine Schwäche unsererseits zu erkennen.«
Über die Ereignisse in Poznan7 erfolgten Sonderinformationen über die Stimmung unter der Bevölkerung in der DDR.8
Ökonomische Probleme
Wiederum wurden in der Berichtszeit neben den Materialschwierigkeiten – darüber erfolgte Sonderinformation9 – aus einigen Betrieben Absatzschwierigkeiten bekannt. Diese sind besonders auf die ungenügende Bereitstellung von Waggons durch die Reichsbahn sowie auf Annullierung von Verträgen zurückzuführen und bereiten den betroffenen Betrieben erhebliche Schwierigkeiten. So kann im VEB Deutsche Hydrierwerke Zeitz, [Bezirk] Halle, die Produktionskapazität infolge Abnahmeschwierigkeiten nicht voll ausgelastet werden. Nachdem jetzt genügend Abberufungsaufträge vorhanden sind, liegt es nur an der ungenügenden Waggongestellung durch die Deutsche Reichsbahn. Die gleiche Lage besteht im VEB Zementwerk Nienburg,10 [Kreis] Bernburg, [Bezirk] Halle, im VEB Fahlberg-List Magdeburg und im VEB Mewa Blechpackungswerk Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg.
Der VEB »Sanitas« Görlitz,11 [Bezirk] Dresden, schloss im Februar 1956 einen Perspektivvertrag mit dem DIA, Abteilung Kulturwaren Berlin, ab. In diesem Vertrag verpflichtete sich der DIA im Jahre 1956, 600 000 Stück Halskrausen für Friseure abzunehmen. Bisher wurden bereits 145 000 Stück ausgeliefert. Da der Vertrag seitens des DIA von einem Angestellten unterschrieben wurde, der seit einiger Zeit republikflüchtig ist, erkennt der DIA diesen Vertrag jetzt nicht mehr an, da er angeblich mit unrechtmäßigen Unterschriften versehen sei. Durch diese Annullierung wird der Plan des VEB Sanitas sowie von fünf Zulieferbetrieben gefährdet. Zum anderen bringt dieser Artikel Devisen, welche ebenfalls verloren gehen. Dem Betrieb ist es unverständlich, dass dieser Vertrag annulliert wird, zumal in Westdeutschland eine Konkurrenzfirma bemüht ist, den VEB Sanitas mit derselben Produktion auf dem Markt auszuschalten.
Dem VdK-Seife Riesa,12 [Bezirk] Dresden, entstanden Schwierigkeiten im Absatz von Seife dadurch, dass der DIA es nicht für nötig hielt, auf die Korrespondenz der Abnahmefirmen zu antworten, die sich daraufhin mit Beschwerdebriefen an den Betrieb selbst wandten. Außerdem wurde vom DIA versäumt, Schiffsraum zu belegen, sodass sich die Auslieferung wieder verzögert.
Im VEB Glaswerk Freital, [Bezirk] Dresden, ist dieses Jahr ein starker Rückgang des Umsatzes von Konservengläsern festzustellen. Die Ursache dazu ist, dass der DIA versäumt hat, beim Handelsabkommen von ca. 15 Millionen Konserven die Gläser aus der DDR anzubieten.
Aus dem Arzneimittelwerk Dresden-Radebeul13 wird bekannt, dass sich zurzeit in der Penicillin-Produktion Absatzschwierigkeiten bemerkbar machen. Eine Einschränkung bzw. eventuelle Einstellung der Penicillin-Produktion würde für das gesamte Arzneimittelwerk einen großen wirtschaftlichen Verlust bedeuten.
Im VEB Damenkonfektion Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, müssen die Beschäftigten infolge Absatzschwierigkeiten mit Ausweicharbeiten beschäftigt werden. Für 400 Heimarbeiter ist außerdem keine Arbeit vorhanden. Im VEB Buntsocken Großolbersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, und in der Strumpffabrik Lohs & Schubert, Karl-Marx-Stadt, Dittersdorf,14 lagern insgesamt 550 000 Paar Strümpfe.
Aus einigen Betrieben wurden außerdem Schwierigkeiten infolge laufender Planänderungen bekannt, was bedingt durch die Produktionsumstellung zu negativen Diskussionen unter den Beschäftigten führte.
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So ist unter den Meistern des VEB Gubener Wolle, [Kreis] Guben, [Bezirk] Cottbus, eine große Uninteressiertheit gegenüber der Arbeit festzustellen. Die Gründe dafür sind, dass der Produktionsplan von Jahresbeginn bis jetzt bereits fünfmal geändert wurde und dadurch wenig Aussicht besteht, den Plan in allen Positionen bis Jahresende zu erfüllen. In der Endkonsequenz führt das dazu, dass die Prämienzahlung an Arbeiter und Angestellte infrage gestellt ist.
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Ähnlich ist die Lage im VEB Sprengstoffwerk Schönebeck, Betrieb Gelatine-Donarit, wo infolge Reduzierung der Aufträge durch die Wismut eine Planverkürzung erfolgte und verschiedene Arbeiter mit unproduktiver Arbeit beschäftigt werden mussten.
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In der Neptun-Werft Rostock, wo ebenfalls schon mehrmals der Plan geändert wurde, entstanden erhebliche Mehrkosten.
