Feindliche Handlungen kirchlicher Vertreter
21. September 1959
Information Nr. 676/59 – [Bericht über] feindliche Handlungen kirchlicher Vertreter
Bei einer Gepäckkontrolle am 19.9.1959 im Zug von Leipzig nach Eisenach wurden bei dem Superintendenten der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Thüringen, Pokojewski, Otto1 aus Kahla 142 700 DM im Koffer verstaut festgestellt. Außerdem hatte P. 10,00 DM West in seinem Spazierstock versteckt.
Da in der Vergangenheit festgestellt wurde, dass vonseiten der Kirchen versucht wird, zur Finanzierung ihrer Tätigkeit in der DDR auf unkontrollierbarem Wege in den Besitz von DM der Deutschen Notenbank2 zu gelangen, wurde P. zur Klärung des genannten Sachverhaltes vernommen und anschließend inhaftiert, weil in der Untersuchung folgende Einzelheiten bekannt wurden: Nach den Aussagen von P. hat er dieses Geld von dem Penndorf, Martin3 Landwirt und Herdbuchzüchter,4 zuletzt Mitglied der LPG »Freies Land« in Kosma Kreis Altenburg erhalten, mit der Maßgabe, das Geld nach Westberlin zu verbringen und dessen Republikflucht zu unterstützen.
Bei Penndorf, Martin, handelt es sich um eine qualifizierte Kraft auf dem Gebiete der Herdbuchzucht und es ist offensichtlich, dass er den Eintritt in die LPG am 1.9.1959 nur zu dem Zwecke vollzog, um in den Besitz von Bargeld zu kommen und mit diesem Manöver seine schon länger vorbereitete Republikflucht durchzuführen. Um sein gesamtes Vermögen von ca. 100 000 DM zum Schwindelkurs nach Westdeutschland bringen zu können, forderte er daher bei seinem Eintritt in die LPG ultimativ seinen Inventarbeitrag in Höhe von 40 000 DM. Dieser Forderung kam die LPG auch nach. Zur unmittelbaren Verwirklichung seiner Republikflucht trat Penndorf an den ihm seit langer Zeit bekannten Pokojewski heran, teilte ihm seine Republikfluchtabsicht mit und ließ sich von ihm beraten.
Dies geschah offenbar in Kenntnis der Rolle kirchlicher Stellen und besonders des Pokojewski bei der Unterstützung der Republikflucht und wurde von Penndorf zur Grundlage seines Verbrechens gemacht. Bei der Zusammenkunft zwischen Penndorf und Pokojewski wurde in Erwägung gezogen, das Vermögen Penndorfs zur Tarnung der Kirche zu übereignen, von der es nach Westdeutschland transferiert werden sollte.
Wie die Untersuchungen weiter ergaben, nahm Pokojewski zu diesem Zweck Verbindung mit dem Geschäftsführer des Hilfswerkes der evangelischen Kirche in Thüringen5 – Sitz Eisenach – Prenzler, Wilhelm6 aus Eisenach auf, dessen Tochter Sekretärin bei Bischof Dibelius7 ist. Prenzler selbst ist unmittelbar dem Zentralbüro Ost des evangelischen Hilfswerkes in Berlin-Zehlendorf, Teltower Damm 93, unterstellt.
Pokojewski und Prenzler legten daraufhin folgendes Vorgehen fest: Penndorf sollte am Tage der geplanten Republikflucht, am 19.9.1959, das Geld im Hotel Opel in Leipzig an Pokojewski übergeben, getarnt als »Kollekte für das Hilfswerk der Landeskirche Thüringen von Unbekannt«, damit bei eventuellen Nachforschungen über die Herkunft des Geldes keine Angaben gemacht werden brauchen. Penndorf sollte zu diesem Zwecke noch eine Bestätigung schreiben, dass ein »Unbenannter« dieses Geld dem Hilfswerk der evangelischen Landeskirche Thüringen schenkt. Das Geld sollte dann von Pokojewski zu Prenzler nach Eisenach gebracht werden. (Hierbei wurde Pokojewski festgenommen.)
Von Prenzler wurden bereits in der schon genannten Zweigstelle Berlin des Hilfswerkes der evangelischen Kirche in Deutschland – Sitz Stuttgart – Vorverhandlungen bezüglich der Übernahme des Geldes und der späteren Verrechnung mit dem Finanzreferenten [Name 1] geführt, der die Zusage einer Unterstützung durch diese kirchliche Stelle für die Republikflucht des Penndorfund den damit verbundenen Geldbetrug gab. [Name 1] erklärte sich bereit, unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen einen Scheck über 14 000 Westmark auszuhändigen, was am 21.9.1959 erfolgen sollte.
