Zweiwochenbericht
21. Juli 1956
Informationsdienst Nr. 14 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Zur Lage in Industrie und Verkehr
Politische Diskussion
Im Vordergrund der politischen Diskussionen stand in der Berichtszeit der Beschluss über die Einführung der Wehrplicht in Westdeutschland.1 In der Mehrzahl dieser Diskussionen – nicht nur unter den Beschäftigten in Industrie- und Verkehrsbetrieben, sondern auch in der Landwirtschaft und unter der übrigen Bevölkerung – kommt starke Besorgnis über diese Entwicklung in Westdeutschland und Unverständnis über die Haltung der SPD-Führung und Abgeordneten des Bundestages zum Ausdruck. Charakteristisch dafür sind folgende Diskussionen, die in dieser oder ähnlicher Weise aus allen Bezirken bekannt wurden.
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Ein Arbeiter aus Ichtershausen, [Kreis] Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, erklärte: »Was Adenauer2 macht, ist dasselbe, was Hitler schon einmal gemacht hat. Heute die Wehrpflicht, morgen Verbot der KPD3 und dann geht es gegen die SPD und alle die, die mit dem Bonner Regime nicht einverstanden sind. Ich kann es nicht verstehen, dass es noch Menschen gibt, die es nicht begreifen wollen. Die werden es auch nicht begreifen, wenn es wieder zu spät ist.«
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Ein parteiloser TAN-Sachbearbeiter4 im RAW Berlin-Schöneweide erklärte: »Ich bin erschüttert, dass die SPD-Führung nichts weiter fertiggebracht hat, als lediglich bei der 2. Lesung des Wehrpflichtgesetzes im Bundestag den Saal zu verlassen.5 Ihre Pflicht sei es doch vielmehr zu diesem Zeitpunkt gewesen, die Arbeiter Westdeutschlands zu einem Streik aufzurufen.«
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Für einen Teil Handwerker im Bezirk Suhl ist die Meinung des selbstständigen Schuhmachermeisters aus Trusetal,6 [Kreis] Schmalkalden, zutreffend, der erklärte: »Die Annahme des Gesetzes wird auch uns zwingen, von der Basis der Freiwilligkeit beim Aufbau der Volksarmee abzugehen.7 Die größte Schuld, dass solche Gesetze nicht zu Fall gebracht werden, tragen die SPD-Abgeordneten. Ihre Politik hat sich gegenüber früher nicht geändert.«
Die Frage, ob die DDR bereits durch die Einführung der Wehrpflicht gezwungen ist, von der Basis des freiwilligen Eintritts in die Volksarmee abzugehen, ist ziemlich stark verbreitet und zeugt von großer Unklarheit über die Politik der Regierung der DDR. Es besteht Angst vor der Einführung der Wehrpflicht in der DDR, besonders unter Frauen und Jugendlichen.
Breiten Raum nahmen im Zusammenhang damit auch die Diskussionen über die Reduzierung der Nationalen Volksarmee ein.8 Diese Maßnahme der Regierung der DDR wird überwiegend positiv von den Beschäftigten in Industrie, Verkehr und Landwirtschaft sowie von der übrigen Bevölkerung aufgenommen. Während die Beschäftigten der Industrie und des Verkehrs zum größten Teil die politische Bedeutung erkennen, begrüßen die Beschäftigten in der Landwirtschaft diese Maßnahme fast ausschließlich im Hinblick auf die dadurch freiwerdenden Arbeitskräfte.
Charakteristisch sind dafür folgende Meinungen, die in allen Bezirken ähnlich auftraten.
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So erklärte ein Arbeiter im VEB Papierfabrik Greiz, [Bezirk] Gera: »man kann es als einen erneuten Friedensbeweis der DDR betrachten, dass diese beschlossen hat, die Stärke der Nationalen Volksarmee von 120 000 auf 90 000 Mann zu reduzieren. Auf der anderen Seite müssen wir aber feststellen, dass Westdeutschland ungehindert dieser Tatsache aufrüstet.«
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Im VEB Fortschrittwerk Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, sagte ein Beifahrer Folgendes: »Ich als Jugendlicher begrüße den Beschluss und sehe darin erneut einen Beitrag unserer Regierung zur internationalen Entspannung. Es wäre zu begrüßen, dass die Bundesrepublik einen gleichen Schritt tun würde und von der Wehrpflicht absieht.«
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Ein Traktorist der MTS Götz, [Kreis] Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, äußerte: »Durch diese Maßnahme werden wieder mehr Arbeitskräfte frei und wir haben in der Landwirtschaft mehr Traktoristen zu erwarten.«
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Unklarheiten zu dieser Maßnahme kamen nur in geringem Maße zum Ausdruck und sind bestimmt von solchen Argumenten wie »Jetzt können sie die Volksarmee nicht ernähren und bezahlen, deshalb reduzieren sie diese auf 90 000 Mann« oder »Wir machen es wie die SU. Die zieht die Truppen bis zur Grenze zurück und wir schicken die Angehörigen der Volksarmee in die KVP zurück. Ergebnis: die Stärke bleibt.«
Ökonomische Probleme
Weiterhin stehen im Vordergrund aller Diskussionen zu ökonomischen Problemen die Materialschwierigkeiten in den Betrieben. Während in der Information 59/56 bereits auf die Schwierigkeiten hauptsächlich im Maschinenbau sowie in Betrieben der Keramik-, Glaserzeugungs-, Lederverarbeitungs- und Textilindustrie anhand von Beispielen hingewiesen wurde,9 sind in der Berichtszeit im stärkeren Maße Materialschwierigkeiten aus der Bauindustrie bekannt geworden. Jedoch ist auch festzustellen, dass in den anderen Betrieben die gleichen Schwierigkeiten noch bestehen und Unzufriedenheit unter den Beschäftigten hervorrufen.
Für die Lage in der Bauindustrie einige Beispiele:
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Im Bezirk Halle fehlt es der Bauindustrie vor allen Dingen an Rundstahl und Rundeisen, welches zum Fertigen der Großbaustücke notwendig ist. Dadurch können die Decken bei den Bauvorhaben nicht eingezogen werden. Durch diese Materialschwierigkeiten kommt es in der Bauindustrie häufig zu Komplikationen in der Einhaltung der Termine bei der Ausschöpfung der bewilligten Investmittel. Es werden z. B. für einen Bau 400 000 DM bewilligt. Die Summe muss in einer bestimmten Zeit ausgeschöpft bzw. verbaut sein. Durch Materialmangel können aber nur 40 bis 50 % davon verbaut werden.
