Ergänzung zum Bericht über die Grenzprovokation
25. August 1959
Information Nr. 587b/59 – Ergänzung zum Bericht über die Grenzprovokation im Bereich der Kompanie Klettenberg vom 22. August 1959
Durch weitere Untersuchungen wurde bestätigt, dass der im Bericht vom 22.8.1959 angeführte Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten richtig ist.
Ergänzend zu diesem Bericht wird noch mitgeteilt: 20 Meter von den Provokateuren entfernt befanden sich in ihrem Postenbereich vier westdeutsche Zöllner mit Hund. Die während der Provokation als Grenzstreifen eingesetzten Angehörigen der Deutschen Grenzpolizei (DGP)1 haben sich, entsprechend der für sie gültigen Dienstanweisungen, richtig verhalten. Ihre Entschlüsse und Maßnahmen zur Unterbindung der Provokation waren ebenfalls richtig, denn sie erreichten die Beendigung der Zerstörung an den Grenzsicherungsanlagen. Sie forderten die Provokateure auf, sofort mit der Zerstörung aufzuhören, was auch befolgt wurde. Außerdem informierten sie über das Grenzmeldenetz schnellstens den Diensthabenden in der Kompanie. Dies geschah um 2.15 Uhr, also unmittelbar nach der Provokation. Vom Diensthabenden erhielten sie die Anweisung, weiter zu beobachten und in einer halben Stunde erneut über den weiteren Verlauf zu berichten.
Der Unteroffizier der Grenzstreife, [Name 1], gab sich mit dieser Anweisung nicht zufrieden, sondern verlangte vom Diensthabenden, dass sofort ein Offizier bzw. die Alarmgruppe am Ort der Provokation erscheinen müsse. Trotz dieser dringenden Anforderung erschien erst gegen 3.30 Uhr der Zugführer der Kompanie Leutnant [Name 2] am Tatort, als die Provokateure längst abgezogen waren. Er veranlasste keinerlei Maßnahmen, sondern informierte gegen 4.00 Uhr die Abteilung von der Provokation. Bereits aus diesem Beispiel ist ersichtlich, worin die Ursachen der Verzögerung bestehen, sodass die Berliner Stellen erst gegen 7.00 Uhr Kenntnis von der Grenzprovokation erhielten.
Die große Verantwortungslosigkeit eines großen Teiles der zuständigen Offiziere wird noch durch folgendes Beispiel aufgezeigt: Zum Zeitpunkt der Provokation befand sich vom Kommando der DGP der Genosse Hauptmann [Name 3] und der Genosse Leutnant [Name 4] in der Kompanie Klettenberg. Hauptmann [Name 3] ist im Kommando der DGP in der Abteilung Ausbildung tätig und sollte den Genossen der unteren Dienststellen Anleitung über ihr Verhalten bei gegnerischen Provokationen, Grenzdurchbrüchen usw. geben. Diesen beiden Offizieren wurde ebenfalls gegen 2.30 Uhr die Provokation gemeldet. Sie blieben jedoch weiter im Bett liegen und wollten nur Bescheid haben, wenn »etwas ganz besonderes« geschehe. Erst gegen 9.00 Uhr – als bereits die Vertreter von übergeordneten Dienststellen in der Kompanie anwesend waren – erschienen die beiden am Tatort.