Unzufriedene Diskussionen lösten in einigen Betrieben auch vorgesehene Betriebsverlegungen aus. Dafür folgende Beispiele: Der VEB Elmowerk Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, hat ein Zweigwerk in Osterwieck, das infolge Nichtauslastung der Kapazität aufgelöst werden soll. Die in dem Betrieb beschäftigten 100 Arbeiter haben bis jetzt noch keine Arbeit zugewiesen bekommen und äußern sich darüber sehr unzufrieden. Ähnlich ist die Stimmung im VEB Plasta Sonneberg, [Bezirk] Suhl, der ebenfalls verlagert werden soll, sowie im VEB Stahl- und Montagebau Berlin-Pankow, dem durch die Verlegung von Lichtenberg nach Pankow Schwierigkeiten entstanden, weil nicht genügend Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden.
Produktionsstörungen in der Zeit vom 21.6. bis 5.7.1956
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Durch Wagenentgleisung, Baggerausfall, Materialschäden und schlechte Witterungsverhältnisse kam es in den Braunkohlenrevieren Borna und Altenburg, [Bezirk] Leipzig, sowie des Geiseltales bei Merseburg, [Bezirk] Halle, zu folgenden Produktionsausfällen: 100 900 cbm Abraum, 7 750 t Rohkohle, 206 t Brikett. Der finanzielle Schaden an Geräten, Maschinen und Produktionsausfällen beträgt insgesamt ca. 103 446 DM.
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Ausfälle aufgrund oben angeführter Ursachen wurden aus folgenden Braunkohlenwerken und Gruben bekannt: Pfännerhall15 und Neumark,16 [Bezirk] Halle, Phönix, Haselbach, [Kreis] Altenburg, und Borna, [Bezirk] Leipzig.
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Am 1.7.1956 fiel im VEB Leipziger Eisen- und Stahlwerk aus bisher unbekannter Ursache die Kurzschluss-Drosselspule aus der 30-kV-Station aus. Der Produktionsausfall ist gering. Der Schaden beläuft sich auf 30 000 DM.
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Am 1.7.1956 fielen im VEB Fewa Karl-Marx-Stadt infolge Überalterung der Anlage zwei Dampfkessel aus. Dadurch entsteht ein Produktionsausfall von zwei bis drei Tagen.
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Am 2.7.1956 wurden im VEB Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, infolge Blitzeinschlages die Isolatoren einer 30 000-Volt-Leitung zerstört. Der Ausfall betrug 128 t Blech.
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Am 30.6.1956 ereignete sich im VEB Steinkohlenwerk »Karl Liebknecht« in Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Abbau 716, beim Versetzen von Pfählen ein Streckeneinbruch von 5 m Länge. Dadurch wurden zwei Personen zeitweilig verschüttet. Der Ausfall betrug 35 t Steinkohle.
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Am 24.6.1956 trat im VEB Öl- und Fettwerke »Hans Schellheimer«17 Magdeburg durch Wasserrohrbruch eine Betriebsstörung ein. Der Ausfall in der Sojaverarbeitung beträgt 12 000 t.
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Am 22.6.1956 musste im Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« in Rudolstadt wegen Maschinenschadens an einer Turbine auch die zweite wegen Überlastung abgeschaltet werden. Der entstandene Produktionsausfall beträgt wertmäßig 25 000 DM, der Schaden 65 000 DM.
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Im VEB »Ferdinand Kuhnert« Dippoldiswalde,18 [Bezirk] Dresden, musste das neu in Betrieb genommene Plattenband durch laufend auftretende Störungen abgeschaltet werden. Die Neueinstellung und Überprüfung wird zwei bis drei Wochen in Anspruch nehmen.
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Am 21.6.1956 fiel im VEB Buntweberei und Färberei Neugersdorf, [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden, infolge Nichtfunktionierens der Ölzufuhr und Festfahren eines Ventils für zwei Stunden die Dampfmaschine aus. Der Schaden beträgt insgesamt 8 000 DM.
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Im Kraftwerk Dresden ist, nachdem am 26.6.1956 bereits die Turbinen 1/36 MW und 2/18 MW ausgefallen sind, am 28.6.1956 auch die letzte Turbine 3/8 MW infolge Pumpenschadens ausgefallen, was eine Reparatur von fünf Tagen erforderlich macht.
Brände entstanden
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Am 23.6.1956 im DEFA-Spielfilmstudio Potsdam-Babelsberg aus bisher unbekannter Ursache. Schaden: 4 500 DM.
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Am 23.6.1956 in der HO-Fleischerei Tangerhütte, [Bezirk] Magdeburg, durch Überhitzen der Räucherkammer. Schaden: ca. 2 000 DM.
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Am 28.6.1956 im VEB Mühlenwerke Schraplau, [Bezirk] Halle, durch Warmlaufen eines Lagers und Selbstentzündung. Schaden: 15 000 DM, Produktionsausfall ca. drei Wochen.
