Festnahme von sechs westdeutschen Bürgern im Grenzgebiet
16. Februar 1959
Information Nr. 12a/59 – Bericht über die Festnahme von sechs westdeutschen Bürgern im Gebiet der Grenzbereitschaft Wittenburg am Schaalsee bei Dutzow, [Bezirk] Schwerin
Eine Überprüfung dieser Festnahmen durch das MfS ergab folgenden Sachstand:
Am 8.2.1959 gegen 10.00 Uhr meldeten die Grenzpolizeiposten [Name 1] und [Name 2] dem Diensthabenden der Kompanie Kneese,1 Unteroffizier [Name 3], dass sich am Westufer des zugefrorenen Schaalsees,2 das die Grenze zwischen Westdeutschland und der DDR darstellt, ca. 15 Personen befanden – sogenannte Eisfischer, wie sich später herausstellte –, die sich nach und nach dem Ostufer des Sees näherten, ohne jedoch festes Land zu betreten.
[Name 3] gab diese Mitteilung an den derzeitigen Vertreter des Kompaniechefs, Unterleutnant [Name 4] weiter. Als sich [Name 4] an Ort und Stelle über den Sachverhalt informierte, stellte er noch eine alte Fußspur von West nach Ost fest, die er fälschlicherweise als eine frische Spur betrachtete. Er löste daraufhin Alarm aus und befahl eine Gruppe von 1: 7 Grenzpolizisten zum Einsatzort. Außerdem zog [Name 4] den VP-Helfer in Zivil, [Vorname Name 5] und den Zivilisten [Vorname Name 6] hinzu, die er mit der Festnahme der westdeutschen Personen beauftragte, damit diese Festnahmen »unauffällig« vor sich gehen sollten. Zu diesem Zwecke bewaffnete [Name 4] auch den [Name 5] mit einer Pistole und den [Name 6] mit einer Maschinenpistole, wies aber an, von der Waffe keinen Gebrauch zu machen.
Als sich die beiden bewaffneten Zivilisten den Personen auf dem Eise näherten, versuchten zwei der Personen zu flüchten, worauf beide Zivilsten doch von der Waffe Gebrauch machten und insgesamt vier Warnschüsse abgaben.
Dann wurden sechs Personen festgenommen, während die übrigen flüchten konnten. Die Festgenommenen sagten übereinstimmend aus, dass sie den genauen Grenzverlauf nicht kannten und annahmen, der See gehöre noch zu Westdeutschland. Die Festgenommenen wurden noch am gleichen Tage gegen 22.15 Uhr über den Grenzkontrollpunkt Horst nach Westdeutschland zurückgeschleust.
Dieser ganze Vorfall ist folgendermaßen einzuschätzen:
1) Der Teil des Sees, auf dem sich der Vorfall ereignete, gehört vollständig zum Gebiet der DDR. Aus diesem Grunde war eine Festnahme dieser Personen zwar formal gerechtfertigt, in der Regel hat sie aber erst zu erfolgen, wenn die Personen festen Boden der DDR betreten. Das war nicht der Fall, sondern die Personen befanden sich ca. 300 Meter vom Ostufer des Sees entfernt. Bei sachlicher und vor allem politisch richtiger Überlegung hätten andere Maßnahmen den gleichen Zweck noch viel besser erfüllt.
2) Ungerechtfertigt und schädlich war der Einsatz der Zivilisten in dieser Form, weil dafür keinerlei zwingende Veranlassung vorlag und
3) vollkommen falsch und gegen die bestehenden Befehle verstoßend war die Bewaffnung der Zivilisten und der Auftrag zur Festnahme. So weigerte sich z. B. auch anfänglich ein Unteroffizier, auf den Befehl [Name 4] hin, seine MPi an den Zivilisten auszuhändigen. Auch [Name 4] selbst, der als Hauptverantwortlicher für diese falschen Maßnahmen anzusehen ist, machte seinen Vorgesetzten vom Schusswaffengebrauch der Zivilisten keine Meldung.
Auch die anderen verantwortlichen Offiziere wie Leutnant [Name 7], welcher die von [Name 4] angeforderte acht Mann starke Gruppe befehligte und mit dem [Name 4] die Maßnahmen beriet, sowie Leutnant [Name 8], Stabschef der Abteilung Zarrentin, die vom Schusswaffengebrauch wussten, verschwiegen diese Tatsache.3