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Im Kreis Magdeburg hat sich im Bauwesen die Belieferung mit Baumaterialien wie feiner Stabstahl, Zement, Dachpappe und Vorhalteholz in letzter Zeit verschlechtert. Der Bau-Union Magdeburg fehlen aus dem I. und II. Quartal 1956 noch 405 t Stabstahl. Für das III. Quartal werden 230 t Stabstahl benötigt, wovon noch nichts geliefert wurde. Bisher wurden fehlende Materialien aus dem Sonderbüro geliehen, die jedoch im III. Quartal zurückverlangt werden. An Zement fehlen dem Betrieb 4 728 t, die ebenfalls im III. Quartal 1956 an das Sonderbüro zurückgegeben werden müssen.
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Dem Kreisbaubetrieb Magdeburg fehlen ca. 40 000 qm Dachpappe zum Eindecken der fertiggestellten Bauvorhaben. Durch diese Schwierigkeiten ist die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes und das Aufholen der Planrückstände aus dem I. Quartal 1956 infrage gestellt. Die von den Baubetrieben bisher durchgeführten Beratungen mit den zuständigen Stellen und dem ZK der SED zeigten noch keine Erfolge. Wenn in Kürze keine Änderung eintritt, müssen in Magdeburg voraussichtlich verschiedene Bauten stillgelegt werden.
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Der Bau-Union Suhl fehlen 18 000 qm Leichtbauplatten. Für den gesamten Bezirk stehen jedoch nur 19 000 qm zur Verfügung. Davon kann die Bau-Union Suhl nur 6 000 qm in Anspruch nehmen. Die übrigen 12 000 qm fehlen nach wie vor und können nicht beschafft werden. Bei allen anderen Baustoffen sieht es ähnlich aus.
Ähnliche Schwierigkeiten treten auch in anderen Bezirken auf.
Zur Unzufriedenheit unter den Beschäftigten der Industrie führen auch die Behinderungen bei der Einführung von technischen Verbesserungen sowie die Nichtbeachtung und Auswertung von Verbesserungsvorschlägen. In letzter Zeit wurden dafür folgende Beispiele bekannt:
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Im VEB Schiffslaternenwerk Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, konstruierte ein Arbeiter zur Erleichterung der Arbeit eine Drahtricht- und Abschneidemaschine, da der Draht zurzeit noch mit der Hand geschnitten und gerichtet werden muss. Dieser Verbesserungsvorschlag wurde zwar von der Werkleitung anerkannt, jedoch mit der Begründung, dass diese Neukonstruktion im eigenen Werk nicht rentabel sei, nicht zur Anwendung gebracht. Von der Aufforderung eines gleichen Betriebes in Dresden, den Arbeiter mit seiner Erfindung nach Dresden zu schicken, wurde der Betreffende nicht verständigt.
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Im VEB Buntmetallguss Halle wurde ein Verfahren in Verbindung von Stahl und Bronze entwickelt, das eine Einsparung von 80 bis 90 % Buntmetall mit sich bringt. Trotz praktischer Erprobung und Gutachten von Fachexperten zeigt die HV kein Interesse an dieser Neuentwicklung.
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Der VEB Lederwerk Zittau, [Bezirk] Dresden, erhielt aus Anlass des 10-jährigen Bestehens der VE-Betriebe die erste automatische Taktstraße. Die Produktion kann aber damit noch nicht aufgenommen werden, da vonseiten des Gaswerkes das benötigte Gas nicht zur Verfügung gestellt wird. Laut Protokoll der Besprechungen der zuständigen Hauptverwaltungen wurde der Tagesbedarf von 1 300 cbm zugesichert. Trotzdem wird diese Menge nicht geliefert.
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Der Kreisbaubetrieb Gransee, [Bezirk] Potsdam, hatte sich die Aufgabe gestellt, 100 000 Lehmsteine zu produzieren, um dadurch Ziegelsteine für andere Zwecke zu sparen. Zurzeit ist ein Bestand von ca. 40 000 Steinen vorhanden, für die bisher keine Abverfügung getroffen wurde. Die Betriebsleitung schließt daraus, dass diese Lehmsteine nicht gebraucht werden und will die sechs Arbeiter, die bisher mit der Herstellung derselben beschäftigt waren, entlassen.
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Im VEB Volltuch Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, haben schon längere Zeit einige Arbeiter die Forderung erhoben, mehr Webstühle bedienen zu können, um dadurch besser zu verdienen. Diese Forderungen wurden von der Werkleitung ignoriert mit dem Bemerken, dass dadurch die Vollbeschäftigung aller Arbeiter nicht mehr gewährleistet wäre und der Plan zu schnell erfüllt würde.
Produktionsstörungen in der Zeit vom 6.7.bis 19.7.1956
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Durch Hochwassereinbruch, Gleisunterspülungen, Baggerausfall und Maschinenschäden entstanden in den Braunkohlenrevieren Borna und Altenburg, [Bezirk] Leipzig, sowie Halle folgende, nach vorläufigen Berichten gemeldete Produktionsausfälle: 297 920 cbm Abraum, 3 800 t Rohkohle. Der vorläufig abzuschätzende finanzielle Gesamtschaden beträgt ca. 16 545 DM. Am 16.7.1956 musste im Braunkohlenrevier von Halle infolge Hochwassers die Produktion einstellen. [sic!]
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Im VEB Glasurenwerk Meißen,10 [Bezirk] Dresden, wurde der Plan infolge [von] Stilllegung und Reparaturen an den Öfen für den Monat Juni 1956 nur mit 82 % erfüllt.
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Der VEB Mineralölwerk Mittelbach, [Kreis] Karl-Marx-Stadt[-Land], hat durch die Einstellung der Bleicherdelieferungen vom VEB (K) Bleicherdewerk Tannenberg, [Bezirk] Magdeburg, einen täglichen Produktionsausfall von 15 000 DM. Zurzeit hat das Werk einen Rückstand an Mineralöl von 3 000 t = 192 000 DM.