Versorgung der Bevölkerung
Die Versorgungsschwierigkeiten bei HO-Butter und zum Teil auch bei HO-Margarine sind noch nicht behoben. Noch immer gibt es zahlreiche Beispiele, wo die Bevölkerung deswegen Schlange steht. Unter der Bevölkerung sind dadurch die Diskussionen über die Versorgungslage wieder stärker in den Vordergrund getreten. Über die schlechte Butterversorgung wird von der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht, dass es untragbar wäre, wenn zur jetzigen Jahreszeit so wenig Butter zum Verkauf angeboten würde. Von vielen Hausfrauen wird dazu erklärt: »Sie wüssten schon gar nicht mehr, was sie ihren Männern auf’s Brot streichen sollten.«
In den Bezirken Erfurt und Halle werden Diskussionen laut, wo die Schwierigkeiten in der Butter- und Fleischversorgung vom II. Deutschen Turn- und Sportfest19 abgeleitet werden. So wird erklärt, dass mal wieder alles nach Leipzig gebracht würde.
Im VEB Zuckerfabrik Salzwedel, [Bezirk] Magdeburg, sprach der Vorsitzende des Rates des Kreises anlässlich der Feierlichkeiten zum 10-jährigen Bestehen der VEB. Als er in seinen Ausführungen hervorhob, dass der Nährmittelverbrauch gegenüber 1950 um ca. 200 % gestiegen sei, reagierte die Bevölkerung mit unzufriedenen Zwischenrufen und Gemurmel wie z. B. »Es sieht gar nicht so aus« oder »wir merken nichts davon«. Ähnlich war es auch im VEB Pumpenfabrik. Dort machte zur gleichen Zeit der 2. Sekretär der SED-Kreisleitung ungefähr dieselben Ausführungen. Dabei brach unter der Belegschaft eine Unruhe aus, sodass der Referent dreimal seine Ausführungen unterbrechen musste. Es wurde z. B. Folgendes dazwischen gerufen: »Von den Zahlen werden wir nicht satt, gebt uns lieber Margarine.«
Verschiedentlich wurden unter der Bevölkerung Diskussionen über die Preise für Lebensmittel geführt. Dabei wird erklärt, dass die Preise für Lebensmittel zu hoch seien, weil die Bevölkerung darauf angewiesen sei, schon Mitte des Monats in der HO zu kaufen, da man bis dahin die Lebensmittelkarten abgekauft hätte.20
Fleischversorgung
Auch die Versorgung mit Fleisch und Fleischwaren auf HO-Basis ist noch nicht zufriedenstellend. So kann z. B. im Kreis Döbeln, [Bezirk] Leipzig, der Bedarf nicht gedeckt werden, da die Planmenge nicht ausreicht. Vonseiten des VEAB Dessau, [Bezirk] Halle, ist die Anlieferung von Schlachtvieh so minimal, dass dadurch die Lage nicht verbessert werden kann.
Im Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, ist die Versorgung mit Fleisch und Fleischwaren weiterhin gefährdet. Für den eigenen Bedarf fehlen dem Kreis 100 t. In der Ausfuhr liegt er mit 300 t im Rückstand. Zurzeit wird nur noch Gefrierfleisch an die Bevölkerung ausgegeben. Mit der Erfüllung des Aufkaufes und Aufholung des Rückstandes in der nächsten Zeit ist kaum zu rechnen. Außerdem wird der Kreis nicht in der Lage sein, die Ferienlager mit Frischfleisch zu versorgen.
Diskussionen zum Artikel von Änne Kleinke21 (»Ostseezeitung« Rostock vom 21.6.1956) über die Versorgungslage22
In diesem Artikel brachte die stellvertretende Vorsitzende des Rates des Bezirkes zum Ausdruck, dass im II. und III. Quartal im Bezirk Rostock besondere Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch, Kartoffeln und Marmelade auftreten werden. Nach Veröffentlichung dieses Artikels konnte festgestellt werden, dass die Bevölkerung beunruhigt war und verschiedentlich zu Angsteinkäufen überging. Es wurde darüber überwiegend negativ diskutiert und scharf dagegen Stellung genommen, dass man auf diese Art und Weise die Bevölkerung nicht beunruhigen sollte.
Im Allgemeinen waren die Diskussionen wie folgt:
Ein Oberschüler aus Bad Doberan sagte z. B.: »Die schreiben hier von den Schwierigkeiten bei Kartoffeln und Fleisch und auf der anderen Seite über die großen Erfolge in der DDR. Diese Bonzen sollten sich schämen, so etwas zu schreiben. Sieht man dagegen nach Westdeutschland, so stellt man fest, dass die dort trotz der Aufrüstung mehr zu essen haben.« Eine Hausfrau aus Grevesmühlen: »Ich bin mit diesem Artikel der Änne Kleinke nicht einverstanden. Denn durch diesen Artikel wurde die Bevölkerung unsicher gemacht und es begannen die großen Angsteinkäufe. Die Rentner und arbeitsunfähigen Bürger konnten sich nichts kaufen und jetzt sind sie die Dummen.«
Importlieferungen
Es wurden wieder Fälle bekannt, wo Waren, die vom Ausland in die DDR ankommen, von zu minderwertiger Qualität und zum Teil verdorben sind. Die Arbeiter, die diese Importlieferungen ausladen bzw. lagern sollen, sind darüber sehr empört und bringen in ihren Diskussionen häufig zum Ausdruck, dass unsere Außenhandelsorgane besser arbeiten müssten und man für gutes Geld auch gute Ware verlangen könnte.
