Erfahrungen bei der Durchführung eines Ministerratsbeschlusses
29. Dezember 1959
Information Nr. 909/59 – [Bericht über] die bisherigen Erfahrungen bei der Durchführung des Ministerratsbeschlusses zur leihweisen Übergabe der Technik der MTS an die LPG
(geplante Ministerratstagung)
Wie sich aus einer vorliegenden Gegenüberstellung des I. Halbjahres 1959 mit den nachfolgenden Monaten ergibt, wurde der Übergabe der Technik der MTS an die LPG durch den zentralen und örtlichen Staatsapparat im I. Halbjahr 1959 nicht die entsprechende Bedeutung beigemessen, die diese Maßnahme durch die Beschlüsse der VI. LPG-Konferenz erhielt.1
Aus diesem Grunde kam es im Zeitraum von Januar bis Juni 1959 zur Übergabe von nur 86 Brigaden, während von Juli bis Ende November 1959 952 Brigaden übergeben wurden.
Wie aus vorliegenden Hinweisen ersichtlich ist, begann das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft nicht unmittelbar nach diesen Beschlüssen der LPG-Konferenz die Problematik dieser Frage zu erarbeiten, um der Praxis die entsprechenden Hinweise zu geben.
Deshalb konnte erst Ende Mai 1959 ein Beschluss des Ministerrates über die leihweise Übergabe der Technik der MTS an die LPG des Typs III2 beschlossen3 und gleichzeitig ein Mustervertrag4 für die leihweise Übergabe der Technik herausgegeben werden.
Nach Auffassung der Quellen war in diesem Beschluss nicht klar herausgearbeitet, dass die komplexe Zusammensetzung der Technik einer Brigade nicht zersplittert werden darf, wie es in zahlreichen Fällen, u. a. in der LPG Schönermark, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam, in der Praxis erfolgte.
Ferner zeigte der zentrale Staatsapparat auch nicht die entsprechende Wendigkeit, um sofort alle auftauchenden unklaren Fragen zu bearbeiten und zu beantworten.
Bei den Räten der Bezirke und Kreise äußerte sich die Unterschätzung dieser Frage darin, die Übergabe der Technik dem Selbstlauf zu überlassen bzw. mit Methoden des Administrierens vorzunehmen.
Letzteres zeigte sich z. B. im Bezirk Schwerin. Hier wurde nach vorliegenden Berichten beschlossen, ohne vorher gründlich die Bedingungen zu prüfen, den LPG Mestlin, Eichhoff5 und Dersentin die Technik zu übergeben.
So vollzog sich diese Übergabe in Eichhoff innerhalb von drei Tagen. Bedingt durch dieses überhastete, administrative Arbeiten bestand bei den MTS und den LPG keine Klarheit darüber, wie die Übergabe zu erfolgen hat. Dies führte dazu, dass die Feldbaubrigaden und die Traktorenbrigaden nach der alten Form der Unterstellung gesondert bestehen blieben.
Andererseits versprach man, wie im Bezirk Erfurt, den Traktoristen eine zusätzliche Entlohnung und Prämiierung, wie die Zahlung einer einmaligen Zuwendung von 800 DM, wenn sie Mitglied der LPG werden, die später nicht erfolgte.
Neben negativen Diskussionen führte dies auch dazu, dass die Traktoristen ihre Mitgliedschaftserklärungen rückgängig machten. Zum Beispiel erklärten sich im MTS-Bereich Isseroda, [Bezirk] Erfurt, von acht Traktoristen fünf nicht mehr bereit, Mitglied der LPG zu werden und verlangten zu untersuchen, weshalb die Versprechen nicht eingehalten wurden.
Ähnliche Versprechen gab es auch im Bezirk Schwerin.
Von Organen des örtlichen Staatsapparates wurde außerdem nicht immer entschieden gegen eine falsche Auslegung der Beschlüsse von Partei und Regierung aufgetreten.
Im Kreis Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, z. B. trat die Tendenz der teilweisen Übergabe der Technik auf. Hier hatten die LPG ein oder zwei Traktoren und sollten deshalb nur noch einen Traktor von der MTS bekommen. Dadurch wurde in einigen Fällen die komplexe Zusammensetzung der Technik der MTS-Brigade zersplittert. Gleiche Tendenzen gab es im Bezirk Potsdam.
