Feindtätigkeit in der Zeit vom 1.1. bis 30.6.1959
22. Juli 1959
Information Nr. 511/59 – Bericht über die Feindtätigkeit in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1959
Der Bericht beschränkt sich auf folgende Arten feindlicher Tätigkeit:
I. Verbreiten von Hetzschriften und Hetzflugblättern feindlicher Zentralen
a) Verbreitung durch Ballon
b) Verbreitung auf dem Postwege
c) Verbreiten durch Personen
II. Verbreiten selbstgefertigter Hetzschriften
III. Anonyme Hetze und Drohungen durch Briefe und telefonische Anrufe
VI. Anmalen von Hetzlosungen und faschistischen Schmierereien
V. Offene hetzerische und verleumderische Äußerungen
VI. Abreißen und Beschädigen von Fahnen, Plakaten u. a.
VII. Tätlichkeiten und Provokationen gegen VP-Angehörige und andere Staats- und Parteifunktionäre
Im Vergleich zum 1. und 2. Halbjahr 1958 ist die Feindtätigkeit auf den genannten Gebieten – mit Ausnahme der anonymen Hetze und Drohungen und dem Abreißen und Beschädigen von Fahnen, Plakaten u. a. – zurückgegangen.
I. Verbreiten von Hetzschriften und Hetzflugblättern feindlicher Zentralen
Im 1. Halbjahr 1959 wurden insgesamt 1 703 250 Hetzschriften sichergestellt, dies sind ca. 50 % weniger als im 1. Halbjahr 1958 (3 403 871). Davon wurden 970 073 Exemplare durch Ballon, 733 177 Exemplare durch die Post eingeschleust.
Die einzelnen Zentralen waren daran wie folgt beteiligt:
Zu a: Verbreitung durch Ballon
Im 1. Halbjahr 1959 wurden insgesamt 970 073 durch Ballon eingeschleuste Hetzschriften sichergestellt, das sind 62 % weniger als im 1. Halbjahr 1958. Während in den vorangegangenen Jahren besonders in den Monaten April und Mai (Vorbereitung und Durchführung des 1. und 8. Mai) die Hetzschriftenverbreitung durch Ballon anstieg, so ist sie in diesem Jahr im Vergleich zu den übrigen Monaten erstmalig ungefähr gleichgeblieben.
Der Anteil der einzelnen Agentenorganisationen an der Verbreitung von Flugblättern durch Ballon hat sich bei allen Zentralen8 verändert. Den Hauptanteil der durch Ballon eingeschleusten Hetzschriften trug im 1. Halbjahr 1959 wie im Jahre 1958 die NTS/Zope mit 59 % (1. Halbjahr 1958 = 30 %, 2. Halbjahr 1958 = 50 %). Zahlenmäßig hat die NTS/Zope die Hetzschriftenverbreitung nicht wesentlich verstärkt, obwohl der Anteil von 30 % im 1. Halbjahr 1958 auf 59 % im 1. Halbjahr 1959 angestiegen ist. (Das prozentuale Ansteigen ist auf den Rückgang der Hetzschriftenverbreitung bei allen anderen Zentralen zurückzuführen.) Anteilmäßig folgen dann das SPD-Ostbüro mit 24 % (1. Halbjahr 1958 = 44 %, 2. Halbjahr 1958 = 21 %) und KgU mit 11 % (1. Halbjahr 1958 = 21 %, 2. Halbjahr 1958 = 12 %). Damit ist bei diesen Zentralen die Hetzschriftenverbreitung wesentlich zurückgegangen. Die Materialien des UfJ, des Ostbüros der CDU, des Ostbüros des DGB und die Hetzschriften verschiedener und unbekannter Herkunft erreichten zusammen nur 4 % (1. Halbjahr 1958 = 6 %).
Die meisten Hetzschriften wurden in den Bezirken Magdeburg (66 %), Erfurt (11 %) fest- und sichergestellt, während in allen übrigen Bezirken nur 2 bis 6 % aller Flugblätter gefunden wurden. In dem Anteil der Bezirke hat sich im Vergleich zum Jahre 1958 nichts verändert. Das Ostbüro der SPD konzentrierte sich besonders auf die Bezirke Magdeburg und Schwerin, NTS/Zope besonders auf die Bezirke Magdeburg, Halle und Erfurt.