So erhielt z. B. der VEB Deutsche Spedition Görlitz23 ca. 100 t minderwertigen Weizen aus Übersee, der in Hamburg verladen wurde. Bei einer Mahlprobe in der Obermühle Görlitz wurde festgestellt, dass der erforderliche Mehlertrag nicht erbracht wurde. Ähnliches wurde auch aus dem Bezirk Frankfurt/O. gemeldet.
Die Staatsreservenverwaltung Dresden erhielt am 22.6.1956 aus Polen über die DIA vier Partien (40 t) Fleischkonserven, die für längere Lagerung als Staatsreserve bestimmt sind. Bei der Kontrolle durch die veterinärhygienische Anstalt Dresden wurde eine Korrosion der Weißblechdosen von innen festgestellt, sodass eine Einlagerung auf längere Zeit nicht möglich ist. Das Fleisch ist zurzeit noch einwandfrei und kann für den sofortigen Verbrauch verwendet werden.
Warenverderb
Der VEB Rosodont Waldheim, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig, erhielt am 21.6.1956 vom Konsum-Gewerkschaftsverband Freiberg24 197 kg verdorbenes Schmalz und 590 kg verdorbene Butter zur Verarbeitung. Die Arbeiter verlangten darüber Aufklärung, weil gerade jetzt diese Waren der Bevölkerung nur mangelhaft angeliefert werden. Am 29.6.1956 und 30.6.1956 erhielt die HO-Verkaufsstelle in Tangermünde, Kreis Stendal, [Bezirk] Magdeburg, ranzige Margarine. Auch die Verkaufsstelle 77 erhielt zusammen mit noch drei weiteren Verkaufsstellen 400 kg ranzige Margarine geliefert. Die Margarine wurde zum großen Teil von der Bevölkerung zurückgegeben.25
Überplanbestände
In der HO-Lebensmittel Nord in Magdeburg liegen 3,5 Mio. Zigaretten. Ähnlich sieht es in der HO-Lebensmittel Süd aus. Magdeburg erhielt für 1956 zu viel Zigaretten. Geplant waren 360 Mio., geliefert wurden 363 Mio. Trotzdem muss die HO vom GHK weiter Zigaretten aller Sorten abnehmen, da sonst mit Konventionalstrafe zu rechnen ist.
Im VdgB/BHG Tuchheim, [Kreis] Genthin, [Bezirk] Magdeburg, besteht ein Überhang an Maschinen und Geräten. Zum Beispiel lagern dort 15 Elektrojauchepumpen im Werte von 31 300 DM.
Bei der HO-Lebensmittel in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, gibt es folgende Überplanbestände:
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Zigaretten (Turf): 1,3 Mio.;
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Dauerbackwaren: 4 t;
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Reis: 1 t;
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Weiße und braune Bohnen: 5 t;
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Süßwaren (keine Schokolade): 5 t;
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Weizenmehl Type 812: 8 t;
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Kunsthonig: 1 500 kg;
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Kondensierte Magermilch: 4 000 Flaschen.
Das sind Waren, die aufgrund der Kontrollziffern über den eigentlichen Bedarf der Kreisbetriebe abgeschlossen werden mussten. Bereits im IV. Quartal 1955 und in den darauffolgenden Quartalen wurden an die Abteilung Handel und Versorgung beim Rat des Kreises Verzichtserklärungen eingereicht, worauf jedoch bisher noch nicht reagiert wurde. Für den Betrieb entstehen dadurch Finanzierungsschwierigkeiten, automatische Vertragsstrafen usw.
Im VEB Albert-Kuntz-Kombinat Wurzen,26 [Bezirk] Leipzig, liegen 650 t Reis als nicht absetzbar auf Lager. Der KG-Verband Stadt Dresden erhielt vom VEB Bero Berlin27 Bohnenkaffee in 100-Gramm-Packungen im Werte von 4 Mio. DM. Bei einer Überprüfung wurde festgestellt, dass diese Packungen nur 98 Gramm hatten, obwohl das reguläre Gewicht 105 Gramm betragen muss. Dieser Kaffee war bereits im Handel. Insgesamt erhalten die Käufer dadurch für 33 000 DM Kaffee zu wenig.
Die Lage in der Landwirtschaft
Im Mittelpunkt der Landwirtschaft steht zurzeit die Vorbereitung der Ernte. Obwohl die Erntebereitschaft in den einzelnen Bezirken unterschiedlich ist, kann im Allgemeinen festgestellt werden, dass die Vorbereitungen dazu in diesem Jahr besser waren als in den vorhergehenden Jahren. Jedoch tritt in den MT-Stationen immer wieder Ersatzteilmangel auf, sodass am Tag der Erntebereitschaft ein großer Teil von Geräten noch nicht einsatzfähig war. Besondere Schwierigkeiten traten dabei in den Bezirken Magdeburg und Rostock in Erscheinung.
Im Bezirk Magdeburg sind folgende Geräte nicht einsatzfähig:
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Traktoren: 8,6 %, [das] sind 351 Stück;
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Dreschmaschinen: 49 %;
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Strohpressen: 21 %;
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Mähdrescher Weimar:28 11 %.
