Ergänzung: Feindliche Tätigkeit westlicher Spionageorganisationen
9. Juli 1959
Information Nr. 475/59 – Ergänzung zu den Materialien über die feindliche Tätigkeit imperialistischer Spionage- und Agentenorganisationen gegen die Deutsche Demokratische Republik u. a. sozialistische Länder und über die Rolle Westberlins als NATO-Stützpunkt (vom 5. Mai 1959)
In dieser Ergänzung werden eine Reihe weiterer Beispiele der feindlichen Tätigkeit durch imperialistische Spionage- und Agentenorganisationen aus der letzten Zeit angeführt, welche die in den Materialien vom 5.5.1959 getroffenen Feststellungen und Einschätzungen über Zielsetzung, Methoden, feindliche Organisationen usw. erneut bestätigen, weshalb hier auch auf eine neuerliche Zusammenfassung verzichtet wird.
Im Juni 1959 wurde der in Gernrode/Harz, [Straße, Nr.] wohnhafte freiberuflich tätige technische Dolmetscher Wilhelm Ryba1 von den Sicherheitsorganen der DDR festgenommen, weil er im Auftrage des amerikanischen Geheimdienstes bis zu seiner Festnahme eine feindliche Tätigkeit gegen die DDR durchführte.
Ryba wurde bei einem Besuch in Westberlin am 18.6.1953 vom amerikanischen Geheimdienst als Spion angeworben und erhielt in der ersten Zeit den Auftrag, in verschiedenen Orten der DDR Objekte der sowjetischen Armee auszuspionieren, wozu er 15 bis 20 Reisen unternahm und die Spionageinformationen an Mr. [Name 1] vom amerikanischen Geheimdienst gab. Später berichtete Ryba im Auftrage des Mitarbeiters des amerikanischen Geheimdienstes [Name 2] unter Ausnutzung seiner beruflichen Tätigkeit als Dolmetscher beim DIA Invest Export und DIA Elektrotechnik über interne Vorgänge im Außenhandel der DDR, insbesondere über Handelsbeziehungen mit Partnern des kapitalistischen Auslandes.2
Ab 1957 erhielt Ryba seine feindlichen Aufträge von dem Amerikaner [Name 3] und wurde seit dieser Zeit von vier weiteren Amerikanern, [Name 4], [Name 5], [Name 6] und [Name 7] bei Zusammenkünften in Treffwohnungen in Westberlin als »Funker für den Ernstfall« ausgebildet und mit dem Ver- und Entschlüsseln nach Schlüsselblock vertraut gemacht. Ryba sollte die »Benutzungsbereitschaft von Luftlandeplätzen« im Harz überprüfen und das Ergebnis an den amerikanischen Geheimdienst funken. Um weitere Anweisungen durch Funk empfangen zu können, musste sich Ryba im Auftrage des amerikanischen Geheimdienstes ein dafür geeignetes großes Rundfunkgerät kaufen, wofür er das Geld zur Verfügung gestellt bekam. Später sollte er ein amerikanisches Funkgerät RS 6 erhalten und bekam dafür bereits schriftliche Anleitungen für die Bedienung zur Kontaktaufnahme mit der Zentrale, zur Verwendung der Schlüsselblocks sowie einen individuellen Sendeplan und 15 Schlüsselblocks.