Bei den im 1. Halbjahr 1959 durch Ballon eingeschleusten Hetzflugblättern sind die nachfolgend aufgeführten in größeren Mengen angefallen:
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»Wiederholen der Wahlen von Westberlin in ganz Berlin, in ganz Deutschland.« (Hetze gegen SED).9
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»Berlin bleibt frei« (Hetze gegen Freistadt Westberlin,10 Aufruf zum Widerstand).
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»Neue Deutschland-Politik zeichnet sich ab« (Hetze gegen gesamtdeutsche Arbeiterkonferenz in Leipzig11 und den Gen. Ulbricht12).
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»10. Jahrestag der Zonenrepublik im Zeichen verschärften Zwangs« (Hetze gegen Selbstverpflichtungen, Wettbewerbe u. a., Aufruf zum Widerstand).
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»Es gibt nur ein Deutschland, das wiedervereinigt werden muss« (Hetze gegen Gen. Chruschtschow13).
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»Die freie Welt steht zu Westberlin« (Wortlaut der Rede Eisenhowers14 am 16.3.195915 – Hetze gegen SU).
Aus dem Inhalt der eingeschleusten Hetzschriften sind folgende Hauptrichtungen der Hetzpropaganda der Feindzentralen ersichtlich:
1. In der Bevölkerung der DDR eine Stimmung gegen eine freie entmilitarisierte Stadt Westberlin zu erzeugen und dabei die Hetze besonders gegen die Sowjetunion und den Gen. Chruschtschow zu richten.
2. Zum Widerstand mit »politischen Mitteln« aufzufordern und die Festigung und Stärkung unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht zu verhindern.
3. Gegen die sozialistische Entwicklung in Industrie und Landwirtschaft zu hetzen, um damit die Erfüllung der Beschlüsse des V. Parteitages zu verhindern.16
Zu b: Verbreitung auf dem Postwege
Im 1. Halbjahr 1959 konnten 733 177 auf dem Postwege verschickte Hetzschriften eingezogen werden. Das sind ca. 100 000 weniger als im 1. Halbjahr 1958. Auch im Vergleich zum 2. Halbjahr 1958 ist die Hetzschriftenverbreitung durch die Post um ungefähr die gleiche Anzahl zurückgegangen. Schwerpunkte waren hier genau wie im Vorjahr Dresden (99 000 Exemplare), Potsdam (78 000 Exemplare) und Karl-Marx-Stadt (73 000 Exemplare).
Das Ostbüro der SPD konzentrierte sich besonders auf die Bezirke Dresden und Potsdam. Auf die einzelnen Feindzentralen entfallen:
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UfJ: 45 %
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CDU: 31 %
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Verschiedene: 13 %
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KgU: 5 %
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SPD: 3 %
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DGB: 2 %
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NTS: 1 %
Der Anteil der Hetzschriftenverbreitung durch die Post hat sich im Vergleich zum Vorjahr beim UfJ um 15 % erhöht; bei allen anderen Zentralen sind die Veränderungen nur unwesentlich.
Bei den durch Post versandten Hetzschriften handelt es sich beim größten Teil um die schon bekannten regelmäßig erscheinenden »Bezirkszeitungen« und »Monatsausgaben«. Die Monatsausgaben »Der Soldat«,17 »Geist und Leben«,18 »Die Wahrheit«,19 »Tarantel«,20 »Der Kämpfer«,21 »Elternhaus und Schule«22 sind seit März, einzelne sogar seit Februar, nicht mehr angefallen. Die gefälschte Einheit, die sonst auch monatlich herausgegeben wurde, ist in diesem Jahr bisher nur zweimal erschienen.23
Zu c: Verbreiten durch Personen
Neben der Einschleusung durch Ballon und Post wurden in der Berichtszeit ca. 116 Fälle bekannt, wo derartige Hetzschriften und Flugblätter (890 Stück) durch Personen weiterverbreitet oder ausgelegt wurden. Im 1. Halbjahr 1958 waren es dagegen 215 Vorkommnisse dieser Art. Besonders war dies in den Bezirken Erfurt, Magdeburg, Neubrandenburg und Potsdam festzustellen. Die Hetzschriften wurden zu 90 % in Straßen, Häusern, Grundstücken und Telefonzellen und zu 7 % in Betrieben abgelegt.
