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10. Jahrestag, 5. Bericht

8. Oktober 1959
Information Nr. 717/59 – 5. Bericht Stimmung, Feindtätigkeit und andere Vorkommnisse anlässlich des 10. Jahrestages der DDR

Übereinstimmenden Berichten der Bezirke und Abteilungen zufolge war bei den zahlreichen Demonstrationen, Kundgebungen, Kranzniederlegungen und anderen Veranstaltungen am 7.10.1959 erneut die überwiegend positive Stimmung aller Bevölkerungsschichten der DDR ersichtlich. Das drückt sich auch in der meist sehr guten Beteiligung an den Veranstaltungen aus, die wesentlich besser als in den Vorjahren und oft die größte überhaupt bisher war, und in der ehrlichen Begeisterung vieler Bürger der DDR. Fast ausnahmslos verliefen die Kundgebungen ohne wesentliche Störungen, abgesehen von verschiedenen kleineren organisatorischen Schwächen, die aber nur vereinzelt auftraten.

Ebenfalls nur in Einzelfällen führte das Verhalten von Staatsfunktionären zu Missfallensäußerungen der Bevölkerung. In Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, beteiligten sich die Staatsfunktionäre nicht an der Demonstration, weil sie sich noch in der Festsitzung befanden. In Bülow, [Kreis] Gadebusch, [Bezirk] Potsdam,1 erschien der Bürgermeister nicht nur verspätet zur Festsitzung, sondern war auch völlig betrunken.

Die feindlichen und negativen Diskussionen bewegten sich auf der bereits mehrfach berichteten Linie, ohne aber einen größeren Umfang anzunehmen.

Die örtlichen Schwierigkeiten in der Versorgung mit verschiedenen Lebensmitteln sind bis auf einzelne Ausnahmen im Wesentlichen zurückgegangen, doch zeigen sich noch immer deren Auswirkungen. Zum Beispiel wurde jetzt auch in Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, die »Losung« »Keine Butter, keine Sahne – aber auf dem Mond die rote Fahne!« verbreitet, die vorher bereits in Seeligstadt und Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,2 auftrat. Das beweist, wie vorübergehende Versorgungsschwierigkeiten von feindlichen Elementen ausgenutzt werden.

Folgende neuen Gerüchte wurden bekannt:

  • alle zwischen dem 1. und 7.10. geborenen Personen erhielten ein Geschenk durch den Staat. (Wurde schon seit einigen Tagen verbreitet, aber erst jetzt bekannt.)

  • dass nach dem 7.10.1959 an jedem Sonntag gearbeitet werden müsse. (Peenewerft Wolgast, wo in der Vergangenheit an mehreren Sonntagen Sonderschichten zur Aufholung des Planrückstandes geleistet wurden.)

  • dass die »Fernseher« der Leuna-Werke »Walter Ulbricht« streiken wollen, weil sie die Westsender nicht mehr empfangen könnten. (Halle)

  • dass in Berlin 48 Zugführer wegen Lohnforderungen streiken würden. (Bahnhof Zittau)

  • dass der GST-Kreisvorsitzende [Name 1] abgelöst würde. (Kreis Bernau, [Bezirk] Frankfurt/O.)

Die feindlichen Handlungen in Vorbereitung und Durchführung des 10. Jahrestages treten auch weiterhin auf den gleichen Gebieten – wie in den vorhergehenden Berichten aufgeführt – in Erscheinung. Die Feindtätigkeit hat sich auf allen Gebieten verstärkt, besonders aber das Abreißen und Beschädigen von Plakaten und Fahnen, das Anschmieren von Hetzlosungen und die anonyme Hetze.

Hetzlosungen:

  • »Wir wollen Freiheit« (in Oberwünsch, [Bezirk] Halle, an einem Haus)

  • »Nieder mit dem Kommunismus« (Kreisgeschäftsstelle Thüringer Tageblatt in Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt)

  • »Tod den Verrätern« (Hochschule der Gewerkschaft im Kreis Bernau, [Bezirk] Potsdam)

  • »LPG weg, Hunger kommt« (Feuerwehrdepot, Gemeinde Thiemig, [Kreis] Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus3)

An einem aus Westdeutschland kommenden Güterzug, der in Oebisfelde, [Bezirk] Magdeburg, eintraf, befand sich eine mit Kreide angebrachte Hetzlosung gegen führende Persönlichkeiten der DDR.