Die bereits genannte LPG Schönermark z. B. sollte auf Beschluss des Rates des Kreises Kyritz nur vier Traktoren erhalten.
Auf gleicher Linie liegt das zum Teil bestehende Bestreben der MTS, bei der Übergabe der Technik Maschinen und Geräte in reparaturbedürftigem und verschmutztem Zustand bzw. solche Maschinen zu übergeben, die nur noch Schrott-Wert besitzen.
So wurden z. B. in den Kreisen Stralsund, Wismar und [Bad] Doberan, [Bezirk] Rostock, den LPG, die zuerst die Technik übernahmen, nur neue Maschinen übergeben.
Die später die Technik übernehmenden LPG erhielten nur noch die veraltete Technik.
Diese ungenügende Überzeugungsarbeit, die administrative Art der Verwirklichung und die falsche Auslegung der Beschlüsse durch die Organe des Staatsapparates und die MTS, leistete nach vorliegenden Hinweisen teilweise gegnerischen Kräften bei ihrer Tätigkeit gegen die Übergabe der Technik an die LPG Vorschub.
Dabei konzentrierten sich diese Kräfte vor allem auf die Traktoristen.
Im Bezirk Rostock z. B. organisierten Großbauern6 den Widerstand gegen die Übergabe der Technik, indem sie die Traktoristen beeinflussten, nicht Mitglied der LPG zu werden.
Derartige Beispiele wurden in den MTS-Bereichen Radegast, Jennewitz, Karnin, Semlow, Hof-Wahrlow7 und Dorf Mecklenburg bekannt.
In den Kreisen Greifswald, [Bezirk] Rostock, und Stendal, [Bezirk] Magdeburg, besorgten sich die Traktoristen ärztliche Atteste aus denen hervorgeht, dass sie gesundheitlich nicht mehr in der Lage sind, in der Landwirtschaft zu arbeiten.
Kündigungen einer größeren Anzahl Traktoristen traten in den Bezirken Rostock, Halle, Neubrandenburg, Magdeburg und Potsdam in Erscheinung.
In der MTS Hinsdorf, [Kreis] Köthen, [Bezirk] Halle, z. B. kündigten elf Traktoristen bei der Übergabe der Technik an die LPG.
Im MTS-Bereich Neu Boltenhagen, [Bezirk] Rostock, kündigten innerhalb von zwei Monaten ebenfalls elf Traktoristen.
Bei der äußerst schlecht vorbereiteten Übergabe der Technik an die LPG Rappenhagen, [Kreis] Greifswald, [Bezirk] Rostock, kündigten sechs Traktoristen.
Die Ursachen der Kündigungen in diesen u. a. Beispielen sind in der ungenügenden politisch-ideologischen Erziehungsarbeit und in den administrativen Wegen der Übergabe der Technik zu suchen. Ein genauer Überblick über die Gesamtzahl der Kündigungen von Traktoristen ist in vorliegenden Berichten nicht vorhanden. Wie Feststellungen ergaben, arbeiten diese Traktoristen nach Aufgabe ihres Arbeitsverhältnisses bei den MTS, in der volkseigenen Industrie, im Kraftverkehr u. a. Zweigen, wo sie ihre fahrtechnischen Kenntnisse anwenden können.
Den gegnerischen Kräften wird ihre Zersetzungsarbeit dadurch erleichtert, dass die Traktoristen manchmal Söhne noch einzeln wirtschaftender Bauern, vor allem Mittelbauern sind, die selbst noch unklar, leicht feindlichen Einflüssen unterliegen.
Dass die Gegner der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft in ihrem Kampf gegen die Maßnahmen der Partei und Regierung, durch die Übergabe der Technik die LPG zu stärken, die ideologische Zersetzung bevorzugen, findet seinen Ausdruck auch in den gegenwärtigen noch aktuellen Diskussionen und Argumenten der Traktoristen.
Diese Argumente haben den Berichten zufolge zum Inhalt:
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In der LPG haben wir kein gesichertes Einkommen und keine gleichbleibende Tätigkeit.
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Die Urlaubsfrage ist nicht geregelt.