II. Verbreiten selbstgefertigter Hetzschriften
Das Verbreiten selbstgefertigter Hetzschriften ist im 1. Halbjahr 1959 im Vergleich zum 1. Halbjahr 1958 nur etwas zurückgegangen, im Vergleich zum 2. Halbjahr 1958 jedoch um 75 %. Es wurden insgesamt 567 Exemplare beschlagnahmt (1. Halbjahr 1958 = 600 Expl., 2. Halbjahr 1958 = 2 366 Expl.). Die meisten selbstgefertigten Hetzschriften sind im Monat April angefallen. Der größte Teil der Hetzschriften (98 %) wurde in Straßen, Häusern und Grundstücken abgelegt und nur 2 % in Betrieben.
Die sichergestellten Exemplare beinhalten in 439 Fällen Hetze gegen Partei und Regierung und deren Funktionäre. 79 Exemplare richteten sich direkt gegen den 1. Sekretär des ZK, Gen. Ulbricht. Alle übrigen Hetzschriften beinhalten Hetze gegen die SU, die LPG und Genfer Konferenz.24 Schwerpunkt ist der Bezirk Karl-Marx-Stadt (400). Hier wurden allein 70 % der selbstgefertigten Hetzschriften verbreitet.
III. Anonyme Hetze und Drohungen durch Briefe und telefonische Anrufe
Geringfügig angestiegen (um 20 Delikte) ist in der Berichtszeit die Hetze und Drohung mittels anonymer Anrufe und Briefe. Insgesamt wurde im 1. Halbjahr 1959 die Versendung von 84 Briefen und die Anwendung von 14 Anrufen bekannt. In 30 Fällen hatten die anonymen Briefe und Anrufe hetzerischen Inhalt und in 51 Fällen wurde mittels Drohung versucht, Partei- und Staatsfunktionäre und Angehörige der Intelligenz unsicher zu machen. Direkt zur Republikflucht wurde in sechs Fällen aufgefordert.
Schwerpunkte sind die Bezirke Magdeburg (32), Dresden (26) und Karl-Marx-Stadt (13), in denen allein 72 % der bekannt gewordenen Delikte registriert wurden.
IV. Anmalen von Hetzlosungen und faschistischen Schmierereien
Das Anmalen von Hetzlosungen und faschistischen Schmierereien ist zurückgegangen. In der Berichtszeit wurden 630 solcher Schmierereien bekannt (1. Halbjahr 1958 = 801). Im Monat Mai, in dem in den vorhergehenden Jahren das Anmalen von Hetzlosungen und faschistischen Schmierereien immer besonders anstieg, hat sich erstmalig in diesem Jahr im Vergleich mit den anderen Monaten keine wesentliche Veränderung ergeben.
Der Anteil der faschistischen Schmierereien (67 %) (Hakenkreuze, SS-Runen, Heil Hitler usw.) hat sich im Vergleich zu 1958 nicht verändert. 20 % der Losungen und Schmierereien richteten sich gegen Partei und Regierung, 4 % direkt gegen den Gen. Walter Ulbricht, 3 % gegen die Sowjetunion, Hetze gegen Normen und die Seifert-Methode zwölf Losungen.25
Den größten Anteil haben die Bezirke Magdeburg (20 %), Dresden (16 %), Halle (16 %) und Berlin (10 %). Die Hetzlosungen wurden zu 62 % in der Öffentlichkeit und zu 38 % in Betrieben angeschmiert.