In der Gemeinde Leisnig Kreis Döbeln, [Bezirk] Leipzig, wurden am 7.10.1959 elf Hetzlosungen in Blockschrift mit verschiedenen Farbstiften an Häuserwänden angebracht. Zu bemerken ist, dass im Bekanntmachungs-Kasten der »Jungen Gemeinde« in Leisnig die Beschriftung der Aushänge dieselben Farbtöne aufweist wie die Hetzlosungen. Die genannten Hetzlosungen haben folgenden Inhalt:

  • »10 Jahre DDR – tausende politische Gefangene hinter Gittern – Gnadenakt? Keine Spur.«

  • »Arbeiter schaffen in schwerer Arbeit – Funktionäre hängen sich gegenseitig Orden an.«

  • »10 Jahre DDR – 10 Jahre Verdrehungspolitik, Hetze, Lüge, Panikmache, Verdummungskommentare der von Schnitzler,4 von Frankenberg,5 Schulze-Walden,6 Fröhlig7 usw.«

  • »10 Jahre Parteidiktatur, 10 Jahre steht der Arbeiter allein und schweigt verbissen, 10 Jahre Funktionärregionismus8«

  • »10 Jahre DDR, 10 Jahre SED, 10 Jahre Angst und Verbitterung, 10 Jahre Normen, 10 Jahre Leid, 10 Jahre seelische Not.«

  • »10 Jahre DDR – Handwerk am Boden, Privatinitiative unterdrückt, Kunst und Literatur von Parteigängern zur Prostitution herabgewürdigt.«

Alle übrigen Hetzlosungen haben ähnlichen Inhalt.

Hakenkreuze und andere faschistische Schmierereien wurden an Gebäudewänden in Forst, [Bezirk] Cottbus, in Oberwünsch, [Bezirk] Halle, im VEB Zementanlagenbau Dessau, [Bezirk] Halle, im Leuna-Werk, [Bezirk] Halle,9 im Kombinat Böhlen, [Bezirk] Halle,10 und an der Trockenkammer in der Ziegelei Neukalen11 Kreis Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg, angebracht.

Der Vorsitzende der IG Textil – Bekleidung – Leder erhielt vom Kleiderwerk Jarmen12 einen Stoffrest, auf dem sich an einer Seite Hakenkreuze eingenäht befinden. Den Stoff erhielt das Kleiderwerk Jarmen, [Bezirk] Neubrandenburg, vom Privatbetrieb Bethke, Klemen13/Forst, [Bezirk] Cottbus. Dieser Stoff wird im Kleiderwerk Jarmen noch verarbeitet.

Das Abreißen und Beschädigen von Fahnen, Transparenten und Plakaten trat besonders in den Bezirken Leipzig, Erfurt, Halle, Cottbus, Neubrandenburg, Potsdam und Rostock in Erscheinung.

  • 100 Flugblätter der ZOPE14 – vermutlich durch Personen verstreut – wurden zwischen Ichtershausen und Thoerey, [Bezirk] Erfurt, aufgefunden.

  • In einer Telefonzelle in der Stalin-Allee/Ecke Möllendorffstraße15 wurden durch die VP Hetzflugblätter gefunden.

  • Am 5.10.1959, gegen 20.00 Uhr, wurde der Universitätsprofessor Dr. Pfarrer Ottomar Wichmann,16 wohnhaft in Wedlitz, [Kreis] Bernburg, [Bezirk] Halle, durch einen Bürger gestellt, als er selbstgefertigte Hetzzettel, deren Inhalt sich gegen den Gen. W. Ulbricht17 richtete, anbringen wollte. Bei der Zuführung zum VPKA ergriff W. die Flucht.18

Anonyme Anrufe und Briefe:

Dem VP-Revier Bansin, [Bezirk] Rostock, wurde am 7.10.1959 ein anonymer Brief zugesandt. Inhalt: Hetze gegen den 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED und die Regierung.

