Bericht über die Festnahme Kapitänleutnants Horst Ludwig
23. Januar 1959
Information Nr. 5/59 – Bericht über die Festnahme des Ludwig, Horst, Kapitänleutnant der Bundesmarine
Am 11.10.1958 berichtete die Westpresse erstmalig von der Festnahme des Obengenannten. »Die Welt« vom 11. und 12.10.1958 schreibt dazu: »Ludwig1 ist einer der wenigen Offiziere, die interne Kenntnisse von der U-Boot-Abwehr haben. Er wurde in den USA und England zum Düsenjägerpiloten ausgebildet und mit einem streng geheim gehaltenen U-Boot-Abwehrgerät vertraut gemacht. Er soll unter Verdacht stehen, ›landesverräterische Beziehungen nach dem Osten‹ unterhalten zu haben. Er wurde auf Anweisung des Bundesgerichtshofes verhaftet.«2
»Der Tagesspiegel« vom 28.10.1958 berichtete von weiteren Verhaftungen.3 Dabei handelt es sich um die Schwester des Ludwig, Jäger, Hanni4 und deren Ehemann, den Versicherungsvertreter Jäger, Werner,5 beide zuletzt wohnhaft in Mannheim, [Straße, Nr.]. Ihre Festnahme wird damit begründet, unter dem Verdacht der »Zusammenarbeit mit dem Osten« zu stehen und die Kurierdienste übernommen zu haben. Weiterhin werden angeführt, Briesemeister, Fritz,6 Obermaat der Bundesmarine und enger Freund von Horst Ludwig; Habor, Hannelore,7 geb. [Tag, Monat] 1930, Bardame, wohnhaft in Bremerhaven-Lehe, [Straße, Nr.].
Nach Angaben des »Sterns« soll Ludwig das Radiogerät der Habor als Geheimsender benutzt haben, jedoch ohne ihre Kenntnis. Die Habor sowie die Jäger, Hanni, sollen wieder aus der Haft entlassen sein.8
Aus einer Berichtsfolge des »Stern« (beginnend am 22.11.1958) sind folgende Einzelheiten zu entnehmen, die sich auf die festgenommenen Personen beziehen bzw. auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS. Nach Angaben des »Stern« erfolgte die Verhaftung des Ludwig, Horst nach mehrtägiger Beobachtung am 3.10.1958 an der ESSO-Tankstelle Arthur Plötz am Südbahnhof, Neumünster, Altonaer Straße.
Ludwig, Horst, zuletzt wohnhaft in Bremerhaven-Mitte, [Straße, Nr.], flüchtete im März 1951 von Weimar über Westberlin nach Bremerhaven. In Westberlin übergab er in der Dienststelle des amerikanischen Geheimdienstes in Dahlem, Rohlfsstraße9 10, selbstgefertigte Fotos von sowjetischen Schiffseinheiten vor der Küste des Ostseebades Kühlungsborn und führte seinen Schwager Jäger, Werner, derzeit in Weimar wohnhaft, zur Anwerbung zu. Jäger wurde in dieser Dienststelle verpflichtet und beauftragt, im Ostseebad Kühlungsborn, wo er und seine Ehefrau Hanni geb. Ludwig während der Sommermonate im Fotogeschäft des Schwiegervaters Ludwig, Emil,10 halfen, Spionageaufnahmen zu machen. Ludwig, Horst, wurde noch im Jahre 1951 mit Unterstützung der Amerikaner bei der Labor Service Unit »B« in Bremerhaven, einem amerikanischen Minensuch- und Räumkommando, eingestellt.11 Im Mai 1956 wurde die Minenräumflottille von der »Bundesmarine« übernommen und Ludwig meldete sich freiwillig zu den Marinefliegern. Noch im gleichen Jahr ging er für 1½ Jahre zur Spezialausbildung als Seeflieger nach Pensacola in Florida/Amerika, von wo er am 12.12.1957 nach Deutschland zurückkehrte. Am 3. März 1958 wurde er von der »Bundesmarine« nach Schottland delegiert, wo er bis 22.7.1958 in Lossiemouth an »geheimen U-Boot-Jagdgeräten« ausgebildet wurde. Nach seiner Rückkehr nach Westdeutschland erfolgte sein Einsatz auf dem Flugplatz Jagel, wo er bis zu seiner Festnahme tätig war.