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Es gibt in der LPG keine Feiertagsbezahlung, Überstundenzuschläge, Prämien und keinen Lohnausgleich bei Krankheit.
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Nach Beendigung der staatlichen Subventionszahlung wird der Wert der Arbeitseinheit sinken.
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Warum nur 70 bis 90%ige Auszahlung des Verdienstes? Das Geld, das in der LPG verbleibt, können wir alleine sparen.
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Wenn wir Mitglieder der LPG sind, entscheidet über die Frage der Vergütung und des Arbeitseinsatzes die Vollversammlung.
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Wir werden dann nicht mehr vom FDGB vertreten.
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Das verfassungsmäßige Recht auf Arbeit ist für uns auf die Landwirtschaft beschränkt.
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Mit dem Eintritt in die LPG geben wir unsere »Freiheit« auf.
Neben den Kündigungen kam es im Zusammenhang mit der Übergabe der Technik auch zu Kapitulationserscheinungen anderer Art.
So wurde z. B. im Bezirk Potsdam in verschiedenen MTS u. a. in der MTS Osterne, die ihre Technik bereits übergeben hat, festgestellt, dass sich die Mitarbeiter überflüssig fühlen und ihre Aufgabe nicht mehr richtig durchführen.
Im Kreis Strausberg, [Bezirk] Frankfurt/O., vertraten Traktoristen die Meinung, sich schon heute nach einer geeigneten Arbeit mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten umsehen zu müssen.
In der LPG Deylsdorf, [Kreis] Grimmen, [Bezirk] Rostock, erschienen nach der Übergabe der Technik fünf Traktoristen nicht zur Arbeit, sondern hielten sich in der Gaststätte auf. Die Traktoren kamen deshalb nicht zum Einsatz.
In den Bezirken und Kreisen, wo der Staatsapparat die Übergabe der Technik richtig vorbereitete, wirkte sich diese Maßnahme günstig auf die Entwicklung und die weitere sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft aus.
In diesen LPG konnte nach vorliegenden Hinweisen eine wesentliche Steigerung der Arbeitsproduktivität erzielt, die Technik maximal ausgelastet und die unproduktive Zeit dadurch wesentlich verkürzt werden, weil sich der organisatorische Arbeitsablauf erheblich verbesserte.
Zum Beispiel verkürzte die LPG Hanstorf, [Kreis] Bad Doberan, [Bezirk] Rostock, die unproduktive Zeit um 12 %.
Die LPG Semlow, [Kreis] Ribnitz[-Dammgarten], [Bezirk] Rostock, verkürzte die Mahd des Getreides gegenüber dem Vorjahr um vier Tage.
In der LPG Volksdorf,8 [Kreis] Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, erhöhte sich der Anteil der zweiten Schicht durch die Übernahme der Technik auf 36,5 %. Die Traktoristen bringen zum Ausdruck, dass sie mehr verdienen und sich die Arbeitsorganisation verbesserte.
Die LPG »Ernst Thälmann« in Liebau-Mogger, [Kreis] Sonneberg, [Bezirk] Suhl, übernahm am 6.9.1959 eine Brigade der MTS. Die Übergabe war gut vorbereitet und beeindruckte auch stark die anwesenden Einzelbauern. Diese erklärten, dass sie bisher noch Zweifel an der Richtigkeit der sozialistischen Umgestaltung hegten, jetzt aber doch einsehen müssen, dass es mit solcher Kraft vorwärts gehen muss.
Im Kreis Grimmen, [Bezirk] Rostock, erklärten sieben Einzelbauern ihren Eintritt in die LPG, weil sie erkannt hätten, dass durch die Übergabe der Technik die Felder besser und zügiger bearbeitet werden, die Erträge dadurch steigen und sie mit ihren Einzelwirtschaften zurückbleiben.
Neben diesen positiven Auswirkungen und Erkenntnissen bei den Einzelbauern führte der Beschluss über die Übergabe der Technik der MTS an die LPG unter diesen Kreisen aber auch zu falschen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen.
Ausdruck dafür sind die verstärkten Diskussionen, die sich in ihrem Kern reduzieren lassen auf die Meinung, sie würden dadurch benachteiligt und brauchten gegenwärtig und für die Zukunft nicht mehr auf Unterstützung bei Feldarbeiten zu rechnen. Dadurch wolle man sie nur zum Eintritt in die LPG zwingen.