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Am 9.7.1956 trat im VEB Papierfabrik Kriebethal, [Kreis] Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ein Produktionsstillstand ein, da ein Überhitzerrohr gerissen war. Der Ausfall beträgt 64 t Papier, der finanzielle Gesamtschaden 21 300 DM.
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Am 6.7.1956 ist im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, der SM-Ofen unmittelbar über dem Abstich durchgebrochen. Dabei liefen 10 t Stahl in die Schlackegrube. Der Ausfall beträgt ca. 20 t.
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Vom 9.7. zum 10.7.1956 musste die Arbeit in der Erzaufbereitung der Eisenerzgruben Badeleben, [Bezirk] Magdeburg, für ca. fünf Stunden eingestellt werden, da die Seitenbekleidung des Schrägaufzuges gerissen war und repariert werden musste. Ausfall: 200 t Erz = 2 600 DM.
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Am 13.7.1956 kam es zu einer Störung im VEB Kaliwerk »Einheit« Dorndorf, [Kreis] Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, Grube Alexandershall, da sich in der Hauptseilbahn eine Litze zusammengeschoben hatte. Der Ausfall beträgt 400 t Rohsalz. Durch Wassereinbrüche infolge Hochwassers entstand dem Betrieb außerdem ein Ausfall von 2 500 t Rohsalz = 12 500 DM.
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Aus gleichem Grunde entstand im VEB Wälzkörper Bad Liebenstein ein Produktionsausfall in Höhe von 120 000 DM.
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Am 9.7.1956 trat im Kraftwerk Dresden ein Erdschluss in der 20-kV-Anlage auf, der sich zum Kurzschluss auswirkte und einen Sachschaden von 25 000 DM verursachte.
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Durch Stromausfall infolge Blitzschlags in die Starkstromleitung hatten die beiden VEB Fluorwerke Dohna 50 000 DM und Wellpappenfabrik Dohna 20 t Wellpappen Produktionsausfall.
Brände entstanden
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am 6.7.1956 im VEB Fortschrittwerk Bischofswerda, durch Fahrlässigkeit, Schaden 300 DM;
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am 7.7.1956 in einer Baracke des VEB Geologische Bohrungen in Gorlosen, [Bezirk] Schwerin,11 infolge Fahrlässigkeit, Schaden 13 000 DM;
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am 11.7.1956 in der Abteilung Lackiererei des VEB Nähmaschinenwerkes Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, aus unbekannter Ursache, Schaden 5 000 DM;
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am 6.7.1956 in der Privatfirma Dick Markneukirchen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, infolge Fahrlässigkeit, Schaden 6 000 DM;
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am 7.7.1956 im Transformator des Sodawerkes »Fred Oelßner« Staßfurt infolge Stromschlusses, Sachschaden ca. 25 000 DM;
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am 5.7.1956 im Lagerschuppen der Keramikfabrik Höhler in Friedrichroda, [Bezirk] Erfurt, aus unbekannter Ursache, Schaden ca. 30 000 DM;
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am 5.7.1956 im Excelsiorwerk Taucha, Leipzig (Privatbetrieb) infolge Explosion; Schaden 250 000 DM. Sämtliche Betriebsanlagen wurden vernichtet.
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am 18.7.1956 im VEB Konservenfabrik Borkheide, [Kreis] Belzig, [Bezirk] Potsdam, durch Selbstentzündung, Schaden 300 DM;
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am 15.7.1956 im VEB Papierfabrik Heidenau, [Bezirk] Dresden, durch Kurzschluss, Schaden 6 000 DM.
Versorgung der Bevölkerung
In der Versorgung der Bevölkerung mit den wichtigsten Lebensmitteln auf Markenbasis sind keine Schwierigkeiten vorhanden.12 Lediglich wird von Hausfrauen verschiedentlich darüber geklagt, dass es zu wenig Rindfleisch zu kaufen gibt. Dagegen besteht jedoch der Mangel an HO-Butter und HO-Margarine noch immer. Da gegen Endes des Monats vielfach die Lebensmittelmarken abgekauft sind, kann damit gerechnet werden, dass die Nachfrage wieder etwas ansteigen wird. Zu größeren Verärgerungen bzw. Ausschreitungen kam es in der Berichtsperiode nicht. Lediglich wurde aus Gera dazu berichtet, dass es in Neustadt (Orla) in der vergangenen Woche bei Anlieferung von Butter zu größerem Gedränge kam, wobei die VP eingreifen musste. Bei diesem Gedränge entstand in der VST geringer Schaden.
Aus dem Bezirk Cottbus wird berichtet, dass im Kreis Spremberg nicht genügend HO-Butter angeliefert wird. An einem Tag stehen ca. 53 kg Butter zur Verfügung, wovon der gesamte Kreis einschließlich Kraftwerk Trattendorf und Objekt »Schwarze Pumpe« versorgt werden muss. Eine Rückfrage bei der Abteilung Handel und Versorgung ergab, dass mit einer Aufstockung nicht zu rechnen ist. Neben dem Mangel an HO-Butter und HO-Margarine machte sich in der letzten Zeit eine Verknappung an HO-Zucker, Marmelade und Honig bemerkbar. Besonders betroffen werden davon die ländlichen Gemeinden.
Stimmung unter der Bevölkerung
Durch den angeführten Mangel an den wichtigsten Lebensmitteln gibt es unter der Bevölkerung immer wieder die gleichen Diskussionen wie z. B.:
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»11 Jahre nach Kriegsende müsste die Lebenslage besser sein.«
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»Es wird immer schlechter statt besser.«
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»In Westdeutschland ist der Lebensstandard viel höher als bei uns.«
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»Warum gibt es zur jetzigen Jahreszeit nicht genügend Butter zu kaufen.«
Die Arbeiter in dem Lederwerk Neustadt-Glewe, [Kreis] Ludwigslust Abus-Werke Schwerin sowie Nähmaschinenwerke Wittenberge, [Kreis] Perleberg, [Bezirk] Schwerin, vertreten die Auffassung, dass es besser wäre, Margarine als Mangelware zu bezeichnen und diese in den Betrieben zur Verteilung zu bringen. Gleiche Meinungen wurden auch von der Elbewerft Boizenburg, [Kreis] Hagenow, bekannt. Hier wird z. B. u. a. auch die Meinung vertreten, Kontrollen aus Betriebsarbeitern zusammenzustellen, die zu überprüfen hätten, was die Ursachen der schlechten Fettversorgung seien.