Nach Darstellung des »Sterns« bewarb sich der Schwager des Ludwig, der Versicherungsvertreter Werner Jäger, im Jahre 1952 in Weimar zur VP. Im Fragebogen gab Jäger als Wohnort seines Schwagers »Bremerhaven« an. Durch Postkontrolle des MfS, BV Erfurt, wurde festgestellt, dass es sich bei dem in Bremerhaven wohnhaften Schwager um den Leutnant der westdeutschen Marine, Horst Ludwig handelt.
Laut »Stern« seien diese Feststellungen der Abt. II der BV Erfurt mitgeteilt worden, die kurz darauf den Vater des Ludwig, Horst, den Inhaber zweier Fotogeschäfte Ludwig, Emil, wohnhaft Weimar, [Straße, Nr.] unter dem Vorwand des Wirtschaftsvergehens festnahm. (Noch im Jahre 1952). Nach der Festnahme sei dann Ludwig in der Nacht von der Haftanstalt Weimar nach Erfurt gefahren und einem 36stündigen Verhör unterzogen worden. Dabei soll er mit einem Knüppel über den Kopf geschlagen worden sein. In einer Zelle sei er, von kaltem Wasser übergossen, wieder zu sich gekommen und abermals verhört worden. Dabei habe man ihn auf dem Stuhl festgebunden, wenn er umsinken wollte. Von Wirtschaftsvergehen sei keine Rede mehr gewesen, er sollte lediglich zugeben, dass er in Weimar spioniert habe. Nach sechsmonatiger Haft des Ludwig ist nach den Angaben des »Stern« auch seine Tochter, Jäger geb. Ludwig, Hanni durch die BV Erfurt festgenommen worden. Beide seien zur Mitarbeit für das MfS BV Erfurt verpflichtet und Ende 1953 aus der Haft entlassen worden, wobei der erste Auftrag das Ziel verfolgte, den Sohn bzw. Bruder – Ludwig, Horst – zur Mitarbeit für das MfS zu gewinnen.
In der Zwischenzeit, während seine Frau in Haft war, flüchtete der Jäger, Werner am 3. März 1953 von Weimar nach Westdeutschland. Aufgrund seiner seit März 1951 durchgeführten Spionagetätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst, erhielt er den Flüchtlingsausweis C.12 Nach Durchlaufen der Flüchtlingslager Wipperfürth und Karlsruhe fand Jäger Aufnahme bei einem Kriegskameraden seines Schwiegervaters, dem Wäschereibesitzer [Vorname Name 1] in Mannheim. Nach Entlassung aus der Haft verzog die Ehefrau des Jäger nach Angaben des »Stern« legal – unter Mitnahme eines Eisenbahnwaggons voll Mobiliar – nach Mannheim, wo die Eheleute in der [Straße, Nr.] eine eigene Wohnung bezogen.
Eine Schwester des Jäger, die nur mit dem Vornamen [Vorname 1] genannt wird und als Telefonistin bei der Post in Leuna tätig gewesen sein soll, wurde von Jäger mit zur Spionage herangezogen, vom MfS aber als amerikanische Agentin entlarvt und überworben. Später wurde sie zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt und in die Strafanstalt Bautzen eingewiesen. Im Jahre 1954 vorzeitig aus der Haft entlassen, verließ sie die DDR und lebt laut »Stern« im Durchgangslager Weinsberg.
Nach seiner Haftentlassung besuchte Ludwig gegen Ende 1953 im Auftrage des MfS seinen Sohn Horst in Bremerhaven, wo er ihm das Angebot zur Mitarbeit für das MfS unterbreitete. Nach seiner Zusage fand zum Jahreswechsel 1953/54 die erste Zusammenkunft zwischen Ludwig, Horst und Mitarbeitern des MfS in Berlin statt. Eine Woche später erfolgte auf Veranlassung der Vertreter des MfS und auf Einladung des Vaters ein erneuter Treff in Berlin, bei dem Aufträge in Bezug auf die in Bremerhaven stationierten Schnellboote erteilt wurden. Nach Schilderung des »Stern« bestand die weitere Verbindung zwischen Ludwig, Horst und dem MfS in der folgenden Zeit vorwiegend über die Familie Jäger in Mannheim, [Straße, Nr.].