Im Bezirk Rostock sind 60 Raupen KS 62 und 32 Traktoren RS 15 ebenfalls nicht einsatzfähig. Aus fast allen Bezirken wird weiterhin ein Fehlen von Ersatzteilen berichtet, dabei fehlen vor allem: Laufwerke, Achsschenkel und Kugellager für die Raupe KS 62, Messerplatten, Grasmähfinger, Ausgleichsgetriebe, Zahnräder und Knüpferscheiben für Binder, Anbaumähbalken sowie Schrauben und Muttern jeder Größe.
Neben der Erntevorbereitung stehen in der Landwirtschaft noch die Pflegearbeiten sowie die Schädlingsbekämpfung im Vordergrund der Arbeit. Durch den anhaltenden Regen ist in allen Bezirken in diesen Arbeiten ein erheblicher Rückstand eingetreten, der sich besonders bei Rüben und Kartoffeln bemerkbar macht. Verschiedentlich wird berichtet, dass der Kartoffelkäfer und die Rübenfliege in großen Massen auftreten und in den Kulturen größere Schäden eintreten. Erschwerend auf die Schädlingsbekämpfung wirkt sich noch aus, dass die vorhandenen Spritzmittel zur Bekämpfung bei Weitem nicht ausreichen und auch größere Spritzgeräte fehlen.
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So wurde z. B. im Kreis Borna, [Bezirk] Leipzig, festgestellt, dass ca. 70 % der gesamten Kartoffelanbaufläche mit Kartoffelkäfern befallen sind.
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Im Kreis Oschatz des gleichen Bezirkes sind ebenfalls 60 % der Kartoffelflächen – das sind 2 400 ha – von Kartoffelkäfern befallen. Ebenfalls sind 80 bis 90 % der Rüben von der Rübenfliege befallen.
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Im Kreis Grimma wird damit gerechnet, dass bei Nichtbekämpfung pro ha eine Einbuße von ca. 40 dz Zucker entsteht, was im gesamten Kreis ca. 2 400 t Zucker ausmachen würde.
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Im Kreis Calau, [Bezirk] Cottbus, wurden z. B. in 22 Gemeinden auf insgesamt 278 Fundstellen ca. 10 000 Kartoffelkäfer und Larven festgestellt.
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Aus verschiedenen Kreisen des Bezirkes Rostock wird berichtet, dass ein großer Mangel am Schädlingsbekämpfungsmittel »Wofatox«29 vorhanden ist, welches unbedingt zur Bekämpfung der Rübenfliege benötigt wird. Von den Bauern wird zum Ausdruck gebracht, wenn man die Rüben nicht unverzüglich bestäubt, werde ein 60 bis 70%iger Verlust eintreten.
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Ähnliche Beispiele könnten noch aus den Bezirken Halle, Dresden, Neubrandenburg, Potsdam, Magdeburg und Suhl angeführt werden.
Unwetterschäden
Durch anhaltende und wolkenbruchartige Niederschläge sind in der Landwirtschaft folgende Schäden eingetreten:
Bezirk Magdeburg
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Getreideschaden: 200 ha mit 50 % Totalschaden;
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Kartoffelschaden: 500 ha mit 70 % Totalschaden;
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Zuckerrübenschaden: 145 ha mit 60 % Totalschaden;
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Futterrübenschaden 90 ha mit 95 % Totalschaden.
Bezirk Karl-Marx-Stadt:
22 ha landwirtschaftliche Nutzfläche verwüstet und 6 000 DM Flurschaden durch Hagel und Überschwemmung.
Bezirk Gera:
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Getreide: 176 ha;
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Rüben: 73 ha;
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Kartoffeln: 75 ha;
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Wiese: 38 ha;
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Ölsaat: 10 ha;
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Gemüse: 2 ha.
In der Berichtszeit wurden insgesamt 15 Brände bekannt, davon zwei [Mal] vermutliche Brandstiftung, vier [Mal] Brandursache unbekannt, neun durch Blitzschlag. Die zwei vermutlichen Brandstiftungen sind noch nicht aufgeklärt und werden nach Klärung im nächsten Bericht gemeldet.
Bezirk Dresden
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ein Scheunen- und Wohnhausbrand, Fuhrunternehmer, Brandursache unbekannt;
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zwei Scheunenbrände, Einzelbauern, vermutliche Brandstiftung.
Bezirk Schwerin
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zwei Scheunenbrände, Großbauern, durch Blitzschlag;
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zwei Wohnhausbrände, Klein-und Großbauern, durch Blitzschlag;
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vier Stallbrände, Einzelbauer und ÖLB,30 durch Blitzschlag;
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ein Geräteschuppenbrand, Gemeinde, durch Blitzschlag.
Bezirk Leipzig
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ein Feldscheunenbrand, LPG, Brandursache unbekannt.
Bezirk Karl-Marx-Stadt
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ein Scheunenbrand, Mittelbauer, Brandursache unbekannt.
Bezirk Halle
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ein Garagenbrand, MTS, Brandursache unbekannt.
Ergänzungsmeldung zum Bericht vom 21.6.195631
Von den in der Berichtszeit vom 6.6.1956 bis 19.6.1956 gemeldeten zwei vermutlichen Brandstiftungen, konnte eine als vorsätzliche Brandstiftung aufgeklärt werden. Der Strohmietenbrand im VEG Stolpe[-Süd], [Kreis] Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, wurde von einem Jugendlichen aus Hennigsdorf, [Kreis] Oranienburg, vorsätzlich angelegt. Täter befindet sich in Haft und ist geständig.