Im März 1959 wurden Ryba durch [Name 3] neun der bereits erwähnten Luftlandeplätze benannt, deren Lage sich Ryba zur Tarnung auf Transparentpapier übertrug. Außerdem erhielt Ryba eine schriftliche Anweisung für das Anlegen von Luftlandeplätzen (die zusammen mit dem Lageplan als Anlage beiliegt),3 aus der klar ersichtlich ist, dass die Luftlandeplätze einer Kriegsvorbereitung dienen. Ryba erhielt für seine verbrecherische Tätigkeit vom amerikanischen Geheimdienst insgesamt ca. 30 000 DM.4
Ebenfalls während eines Besuches in Westdeutschland wurde der bei der Reichsbahndirektion Berlin tätige Ingenieur [Vorname Name 8] von dem Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes »Hermann« unter Versprechungen zur Spionagetätigkeit gegen die DDR angeworben und erhielt den Decknamen »Vollmann«. Außerdem erhielt er zur Übermittlung von Spionagenachrichten japanisches Seidenpapier, imprägniertes Papier für Geheimschriften und eine Deckadresse für den »Kriegsfall«. [Name 8] erhielt den Auftrag, Spionageinformationen über
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den Lokomotivbestand,
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die Arbeit der Reichsbahnausbesserungswerke,
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die Lokunterhaltung im DDR-Maßstab,
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Engpässe in der Materialversorgung,
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Produktionsausschuss der einzelnen RAW,
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Neubauten von Lokomotiven,
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Belastungen der Decken und Brücken und über
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Langsamfahrstellen einzuholen und zu übermitteln.
Ferner hatte er den Auftrag, Namen und Adressen von Mitarbeitern des Ministeriums für Verkehr in Erfahrung zu bringen, Dienstvorschriften zu beschaffen, Personen zum Zwecke der Anwerbung mit dem BND in Verbindung zu bringen, sogenannte »Tote Briefkästen« (TBK)5 anzulegen, Militärtransporte zu beobachten und sich zum Zwecke der Beobachtung des Verkehrs zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen nach Frankfurt/O. versetzen zu lassen.
Vom Bundesnachrichtendienst wurden auch der Arbeiter Walter Huth6 aus Warnemünde, festgenommen am 15.6.1959, und der Rentner Gustav Helbig7 aus Großenhain, festgenommen am 23.6.1959, zur Spionage angeworben.
Während Huth, der zuletzt als Hafenumschlagarbeiter im VEB Vereinigte Seehäfen Rostock-Warnemünde war, beauftragt wurde, über den Schiffsverkehr in diesen Häfen, über alle Ex- und Importe von Frachtgut und über Objekte und Einheiten der Seestreitkräfte Spionageinformationen in Geheimschriftverfahren an Westberliner und westdeutsche Deckadressen zu übersenden, erhielt Helbig die Anweisung, mit der gleichen Methode Spionageinformationen über den Flugplatz Großenhain, insbesondere über den täglichen Flugbetrieb, die Art und Anzahl der vorhandenen Flugzeuge und über die Tätigkeit der Funkstellen in der Umgebung des Flugplatzes, zu sammeln. Weiterhin wurde er beauftragt über Truppentransporte der Sowjetarmee zu berichten. Helbig wurde für diese feindliche Tätigkeit mit ca. 2 600 DM West und 1 500 DM der Deutschen Notenbank bezahlt. Beide Spione erhielten vom Bundesnachrichtendienst einen sogenannten Kurzwellen-Konverter, der – an ein Rundfunkgerät angeschlossen – zur Übermittlung von feindlichen Anweisungen im »Ernstfall« dient.
Der am 12.6.1959 inhaftierte Spion des amerikanischen Geheimdienstes, Wilhelm Brochwitz,8 der als Lokführer bei der Reichsbahn in Doberlug-Kirchhain arbeitete, wurde bei einem Besuch Westberlins im Mai 1957 durch sogenannte Werber dem Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes Kessler9 alias Rau alias Lauterwald und von diesem später dem Fuchs10 alias Krieger zugeführt und zur Militärspionage angeworben. Er erhielt den Decknamen »Schonberg« (später »Schiffer«) und zwei Deckadressen in Westberlin und eine in Westdeutschland, an die er besonders eilige und wichtige Spionageinformationen sofort in Geheimschrift schicken sollte. Zur persönlichen Übermittlung von Spionagematerial wurde ihm eine Aktentasche mit Geheimfach ausgehändigt. Weiter erhielt B. ein Tonbandgerät mit Morsetaste, Kopfhörer und zwei Tonbänder mit Morsezeichen, um sich im Funken zu schulen, und im Januar 1959 ein amerikanisches Funkgerät, das er in Einzelteile zerlegt in die DDR einschleuste und im April 1959 damit die Verbindung mit dem amerikanischen Geheimdienst aufnahm, nachdem er auch schriftliche Bedienungs- und Verschlüsselungsunterlagen bekam.