In diesem Zusammenhang sind auch Überlegungen über die Notwendigkeit und die Bedeutung dieser betreffenden Grenzsicherung am Platze. Allen verantwortlich Beteiligten ist der Befehl des Kommandeurs der DGP bekannt, wonach der Bau von Sperren – unmittelbar an der Grenze – einzustellen ist und dass in jedem Falle für die Anlage von Sperren die Genehmigung des Kommandeurs der DGP einzuholen ist. Besonders wurde dabei in der letzten Zeit auf mögliche schädliche Rückwirkungen auf die Genfer Konferenz hingewiesen.2 Trotzdem begann man in der Nacht vom 17. zum 18. und vom 18. zum 19.8.1959 mit dem Bau dieser Grenzsperre, wofür von keiner Seite eine ordnungsgemäße schriftliche Dokumentation nachweisbar ist. Die Überlegung zum Bau dieser Sperre ging von der Grenzbereitschaft Nordhausen aus, die sich deshalb um die Genehmigung und Bereitstellung entsprechender Baumaterialien an die 3. Brigade Erfurt wandte. Dabei ist festzustellen, dass sich eine ganze Anzahl verantwortlicher Offiziere mit diesem Problem beschäftigte und als die Freigabe des in der Bereitschaft vorhandenen Materials erfolgte, konnte angenommen werden, dass damit gleichzeitig der Bau der Sperre genehmigt wurde. Diese Annahme wird auch in dem Bericht der Untersuchungskommission der DGP ausgesprochen, wo es heißt: »Einige Zeit später wurde auch der Genosse Major [Name 5] vom Kommando der DGP, der zzt. mit einer Brigade in der 5. Grenzbereitschaft eingesetzt ist, von dem beabsichtigten Sperrenbau informiert. Er hat, nachdem er sich den betreffenden Abschnitt selbst angesehen hat, erklärt, dass er sich selbst um die Freigabe des Baumaterials bemühen wird.«
Beachtung verdienen weiter die während der Untersuchung auftauchenden Ansichten und Begründungen, dass die Anlage der Grenzsperre in dieser Form unzweckmäßig sei. Selbst die Untersuchungskommission der DGP stellte dazu in ihren Schlussfolgerungen unter Punkt 2) und 3) fest:
2) Der Aufbau der Sperre unmittelbar auf dem Grenzverlauf ist grenzsicherungsmäßig unzweckmäßig. Die Sicherung der Sperre ist vom Gebiet der DDR aus nicht möglich.
3) Der Aufbau der Sperre unmittelbar an der neugebauten Straße mit durchgehend starkem Verkehr ist unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Situation falsch.
Unabhängig davon, dass natürlich nicht die Sperre selbst Ursache der Provokation ist, schließen wir uns der in Punkt 2) + 3) gemachten Ausführungen an und fügen zur Beweisführung als Anlage eine Lageskizze und drei Fotos bei.
Jedoch muss der Sachverhalt einer organisierten Provokation unbedingt nochmals unterstrichen werden, denn auch an anderen Stellen – entlang der Staatsgrenze West – wurden weitere Provokationen inszeniert, deren Ausgangspunkte deutlich zu erkennen sind und über deren engen Zusammenhang kein Zweifel besteht.
Zum Beispiel fand am 22.8.1959 um 21.00 Uhr in Obersuhl/WD eine Kundgebung statt, wo der Landrat von Rotenburg und der Gewerkschaftsjugendsekretär [Name 6] sprachen und gegen die DDR hetzten. Unter anderem verlangten sie, dass der 10-m-Streifen3 und der Stacheldraht verschwinden müssen und dass den Worten endlich Taten folgen müssten. Nach Schluss der Kundgebung wurde auf dem Kundgebungsplatz – ca. 300 m von der Grenze entfernt – ein Feuer entzündet. Am darauffolgenden Morgen war als offensichtliche Auswirkung dieser Hetzkundgebung festzustellen, dass gegen 5.30 Uhr 16 Jugendliche aus Westdeutschland die Posten der DGP beschimpften. Sie forderten dann die Posten auf, die Grenze zu überschreiten, »wenn ihr die Einheit Deutschlands wollt«. Weitere Äußerungen waren: »Seid Ihr Deutsche oder Russen?« »Wenn Ihr Deutsche seid, dann beseitigt die Sperren!« Außerdem wurden westlicherseits die Grenzsperren – die dort aus Holzpfählen und Stacheldraht bestehen – mit Strohballen umgeben (in einer Länge von ca. 20 m). Ursprünglich sollte an dieser Stelle die Hetzkundgebung stattfinden.