Weiter berichtet der »Stern«, dass im April 1954 ein Vetter der Familie Ludwig, der nur mit dem Namen [Vorname 2] genannt wird und Mitarbeiter des MfS in Erfurt sein soll, in das Fotogeschäft des Ludwig in Kühlungsborn, [Straße] kam und Ludwig, Emil erklärte, »dass er wieder gebraucht werde«. Andererseits habe er doch durch die Haft einen »ziemlichen Schaden« erlitten (ihm wären Fotogeschäft beschlagnahmt und in der Haft Zähne ausgeschlagen worden) und hätte daher das Recht auf Schadenersatz, wozu er aber selbst mit dem MfS in Verbindung treten müsste. Laut »Stern« habe Ludwig, Emil diesen Rat auch befolgt und er die Möglichkeit erhalten, in Westdeutschland einen gebrauchten Volkswagen zu kaufen, der ohne Schwierigkeiten von der VP in der DDR zugelassen wurde und das Kennzeichen [Nr.] erhielt.
Entsprechend den Schilderungen des »Stern« sollen bei der Familie Jäger sämtliche Filme und Berichte des Ludwig für das MfS im Duplikat gelagert worden sein. Durch eine unbekannte »mysteriöse« Person, die am 25.9.1958 die Familie Jäger in Mannheim aufsuchte, sei jedoch eine gewisse Warnung erfolgt, sodass Werner und Hanni Jäger einen großen Teil des vorhandenen Materials verbrennen und Ludwig, Horst telefonisch »warnen« konnten. Dieser Unbekannte habe geäußert, dass er aus Westberlin komme und stellte das Ansinnen, »ob sie nicht wieder für ihn arbeiten wollen, da doch der Mann schon in Westberlin für ›sie‹ gearbeitet hätte«. (J. vermutete Bezugnahme auf seine Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst). Weiter soll diese Person noch geäußert haben: »Ihre andere Tätigkeit, Ihre Fahrten in die Sowjetzone, die sind doch wohl vorbei? Oder werden es bald sein! Wir wissen, dass Sie öfter nach drüben fahren – in die Zone – das könnte gefährlich werden für Sie.« Darauf soll mit der Beseitigung des Materials begonnen worden sein.
Im »Stern« 4/59 wird darüber berichtet, dass auch Horst Ludwig an seinem damaligen 2. Wohnsitz im Hotel »Waldschlößchen« bei Schleswig am 2.10.1958 durch einen Mittelsmann des MfS gewarnt worden sei. Dieser hätte erklärt, »dass irgendetwas im Gange« sei, aber noch keine konkreten Hinweise vorhanden wären. Aus diesem Grunde habe Ludwig seine Flucht auch bis zum nächsten Tage aufgeschoben, da er noch keine unmittelbare Gefahr vermutete.
Zur Aufklärung des Falles Ludwig schreibt der »Stern«, dass sich am 26.8.1958 ein Mitarbeiter des MfS, BV Erfurt, Feldwebel Schindler,13 nach Westberlin absetzte und im Lager Berlin-Marienfelde nach Angehörigen der politischen Polizei verlangte. Schindler soll gegen Ende 1954 bei der BV Erfurt eingestellt worden sein. Vorher hatte er sich angeblich bei der Universität Jena zum Studium beworben, sei aber abgelehnt worden, da er kein Arbeiter- oder Bauernsohn wäre. Ihm wurde geraten, sich erst bei der Nationalen Volksarmee zu bewähren. Da er Brillenträger sei, wäre Schindler bei der NVA ebenfalls abgelehnt und an das MfS verwiesen worden, wo seine Einstellung als »Schreiber« erfolgte. Nach einem halben Jahr sei er zum Unteroffizier befördert worden und habe die Tätigkeit eines Vorzimmersekretärs ausgeübt. Im Flüchtlingslager Berlin-Marienfelde wurde er durch zwei Beamte der Abt. I der Westberliner Polizei abgeholt und zum Westberliner Polizeipräsidium gebracht. Hier machte Schindler folgende Angaben: Schindler will »Die Welt« vom 22.3.1956 gelesen haben, als sein Vorgesetzter auf ein in dieser Zeitung veröffentlichtes Bild deutete, auf dem westdeutsche Marineoffiziere abgebildet waren, die in Amerika ausgebildet wurden.14 Dabei soll der Vorgesetzte geäußert haben: »Mensch Schindler, da ist ja auch unser Mann dabei!« Dabei habe er auf einen Offizier gezeigt, ohne jedoch den Namen desselben zu nennen. Weiter gab Schindler an, dass eine Schwester dieses Marineoffiziers in Mannheim wohnt und Jäger heißt. Aufgrund dieser Angaben wurden die Ermittlungen aufgenommen und als erste der Aktion »Dreieck« die Jäger, Hanni am 3.10.1958 in Mannheim festgenommen.15