Auch unter dem Verkaufspersonal ist des Öfteren die Meinung vertreten, dass es gar keinen Spaß mehr mache, hinter dem Verkaufstisch zu stehen und der Bevölkerung laufend erklären zu müssen, diese oder jene Ware sei nicht vorhanden. Außerdem erklären sie, dass sie es nicht nötig hätten, sich von der Bevölkerung laufend dafür beschimpfen zu lassen, wo sie doch an den Versorgungsschwierigkeiten nicht die Schuld tragen würden.
Warenverderb
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Im Kreis Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, sind 1,5 t Räucherfisch verdorben, weil die Fischwaren laufend sonnabends geliefert werden und dann nicht mehr umgesetzt werden können.
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Der Konsumverarbeitungsbetrieb Neustadt, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam, erhielt vom Schlachthof Perleberg 1 980 kg Fleischwaren, die nur zu ganz geringem Teil der Fleischbank zugestellt werden konnten, weil der überwiegende Teil verdorben war. Ursache: Das Fleisch wurde wahrscheinlich nicht richtig ausgekühlt, bevor es in den Kühlraum gebracht wurde.
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In einer HO-Verkaufsstelle in Sebnitz, [Bezirk] Dresden sind 60 kg Käse und sechs Kisten Fisch verdorben, sodass die Verkaufsstelle eine Minusdifferenz von 5 090 DM hatte.
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Im VEAB Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle, wurde festgestellt, dass dort Eier verdorben sind.
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Z. B. erhielt der Kreis Bitterfeld im Juni eine Sendung von einigen Tausend Eiern. Eine Überprüfung ergab, dass in den einzelnen Kisten (360 Stück) bis zu 120 Eier schlecht waren. Am 29.6.1956 lieferte die VEAB 80 000 Eier an den Kreis, anbei lag ein Protokoll, in dem ein Tierarzt unterschrieben hatte, dass die Eier bis zum 22.6.1956 an den Verbraucher ausgeliefert sein müssen, da sonst keine Garantie mehr gegeben werden kann.
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Im kommunalen Großhandel Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind durch unsachgemäße Lagerung und schlechte Auslieferung ca. 60 000 Eier verdorben.
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Der Konsum-Verband Löbau, [Bezirk] Dresden, erhielt am 6.7.1956 vom VEB Feinkost Görlitz13 ca. 100 kg bereits verdorbene Lachspaste.
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Am 11.7.1956 wurden dem VLK Fischwirtschaft Dresden vom VE-Kombinat 50 Kisten Lachsheringe angeliefert, wovon 22 Kisten als Futter für die Schweinemästerei gegeben werden mussten.
Importlieferungen
Am 12.7.1956 traf im VEB Kühlhaus (Weinhübel) Görlitz, [Bezirk] Dresden, ein Waggon (8 t) Rindfleisch aus Jugoslawien ein. Das Fleisch wurde vom Tierarzt abgelehnt. Das verdorbene Fleisch wurde der Tierkörperverwertungsanstalt Jenkwitz überwiesen.
Die Lage in der Landwirtschaft
Als Hauptproblem kann in der Landwirtschaft nach wie vor die Ersatzteilfrage angesehen werden. Es gibt noch immer zahlreiche MTS bzw. auch VEG, wo wegen Mangel an Ersatzteilen die Maschinen nicht alle eingesetzt werden können und dadurch die Erntevorbereitungen nicht restlos gewährleistet sind. Aus diesem Grunde herrscht unter den Arbeitern der MTS oftmals große Verärgerung. Verschiedentlich sind MTS gezwungen, wenn sie ihre Maschinen einsatzfähig haben wollen, im gesamten Gebiet der DDR herumzufahren, um die wichtigsten Ersatzteile zu beschaffen. Schwierigkeiten gibt es vor allem noch in folgenden Bezirken:
Rostock
In der MTS Stremlow, [Kreis] Stralsund, fehlen für die bevorstehende Mahd 60 Finger Tb/511 für Lanzbinder [und] acht Anknüpfseile zum Halmteiler für Zella-Mehlis-Binder. Im Kreis Grimmen fehlen Regler für fünf Mähdrescher. Obwohl sich das IKA-Werk Karl-Marx-Stadt verpflichtete, für 1956 600 Regler 12/300 zu liefern, wurde bisher nicht ein Regler geliefert.
Neubrandenburg
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Das Bezirkskontor Neustrelitz hat keine Ersatzteile für Mähdrescher und Kartoffelroder.
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Die MTS Schmatzin, [Kreis] Anklam, kann die Mähdrescher nicht einsetzen, wenn nicht schnellstens Ersatzteile geliefert werden.
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Im MTS-Bereich Wittstock fehlen:
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für KD 32 – ein Kolben, ein Schwingbogen, ein Hängeeisen, vier komplette Knoterapparate,
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für KD 25 – vier Buchsen, zwei Trommellager 2312,
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für Nati-Raupe – ein Seitengehäuse,
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für IFA-Pionier – ein Lager 6414.
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In der Gemeinde Roggenhagen, Kreis Neubrandenburg [Land], ist unter den werktätigen Bauern wegen der Ersatzteilfrage eine schlechte Stimmung. Die Bauern können die Ersatzteile nicht mehr direkt vom GHK beziehen, sondern müssen ihre Bestellungen über die VdgB/BHG oder über die Schmiede im Dorf aufgeben.
Potsdam
Im MTS-Bereich Dahmsdorf, [Kreis] Brandenburg, fehlen Ersatzteile für Mähbinder und Grasmähbalken, besonders Nieten. Es wird so diskutiert, dass die Ersatzteilfrage von Jahr zu Jahr schlechter würde. Das Bezirkskontor für Ersatzteile wurde in diesem Jahr schon neunmal überprüft. In einer Versammlung wurde beschlossen, drei Kollegen zum ZK zu schicken, wenn sich in der Ersatzteilbeschaffung nicht schnellstens etwas ändern würde. Ersatzteilschwierigkeiten gibt es im Bezirk vor allem noch: MTS-Stützpunkt Schönefeld, Kreis Königs Wusterhausen, MTS Friesack, [Kreis] Nauen, MTS Nedlitz, [Kreis] Potsdam-Land,14 MTS-Bereich Zauchwitz, [Kreis] Potsdam-Land.