Aufgrund der in der Untersuchung festgestellten feindlichen Handlungen wurden daraufhin auch Prenzler, Penndorf, Martin sowie die Personen [Name 2, Vorname 1], Traktorist in der LPG »Freies Land« Kosma, [Name 2, Vorname 2], Bäuerin – die beiden letzteren ebenfalls wegen Vorbereitung der Republikflucht – festgenommen, die den geschilderten Tatbestand bestätigen.
In der Anlage wird die Abschrift eines Protokolls des Pfarrkonvents der Superintendentur Kahla beigefügt, aus dem eine Reihe von Stellungnahmen zu dem Brief des Bischof Mitzenheim8 an den Ministerpräsidenten Otto Grotewohl9 ersichtlich sind.10 Dieses Protokoll wurde bei der in der Wohnung des Superintendenten Pokojewski durchgeführten Hausdurchsuchung – die keine weiteren Hinweise im Zusammenhang mit dem geschilderten Vorgang erbrachte – vorgefunden und dort nach Fotokopierung belassen.
Anlage: 4 Blatt
Anlage zur Information Nr. 676/59
Protokoll des Pfarrkonvents der Superintendentur Kahla am 30. Juni 1959 in Kahla
Anwesende:
Herr Landesbischof Dr. Mitzenheim, alle Pfarrer der Superintendentur außer Pfarrer [Name 2] und Pfarrer Gleisberg,11 der wegen Krankheit fehlt
Beginn: 9.30 Uhr
Nach der Mette in der Stadtkirche (Pfarrer [Name 3]) hielt Pfarrer Demmler12 eine in die Tiefe führende Exegese über Jes. 43, 1–7.13
Der Herr Landesbischof hat den an ihn gerichteten Brief des Pfarrkonvents (vgl. Protokoll des Konvents vom 25.5.1959)14 zum Anlass genommen, um zu den Pfarrern der Superintendentur über die dort angeschnittenen Fragen zu sprechen.
Wir Pfarrer stehen in der Gefahr, die Politik des Westens unbesehen anzunehmen. Was man vor Jahren noch konnte, ist heute nicht mehr möglich. Es ist eine krampfhafte Situation entstanden. Um aus ihr herauszufinden, hilft nur ein großmütiges Verhalten. Es gilt, nicht nur das Negative zu sehen, sondern den Blick auf die Welt offen zu halten. Die Stellung des Christen gegenüber dem Staat ist begrenzt zwischen Rm. 13 und Offenb. 13.15 Es gilt für uns, wie wir in unserem Staat innerhalb der gesteckten Grenzen als Christen leben können. Emigration oder Zuchthaus sind keine Wege. Aus dieser Erkenntnis heraus führe ich als Beauftragter der Bischöfe der DDR die Verhandlungen mit dem Staat und habe jenen Brief an den Ministerpräsidenten geschrieben. Pfarrer Wagner16 – Leipzig nannte diesen Brief eine »Provokation der Liebe«. Westdeutsche Zeitungen, die durchaus nicht links gerichtet sind, nehmen dazu positiv Stellung. Allerdings ist auch die Zahl der Gegner nicht gering.
An einigen Beispielen sei angeführt, was durch beharrliches Verhandeln erreicht wurde: Bibelrüsten werden vom Staat als kirchliche Lebensäußerung angesehen und erlaubt; der Marxismus-Leninismus wird nicht als Maßstab an christliches Schrifttum angelegt. Zum Kirchentag in München17 wurden für 15 000 Gemeindemitglieder Pässe beantragt. Sie wurden abgelehnt. Die Verhandlungen gehen weiter. Wir wollen hoffen, dass wenigstens 1 000 fahren können. Zunächst hat die Kirche noch ihren Auftrag für das Volk und im Volk. Solange sie noch kein Winkeldasein fristen muss, wollen wir alle Möglichkeiten ausnützen, das Bestehende zu erhalten.
Pfarrer Kriewald:18 Uns geht’s nicht um äußere Dinge, sondern um’s Innere. Sie reden in Ihrem Brief von einem »neuen Ethos«, das jetzt zu bemerken ist. Wo sind die Früchte dieses Ethos? Das Ethos des Marxismus lautet: Gut ist, was der Gesellschaft = Sozialismus nützt. Wie können wir da mit?