Am 23.8.1953, gegen 17.45 Uhr, überstiegen im Grenzbereich Elend, Kreis Wernigerode, drei Jugendliche im Alter von 20 bis 25 Jahren den Stacheldraht und betraten das Territorium der DDR. Sie provozierten dabei die Posten der Grenzbereitschaft mit den Worten: »Ihr Kommunistenschweine, kommt mal herüber. Mit Euch werden wir noch abrechnen.« Die Jugendlichen wurden von drei Angehörigen des Bundesgrenzschutzes beobachtet. Nach fünf Minuten zogen sich die Jugendlichen wieder in das Gebiet WD zurück, ohne dass von den Angehörigen der DGP Anstalten zur Festnahme getroffen wurden.
Am 22.8.1959, gegen 10.00 Uhr, erschienen am 10-m-Kontrollstreifen bei Almerswind Kreis Sonneberg drei Jeeps mit Angehörigen der amerikanischen Besatzungsmacht, die in übelster Weise unsere Grenzpolizei beschimpften. Zur gleichen Zeit überflog ein Hubschrauber in zehn Metern Höhe die Grenze und fotografierte die Grenzpolizei mit der unverkennbaren Absicht, eventuell sich aus der Provokation ergebende Zwischenfälle dokumentarisch festzuhalten.
Trotzdem diese Beispiele eindeutig den Charakter der organisierten Provokation zeigen, kann man bei verschiedenen verantwortlichen Offizieren der DGP die Tendenz feststellen, die Ursachen der Provokation in erster Linie in den Grenzsperren zu suchen und diese zum Hauptgegenstand ihrer Erörterungen zu machen. Diese Tendenz klingt auch in dem Bericht der Untersuchungskommission der DGP durch. Oberstleutnant Gr…-Mai,4 Gehilfe des Stabschefs der DGP, äußerte z. B. bei der Beratung über das Vorkommnis Klettenberg: »Man sollte überhaupt überlegen, ob es nicht ratsam wäre, alle Drahtsperren von der Grenze weg ins Hinterland zu verlegen und an deren Stelle Transparente anzubringen. Den gleichen Gedanken hat auchOberst Kra…5, Kommandeur der Brigade I Perleberg, auf der letzten Aktivtagung geäußert.«
Es ist nicht unrichtig, dass sich die verantwortlichen Genossen der Grenzpolizei Gedanken machen, ob die Grenzsicherung und die Grenzsperren am richtigen Ort angebracht sind, um zu erreichen, einerseits die Sicherung gegen Durchbrüche von der DDR nach Westen und umgekehrt, und andererseits auch die Sicherung der Kontrolle der Grenzsperren selbst. Entscheidend ist jedoch, eine richtige ideologische und militärische Einstellung bei den Angehörigen der Deutschen Grenzpolizei zu schaffen, wodurch sie in die Lage versetzt werden, richtige Entscheidungen bei Eintreten komplizierter Situationen oder Auftreten von Provokationen zu treffen.
Anlage zur Information Nr. 587b/59
Anlage zum Bericht über die Grenzprovokation im Bereich der Kompanie Klettenberg vom 22. August 1959
Die beiliegenden Fotos wurden am Tage nach der Provokation aufgenommen. Die Zerstörungen wurden inzwischen wieder behoben, eine weitere Fortsetzung des Baues der Grenzsperre wurde jedoch untersagt.6
Die Bilder zeigen im Einzelnen:
- 1.
Blick auf den Verlauf der Grenzsicherungsanlagen
- 2.
Die umgerissenen Grenzsicherungsanlagen, die mit ihren Spitzen bereits auf westdeutschem Territorium liegen
- 3.
Deutlich sichtbar – links im Bild – die westdeutschen Grenzpfähle, die sich nicht unmittelbar an der Grenzlinie, sondern auf der Straßenböschung befinden.
- 4.
Lageskizze des Grenzverlaufes am Provokationsort mit entsprechenden Erläuterungen.