Der Ortsausschuss der NF der Stadt Forst, [Bezirk] Cottbus, erhielt eine Karte mit folgendem Inhalt: »Diesen Bonzen, die wieder große Feiern mit anderen Delegationen durchführen, keinen Arbeitergroschen. Den Bonzen das Fleisch, dem Volk die Knochen.«

Der Rat der Stadt Weißenfels erhielt eine Postkarte, die Hetze gegen den Gen. W. Ulbricht und den Gen. Chruschtschow19 zum Inhalt hatte.

Der Kreisvorstand des DFD Halle erhielt einen anonymen Brief mit Hetze gegen den Gen. W. Ulbricht.

Die Kreisleitung der SED in Pößneck, [Bezirk] Gera, erhielt einen Brief mit Hetze gegen den Gen. Chruschtschow.

Das Druckgaswerk des VEB Meßgerätewerkes Quedlinburg, [Bezirk] Halle, und der Pförtner des Rates der Stadt Blankenhain, [Bezirk] Erfurt, erhielten je einen anonymen Anruf, mit der Aufforderung, mittels der Sirene Feuer auszulösen, da es brennen würde.

Offene feindliche Äußerungen wurden folgende bekannt:

  • »Der 7. Oktober ist ein Trauertag für alle Arbeiter. Die Kampfgruppen20 sind Partisanen und wenn es zu einem Ernstfall kommt, kämpfen sie gegen die eigenen Leute«. (Ein Arbeiter aus Bernburg, [Bezirk] Halle, wurde festgenommen.)

  • »SED-Schwein.« (Ein ehemaliges SPD-Mitglied zum Bürgermeister der Gemeinde Stechau, [Kreis] Herzberg, [Bezirk] Cottbus.)

  • »Der Kapitalismus besiegt sowieso den Sozialismus« (Jugendlicher Zuwanderer aus WD in der Ziegelei Schersen, [Bezirk] Erfurt.)

  • »Der Spitzbart,21 dieser Arbeiterausbeuter u. ä.« (Ein Gießereiarbeiter während einer Wochenschau im Kino in Arnstadt, [Bezirk] Erfurt.)

  • »SED – Ihr Lumpen, habt die längste Zeit da oben gesessen«. (Vier Jugendliche zu einem Genossen in Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt.)

Faschistische Lieder wurden von Jugendlichen in der Gemeinde Herzfelde, [Bezirk] Neubrandenburg, von Jugendlichen in der Gemeinde Sommerfeld, [Bezirk] Potsdam, und von dem Personal der Gaststätte »Saalbahnhof« im Bezirk Erfurt gesungen.

Nach den Auszeichnungen der Brigaden und Einzelpersonen im EHW Thale, [Bezirk] Halle,22 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Walzwerker [Name 2], der nicht ausgezeichnet wurde, und dem AGL-Vorsitzenden sowie dem Parteisekretär. [Name 2] nannte beide Funktionäre »Arbeiterverräter, Kommunistenschweine, wenn es einmal anders kommt, werde ich euch aufhängen«. Im Laufe der weiteren Auseinandersetzung schlug der [Name 2] auf den AGL-Vorsitzenden und den Parteisekretär ein. Der AGL-Vorsitzende erlitt starke Verletzungen am Auge. Person wurde inhaftiert.

In Wittenberg, [Bezirk] Halle, wurde auf einer unter Denkmalschutz stehenden Windmühle durch noch unbekannte Täter eine dunkelgrüne Fahne (altes Tischtuch) gehisst, die mit einem weißen Totenkopf und zwei gekreuzten Knochen beschmiert war.

In Pegau, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, fuhr am Schluss des Demonstrationszuges ein mit den Bildern der Gen. Grotewohl23 und Pieck24 geschmückter Jauche- und Aschwagen.

Am 6.10.1959 wurde in den Abendstunden in Löderburg, [Bezirk] Magdeburg25 ein 17-jähriger Schüler von einer unbekannten Person aufgefordert, Hetzschriften, die in der Nacht abgeworfen werden sollen, aufzusuchen und unter der Bevölkerung zu verteilen.

Ein VP-Angehöriger (Trapo) wurde in Schmerzke, Kreis Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, nach einem Vergnügen auf dem Nachhauseweg von zwei Jugendlichen niedergeschlagen und misshandelt, nachdem er bereits auf dem Vergnügen belästigt worden war. Eine Person wurde festgenommen.

