Olympische Sommer- und Winterspiele 1960
23. November 1959
Information Nr. 831/59 – [Bericht über] die Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung und westdeutschen Sportfunktionären über die gemeinsame deutsche Mannschaft zu den Olympischen Sommer- und Winterspielen 1960
Nach einer zuverlässigen Information hat Bundesminister Lemmer1 am 19.11.1959 nach der Außerordentlichen Delegierten-Konferenz des CDU-Landesverbandes Westberlin im Prälat Schöneberg2 erklärt, dass die Bundesregierung über das Verhalten der westdeutschen Sportfunktionäre während der Tagung beider NOKs am 18.11.1959 im demokratischen Sektor von Berlin empört sei. Nach Meinung der Bundesregierung habe sich W. Daume3 von den Funktionären der DDR einwickeln lassen und Zugeständnisse gemacht, die man als verfassungsfeindlich bezeichnen müsse. Darüber hinaus werde von Daume und anderen NOK-Mitgliedern der Bundesrepublik der Regierungsbeschluss der Bundesregierung negiert, bei der Olympiade in Squaw-Valley und Rom die schwarz-rot-goldene Fahne der gemeinsamen deutschen Mannschaft voranzutragen.4 Dies sei aber eine Prestigefrage der Bundesrepublik und es gebe in dieser Hinsicht keinerlei Kompromisse. Die Negierung des Regierungsbeschlusses durch die NOK-Mitglieder habe die SPD in »unverschämter Art und Weise« benützt, das Flaggenproblem aufgegriffen und eine Pressekampagne gegen die CDU und bestimmte Persönlichkeiten der Bundesregierung gestartet.
Am Freitag, 20.11.1959, fand aufgrund dieser Vorfälle eine außerordentliche Kabinettssitzung5 in Bonn statt, auf der Bundeskanzler Adenauer6 scharfe Worte gegen Daume gebrauchte und dem NOK der Bundesrepublik vorwarf, unnütze zwölf Stunden mit dem NOK der DDR verhandelt zu haben.
Am gleichen Nachmittag rief Innenminister Schröder7 Daume zu sich und verhandelte aufgrund der neuen Lage mit ihm darüber, welche Schritte die Bundesregierung zu tun gedenkt. In den späten Abendstunden des 20.11.1959 hat das Mitglied des IOC Ritter von Halt8 eine Erklärung abgegeben, in der zum Ausdruck gebracht wurde, dass sich das NOK der Bundesrepublik keineswegs der Bundesregierung unterwerfen werde. Sein NOK hätte sich nur dem IOC gegenüber zu verantworten. Lemmer betonte, dass man mit Ritter von Halt bereits Fraktur geredet und ihn aufmerksam gemacht habe, dass er eine solche konsequente Haltung hätte im Jahre 1933 beziehen müssen. Jetzt fordere man jedoch von ihm, da es um die Autorität der Bundesrepublik und um die »Existenz der freien Welt« geht, dass er sich den Anweisungen der Bunderegierung fügt und mit den Vertretern der DDR keinerlei Kompromisse eingehe.
Lemmer erklärte weiter, dass er, obwohl er nicht an der außerordentlichen Kabinettssitzung teilgenommen hat, ständig in telefonischer Verbindung mit dem Bundeskanzleramt stehe und dass sich das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen gegenwärtig damit befasst, spätestens am Montag, 23.11.1959, der westdeutschen Öffentlichkeit eine Erklärung abzugeben, die die Auffassung der Bundesregierung zum Flaggenstreit beinhaltet. Es wurde noch nicht festgelegt, in welcher Form diese Erklärung abgegeben werden soll. Vorgesehen ist entweder eine Erklärung durch Lemmer vor der Presse, eine Rundfunkansprache oder ein Fernseh- bzw. Rundfunkinterview. Unter Leitung von Bundesminister Lemmer soll durch eine Kommission eine Dokumentation erarbeitet werden, die als Grundlage für die Erklärung Lemmers dienen soll.
Ergänzende Informationen sind zu erwarten. Es wird aber gebeten, von den Informationen keinen Gebrauch zu machen, da sonst die Quelle auf das Äußerste gefährdet ist.