Äußerungen gegen den sowjetischen Wissenschaftler Lyssenko
1. Juli 1959
Information Nr. 439/59 – Bericht über Äußerungen von führenden Wissenschaftlern der Deutschen Akademie für Landwirtschaftswissenschaften gegen den sowjetischen Wissenschaftler Lyssenko und über die Politik der SU gegenüber der wissenschaftlichen Intelligenz
Gleichlaufend mit entsprechenden Veröffentlichungen in der Westpresse wurden in der letzten Zeit von führenden Wissenschaftlern der Deutschen Akademie für Landwirtschaftswissenschaften1 eine Reihe von Äußerungen gegen den sowjetischen Wissenschaftler Lyssenko2 und in diesem Zusammenhang gegen die Politik der SU gegenüber der wissenschaftlichen Intelligenz bekannt.3
So wurde u. a. von Prof. Ehwald4 im Beisein der Professoren Becker,5 Wundsch,6 Dobberstein7 und Stahl8 im Zusammenhang mit einer Diskussion über den Entwicklungsgedanken erklärt, dass sich damit Lyssenko nun endgültig als Gauner erwiesen habe. Unter Bezugnahme auf diese Einschätzung und die derzeitige Stellung von Lyssenko sagte er weiter, ihm sei aus der SU bekannt geworden, dass wieder – wie nach der Situation im Jahre 1948 – befähigte Wissenschaftler wegen ihrer wissenschaftlichen Anschauungen diskriminiert und aus leitenden Stellungen gedrängt würden.9 Prof. Ehwald erwähnte in diesem Zusammenhang einen ihm bekannten Wissenschaftler aus einem Forstinstitut der SU, dem es unter anderem so ergangen sei. Mit dieser Erklärung fand er auch die Zustimmung der bereits genannten Professoren. Becker äußerte im Verlauf dieser Diskussion sinngemäß, dass es sich »bei Lyssenko nicht nur um einen Gauner schlechthin handelt, sondern um den Gauner aller Gauner, der wegen seinen unlauteren Methoden in der eigenen wissenschaftlichen Arbeit und in seinem Verhalten gegenüber allen Wissenschaftlern zutiefst verachtet werden müsste«. Dazu erklärte er noch weiter, dass die angebliche praktische Rehabilitierung von Lyssenko eine ernste Gefahr darstellen würde, die von allen Wissenschaftlern des sozialistischen Lagers mit größter Besorgnis beobachtet werden müsste.10
Ohne diese Motive direkt anzusprechen, ließ u. a. auch Prof. Schick11 bei der letzten Plenarsitzung der Deutschen Akademie für Landwirtschaftswissenschaften in seinem Bericht über den Genetikerkongress in Kanada durchblicken, dass das angebliche Fehlen einer repräsentativen Delegation der SU auf dieser Tagung auf derartige Ursachen zurückzuführen sei. Nach seinen Äußerungen ist »für die angemeldete Delegation unter Leitung der führenden Wissenschaftler Shukowski12 und Zizin13 mit Verspätung eine Gruppe drittklassiger sowjetischer Wissenschaftler erschienen, deren Vorträge überhaupt nichts Neues brachten und sich durch niedriges Niveau auszeichneten«. Angeblich sei dies für die Delegation der DDR als Vertreter eines sozialistischen Landes sehr peinlich gewesen, »da von den westlichen Vertretern nach den Ursachen der Blamage gefragt worden wäre«.
Wie aus einer Reihe weiterer Hinweise ersichtlich ist, werden derartige Ansichten im Zusammenhang mit persönlichen Angriffen gegen Lyssenko auch von anderen Wissenschaftlern vertreten oder zumindest unterstützt.