Weitere Vorkommnisse feindlichen Charakters wurden bekannt:

In einigen Fällen wurde aus den Bezirken Neubrandenburg, Potsdam und Frankfurt/O. wieder über Störmaßnahmen der Kirche berichtet. In Leppin, [Kreis] Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg, führte die Kirche am 5.10.1959 ein sogenanntes Verkündungsspiel unter dem Titel »Tyrann in Ketten« durch. Diese Veranstaltung war von 30 Personen, vorwiegend Landarbeitern des dortigen VEG, besucht. Am gleichen Tage wurde in Leppin eine Dorfakademie gegründet. Offensichtlich wollte die Kirche diese Gründung damit boykottieren. In Rosemarsow, [Kreis] Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg, kündeten handgeschriebene Plakate für den 6.10.1959 20.00 Uhr eine Zusammenkunft der »Jungen Gemeinde« an. Zur gleichen Zeit war die Feierstunde aus Anlass des 10. Jahrestages angesetzt. In Wutike, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam, trat nach Abschluss der Kundgebung die Krankenschwester [Name 3] auf das Podium und erklärte: »Nachdem der Staatsakt beendet ist, kommen wir zum kirchlichen Teil und singen gemeinsam: ›Nun danket alle Gott‹.« Ein Teil der Anwesenden sang das Lied mit.26 In Marxwalde, [Kreis] Seelow, [Bezirk] Frankfurt/O., forderte der Pfarrer in der Predigt auf, sich an einer Geldsammlung für alte Leute und Rentner zu beteiligen, die fast am Verhungern wären. Er betonte, dass die Sammlung unerlaubt vorgenommen würde und aus diesem Grunde vorsichtig gehandelt werden müsste.

Bei einer am 5.10.1959 in Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg, durchgeführten Feierstunde der VP kam es zwischen dem Leiter der Abteilung S,27 Gen. [Name 4], und dem Gen. [Name 5] aus der gleichen Abteilung zu einer Schlägerei. [Name 4], der den [Name 5] ohne Grund geohrfeigt hatte, zog anschließend seinen Uniformrock aus und erklärte, nicht mehr VP-Angehöriger bleiben zu wollen, sondern Seemann zu werden. Am Tage darauf erschien er nicht zum Dienst und meldete sich krank.

In der Gemeinde Rothemühl, [Kreis] Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, führt die Haftentlassung des ehemaligen Häftlings Krägenbring (ND-Veröffentlichungen) zu Unverständnis bei der Bevölkerung, zumal der Entlassungsgrund nicht bekannt gegeben wurde.28 Der K. wurde am 4.10.1959 vom Pastor der Gemeinde und der Gemeindeschwester aufgesucht. Er selbst besuchte die Ehefrau des zzt. noch inhaftierten [Name 6]. Die Gründe des Besuches sind nicht bekannt.

Zu Plänen und Maßnahmen des Gegners wurde bekannt, dass im »Quartier Napoleon«29 der kommandierende General der in Westberlin stationierten französischen Truppen eine Anweisung herausgegeben hat, wonach es allen französischen Zivil- und Militärangehörigen untersagt wurde, am 7.10.1959 den demokratischen Sektor von Berlin zu betreten. Durch das Westberliner Hauptzollamt wurden die Reviere angewiesen, bei allen aus dem demokratischen Sektor kommenden Taxis die Fahnen und Spruchbänder zu entfernen.

Die feindlichen Provokationen an der Staatsgrenze West werden weiterhin durchgeführt.

Wiederum wurde dabei in mehreren Fällen versucht, durch Brandstiftungen die Grenzsicherungsanlagen zu zerstören, z. B. in der Nähe der Steinhäuser Mühle,30 [Bezirk] Erfurt, in den Kreisen Eisenach und Salzwedel. Bei Wendehausen, Bezirk Erfurt wurden von westdeutschen Jugendlichen im Alter von 12 bis 16 Jahren mit Benzin gefüllte Flaschen angebrannt und in die Grenzsperren geworfen.