Bischof: Das Wort »Ethos« stammt von Bischof Dibelius. Wenn Sie sich an dem Wort stoßen, sagen wir besser »Umgangston«. Die Bereitschaft zum gemeinsamen Gespräch ist da. Müssen wir das jetzt nicht ausnützen, um einen Weg zu finden?
Kriewald: In allem was geschieht, wird das Fernziel angesteuert: Kommunismus. Aus diesem Grunde können nicht einzelne Handlungen von uns begrüßt werden.
Pfarrer [Name 4]: Wenn Sie, Herr Landesbischof, auch das Gute für die Kirche im Auge haben, so ist doch Ihr Brief von den Gemeindegliedern falsch aufgefasst worden. Für viele Menschen sind Sie ein Halt. Der schwindet aber seit Ihrem Brief.
Bischof: Wir sind kein Halt für politisch Verärgerte. Wir haben unseren Menschen in christlicher Verantwortung das rechte Wort zu sagen.
Kriewald: Die Unkenntnis über den dialektischen Marxismus ist verhereend. Wie könnten sonst Männer des LKR19 – z. B. OKR20 Lotz21 – in der Öffentlichkeit für die Sache des Gegners reden, wie weit geht überhaupt die Spaltung in der Kirchenleitung?
Pfarrer Mascher:22 Wo sollen wir mit unseren Kindern hin, wenn es nur atheistische Schulen gibt?
Bischof: Die Schule hat Kenntnisse zu vermitteln, aber keine Bekenntnisse aufzunötigen. Wir sind bemüht, mit rechten Mitteln für Erleichterung unserer Leute zu sorgen.
Kriewald: Eine christliche – lutherische Existenz ist heute und hier nicht mehr möglich. Es bleiben doch nur die beiden Wege: Emigration oder Zuchthaus. Es ist wichtig zu sehen, mit welcher Gewalt der marxistische Mythos auf uns zukommt.
Mascher: Die Partei hat ihre Leute gedrillt. Das Kirchenvolk ist verlassen. Es sieht nach oben. Wo aber bleibt die Hilfe von seiner Führung?
Bischof: Ich höre das mit großem Ernst. Hilfe für den Mensch ist es, dass die Kirche noch ihren Dienst tun kann.
Mascher unterbricht: Wo ist die Hilfe jetzt in der Schule?
Bischof: Unser Memorandum an Grotewohl greift die Frage nach der christlichen Existenz auf.23 Wir brauchen aber konkrete Unterlagen, um wirksam verhandeln zu können.
Kriewald: Die Salzburger wanderten damals aus.24 Wir sollten auch den Antrag zur Auswanderung stellen.
Bischof: Und was geschah mit ihren Kindern? Sie mussten dort bleiben und kamen in Klöster.
Pfarrer Demmler: Ich glaube, wir müssten mehr kämpfen und nicht so viel brummeln.
Superintendent Pokojewski: Der Pfarrer braucht Schutz. Er könnte auf seinen Bischof zeigen. Aber heute kann er das nicht mehr. In fünf Punkten möchte ich zusammenfassend festhalten:
1. Wir anerkennen den guten Willen, aus dem jener Brief geschrieben wurde.
2. Der Brief wurde der Öffentlichkeit preisgegeben. Der Herr Landesbischof hätte wissen müssen, dass dieser Fall eintreten könnte. Damit werden die übrigen Pfarrer einer Diskriminierung ausgesetzt.
3. Alle Verhandlungen mit staatlichen Behörden geschehen im Einverständnis mit den übrigen Bischöfen. Dieser Brief aber war ein Alleingang.
4. Es wäre zu erwägen, ob Sie nicht gegen den Missbrauch Ihres Briefes scharfen Protest erheben könnten, der allgemein bekannt wird.
5. Wir sind nicht westlich. Aber wir seufzen unter der Lüge, der Unwahrhaftigkeit, dem Unrecht und der Unfreiheit. Wir müssen uns einen Stand zwischen Ost und West suchen.
Bischof: Sie sehen die Dinge einseitig. Selbst wenn das Volk meinen Schritt im Augenblick nicht einsieht, kann er notwendig gewesen sein. Wir suchen keinen harten Weg, sondern einen gangbaren.
Der Superintendent dankte dem Landesbischof für seine Bereitwilligkeit, die Pfarrer der Superintendentur angehört zu haben. Nachdem der Herr Landesbischof den Konvent verlassen hatte, wurde er alsbald nach einigen amtlichen Bekanntmachungen beendet.
Der nächste Konvent soll am Mittwoch, dem 19.8.[1959] in Kahla stattfinden.
Uhlstädt, den 8.7.1959 | gez. [Name 5]