Besondere Vorkommnisse
Industrie und Verkehr
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Am 26.6.1956 wurde vermutlich von unbekannten Tätern im VEB Vulkanisierwerk Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, ein Eisenstück in den Ansaugstutzen des Kompressors geworfen, wodurch das Saugventil und der Kolbenboden zerschlagen wurden. Schaden 1 500 DM.
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Am 29.6.1956 haben vermutlich unbekannte Täter eine Niete und eine Mutter zwischen das Antriebsrad der Brandenburger Mühlenwerke geworfen. Durch rechtzeitiges Bemerken wurde größerer Schaden verhindert.
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Im VEB Kema Görlitz,32 [Bezirk] Dresden, versuchen einige Elemente, Unzufriedenheit unter die Belegschaft zu tragen. So wurden am 27.6.1956 in der Nachtschicht die Kaffeetassen der Belegschaftsmitglieder durch Einschlagen von Löchern in die Böden unbrauchbar gemacht. Am 30.6.1956 waren bei sieben Fahrrädern von Arbeitern die Tachometer oder Lampen eingeschlagen.
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Im VEB Planeta Radebeul,33 [Bezirk] Dresden, wurden bei der Montage der Maschine PZO vier Stahlkugeln gefunden. Da diese Kugeln nicht aus dem Betrieb sind, ist anzunehmen, dass sie mutwillig in die Maschine geworfen wurden. Sachschaden entstand nicht.
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Im Kanal der Schlacht-Abwässerung Dresden befand sich eine Verbarrikadierung aus Strohmatten, Ziegelsteinen und Balken, die sich nicht von allein ansetzen kann, sondern von unbekannten Personen angelegt sein muss.
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Im VEB Schlachthof Dresden, Abteilung Darm, lagern seit Januar 2 500 Fässer Därme aus China, die bereits ranzig und stinkig im Schlachthof Dresden ankamen und nicht verwandt werden können. Infolge Platzmangels wandte sich der Betrieb an den DIA um Genehmigung zur Vernichtung. Am 20.6.1956 erklärte der DIA, dass er keine schriftliche Abverfügung ohne Zustimmung Chinas geben könne. Dadurch besteht Seuchengefahr.
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Im VEB Kranbau Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, wurden am 21.6.1956 durch fahrlässige Überbelastung und falsche Lagerung infolge Platzmangels zwei Kräne, die für den Export bestimmt und am 22.6.1956 abgenommen werden sollten, unbrauchbar. Obwohl schon mehrere Kommissionen wegen dieses Raummangels Besichtigungen durchführten, hat sich bisher noch nichts geändert.
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Im Glaswerk Ilmenau, [Bezirk] Suhl, wurde festgestellt, dass einige Altersrentner dieses Betriebes Geschenkpakete mit Lebensmitteln von dem ehemaligen Besitzer aus Westdeutschland erhielten.
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Bei einer Geschäftsreise mit Vertretern des DIA in Italien stellte der Betriebsleiter vom Keramik Triptis, [Bezirk] Gera, fest, dass von Westdeutschland Porzellan geliefert wird, welches aus dem VEB Keramik Triptis stammt. Dieses Porzellan hat als Abzug einen kleinen Goldrand und den Aufdruckstempel »Bavaria«. Westdeutschland verkauft das Porzellan als eigenes Erzeugnis.
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Auf der Baustelle VEB Feinzink Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind die sozialen und hygienischen Einrichtungen katastrophal. Für 20 Arbeiter steht nur eine Waschschüssel zur Verfügung. Warmes Wasser ist nicht vorhanden. Der Speiseraum ist in einem sehr schlechten Zustand, das Mittagessen ist ebenfalls schlecht. Von den Wirtschaftsfunktionären wurde bisher nichts zur Änderung unternommen. Es handelt sich um eine Baustelle, die sich am 17.6.1953 an den Ausschreitungen beteiligte und damals die Änderung dieser Zustände forderte.
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Im VEB Eisenwerke Schönheiderhammer, [Kreis] Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, entstand durch Wolkenbruch ein Dammbruch im [sic!] Schaden von 202 000 DM.
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Am 19.6.1956 wurde im Schacht 356 der Wismut in Ronneburg, [Bezirk] Gera, festgestellt, dass von sämtlichen Zündmaschinen die Zündschlüssel und Ersatzschlüssel abhanden gekommen sind. Die Schießer konnten demzufolge am 19.6.1956 nicht schießen. Die Ursache dazu ist, dass die Schießmeister die Zündmaschine einfach auf der 120er-Sohle stehen lassen, obwohl Anweisung besteht, dass die Zündmaschinen nach der Schicht mit Schlüssel abzugeben sind.
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Am 22.6.1956 wurde in der Nachtschicht der Karriere »Phillipp Müller« Ronneburg, [Bezirk] Gera, festgestellt, dass der Bagger 22 plötzlich ohne Strom war. Am Kabel wurden zwei defekte Stellen festgestellt, die auf mutwillige Zerstörung schließen lassen. Am 23.6.1956 kam es im gleichen Betriebspunkt und aus gleicher Ursache zum Ausfall des Kompressors.