Weitere Grenzprovokationen ähnlich der in den bisherigen Berichten charakterisierten wurden bekannt im Gebiet von Ellrich, [Kreis] Nordhausen, Haldensleben, Vierkrug, [sowie] Großburschla, Großtöpfer-Frieda, Eisenach [Kreis] Eisenach.

.Am 6.10.1959 erhielt die Kompanie Klettenberg, Grenzbereitschaft Nordhausen über Fernnetz einen anonymen Anruf: »Mit Euch rechnen wir noch ab!« Bereits am 1.10.1959 fand im Schlosshotel in Kassel ein Empfang der Landesregierung für die ausländischen Presseattachés von elf Ländern statt. Im Anschluss daran »besichtigten« die Attachés gemeinsam in Begleitung von Polizisten die Staatsgrenze West der DDR im Raum Eschwege. Außerdem wurden am 7.10.1959 entlang der Staatsgrenze West auf westlichem Gebiet eine Reihe sogenannter Mahnfeuer entzündet, z. B. gegenüber der Kreise Bad Salzungen und Nordhausen.

Weitere Hinweise bestätigen die verstärkte Kontrolltätigkeit des westdeutschen Zolls, des Bundesgrenzschutzes. Besonderer Wert wurde dabei auf solche in die DDR einreisende Personen gelegt, deren Aufenthaltsgenehmigungen nur auf Städtenamen (ohne Straße und Person) lautet. Diese Personen wurden genauestens verhört und registriert. Umgedreht wurde eine Reihe nach Westdeutschland reisende Personen voneinander getrennt, nachdem man festgestellt hatte, dass die Aufenthaltsgenehmigungen dieser Personen fortlaufende Nummern trugen.

Über Lohnfragen kam es am 6.10.1959 unter 20 Schlossern des Bahnbetriebswerkes Gera zu Unstimmigkeiten, da sie im Vergleich zu den Vormonaten 30,00 bis 50,00 DM31 weniger ausgezahlt erhielten. Als Begründung wurde vom Lohnbüro angeführt, dass die mit in der Brigade tätigen Lehrlinge die Norm nicht erfüllt hätten. Aufgrund dieser Situation drohten die Schlosser bei Nichtbegleichung der Lohndifferenz aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Durch den Präsidenten der RBD Dresden wurde veranlasst, die Lohndifferenz bis zum 7.10.1959 7.00 Uhr auszuzahlen.

Starke Unzufriedenheit über die Lohnverhältnisse herrscht auch unter den Schaffnerinnen des VEB Kraftverkehr Neustrelitz. Diese leisten monatlich ca. 50 Überstunden, »um einen einigermaßen auskömmlichen Verdienst zu erhalten«. Vom VEB Kraftverkehr wurde jedoch jetzt eine Regelung eingeführt, wonach die über 30 Stunden geleisteten Überstunden nicht mehr bezahlt werden. Dies hat zu einer wesentlichen Verschlechterung der Stimmung unter den Schaffnerinnen geführt.

Auch zu Prämienfragen gibt es weiterhin eine Reihe negativer Diskussionen, die sich vorwiegend auf eine ungerechte Verteilung beziehen. Zum Beipiel wird im Entwurfsbüro für Industrieprojektierung Stralsund, [Bezirk] Rostock, die Meinung vertreten, dass die Auszeichnungen und Prämiierungen nicht nach Leistung, sondern nach dem Charakter der Beziehungen zum Direktor vorgenommen werden. Nach Äußerungen der Beschäftigten handelt es sich bei den ausgezeichneten Architekten vorwiegend um ehemalige Angehörige der NSDAP bzw. ehemalige Offiziere der faschistischen Wehrmacht. Ähnliche Diskussionen gab es auch im VEB Zellwollwerk Schwerin,32 wo die Arbeiter äußerten, dass die leitenden Angestellten wieder zu hohe Prämien erhalten würden. Der Werkdirektor erhielt z. B. eine Prämie von 2 000 DM.