Frankfurt/O.
Bei einer Besprechung beim Rat des Bezirkes stellte sich heraus, dass von 529 Dreschkästen 59 in Reparatur sind. Die sowjetischen Mähdrescher sind nur zu ca. 78 % einsatzfähig.
Magdeburg
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In den MTS des Kreises Seehausen fehlen Anbaumähbalken.
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In der MTS-Spezialwerkstatt Oschersleben können 18 Mähdrescher wegen Ersatzteilmangels nicht eingesetzt werden. Für sieben Mähdrescher der Weimarproduktion15 fehlen Kugellager verschiedener Art.
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Weiterhin fehlen Ersatzteile in allen Kreisen. Die gleichen Mängel gibt es noch in den Bezirken Halle, Dresden und Suhl.
Pflegearbeiten
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Aus den Bezirken Frankfurt/O., Leipzig und Magdeburg wird berichtet, dass durch Mangel an Arbeitskräften die Hackfrüchte nicht richtig gepflegt werden konnten. Deshalb müssen verschiedene Rübenflächen, die stark verunkrautet sind, wieder umgebrochen werden.
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In der LPG Badeleben, [Kreis] Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, sind 50 Morgen und in der LPG Sommersdorf, [Kreis] Oschersleben, 30 Morgen Rüben so stark verunkrautet, dass keine andere Möglichkeit besteht, als diese Flächen umzubrechen. Trotzdem die Bürgermeister beider Gemeinden durch Aufruf versuchten, Arbeitskräfte zu gewinnen, stellten sich keine zur Verfügung. Auch die Frauen der Mitglieder helfen nicht mit.
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Im Kreis Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, sind ca. 100 ha Rüben völlig verunkrautet und müssen schnellstens bearbeitet werden. Schwerpunkte bilden die LPG Zschettgau, Rödgen, Krippehn und das VEG Pehritzsch. Vom Rat des Kreises wurden Maßnahmen eingeleitet und es arbeiten täglich ca. 70 Arbeitskräfte zusätzlich auf den Feldern. Nach bisherigen Feststellungen müssen ca. 18 ha, davon 5 ha Zuckerrüben, wegen vollständiger Verunkrautung umgebrochen werden.
Brände in der Zeit vom 5.7.bis 19.7.1956
In der Berichtszeit wurden insgesamt 22 Brände bekannt, davon neun Brände durch Blitzschlag, zwei durch Kinderhand, fünf unbekannt, zwei durch elektrischen Defekt, vier [Mal] vermutliche Brandstiftung.
Bezirk Potsdam
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sieben Brände durch Blitzschlag, davon sechs Brände bei Einzelbauern, ein Brand in einem MTS-Stützpunkt;
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ein Brand, Mittelbauer, durch Kinderhand;
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drei Scheunenbrände, LPG und Einzelbauer, zwei [Mal] vermutliche Brandstiftung, ein [Mal] unbekannt;
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ein Mietenbrand, Großbauer, unbekannt;
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ein Stallbrand, VEG, vermutliche Brandstiftung;
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ein Schonungsbrand, unbekannt.
Bezirk Neubrandenburg
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Ein Brand, VEG, Blitzschlag.
Bezirk Frankfurt/O.
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Zwei Scheunenbrände, VEG und Mittelbauer, eine vermutliche Brandstiftung, ein unbekannter.
Bezirk Dresden
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Ein Brand, Kleinbauer, Blitzschlag.
Bezirk Leipzig
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ein Strohmietenbrand, durch Kinderhand;
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ein Brand, Großbauer, vermutlich durch elektrischen Defekt.
Bezirk Dresden
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Zwei Scheunenbrände, LPG, Einzelbauer, Ursache unbekannt, elektrischer Defekt.
Besondere Vorkommnisse
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Ca. 500 bis 600 Morgen Waldbestand der Gemeinden Glienicke und Gräben, [Kreis] Brandenburg, sind von Nonnen befallen. Es wird vermutet, dass die Nonnen an der Autobahn ausgesetzt wurden.
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In der Gemeinde Phöben, [Kreis] Potsdam-Land, streben mehrere Altbauern danach, ihr Land abzugeben. In den meisten Fällen wollen die Bauern wegen hohen Alters ihre Wirtschaft abgeben. Drei Bauern haben bereits ihr Land abgegeben. Zurzeit laufen noch fünf Anträge.
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Im Kreisgebiet VEAB Halle lagern zurzeit noch ca. 2 600 dz Stroh, was aber zum Teil nicht mehr brauchbar ist. Obwohl dieses Stroh lagert und z. T. schon verdorben ist, veranlasste die VEAB Sondereinsätze, um die Sollrückstände von 1955 einzuholen. Die Bauern gaben dem VEAB zu verstehen, dass sie erst den Misthaufen wegräumen sollten. Sie wollten in Zukunft nicht einen Halm mehr abliefern.
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Die LPG in Lettewitz wollte das noch brauchbare Stroh als Streu verwenden, was jedoch vom Leiter der Abteilung EAW beim VEAB Saalkreis abgelehnt wurde.
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In der LPG »Neues Leben« in Pötzschau, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, mussten am 4.7.1956 drei Kühe notgeschlachtet werden. Die Tiere waren aus der eingezäunten Weide ausgebrochen und hatten in einem Holzschuppen Natronsalpeter gefressen.
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Im Kreisgebiet Reichenbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, werden seit Juni durch die SDAG Wismut Starkstromhochspannungsleitungen gelegt, wobei die Bautrupps keinerlei Rücksicht auf die bestellten Felder nehmen. Mit den Bauern, auf deren Feldern die Maste aufgestellt wurden, wurde keine Rücksprache genommen. Die betroffenen Bauern und auch die Bevölkerung diskutieren daraufhin wie folgt: »Wenn die westlichen Besatzungsmächte mit ihren Panzern die Felder zerwühlen, macht man hier ein großes Geschrei. Aber bei uns sieht es doch nicht viel anders aus, da kann die Wismut machen, was sie will.« Der Brigadier des Bautrupps versuchte die Schuld auf sowjetische Wismut-Behörden abzuwälzen und stellte den Bauern »einen Platz in Sibirien« in Aussicht, wenn sie weiter »soviel Wind machen« würden.