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In der Nacht vom 28. zum 29.6.1956 wurde ein Zettel mit folgendem Inhalt an die Bekanntmachungstafel der Schmiede im VEB »Heinrich Rau« Wildau34 angebracht: »Wir produzieren. Wo bleibt die Sorge um den Menschen. Wir verweigern die Nachtschicht.« Der Anlass ist vermutlich folgender: Im Werk wird in drei Schichten gearbeitet. Für die Nachtschicht gab es bisher ebenfalls warmes Mittagessen. Der Leiter der Küche beschloss in Verbindung mit der BGL, das warme Essen für die Nachtschicht auf zwei bis drei Monate einzustellen und zwar wegen schlechter Beteiligung – zehn Kollegen – als auch wegen Mangels an Küchenpersonal. Diese Maßnahme wurde einfach beschlossen, ohne dass die Arbeiter um ihre Meinung befragt wurden.
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Am 23.6.1956 kam der Güterzug 8216, bei Kilometer 30, zwischen Nossen und Freiberg zur Entgleisung. Auf einer Langsamfahrstrecke entgleiste ein Wagen, was vom Zugpersonal nicht sofort bemerkt wurde. Dadurch müssen 70 m Gleis erneuert werden. Der Schaden beträgt 1 200 DM.
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Bei der Fahrt des Güterzuges DG 66216 von Roßlau nach Köthen, [Bezirk] Halle, entgleisten sechs Wagen infolge abgenutzter Weichenzunge und Spurerweiterung. Dadurch wurden ein Gleis sowie Signaldrähte beschädigt. Der Schaden beträgt 5 500 DM.
Übrige Bevölkerung
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In der HO-Gaststätte in Artern, [Bezirk] Halle, stellten Gäste beim Genuss von Bockwurst fest, dass sich in den Bockwürsten Kopierstiftminen befanden. Die Bockwürste wurden von der Konsumschlächterei in Roßleben geliefert.
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Häufiger aufgetreten sind auch an Epidemie grenzende Krankheitsfälle wie beispielsweise in den Gemeinden Arnsdorf,35 Rehain36 und Leipa,37 [Bezirk] Cottbus, wo ein großer Teil der Kinder an Masern erkrankt ist und die Schulen geschlossen werden mussten.
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In der Lehrlingsunterkunft des Walderholungsheims des VEG Kunnerwitz, [Kreis] Görlitz, und übergreifend auf das Lehrlingsheim in Groß Biesnitz sind 32 Personen erkrankt, Krankheit unbekannt.
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Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, sind sieben Kinder an Ruhr erkrankt.
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In Kaltenlengsfeld [Bezirk] Suhl, erkrankten 43 Personen an Scharlach. Kindergarten und Grundschule wurden geschlossen. Weitere Erkrankungen gibt es in den Nachbargemeinden Diedorf, Kaltenwestheim, Wasungen.
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Die Deutsche Post hat Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Kabelformstücken, die bisher vom VEB Zementwerk Magdeburg geliefert wurden. Jetzt stellt dieses Werk nur noch Betonschwellen für die Reichsbahn her. Zwei kleine Privatbetriebe, die den Auftrag der Post zur Herstellung dieser Kabelformstücke annahmen, haben aber nicht die nötige Kapazität und die planmäßige Arbeit der Fernmelde- und Telegraphenbauämter steht immer infrage. Große Verzögerung hat es deswegen auch beim Stadionbau in Leipzig gegeben38.
Anlage vom 7. Juli 1956 zum Informationsdienst Nr. 13
Feindtätigkeit in der Zeit vom 22.6. bis 7.7.1956
Das Anmalen von Hakenkreuzen, Hetzlosungen, Verbreitung von Gerüchten u. a. ist in der Berichtszeit nicht zurückgegangen. So wurden Hakenkreuze in Dresden-Neustadt, Brück und Belzig, [Bezirk] Potsdam, Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Zeulenroda, [Bezirk] Gera, Hildburghausen [und] Neubrandenburg angeschmiert und Hetzlosungen gegen die SU, die DDR und deren Regierung wurden im Kreis Calau, Porschdorf, [Kreis] Pirna, Bautzen, Beelitz (in 16 Fällen), Dallgow, [Kreis] Potsdam, geschmiert.
Zahlreich verbreitet wurden wieder Gerüchte: z. B. in Leipzig: »dass in der letzten Zeit in der SU verschiedene Atomwaffen-Versuche durchgeführt wurden, was sich jetzt auf die Wetterlage auswirkt.« Und »dass sich in Hubertusburg viele als Kranke getarnte KZ-Insassen befinden«.39
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In Demnitz,40 [Kreis] Fürstenwalde, »dass die Preissenkung wieder aufgehoben ist, da der Staatshaushalt sonst nicht mit seinen Geldern auskommt«.41
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In Heinersdorf, [Kreis] Sonneberg: »Heinersdorf wird an Westdeutschland angegliedert, dafür bekommen wir ein Stück westlich von Unterbreizbach, weil sich dort ein Kalischacht von uns befindet.«
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Unter den Einwohnern von Herwigsdorf42 und Oberbischdorf, [Kreis] Löbau, wird das Gerücht verbreitet, »dass sie nach Mecklenburg umgesiedelt werden, da ihre Heimat Ausbildungsgelände oder Flugplatz der Volksarmee wird«. Das Gerücht entstand durch die Tätigkeit des Vermessungsdienstes in diesem Gebiet.