Derartige Diskussionen liegen auch aus anderen Betrieben vor. Im VEB Bau-Union Schwerin, Oberbauleitung Wittenberg, sind die Arbeiter darüber verärgert, dass von zehn vorgeschlagenen Brigaden nur zwei Brigaden prämiiert wurden. In der MTS-Brigade Neukirchen, [Bezirk] Schwerin, herrscht eine schlechte Stimmung darüber, dass drei Kollegen, die zur Auszeichnung als Aktivist vorgeschlagen waren, von der MTS-Leitung mit der Begründung abgelehnt wurden, sie kämen nicht in Frage, »da sie nicht Mitglieder der Kampfgruppe sind«. Im Förderanlagenbau Köthen, [Bezirk] Halle,33 gibt es heftige Diskussionen über den Erholungs- und Treueurlaub. Es wurde die Forderung gestellt, in solchen Betrieben, wo in drei Schichten gearbeitet wird, den Jahresurlaub auf 18 Tage zu erhöhen. Außerdem wurde die Meinung vertreten, dass der FDGB-Beitrag nicht nach dem Brutto-Verdienst, sondern nach dem Netto-Einkommen gezahlt werden solle.

Folgende neue Brände und Havarien wurden bekannt:

Am 7.10.1959 brannte in Hamersleben, [Kreis] Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, eine Scheune ab, in der 2 500 Ztr. Hafer und Stroh lagerten. Schaden ca. 110 000 DM – Ursache: Brandstiftung durch unbekannte Täter.

Am 7.10.1959 brach auf dem VEG Vogelsang, [Kreis] Güstrow, [Bezirk] Schwerin, ein Großbrand aus, der den Pferdestell vollständig vernichtete. Schaden: ca. 60 000 bis 80 000 DM – Ursache: zzt. noch unbekannt.

Am 6.10.1959 geriet auf dem Gelände der VEAB in Schwedt eine Heumiete in Brand. Schaden ca. 35 000 DM. Ursache: Brandstiftung durch den geistesgestörten [Name 7, Vorname] aus Schwedt, [Straße, Nr.]. [Name 7] sowie der Platzmeister wurden festgenommen. Weitere Strohdiemenbrände, die vermutlich durch Brandstiftung entstanden, wurden aus Finsterwalde und Lübben, [Bezirk] Cottbus, und Schönburg,34 [Bezirk] Schwerin, bekannt. Dabei verbrannten insgesamt 1 900 Dztr. Stroh. Weiterhin wurden Gebäude-, Strohdiemen- und Waldbrände aus Kuhz, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, Templin und Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg, Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, Sommerfeld, [Kreis] Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, sowie Schöndorf und Eckstedt, [Bezirk] Erfurt, bekannt. Diese Brände haben Kinderbrandstiftung und Fahrlässigkeit zur Ursache. Der bisher errechnete Schaden aller Brände beträgt ca. 15 600 DM.

In der Nacht zum 7.10.1959 brannte an der Straße Laubusch35/Sedlitz, [Kreis] Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, die Holzbrücke auf einer Fläche von 50 × 100 cm. Es wird Brandstiftung vermutet, da unter der Brücke eine abgebrannte Fackel gefunden wurde.

Am 6.10.1959 geriet im BKW »Frieden« in Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, ein Holzschuppen in Brand, in dem Öl aufbewahrt wurde. Schaden 2 000 DM – Ursache: vermutlich Selbstentzündung. Aus noch unbekannter Ursache ist am 6.10.1959 im Trikresyl-Phosphat-Betrieb des EKB Bitterfeld, [Bezirk] Halle, ein Brand ausgebrochen, der den gesamten Dachstuhl des Gebäudes erfasste.36 Schaden noch nicht mitgeteilt. Im VEB Nadelwerk Ichtershausen, [Bezirk] Erfurt, wurde am 7.10.1959 im Kesselhaus ein Triebriemenbrand festgestellt. Schaden und Ursache noch unbekannt.