Die Agentin des amerikanischen Geheimdienstes Gebhardt, Gisela,11 wohnhaft in Berlin, erhielt im März 1959 von [Name 3] (ebenfalls wie der bereits genannte Ryba) eine fotokopierte Anweisung für die »Auswahl von Luftlande- und Abwurffeldern« mit dem Auftrage, dafür geeignetes Gelände in den Randgebieten Berlins zu erkunden und zu fotografieren. Eine ausführliche Schulung über das Anlegen von Landungs- und Abwurfplätzen sollte im August 1959 auf einem Spionagelehrgang des amerikanischen Geheimdienstes in Frankfurt/M. erfolgen. Weitere von ihr erfüllte Aufträge waren das Anlegen von acht sogenannten Toten Briefkästen in Berlin zur Übermittlung von Spionageinformationen im »Kriegsfall« und Erkundung von Personen- und Materialschleusen in Berlin. Außerdem wurde die Gebhardt, die den Decknamen »Beethoven« erhielt, als Agentenfunkerin für den »Kriegsfall« ausgebildet und besaß bereits ein amerikanisches Funkgerät RS 6.
Der als Diplom-Physiker an der Hochschule für Elektrotechnik in Ilmenau tätig gewesene [Vorname Name 9] wurde 1957 unter dem Decknamen »Hutmacher« vom amerikanischen Geheimdienst in Westberlin zur Spionage angeworben und beauftragt, Forschungsergebnisse über die Entwicklung elektronisch gesteuerter Maschinen, strukturelle Veränderungen an der Hochschule sowie Namen und Charakteristiken von Wissenschaftlern der Deutschen Demokratischen Republik auszuliefern. Auch [Name 9] erhielt eine funktechnische Ausbildung und bekam dazu entsprechendes Material und später auch Spionageaufträge per Funk durch den Rundfunk übermittelt. Die Treffs wurden in den Treffwohnungen des amerikanischen Geheimdienstes in Berlin-Dahlem, Dohnenstieg und Herrfurthstraße durchgeführt. Außerdem erhielt er 2 Westberliner Deckadressen und den Auftrag, »Tote Briefkästen« in Ilmenau anzulegen. [Name 9] wurde am 15.4.1959 inhaftiert.
Unter anderem wurde auch der wegen Spionage für den amerikanischen Geheimdienst am 23.3.1959 festgenommene Flugzeugbauer Erich Keimling12 aus Leipzig als Funkagent ausgebildet, was zusammen mit dem bisher angeführten und noch weiteren vorliegenden Beispielen beweist, dass sich die feindlichen Zentralen in der letzten Zeit besonders darauf konzentrieren, für den »Kriegsfall« ein großes Netz von Funkagenten zu schaffen und »einsatzbereit« zu halten.
Keimling erhielt seine funktechnische Ausbildung unter Aufsicht des Mitarbeiters des amerikanischen Geheimdienstes [Name 10] von mehreren »Lehrern«, u. a. von [Name 11] und [Name 12]. Als Schulungsorte dienten u. a. die Wohnungen in Berlin-Nikolassee, Krottnaurerstraße 67, Berlin-Charlottenburg, Eschenallee/Ecke Platanenallee und die Pension Ramme, Berlin-Wilmersdorf, Hohenzollerndamm 122. Außerdem erhielt Keimling von den Mitarbeitern des amerikanischen Geheimdienstes [Name 13], [Name 14], [Name 15], [Name 16] und [Name 17] Aufträge, Spionage über wichtige wirtschaftliche und militärische Objekte in der DDR (z. B. die Kombinate Böhlen13 und Espenhain14) anzulegen.