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Im Kreisgebiet Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat sich die schwarze Blattlaus stark verbreitet.16 Das Bekämpfungsmittel »Wofatox« ist in den Kreiskontoren nicht zu haben. Das zuständige Ministerium wurde verständigt, bis jetzt erfolgte jedoch noch keine Rückantwort.
Ereignisse von besonderer Bedeutung
Industrie und Verkehr
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Am 6.7.1956 erlitt die Rohkohlenmühle zum Kesselhaus 19 im VEB Kombinat »Otto Grotewohl« Böhlen, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, Totalschaden. In der Mühle wurde ein Fremdkörper in der Form eines halbrunden Stahlstückes gefunden. Der Sachschaden beträgt ca. 6 000 bis 8 000 DM.
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Im VEB Öl- und Hefewerk Velten, [Kreis] Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, bestehen Schwierigkeiten im Abtransport des anfallenden Sojaschrotes, da die Reichsbahn nicht die entsprechenden Waggons bereitstellt. Die Belegschaft ist besorgt darüber, dass es dadurch zu Produktionsstörungen kommt, da ihr die Margarineschwierigkeiten in der Versorgung bekannt sind.
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Im Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, herrscht Verärgerung unter den Arbeitern darüber, dass der Leiter des Klubhauses bei Veranstaltungen in erster Linie Geschäftsleute bevorzugt und Tischbestellungen annimmt, sodass schon öfter die Arbeiter bei Veranstaltungen keinen Platz fanden und stehen mussten.
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Im VEB Chemische Fabrik v. Heyden Radebeul, [Bezirk] Dresden, herrscht Empörung, weil vom Leiter der Grundchemie in der Hauptverwaltung geplant ist, in Berlin-Grünau eine neue Phenacetinanlage zu schaffen. Die Anlage in Dresden hat einen jährlichen Ausstoß von 100 t Phenacetin,17 wogegen die Anlage in Grünau nur 20 t aufzuweisen hat. Außerdem hat der Betrieb von Heyden den Weltmarktpreis bei Phenacetin erreicht und exportiert ca. 75 % der Produktion.
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Am 6.7.1956 stürzte am Objekt 18 in Dresden-Klotzsche infolge starken Sturmes das Gerüst zusammen. Schaden 3 000 bis 4 000 DM.
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Unter einem Teil der Bauarbeiter in Neubrandenburg herrscht schlechte Stimmung darüber, dass sie keine Wohnungen zugewiesen bekommen. Wenn sie wieder neue Wohnungen fertig haben, wollen sie ohne Genehmigung des Wohnungsamtes in eine Wohnung einziehen, da sonst die Wohnungen »doch nur an Funktionäre abgegeben werden«.
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Im VEB Werkin,18 [Kreis] Rudolstadt, [Bezirk] Gera, ereignete sich am 9.7.1956 ein Zusammenstoß zwischen einer Lok der Reichsbahn, die gerade Waggons ins Werk schob, und einem Lkw der Kreiskonsumgenossenschaft, der Lebensmittel ablud. Es entstand ein Schaden von 10 000 DM infolge Unachtsamkeit des Lokführers.
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Am 11.7.1956 sank bei Magdeburg der Dampfer der CSHL »Poděbrady«19. Das Schiff hatte in Magdeburg Kohle geladen und lag ziemlich tief. Aufgrund der Tatsache, dass die Wasserkästen und Bullaugen offen und nur mit Sandsäcken verstopft waren, drang das Wasser in das Schiff. Schaden ca. 200 000 DM.
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Im VEB »Otto Schlag« Bösau, [Kreis] Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, gab ein Ingenieur über die dort aufgestellte Trockenanlage folgendes Urteil ab. Es habe keinen Sinn, an dieser Anlage irgendwelche Versuche zu machen. Die Anlage könne nicht funktionieren, sie habe nur die 100-fache Luftumwälzung, während die alte Trockenanlage die 700-fache Umwälzung habe. Er schlug vor, einen Umbau vorzunehmen. Wie festgestellt wurde, sind die meisten Reklamationen nur auf die neue Trockenanlage zurückzuführen, die von dem republikflüchtigen Ingenieur [Name 1] gebaut wurde.
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Im VEB E-Werk Auma, [Kreis] Zeulenroda, [Bezirk] Gera, musste am 9.7.1956 eine Turbine wegen inneren Geräuschen abgeschaltet werden. Der Schaden für die Reparatur beträgt 15 000 DM und der Ausfall an Strom 33 000 DM.
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Am 15.7.1956 brach im VEB Steinkohlenwerk »Deutschland« in Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, in einem Blindschacht ein Brand – vermutlich durch Selbstentzündung – aus, der jedoch erstickt werden konnte.
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Am 13.7.1956 wurden im VEB Farbglaswerk Reichenbach, [Kreis] Görlitz, [Bezirk] Dresden, Fremdkörper in dem bereitgestellten Bruchglas gefunden. Es wurde rechtzeitig vor der Beschickung der Öfen entdeckt, wodurch Schaden vermieden werden konnte.
Übrige Bevölkerung
Im Kreis Zittau wurde im Pfarrhaus Hainewalde ein nicht gemeldetes Kinderferienlager vom 1. bis 14.7.1956 durchgeführt. Die Kinder kamen aus Weißig, [Kreis] Dresden[-Land], und wurden von einem Pfarrer und einer Hilfskraft begleitet. Sie hatten ihre volle Verpflegung mit.
Massenerkrankungen
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In der Gemeinde Falkenhain, [Bezirk] Leipzig, erkrankten acht Personen an Typhus. In den Kreisen Neubrandenburg und Pasewalk sind zehn Typhuserkrankungen und drei Typhusverdacht-Fälle zu verzeichnen. Die Ursachen wurden noch nicht genau ermittelt.
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Im Pionier-Lager »Klement Gottwald« in Papstdorf, [Kreis] Pirna, sind die Windpocken ausgebrochen. Sechs Kinder wurden bis jetzt in Quarantäne gelegt.
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Die im letzten Bericht gemeldeten Ruhrerkrankungen im Kreis Pößneck haben sich inzwischen auf 13 Erkrankungen und zwölf Verdachtsfälle erhöht.