Havarien und Diversionsakte traten wie folgt in Erscheinung:

Am 8.10.1959, gegen 0.45 Uhr, mussten im Kraftwerk Klingenberg/Berlin wegen Schaden an der Speiseleitung sämtliche Kessel auf Notleistung herabgesetzt werden.37 Die Höhe der Leistungsminderung ist noch nicht bekannt. In Finkenheerd,38 [Bezirk] Frankfurt/O., wurde am 6.10.1959 die Turbine 2 außer Betrieb gesetzt, da die Lager der Turbine angeblich nicht mehr den Anforderungen entsprachen.39 Im Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, entstand durch ungenügende Gas- und Stromversorgung Unzufriedenheit bei der Bevölkerung. Im Gaswerk Demmin wurde im September ein Monat der höchsten Planerfüllung durchgeführt und dabei die gesamte Stückkohle verarbeitet, ohne genügende Nachlieferungen von Kohle zu erhalten. Die im Oktober verwendete Feinkohle brachte nicht genügend Leistung, sodass die Bevölkerung erhöhte Energie in Anspruch nahm. Das hatte Stromabschaltungen zur Folge. Das Gaswerk erhielt ca. 350 Telefonanrufe aus der Bevölkerung, die sich auf ungenügende Gasversorgung bezogen. Die Belegschaftsmitglieder lehnten aus diesem Grunde ab, während der Demonstration eine Losung mitzuführen. Zurzeit hilft die Zuckerfabrik Demmin mit Kohle aus.

Am 7.10.1959 fiel im Kunstseidenwerk Premnitz, [Kreis] Rathenow, [Bezirk] Potsdam, ein ca. 1 t schwerer Motor vom Sockel.40 Dadurch stehen zzt. in der Spinnerei I 52 Maschinen still. Die Ursache dieser Havarie ist noch nicht geklärt.

Am 7.10.1959 erfolgte im Stahl- und Walzwerk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, am Ofen V ein Durchbruch. Schaden ca. 15 bis 20 t Produktionsausfall an Stahl. Ursache noch nicht bekannt.

Am 6.10.1959 kam es im VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera,41 zu einem Kleeblattbruch an der Triostraße.42 Sachschaden: ca. 19 700 DM, Produktionsausfall drei Stunden = 60 t Walzmaterial. Ursache noch nicht geklärt. Am 5.10.1959 entstand im EKS – Stalinstadt, [Bezirk] Frankfurt/O., im Oberofen des Hochofens 4 eine starke Gasexplosion.43 Dies hatte einen Produktionsausfall von ca. 200 t zur Folge. Ursache noch unbekannt.

Am 7.10.1959 entgleisten auf der Strecke Pasewalk/Neubrandenburg zwischen den Bahnhöfen Rühlow und Sponholz zwei offene Güterwagen. Beide Wagen wurden zertrümmert. Sie waren mit Braunkohle für die Warnow-Werft beladen. Ursache: Achsschenkelbruch an einem dieser Wagen. Sachschaden: ca. 40 000 DM an den Wagen und 800 DM am Oberbau.

Auf dem Bahnhof Dornburg, [Kreis] Jena, [Bezirk] Gera, wurde in den letzten Tagen ein zum Ausladen von Kohle bestimmtes Förderband zerschnitten. Der Besitzer, der diesen Vorfall der Transportpolizei meldete, erhielt nachdem einen Drohbrief folgenden Inhalts: »Wenn Sie uns zur Anzeige bringen und weiter kritisieren, werden wir Sie über den Haufen schießen. Schaffen Sie sich keine Förderbänder an, lassen sie ihre Arbeiter mit Hacke und Schaufel arbeiten.« Die Bearbeitung dieses Vorfalles hat die Abt. K der VP übernommen.44

In der LPG Lüdersdorf, [Kreis] [Bad] Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/O., wurde versucht, die Milch für die Schweinefütterung durch bisher unbekannte Zusätze unbrauchbar zu machen. Außerdem wurden im Schweinefutter Stacheldrahtenden gefunden. Wird operativ bearbeitet. In der Gemeinde Schönwalde, [Bezirk] Frankfurt/O., wurde der gesamte Schweinebestand der LPG »Karl Liebknecht«, bestehend aus 124 Läufern, einem Eber und 52 Sauen, welche alle tragend sind, auf Anweisung des Kreistierarztes wegen Seuchengefahr der Notschlachtung zugeführt. Nach Einschätzung der KD kann auch eine Vergiftung vorliegen, da nur in zwei von 26 Schweinebuchten Schweine verendet waren. In der LPG »Neuer Weg« in Calbe, [Kreis] Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, verendeten 19 Schweine. Es besteht der Verdacht der Schweinepest. Untersuchungen werden zzt. noch geführt.

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