In zahlreichen Fällen kam es deshalb, wie im MTS-Bereich Mölschow, [Kreis] Wolgast, [Bezirk] Rostock, zu Versuchen, auf spekulativem Wege zu eigenen Maschinen zu kommen.
(Im Zusammenhang damit wird auf die Information Nr. 843/59 über den Einsatz polizeilich nichtzugelassener Traktoren in der privaten Landwirtschaft verwiesen.)
Im Zusammenhang mit der Übergabe der Technik gibt es nach vorliegenden Berichten noch eine Reihe offener und ungeklärter Fragen, die in den LPG und in den MTS zu Diskussionen führen.
So spielt z. B. in den Südkreisen und Bezirken der DDR die Frage eine Rolle, ob im Rahmen der leihweisen Übergabe der Technik auch einzelne Maschinen und Geräte an LPG übergeben werden, die mindestens 80 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LNF) des Dorfes bewirtschaften, aber nur eine Größe von 80 bis 200 ha LNF haben. Fachkräfte sind der Ansicht, dass in solchen LPG durch die Übergabe ganzer Brigaden die Technik nicht voll ausgelastet wird.
Großen Umfang nehmen auch Fragen ein, die sich aus den derzeitigen Subventionierungsbestimmungen ergeben. Als ungeklärt werden hier betrachtet, in welcher Form in Zukunft die Subventionierung erfolgen soll und ob Subventionen nur für die übernommene Technik gelten. Ferner wird eine Klärung erwartet, ob die Berechnung der Subventionen auf der Grundlage der Jahresdurchschnittskosten oder auf der Grundlage der in der Brigade vom Tag der Übergabe bis zum Jahresende geplanten Subventionen erfolgen soll.
Weiterhin soll geklärt werden, wie die Subventionen für durchgeführte Arbeiten bei werktätigen Einzelbauern zu berechnen sind und ob Einsparungen aus Subventionen als materieller Anreiz in das Betriebsergebnis der LPG insgesamt eingeben können oder weiter in den unteilbaren Fonds abgeführt werden müssen.
Außerdem wird erwartet, dass die Armortisationen für das Jahr der Übergabe ausgesetzt werden. Einige LPG lehnten bereits ab, nach der Arbeitskampagne Mähdrescher und andere Kombines9 zu übernehmen, weil sie der LPG im laufenden Jahr keine Leistungen mehr bringen würden, die LPG jedoch die Armortisationen tragen sollten.
Ebenso wird eine Klärung der Preise für Treibstoff von den LPG erwünscht, die die Technik bereits übernommen haben.
Nach vorliegenden Berichten gibt es auch noch zahlreiche offene Fragen bei der Entlohnung der Traktoristen, die Mitglieder der LPG wurden.
Besonders trifft das auf die Berechnung des Differenzbetrages für Traktoristen zu, die Mitglieder in LPG wurden deren Wert der Arbeitseinheit noch ziemlich niedrig liegt. Eine große Rolle spielt auch die Frage, ob der Traktorist den überplanmäßigen Wert je Arbeitseinheit am Jahresende ausgezahlt erhält und wie die Gewährung von zusätzlichem Urlaubs- und Krankengeld an die Traktoristen aus dem Hilfsfonds erfolgt.
In den MTS wird erwartet, dass eine Regelung über die Bildung des Betriebsprämienfonds der MTS erfolgt, die die Übergabe der Technik berücksichtigt, gleichzeitig aber auch einen materiellen Anreiz bietet für die weitere Steigerung der Produktion, die Festigung der von den MTS betreuten LPG und die Pflege und Wartung der übergebenen Technik.
Ferner gibt es Erwartungen, dass die Differenzierung der MTS bestehen bleibt und keine Rückstufung bei der Übergabe der Technik erfolgt, weil dadurch Lohnminderungen eintreten würden.
Einer Klärung bedarf nach vorliegenden Hinweisen auch die Frage, ob die Lkw der MTS den Bezirksdirektionen des Kraftverkehrs übergeben werden sollen oder was sonst mit diesen Lkw zu geschehen hat.