Hinweise aus der Bevölkerung lassen erkennen, dass sie mit den hohen Eintrittspreisen bei Sportveranstaltungen nicht einverstanden sind. So wurde bei einer Sportveranstaltung auf dem Kissingensportplatz in Berlin-Pankow für alle Plätze ein Eintrittspreis von 3,10 DM verlangt. In den Betrieben VEB Blechverformungswerk und VTA Leipzig erklären die Arbeiter, dass die Eintrittspreise zum II. Deutschen Turn- und Sportfest für einen Arbeiter zu hoch sind.20 Nur um ein Fußballspiel zu sehen, könne man nicht 5,10 DM Eintritt bezahlen. (Die niedrigsten Preise sind DM 2,00 DM).
Unter dem Hilfspersonal und den Reinigungskräften der Universitätskliniken Jena gibt es schon seit einiger Zeit Diskussionen über Lohnfragen. Die Reinigungskräfte erklären: »In den Großbetrieben in Jena verdient man bei gleicher Arbeit mehr. Die Schwestern haben schon die zweite Lohnerhöhung bekommen und wir noch keine.« Sehr oft werden diese Diskussionen von den Personen, die Lohnerhöhung bekamen, gefördert.
Anlage vom 23. Juli 1956 zum Informationsdienst Nr. 14
Feindtätigkeit in der Zeit vom 8.7. bis 20.7.1956
Die Feindtätigkeit in der Berichtszeit erstreckte sich hauptsächlich wieder auf das Anschmieren von Hakenkreuzen, Hetzlosungen gegen Partei und Regierung und Gerüchteverbreitung. Im Umfang sind sie unverändert. Hakenkreuze wurden in Jena, Gera, Neuenkirchen, [Kreis] Greifswald, Schwedt, [Bezirk] Frankfurt/O., Leipzig und Saalfeld angeschmiert. Hetzlosungen sind in Leipzig (4 Fälle), Leutenberg,21 [Kreis] Saalfeld, Gröditz, [Kreis] Riesa, Ilmenau, [Bezirk] Suhl, Schwedt, [Bezirk] Frankfurt/O., Schmölln, [Bezirk] Leipzig, Bautzen, festgestellt worden. Beschädigungen, Abreißen von Wandzeitungen usw. waren in den Fernmeldewerkstätten der HTS in Leipzig und Hohen Neuendorf, [Bezirk] Potsdam, zu verzeichnen.
Gerüchte
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Beim Rat des Bezirkes Suhl: »Der Bezirk Suhl wird aufgelöst und Erfurt und Gera angegliedert.«
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Unter den Mitgliedern der neuapostolischen Gemeinde22 Delitzsch: »In der DDR gibt es bald eine Inflation.«
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In den Kreisen Schleiz, Cottbus und Görlitz wurde von unbekannten Personen versucht, Arbeiter für Friedhofs[…]bettungen23 – besonders für das Objekt »Schwarze Pumpe« – zu »werben, weil es dort 16,00 DM Stundenlohn gäbe«. Viele Arbeiter haben sich deshalb auch auf den Arbeitsvermittlungen gemeldet.
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Im Thomas-Müntzer-Schacht Sangerhausen wurde erklärt, »dass die SU der Regierung der DDR ein Ultimatum gestellt hat, eine andere Regierung zu bilden und einen Volksentscheid darüber durchzuführen, dass Deutschland neutral werden müsse, dass die ehemaligen ›Ostgebiete‹ Volksstämme werden und dass Ungarn bereit sei, den ehemaligen Siebenbürgern ›ihr Eigentum‹ zurückzugeben, was auch noch für die ehemaligen Sudetendeutschen, Schlesier und Pommern erfolgen soll«.
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An der Universitätsklinik in Jena wird erzählt, »dass 80 000 Stalinanhänger in Moskau gegen die Regierung auftreten«.
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In Zittau wird verbreitet, »dass in Kürze eine Grenzberichtigung im Gebiet Großschönau – Hirschfelde erfolgt«.
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In Stienitzaue,24 [Bezirk] Frankfurt/O., wird erklärt, dass jetzt in Scharen Kommunisten aus Polen in die DDR kommen. Aus diesem Grunde halten die Einwohner auch tagsüber ihre Häuser verschlossen.
In der Nacht vom 14. bis 15.7.1956 wurden auf der Straße von Cursdorf nach Meuselbach, [Bezirk] Suhl, von 52 Pflanzbäumen die Kronen abgebrochen und mittels zweier Bänke eine Straßensperre errichtet. Der Täter ist bekannt, politische Beweggründe konnten nicht festgestellt werden.
Am 9.7.1956, gegen 4.00 Uhr und 23.00 Uhr, wurde das Kinderferienlager (Zeltlager) vom VEB Zeiss Jena in der Nähe der Feengrotten in Saalfeld von unbekannten Tätern mit 20 faustgroßen Steinen beworfen. Verletzungen gab es nicht.
Am 4.7.1956 erhielt die Notstelle der BDVP Magdeburg einen fingierten Anruf, wonach bei Tangerhütte ein Eilzug entgleist sei und zahlreiche Verwundete Erster Hilfe bedürfen.
Während in der letzten Zeit keine Terrorfälle oder Provokationen bekannt wurden, gab es in dieser Berichtsperiode sechs Fälle25 von Provokationen:
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Am 6.7.1956 wurden in der Boxhagener Straße in Berlin O 112 von einem VP-Angehörigen während seines Streifenganges drei männliche Personen, die auf der Straße ihre Notdurft verrichteten, überprüft. Die Personen griffen den VP-Angehörigen an und schlugen ihn zu Boden. Sie versuchten zu fliehen, wurden jedoch von Straßenpassanten festgehalten und dem Funkstreifenwagen übergeben. Der VP-Angehörige wurde im Gesicht erheblich verletzt.
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Bei der Überprüfung einer weiblichen Person am 7.7.1956, gegen 2.25 Uhr, auf dem Pappelplatz in Berlin-Mitte wurde ein VP-Angehöriger von einer männlichen Person angegriffen, welcher versuchte, die Waffe des VP-Angehörigen zu entwenden. Der VP-Angehörige machte von seiner Dienstpistole Gebrauch, wobei die männliche Person schwer verletzt wurde und nach Einlieferung in das VP-Krankenhaus verstarb. Es handelt sich um einen Westberliner Bürger. Nähere Einzelheiten sind noch nicht bekannt.