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Unter den Fußballsportlern des Kreises Döbeln wird das Gerücht verbreitet, dass das neue Stadion in Leipzig schon wieder zusammenfällt.
Am 24.6.1956 wurde auf der Straße Karl-Marx-Stadt – Markersdorf eine Straßensperre errichtet (Lichtmast über die Straße gelegt). Dadurch wurde eine Person leicht verletzt. Täter ist bekannt. In der Nacht vom 20. zum 21.6.1956 wurden von Nohra nach Weimar führende Telefonkabel sowjetischer Einheiten fünfmal zerschnitten. Am 28.6.1956 zerstörte ein Brand den Dachstuhl vom Wirtschaftsgebäude des Kreiskinderheimes Prierosbrück, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam. Schaden ca. 8 000 bis 10 000 DM. Ursache: vermutlich Brandstiftung.
Industrie und Verkehr
Die Feindtätigkeit in der Industrie erstreckte sich in der Berichtszeit hauptsächlich auf faschistische Schmierereien, Anbringen von Hetzlosungen und Verbreitung von Gerüchten.
Faschistische Schmierereien in Form von Symbolen und faschistischen Losungen wurden bekannt aus folgenden VE-Betrieben:
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Horch Zwickau,43 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt;
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Tollense-Ziegelei44 Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg;
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Kofferfabrik Kindelbrück, [Kreis] Sömmerda, [Bezirk] Erfurt;
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Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden und
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Keramische Werke Hermsdorf, [Kreis] Gera[-Land].
Hetzlosungen, die sich gegen die führenden Funktionäre der DDR sowie gegen die SED richten, wurden in folgenden VE-Betrieben festgestellt:
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Im VEB Secura Berlin wurde am 15.6.1956 folgende Losung angebracht: »Tausend Unterdrückte rufen Freiheit, Dauernd dunkle Räume« [sic!].
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Im VEB Silikat- und Schamottewerk Rietschen,45 [Bezirk] Cottbus, wurde folgende Losung festgestellt: »Die KPD wird und muss fallen.«
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Am 22.6.1956 wurde im RAW Gotha, [Bezirk] Erfurt, folgende Losung angeschmiert: »Wir Arbeiter wollen als freie Menschen leben und nicht wie das Vieh. Deshalb bekämpft die SED, den Klassenfeind der Arbeiter. Arbeiter kämpft um Eure Einheit, nieder mit der SED und ihren Bonzen!«
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Im VEB Konservenfabrik Frankfurt/O. wurde am 1.7.1956 die Losung »wir wollen freie Wahlen – es lebe Adenauer«46 festgestellt.
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Hetzlosungen, die sich gegen die führenden Funktionäre, besonders Genossen Wilhelm Pieck, Genossen Otto Grotewohl und Genossen Walter Ulbricht richten und deren »Sturz« fordern, wurden aus folgenden Betrieben bekannt: VEB Werk für Fernmeldewesen Berlin-Oberschöneweide (am 29.6.1956); VEB DHW Rodleben, [Kreis] Roßlau, [Bezirk] Halle (am 20.6.1956). Außerdem wurden derartige Losungen an drei verschiedenen Stellen im Bahnhof Beelitz, [Kreis] Potsdam[-Land], und in einem Güterwagen des Sondergüterzuges 19543 in Magdeburg.47
Gerüchte
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Auf der Baustelle Klotzsche, [Stadtteil von] Dresden, verbreitet ein Brigadier das Gerücht, dass die ehemals in Ungarn und Siebenbürgen wohnenden Deutschen wieder zurück können, wenn sie bereit sind, die jeweilige Staatsangehörigkeit anzunehmen. Zzt. sollen weiterhin zwischen der SU und den Westmächten Verhandlungen laufen, dass auch die Deutschen nach Polen und der ČSR zurück können.
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Im VEB Möve-Werk48 Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, wird das Gerücht verbreitet, dass ein neues Gesetz herausgekommen sei, was besagt, dass Belegschaftsmitglieder, welche längere Zeit krank sind, fristlos entlassen werden können.
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In mehreren Betrieben des Kreises Grimma, [Bezirk] Leipzig, wird weiterhin das Gerücht verbreitet, dass sich Gustav-Adolf Schur49 nach Westdeutschland abgesetzt habe. Er hätte gesagt, dass er zu der Stellungnahme über seinen Sturz zur Friedensfahrt im ND50 gezwungen worden sei und es nicht seine Meinung wäre. Deshalb habe er sich abgesetzt.
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In breiten Kreisen der technisch-wissenschaftlichen Intelligenz Dresden wurde das Gerücht verbreitet, dass ein Prozess, ähnlich wie vor einigen Jahren gegen den Typ BMW, jetzt gegen die Herstellung des »Wartburg« mit Westdeutschland laufen soll oder angestrebt ist. Der Typ »Wartburg« soll einem westdeutschen Fahrzeug nachgebaut worden sein.