V. Offene hetzerische und verleumderische Äußerungen
Die offene mündliche Hetze ist im Vergleich zu 1958 wesentlich zurückgegangen. Es wurden 315 derartige Vorkommnisse bekannt und 154 Personen in diesem Zusammenhang durch die VP inhaftiert. Im Vergleich zum 1.Halbjahr 1958 sind die bekannt gewordenen Vorkommnisse offener Hetze um ca. 20 % und zum 2. Halbjahr 1958 um 80 % zurückgegangen.
Circa 55 % der Täter waren angetrunken und zu 26 % erfolgte die Hetze in Gaststätten. Nur 4 % der Delikte entfallen auf die Betriebe, während die restlichen 70 % im öffentlichen Verkehr erfolgten. Ungefähr ein Drittel aller Täter waren Arbeiter und Bauern und 20 % Jugendliche.
In erster Linie wandte sich die Hetze und Verleumdung gegen die DDR und führende Partei-und Staatsfunktionäre (37 %). Weiter richtete sie sich gegen die NVA und VP (34 %), Gen. Ulbricht (2 %), die SU (2 %), LPG (2 %). 23 % der bekannt gewordenen Delikte trugen faschistischen Charakter.
Schwerpunkte sind hier die Bezirke Berlin (50 %), Potsdam (21 %) und Magdeburg (20 %), die wie im vorigen Jahr, den weitaus größten Anteil an diesen Vorkommnissen aufweisen.
VI. Abreißen und Beschädigen von Fahnen, Plakaten u. a.
Das Abreißen und Beschädigen von Fahnen, Bildern, Transparenten und Plakaten ist im Vergleich zum 1. Halbjahr 1958 etwas angestiegen. Im Berichtszeitraum wurden 692 derartige Vorfälle bekannt.
Diese Art der Feindtätigkeit trat besonders in den Monaten März (Besuch des Gen. Chruschtschow26) und Mai in Erscheinung (1. und. 8. Mai). Im Einzelnen wurden 377 Fahnen, 269 Plakate und Transparente, 27 Bilder und 19 Wandzeitungen beschädigt und abgerissen. In 63 Fällen wurden Jugendliche als Täter ermittelt und in 14 Fällen Arbeiter. 16 Personen wurden inhaftiert. Schwerpunkte sind die Bezirke Berlin (307), Magdeburg (66) und Leipzig (62).
VII. Tätlichkeiten und Provokationen gegen VP-Angehörige und andere Staats- und Parteifunktionäre
Die Tätlichkeiten gegen VP-Angehörige, SED-Mitglieder, LPG-Vorsitzende und andere Funktionäre oder fortschrittliche Personen sind weiter zurückgegangen, sodass sie nur mit 163 Fällen 64 % der im 1. Halbjahr 1958 erfolgten Vorkommnisse dieser Art (255) ausmachen.
a) Es handelt sich zu 93 % um Tätlichkeiten gegen VP-Angehörige bei deren Dienstausübung. So gingen diesen Tätlichkeiten vor allem Verkehrsbelehrungen, PA-Kontrollen,27 Schlichten von Schlägereien und andere polizeiliche Handlungen voraus. Charakteristisch ist auch, dass die Hälfte aller Täter betrunken war. 46 % aller Täter waren Jugendliche, 26 % Arbeiter. 109 Personen wurden inhaftiert. Schwerpunkte sind hier die Bezirke Berlin (67) und Magdeburg (57).
b) In sieben Fällen richteten sich die Tätlichkeiten gegen SED-Mitglieder und FDJ-Funktionäre, die überwiegend durch provokatorische Äußerungen und Hetze von den Tätern herausgefordert wurden. Als Täter traten vorwiegend Jugendliche in Erscheinung. Vier Personen wurden inhaftiert.
Die Analyse der insgesamt im Bericht angeführten feindlichen Vorkommnisse ergibt, dass die Bezirke Magdeburg, Erfurt, Dresden und Karl-Marx-Stadt als absolute Schwerpunkte für diese Arten der Feindtätigkeit anzusehen sind. Die übrigen Bezirke folgen dann erst mit größerem Abstand.