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Am 17.7.1956, gegen 23.00 Uhr, wurde in Gera ein Angehöriger der Trapo von zwei betrunkenen Arbeitern niedergeschlagen. Die Täter konnten festgenommen werden.
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Am 7.7.1956 inszenierten die mehrfach vorbestraften [Vorname Name 2], [Vorname 1 Name 3] und [Vorname 2 Name 3] in der Gaststätte in Stegelitz, [Bezirk] Magdeburg, eine Schlägerei und griffen den ABV tätlich an. Als dieser zwei Warnschüsse abgab, schlugen sie ihn nieder und entwendeten die Pistole. Dabei löste sich ein Schuss und verletzte den ABV am Bein. Durch das Schnellkommando wurden die Täter festgenommen.
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In der Nacht zum 8.7.1956 wurde der Leiter der Abteilung VK des VPKA Weißenfels, [Bezirk] Halle, VP-Unterkommissar [Name 4] in der Gemeinde Zahna, [Kreis] Wittenberg, [Bezirk] Halle, beim Schlichten einer Schlägerei von dem Arbeiter [Vorname Name 5], wohnhaft in Zahna, niedergeschlagen. [Name 5] entwendete dabei dem VP-Unterkommissar die Pistole aus der Gesäßtasche, schlug mit dieser auf den VP-Angehörigen ein und verletzte ihn im Gesicht. [Name 5] wurde durch das Schnellkommando festgenommen.
Industrie und Verkehr
Die Feindtätigkeit in der Industrie erstreckte sich in der Berichtszeit auf Anbringen von Hetzlosungen und Verbreiten von Gerüchten.
Hetzlosungen wurden angebracht in folgenden VE-Betrieben:
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Industriewerk Rauenstein, [Kreis] Sonneberg, [Bezirk] Suhl;
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Hebezeugbau Saalfeld, [Bezirk] Gera;
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Zellstoffwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden;
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Waggonbau Bautzen, [Bezirk] Dresden;
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Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/O.;
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Zeiss Jena, [Bezirk] Gera.
Im letzteren Betrieb wurden mehrere Losungen angebracht, in denen der 17.6.1953 und die Provokation von Poznan verherrlicht wurden.26 Im Kranbau Eberswalde hatte die Losung folgenden Inhalt: »Wir wollen nicht unter dem Joch der Iwans leben. – Es lebe die Freiheit. Das war unser Glück (unter einem Hakenkreuz) aber das nicht (unter einem Sowjetstern).«
Gerüchte
In den VE-Betrieben Gölzau, [Kreis] Köthen, EKB Bitterfeld, [Bezirk] Halle, und Maxhütte Unterwellenborn wurde das Gerücht verbreitet, Walter Ulbricht und Hilde Benjamin27 seien ihrer Funktion enthoben worden.
Sonstige Feindtätigkeit
Im VEB Elektrochemische Geräte28 in Böhlitz-Ehrenberg, [Bezirk] Leipzig, wurde eine größere Anzahl im Speisezimmer ausgelegte Broschüren der Nationalen Front29 von unbekannten Tätern zerrissen. Am 9.7.1956 wurde vor dem Kulturhaus in Weißbach, [Kreis] Schmölln, von Jugendlichen im angetrunkenen Zustand eine rote Fahne heruntergerissen.
Landwirtschaft
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In der LPG »1. Mai« in Weigmannsdorf, [Kreis] Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mussten am 1.7.1956 drei Milchkühe wegen Vergiftungserkrankung notgeschlachtet werden. Als Ursache wird angenommen, dass durch das Versuchsspritzmittel FFO Nr. 3365 aus dem VEB Fewa Fettchemie Karl-Marx-Stadt, das ein Schädlingsbekämpfer verwendete, die Kühe vergiftet wurden. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
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In der LPG in Falkenhagen, [Kreis] Pritzwalk, wurden in einem maschinell geschlossenen Papiersack mit Viehsalz zwei Drahtstücke gefunden. Der Sack wurde vom Staatlichen Kreiskontor geliefert.
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In der LPG »Goldener Morgen« in Kahmer,30 [Kreis] Greiz, [Bezirk] Gera, wurden von unbekannten Tätern die Reifen eines Mähbinders zerschnitten. Die Tat wurde am 5.7.1956 festgestellt.
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In der LPG »Rotes Banner« in Görlitz, [Bezirk] Dresden, wurde eine Handvoll Scherben im Klee der Futterkammer festgestellt. Täter unbekannt.
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Am 17.7.1956 wurden bei einem Kleinbauern in Oederan, [Kreis] Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zwei Rinder notgeschlachtet. Es besteht der Verdacht der Viehvergiftung. Innereien wurden zur Untersuchung an das Bakteriologische Institut geschickt.
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In der MTS Wiederoda,31 [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig, wurde festgestellt, dass sich in der Ölwanne eines Mähdreschers, der zur Reparatur in Liebertwolkwitz war, Drahtreste befanden.
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In der MTS Burkartshain,32 [Kreis] Wurzen, [Bezirk] Leipzig, wurde im Stützpunkt Wurzen der Traktor Typ IFA-Pionier durch Herausreißen der Zündspule beschädigt.
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In der Nacht zum 11.7.1956 wurden im Brigadestützpunkt Ponitz, MTS-Bereich Schmölln, an einer neuen Piko-Presse sowie an einem luftbereiften Anhänger von unbekannten Tätern die Einsatzventile entfernt.
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In der LPG im Ortsteil Adamsdorf, Gemeinde Lupen,33 [Kreis] Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg, sind einige Kühe durch Arsenvergiftung verendet. Die Kühe waren zum Weiden auf brachliegendes Ackerland getrieben worden, auf dem sich am Wegrand ein ursprünglich vergrabener Sack mit Kalkarsen befand. Der Eigentümer dieses Sackes ist noch nicht ermittelt. Im Juni 1956 hatte die LPG Pieverstorf34 auf diesem Brachland ebenfalls ihre Kühe gehütet. Ihr waren in der Folgezeit auch drei Kühe verendet.